Josef Mühlberger ist als Herausgeber, Journalist, Essayist genauso schriftstellerisch tätig gewesen wie als Verfasser von Romanen und Erzählungen, Bühnenwerken und Reisebeschreibungen sowie von Gedichten. Er wurde am 3. April 1903 im böhmischen Trautenau geboren. Als Sohn eines deutschen Vaters und einer tschechischen Mutter lernte Josef Mühlberger beide „Kulturen“ kennen, was ihn zeitlebens beeinflusste. Die von ihm maßgeblich geprägte Kunst- und Literaturzeitschrift Witiko erschien 1928 und 1931 als deutschsprachiger Beitrag zur Kulturszene des jungen tschechischen Staates. Über die Grenzen Tschechiens hinaus wurde er 1934 mit seiner Erzählung Die Knaben und der Fluß bekannt, dessen homoerotisches Thema vor allem bei den erstarkenden nationalkonservativen Kräften auf Ablehnung stieß, während Hermann Hesse schrieb: „Es ist die schönste und einfachste junge Dichtung, die ich seit langem gelesen habe."
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Josef Mühlberger nach Göppingen gebracht und zog bald nach Eislingen/Fils in Baden-Württemberg, wo er am 2. Juli 1985 auch verstarb. Josef Mühlberger sah sich selbst als unpolitisch und baute trotzdem inmitten des Kalten Krieges kulturelle Brücken zwischen Tschechien und Deutschland, indem er eine tschechische und böhmische Literaturgeschichte sowie eine Anthologie tschechischer Lyrik herausgab. Er distanzierte sich von nationalistischem Gedankengut und versuchte doch kurzzeitig, sich mit den Nationalsozialisten zu arrangieren, um weiter veröffentlichen zu können. Später schrieb er dazu: „Es war ein wahrer Unsinn, eine Gewaltsamkeit von mir gegen ein inneres und oberes Gesetz, dass ich so viele Anstrengungen machte, zur Veröffentlichung zugelassen zu werden“. Er setzte sich für den Ausgleich ein und verfasste doch für einen Gedenkstein der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der unmittelbar neben dem Schiller-Nationalmuseum in Marbach aufgestellt wurde, ein Gedicht, das als revanchistisch verstanden werden kann
„Dieser Stein birgt Erde
Aus Deutschlands Osten.
Mögen die Enkel sie
Einst wieder pflügen.“
Die Inschrift wurde 2015 von Seiten des Marbacher Gemeinderats in Frage gestellt. Letztendlich blieb sie erhalten, wurde aber um eine Erläuterung ergänzt, die mit den Worten endet: „Erst der Prozess der europäischen Einigung bannte die Schatten der Vergangenheit.“ Dieses Ergebnis ist ganz im Sinne von Josef Mühlberger, der schrieb: „Ich habe gelernt, Völker nie anders als Teile der Menschheit zu sehen!“
Entgegen dieser ambivalenten Zeilen war Josef Mühlberger ein überzeugter und überzeugender kultureller Vermittler zwischen Deutschen und Tschechen. Obwohl er nach seiner Übersiedlung nach Baden-Württemberg seinen Geburtsort nie wieder sah, sprach und schrieb er immer wieder über Böhmen. „Der Mensch hat nur eine Heimat“, so Josef Mühlberger, nämlich die seiner Herkunft, was nicht ausschließt, dass ihm manche Stadt, manche Landschaft ans Herz wachsen kann, so sehr, dass sie zu seinem Leben gehört.“
Für Josef Mühlberger wurde es die Landschaft in der Umgebung seiner neuen Wohnung, vor allem der Hohenstaufen. Sie erinnerte ihn an Italien. Über die Staufen schrieb er auch, zum Beispiel über Konradin von Hohenstaufen, den letzten männlichen Erben der Staufer oder über den Lebensweg und die Schicksale der staufischen Frauen. Schreiben war seine Art, sich mit seiner Umgebung zu beschäftigen und mit ihr in Dialog zu treten. Er nahm Landschaften in sich auf, wie seine Reisebeschreibungen über Griechenland und die jugoslawische Adriaküste zeigen. Schreiben hieß für ihn: Sich auszudrücken.
Im täglichen Umgang war er, wie Max Brod es sagte: Nicht leicht zugänglich. Vielleicht liegt die Erklärung darin, dass er intime Teile seiner Persönlichkeit nicht offen ausleben durfte. Bereits die Nationalsozialisten inhaftierten Josef Mühlberger wegen seiner Homosexualität. 1950 verhinderten gezielt gestreute Informationen über seine Homosexualität, dass Josef Mühlberger, bereits gewählt, die Stelle als Leiter der Volkshochschule in Göppingen antreten konnte.
Trotz der Wertschätzung seines Werks von Hermann Hesse und Max Brod ist Josef Mühlberger heute beinahe vergessen. Von Seiten der Sudentendeutschen Landsmannschaft in Baden-Württemberg heißt es, dass Josef Mühlberger in der Verbandsarbeit keine besondere Rolle spielt. Dabei hieß es 1968, bei der Verleihung des Sudentendeutschen Kulturpreises, in der Laudatio noch: „Josef Mühlberger ist ein Schriftsteller, der mit Recht Dichter genannt wird. Der Sohn des Riesengebirges, der Sohn Böhmens erweist sich mit seinen Werken als ein Sudetendeutscher, geprägt von den zwei Kraftströmen: Heimat und Welt.“
Uwe Czier
Preise und Auszeichnungen
1937: Johann-Gottfried-von-Herder-Preis
1951: Adalbert-Stifter-Preis
1965: Andreas-Gryphius-Preis
1968: Sudetendeutscher Kulturpreis
1973: Eichendorff-Literaturpreis
1974: Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
1976: Wenzel-Jaksch-Gedächtnispreis
1982: Heinrich-Schickardt-Preis der Stadt Göppingen.
Literatur:
Werke (Auswahl, in chronologischer Reihenfolge)
Marie von Ebner-Eschenbach. Sudetendeutsche Sammlung der Literarischen Adalbert-Stifter-Gesellschaft in Eger, 14. Bd. 65 S. Kassel-Wilhelmshöhe 1930
Fest des Lebens. Drei Novellen, 128 S. Adam Kraft Verlag, Karlsbad-Drahowitz 1931
Huss im Konzil. Roman. 287 S., Renaissance-Verlag, Berlin 1931.
Wallenstein. Ein Schauspiel in fünf Akten. 98 S. Insel-Verlag, Leipzig 1934
Die Knaben und der Fluss. Erzählung. 157 S., Insel-Verlag, Leipzig 1934.
Die große Glut. Roman. 311 S. Insel-Verlag, Leipzig 1935.
Schelm im Weinberg. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen m. e. Vorspiel, 86 Seiten, „Der junge Bühnenvertrieb“, Leipzig 1936.
Der Regenbogen: Gleichnisse, Legenden, Träume, 84 Seiten, Verlag Glock und Lutz, Nürnberg 1947
Die purpurne Handschrift. Drei dalmatinische Novellen. 92 S. Aegis-Verlag, Ulm 1947.
Gedichte. Auswahl. 239 S. Insel Verlag, Wiesbaden 1948.
Türkische Novelle. Erzählung. 79 S. Drei-Säulen-Verlag, Bad Wörishofen 1948.
Der Schatz. Eine Erzählung. 79 S. Ackermann Gemeinde, Wunsiedel 1949.
Im Schatten des Schicksals. Der Lebensroman Peter Tschaikowskijs. 202 S. m. Abb., Bechtle Verlag, Esslingen 1950.
Pastorale. Geschichte und Geschichten eines Dorfsommers,215 S., m. Zeichnungen v. Fritz Fischer, Bechtle Verlag, Esslingen 1950.
Der Galgen im Weinberg. Eine Erzählung aus unseren Tagen. 47 S., Bechtle Verlag, Esslingen 1951.
Verhängnis und Verheißung. Roman einer Familie (1937- 1947). 547 S., Bechtle Verlag, Esslingen 1952.
Die Brücke. Drei Novellen. 109 S. m. Abb. v. G. v. Stockhausen. Bechtle Verlag, Esslingen 1953.
Die heiligen Drei Könige im Schnee. Eine weihnachtliche Erzählung. 38 S. m. Abb. v. Traute Klein-Teodorescu. "Die Heimatbrücke", Verl. für heimatliches Schrifttum, Leimen/Heidelberg 1953.
Das Buch der Tröstungen. Dreiunddreißig weise Erzählungen aus dem Abendland und aus Fernost, 187 S., Verlag Glock und Lutz, Nürnberg 1953.
Requiem. Ein Drama der Einsamkeit, 37 S., Bechtle Verlag, Esslingen 1953.
Licht über den Bergen. Roman. 374 S. Kraft Verlag, Augsburg 1956
Eine Kindheit in Böhmen. Erinnerungen. M. e. autobiographischen Nachwort. 90 S. Reclam Verlag, Stuttgart 1960.
Der Galgen im Weinberg. Erzählungen. M. e. Geleitwort v. H. Hesse. 178 S. [Erweiterte Ausgabe von 1951]. Bechtle Verlag, Esslingen 1960.
Griechischer Oktober. Aufzeichnungen von Reisen nach Griechenland. 149 S. m. Abb., Bechtle Verlag Esslingen 1960.
Lavendelstraße. Provenzalische Gedichte. 45 S., Bechtle Verlag Esslingen 1962.
Das Ereignis der 3000 Jahre. Aufzeichnungen von Reisen nach Malta, Sizilien, Kalabrien, Apulien, Korsika, durch die Provence und an die Loire. [Aus Anlass des 60. Geb. des Dichters im Herbst 1963 erschienen.] 374 S., Verlag Glock und Lutz, Nürnberg 1963.
Herbstblätter. Gedanken und Gestalten. 181 S. Bechtle Verlag, Esslingen 1963.
Linde und Mohn. 100 Gedichte aus 100 Jahren tschechischer Lyrik. Übertr., eingel. u. erl. von Josef Mühlberger, 167 S. Verlag Glock und Lutz, Nürnberg 1964.
Die jugoslawische Adriaküste. Istrien, Dalmatien. 32 S., m.100 Fotos v. M. Uschold, Kraft Verlag, Augsburg 1964.
Jan Neruda: Kleinseitner Geschichten. Hrsg. u. übers. v. J. Mühlberger. 284 S. Winkler Verlag, München 1965.
Das Tal der Träume. Roman einer Familie. 318 S. Starczewski Verlag, München 1966.
Adalbert Stifter. Eine Biographie. 128 S., Stieglitz Verlag, Mühlacker 1966.
Die Staufer. Aufstieg, Höhe, Ende. Stationen eines Weges vom Namenlosen in die Weltgeschichte. 168 S. m. Abb., Banholzer Verlag, Rottweil 1966.
Jiri Wolker: Gast im Haus. Gedichte. Hrsg. u. übertr. v. J. Mühlberger. M. e. Nachwort v. Max Brod., 66 S. m. Abb. v. T. Teodorescu, Starczewski Verlag, München 1966.
Der deutsche Beitrag Böhmens und Mährens zur Weltliteratur 1830-1930. [Vortrag bei der Ackermann-Gemeinde, anlässlich des Sudetendeutschen Tages 1968 in Stuttgart, 32 Seiten, Ackermann-Gemeinde, München 1968.
Božena Němcová, Großmutter. Bilder aus dem ländlichen Leben. Übers. u. m. e. Nachw. 269 S, Winkler Verlag, München 1969.
Der Teppich. Kurze Prosa. 48 S. Privatdruck, o. 0., 1970.
Wappenbilder des Lebens. Gedichte. 40 S. Privatdruck, Eichstätt 1970.
Tschechische Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 210 S, Ackermann-Gemeinde, München 1970.
Der Scherbenberg. Erzählungen aus Böhmen. 109 S. Verlag Die Brücke, München 1971.
Wintersaat. Übersetzte und übertragene Gedichte. 48 S. Privatdruck, Eichstätt 1971.
Zwei Völker in Böhmen. Beitrag zu einer nationalen historischen und geistesgeschichtlichen Strukturanalyse. 300 S. Bogen Verlag, München 1973.
Denkwürdigkeiten des aufrechten Demokraten Aloys Hasenörl. Roman. 223 S., Kraft Verlag, München 1974.
Die heilige Freude. Drei Weihnachtsgeschichten. 14 S. Aufstiegsverlag, München 1975.
Sudetendeutscher Schicksalsweg. Ein Lese- und Quellenbuch zur Geschichte der Sudetendeutschen. Quellen, Urkunden, Dokumente, Augenzeugenberichte, herausgegeben von Josef Mühlberger, 239 S., Aufstiegverlag, München 1976.
Lebensweg und Schicksale der staufischen Frauen. 210 S. Bechtle Verlag, Esslingen 1977.
Berühmte und berüchtigte Frauen. 10 Lebensbilder, 432 S. Bechtle Verlag, EssIingen 1979.
Bogumil. Das schuldlose Leben und schlimme Ende des Eduard Klima. Roman. 480 S. Verlag Langen Müller, München 1980.
Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen 1900-1939. 424 S., Verlag Langen Müller, München 1981.
Konradin von Hohenstaufen. Der letzte eines großen Geschlechtes. Biographie, 215 S. m. Abb., Bechtle Verlag, Esslingen 1982.
Wo ich daheim war. Erzählungen aus dem böhmischen Riesengebirge. 199 S. Preussler Verlag, Nürnberg 1983.
Der Hohenstaufen. Ein Symbol deutscher Geschichte 1050-1900. 168 S. m. Abb., Bechtle Verlag, Esslingen 1984.
Über Josef Mühlberger:
Becher, Peter (Hrsg.): Josef Mühlberger. Beiträge des Münchner Kolloquiums. München: Adalbert-Stifter-Verein 1987. (Mit Beiträgen von: Peter Becher, Michael Berger, Jürgen Born, Peter Demetz, Cornelia Fritsch, Wynfrid Kriegleder, Margarita Pazi und Ernst Schremmer.)
Bok, Václav und Ulbrecht, Siegfried (Hrsg.): Germanoslavica. Zeitschrift für germano-slawische Studien. Im Auftrag des Slawischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, 20. Jg., Ausgabe 1/2009. Themenausgabe zu Josef Mühlberger.
Lange-Greve, Susanne: Wintersaat. Josef Mühlberger als Übersetzer. Ein Einblick in den Nachlass. Einhorn Verlag, Schwäbisch Gmünd 2006
Stroheker, Tina (Hrsg.): Mein Kapitel Mühlberger. Erinnerungen an einen Autor. eislinger Edition, Eislingen 1999
Stroheker Tina: Josef Mühlberger in Eislingen. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 2011 (= Reihe Spuren 94)