Ludwig Winder: Geschichte meines Vaters


Jahr der Publikation
2000
Verlag
Igel
Publikationsort
Oldenburg
Gattung
Roman
Bibliographische Daten
Geschichte meines Vaters. Mit einem Nachwort. Hrsg. von Dieter Sudhoff. Igel, Oldenburg 2000.
Art der Veröffentlichung
Separate Veröffentlichung

Geschichte meines Vaters ist ein Lebensbericht des berühmten deutschmährischen Autors Ludwig Winder, der zu den letzten Werken des Schriftstellers gehört. Die schwere Krankheit erlaubte Winder nur die beiden ersten umfangreichen Teile abzuschließen und damit blieb das Erzählwerk ein Fragment. Die Hauptfigur dieser Geschichte ist Max Winder, der tatsächlich Vater von Ludwig Winder war. Die weiteren wichtigen Figuren sind: der Vater von Max Winder (Großvater von Ludwig Winder) und Maxens Schwester Mali. 

Der erste Teil berichtet, wie Max Winder in der Mitte der 50er Jahre des neunzehnten Jahrhunderts in Kolín geboren wurde. Er war Sohn eines jüdischen Religionslehrers, der sich in den Kopf setzte, dass sein Sohn, ein Gelehrter, ein Diener Gottes wird. Max hatte noch eine zwei Jahre ältere Schwester Mali, der der Vater keine so große Beachtung widmete, denn jedes weibliche Wesen war in seinen Augen minderwertig. Die beiden wuchsen ohne Mutter auf, weil sie kurz nach Maxens Geburt starb. Als Neunjährige begann Mali die Beschützerin ihres Bruders zu sein.  Als Max elf Jahre alt war, wollte ihn sein Vater nach Deutschland in ein jüdisches Internat schicken, wo er ihm einen Freiplatz sicherte. Max sagte aber seiner Schwester, er wolle lieber sterben, als Rabbiner werden. Der einzige Mensch, bei dem die Geschwister Rettung finden konnten, war ihr Onkel Bernhard, Arzt in Pardubice, der sie zweimal jährlich in Kolin besuchte. Mit der Hoffnung im Herzen schrieb Mali dem Onkel einen langen Brief, in dem sie ihm die schwierige Situation ihres Bruders schilderte. Der Onkel Bernhard kam so schnell wie möglich. Er sprach mit seinem Schwager, wobei man einen Streit nicht verhindern konnte. Danach schickte der Vater Max doch nicht nach Deutschland, sondern sie beide gingen einige Tage vor dem Ende der Ferien zu dem Direktor der tschechischen Realschule, um sich nach den Aufnahmebedingungen zu erkundigen. Ein weiteres Problem war allerdings wieder auf der Welt: der Unterricht fand auch am Samstag statt, an dem jüdischen Feiertag. Nach ziemlich langen Auseinandersetzungen kamen die Herren nun zu einem Kompromiss: Max besucht die Schule am Samstag unter der Bedingung, dass er von dem Schreiben und Zeichnen suspendiert wird. Er musste auch keine schweren Sachen tragen. Während des Besuchens der Realschule hatte Max mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, doch er absolviert erfolgreich.

Der zweite Teil berichtet, wie Max, nach dem Tod seines Onkels, der ihm das Erbe von Tausend Gulden überließ, an der Technischen Hochschule in Prag zu studieren anfing. Die Ankunft in Prag bedeutete für Max große Freiheit und er fühlte sich jung. Sogar sein Vater sprach mehr mit den Menschen und war nicht mehr so ernst und finster. Für beide bedeutete es eine bisher unbekannte Befreiung.  Der Vater schrieb dem Jungen sogar lange Briefe, aber seine Fragen bezogen sich nur auf das regelmäßige Beten, auf den Besuch des Tempels und auf die bescheidene Ernährung nach den jüdischen Kaschrut-Regeln. Alles Andere interessierte den frommen Mann nicht. Max lernte in Prag, seinen Vater anzulügen. Tatsächlich betete er nie, den Tempel besuchte er nur ab und zu, sogar die Vorlesungen schwänzte er. Er wollte von jedem Zwang frei sein. Max fragte sich oft: „Warum soll ich mir ein Gefühl vortäuschen, das ich nicht empfinde? Frei will ich sein, frei auch von dem Zwang einer Frömmigkeit, die mir nicht gegeben worden ist. Sie ist mir aufgezwungen gewesen, sie ist mir nicht gegeben worden. Wenn es einen Gott gibt, will ich ihn nicht betrügen.“

Unter den tschechischen Studenten, mit denen Max verkehrte, gab es einige Literaturinteressierte, die mit literarischen Zeitschriften mitarbeiteten. Er schloss sich ihnen an und begann seine ersten lyrischen Gedichte zu schreiben, die ihm wirklich Freude machten. Max lernte einen gleichaltrigen deutschen Studenten Erich Seipp kennen, der Gedichte schrieb und an der Universität juridische Vorlesungen besuchte. Mit ihm erlebte er viele Abenteuer, die nicht immer billig waren. Aus diesem Grund begann er privat zu unterrichten. Als er die erste Staatsprüfung bestand, wurde Max von einem Augenleiden befallen und es wurde ihm das Zeichnen streng verboten. Er sollte das Studium der Technischen Universität unterbrechen. Den richtigen Ausweg aus dieser schwierigen Situation zu finden, fiel ihm zuerst unmöglich. Es war hier für ihn aber seine Schwester, die während seines Studiums einen jüdischen Uhrmacher aus Pisek heiratete und nach der Hochzeit nach Pisek zog. So fuhr er nach Pisek, wo er eine Woche verbrachte. Mali fand immer den richtigen Weg für ihren lieben Bruder. Dieses Mal stellte sie ihn dem Dichter Adolf Heyduk vor und so geschah es, dass sie nach einigen Zusammenkünften zu einer Lösung kamen: einen einjährigen Kurs an einer Lehrerbildungsanstalt absolvieren und Volksschullehrer werden. Als Max seinem Vater die Situation schilderte, war der Religionslehrer davon sehr niedergeschlagen. Ihm blieb aber wenigstens eine Hoffnung: Max versprach dem Vater, dass er eine Stelle an einer jüdischen Volksschule suchen wird.  Max fuhr nach Karlsdorf, wo er am Beginn des Schuljahrs eine Stelle als provisorischer Unterlehrer erhielt. Was er dem Vater versprach, vergaß er schnell. Hier endet der zweite Teil des Buches und zugleich das ganze Werk, das Fragment blieb.

Der Vater von Max, der als Religionslehrer tätig war, war ein anspruchsloser Bettler. Er war ein orthodoxer Jude, der alle weltlichen Genüsse und Freuden verachtete, der nie spazieren ging und sich karg ernährte. Er widersprach sich in einem Moment: Die ganze Zeit sagte er, dass das Geld schmutzig sei. Wenn aber der Onkel sein Erbe seinem Neffen und seiner Nichte vermachte, sagte er: „ein schönes Vermögen“. Seine einzige Freude war die Hoffnung, dass er seinen Sohn zu einem wahren Diener Gottes erzieht. Als seine Hoffnung scheiterte, betrachtete er Max als einen verlorenen Sohn. Es handelt sich hier um einen inneren Vater-Sohn Konflikt, der stets durch Maxens Angst vor dem Vater begleitet wurde. Sie stritten selten; den Vater interessierte es nicht, wie sich die Kinder fühlen, die jüdische Religion war seine Mission. Anderseits war der Religionslehrer kein böser Mann. Er lebte „nur“ nach den Regeln. Er verzieh seinem Sohn sogar den Diebstahl der Zwetschgen, wobei er ihm glaubte, dass er sie nicht stehlen wollte. Er warnte ihn nur, dass „Juden alles doppelt bezahlen müssen“. Der Vater vernachlässigte die Kurzsichtigkeit seines Sohnes, die ihm zum Schicksal wurde. Er war ein schlechter Rechner und ein schlechter Schüler des Talmuds (sein Vater war sein Privatlehrer). Man kann das Augenleiden auch als eine Metapher verstehen: Max war nicht gläubig, seine Kurzsichtigkeit kann die Blindheit zur der jüdischen Religion symbolisieren. Für ihn war es alles nur eine Pflicht, doch es fehlte ihm die Kraft zu widersprechen.

Das Schreibverbot am Samstag, das der Vater für Max erlangte, brachte dem Jungen viele Schwierigkeiten. Alle Professoren nahmen es dem Knaben übel, dass er Samstag nicht schrieb. Es gab unter den Professoren einen Antisemiten, der das Schreibverbot des jüdischen Schülers als „jüdische Frechheit“ bezeichnete. Antisemitische Bemerkungen waren jedoch in der Schule eine Seltenheit. Die Lehrer haben sich allmählich an das Schreibverbot gewöhnt.  Es kam jedoch im fünften Jahrgang in die Realschule ein nationalistischer Lehrer, der die darstellende Geometrie unterrichtete und Max Befreiung vom Schreiben nicht tolerierte. Die Zusammenarbeit des jüdischen mathematischen Genius Michalowski und Max kann man als einen weiteren jüdischen Aspekt bezeichnen, wobei es hervorzugeben ist, dass Michalovski Max verzieh, dass er kein Geld hatte, den Nachhilfe-Unterricht zu bezahlen. Es ging ihm darum, die Verachtung gegenüber Juden zu verhindern. (Majka Chudějová, Studentin)