Ludwig Winder: Die nachgeholten Freuden
Der Roman spielt in einer fiktiven tschechischen Stadt Boran in den Jahren 1918-1926. Er verfolgt das Schicksal des Kriegsgewinners Adam Dupic, eines kroatischen Kaufmanns, der durch Ausbeutung und Börsenspekulationen zum Reichtum kam und nun die ganze Bevölkerung Borans terrorisiert und ausbeutet, indem er die Bewohner durch Anleihen während der Krise des letzten Kriegsjahrs allesamt seine Schuldner werden ließ.
Die Handlung beginnt am 2. Juli 1918 mit Dupics Ankunft in die Stadt, in dieser Zeit gilt der Krieg schon allgemein für verloren (S. 16), und auch im weiteren Verlauf des Romans werden eher die ökonomischen Folgen des Kriegs analysiert. Die nationalen und politischen Probleme rücken in den Hintergrund, wobei der Roman die soziale Situation der Protagonisten aus allen Schichten beschreibt: die Grafenfamilie vom Boraner Schloss gilt als Vertreter des Adels im Verfall (S. 35), Dupic und sein Sohn Peter, ein Arzt, der gegen die zerstörerische Natur des Vaters zu kämpfen versucht, als Mittelschicht, und die Familie des armen jüdischen Lehrers Buxbaum mit Tochter Elsa und Sohn Karl, der in russischer Gefangenschaft dem Kommunismus verfällt (S. 138) als Arbeiterklasse. Am Ende des Romans 1926 stirbt Dupic, wobei er die Stadtbevölkerung in Chaos versetzt wegen der Kämpfe um seine Erbschaft. Peter und Elsa stellen durch ihre Heirat einen positiven Ausweg aus der durch Geld verdorbenen Gesellschaft. Die deutsch-tschechische Spannung wird nur am Rande an manchen Stellen thematisiert (S. 98, 274), sie dient eher der Kritik des Krieges und der Verhältnisse in der neuen Republik:
„Die Deutschen können die Tschechen nicht schmecken. Die Tschechen spucken die Deutschen an. Dann haben wir deutsche Sozialdemokraten und tschechische Sozialdemokraten. Und Kommunisten. Dann haben wir deutsche Nationalsozialisten und tschechische Nationalsozialisten. Dann haben wir Hakenkreuzler. Dann haben wir tschechische Nationaldemokraten. Alle kämpfen gegen alle.“ (S. 273f.)
„Jahrelang hat man keine Arbeiter, alles liegt darnieder, die Felder werfen nichts ab, das Vieh ist futsch, was halbwegs taugt, hat man requiriert, es ist einfach trostlos. Weiter, Jetzt haben wir vier Jahre Krieg. Dauert der Krieg noch lang, so sind wir eo ipso verloren, denn der Krieg frisst alles restlos auf. Ist des Krieg aber eines Tages zu Ende, so kommt das Chaos. Dass wir den Krieg gewinnen, ist ausgeschlossen. Bei uns gibt das jeder zu, vom Gottsöbersten angefangen. Nach einem verlorenen Krieg werden wir alle, wie wir da sitzen, einfach wegrasiert.“ S. 16.
Erstauflage: Die nachgeholten Freuden. Roman. Ullstein, Berlin 1927.