In Moravská Třebová / Mährisch Trübau wurde am 18. März 1877 Rudolf Pfersmann von Eichthal in eine klassische k. u. k. Beamten- und Offiziersfamilie hineingeboren, dessen Vorfahre Leopold Pfersmann, der in der Verwaltung des Hoftheaters in Wien eine führende Position bekleidete, am 4. April 1818 mit dem Prädikat Edler von Eichthal nobilitiert worden war.[1] Am 23. März 1855 erhob Kaiser Franz Joseph I. die Familie in den erblichen Ritterstand,[2] nachdem der am 16. September 1781 in Klagenfurt geborene Alois Pfersmann von Eichthal nach einer intensiven militärischen Karriere 1796 als Kadett in die kaiserliche Armee eintrat und an allen Feldzügen bis 1849 teilnahm, um schließlich als Stellvertreter des Banus von Kroatien in den Ruhestand zu treten; am 22. Juni 1854 verstarb er in Wien.[3] Die Karriere des Vaters von Alois Pfersmann von Eichthal verlief bescheidener, er trat als Oberst in den Ruhestand. Auf der Basis der antisemitischen Namenspolemik[4] konstruierte das im Kyffhäuser Verlag erschienene „Weimarer historisch-genealoge Taschenbuch des gesamten Adels jehudäischen Ursprungs“ eine jüdische Abstammung von der Familie Pferschheim und der vom bayrischen König nobilitierten Familie Seligmann von Eichthal, ohne auch nur annähernd das Verwandtschaftsverhältnis zu dokumentieren.[5]
Rudolf Pfersmann von Eichthal wurde nach dem Besuch Militär-Unterrealschule in Kismarton/Eisenstadt und der Militär-Oberrealschule in Hranice na Moravě/Mährisch Weißkirchen als Leutnant von der Militärakademie Wiener Neustadt als Infanterieoffizier ausgemustert[6] und diente zunächst im 1672 aufgestellten Infanterieregiment 25, dessen Friedensgarnison bis 1914 im mittelslowakischen Lučenez/Losonc lag.[7] Nach der Zuteilung zum Generalstab 1904 wurde er 1909 zum Hauptmann des Generalstabs befördert und diente schließlich beim Stab des k. u. k. Bukowinischen Infanterieregiment 41 in Czernowitz,[8] wo er auch ein Haus in der damaligen Herrengasse 43 besaß.[9] Am Vorabend des 1. Weltkrieges wurde Pfersmann von Eichthal zum Vorstand der Militärabteilung der Landwehrgruppe des XIV. Korps ernannt und am 11. August desselben Jahres nach Ausbruch des Weltkrieges als Generalstabschef ins Militärkommando Innsbruck versetzt. In dieser Funktion wurde er mit 1. November dieses Jahres zum Major des Generalstabs befördert und schließlich nach dem Kriegseintritt des Königreiches Italien als Verbindungsoffizier zum deutschen Alpenkorps versetzt. Nach verschiedenen Funktionen in wechselnden Korps-Kommandos wurde Pfersmann von Eichthal am 1. August 1916 Oberstleutnant im Generalstab und kurz danach zum Generalstabschef des Rayons Südtirol ernannt. Seine letzte Kriegsdienstverwendung war die eines Generalstabschef der 45. Schützen Division in Russland und am Balkan. Nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie diente er 1919 im Kriegsarchiv in Wien, von da an wohnte er im sehr bürgerlichen 3. Bezirk, in der Landstraßer Hauptstraße 4A, ehe er mit 1. Jänner 1920 als Oberst des Generalstabes in den Ruhestand trat. Aus dieser Zeit stammen einige Artikel in militärischen Fachpublikationen.
Pfersmann-Eichthal, mit dem Gesetz vom 3. April 1919 wurde die Aufhebung des Adels in Österreich von der konstituierenden Nationalversammlung verfügt,[10] fand sich ohne Schwierigkeiten im Zivilleben innerhalb des klein gewordenen Österreichs zurecht. Als Trompeter kehrte er in jene Institution zurück, in dem sein Vorfahre als oberster Kontroller gewirkt hatte, und das republikanisch geworden, vom Hof- zum Burgtheater mutierte.[11] Während einer seiner Generalstabskollegen an der Südfront, Oberst Theodor Körner von Siegringen, als Militärexperte den Weg in die Sozialdemokratie fand, um schließlich in der Zweiten Republik Bürgermeister von Wien und schließlich österreichischer Bundespräsident zu werden, spielte Pfersmann neben seiner Verpflichtung im Orchester des Burgtheaters auch im Trompetenchor der Wiener Staatsoper, den er begründete und leitete. 1937 trat er mit Erreichen der damals üblichen Altersgrenze erneut in den Ruhestand. Wiewohl Pfersmann-Eichthal auf Grund seiner Herkunft und seines Umfeldes,[12] seine Frau Theresia Kreutzbruck von Lilienfels stammte ebenfalls aus einer Beamten- und Offiziersfamilie, prädestiniert erscheint, sich innerhalb des schmalen Segments legitimistischer Zirkel und/oder paramilitärischer Zusammenschlüsse des Heimwehrmilieus zu betätigen, kann davon ausgegangen werden, dass der gelungene berufliche Neustart in einem völlig anderen Metier ein klassenspezifisches politisch retardierendes Verhalten unterband.
Das retardierende Element lebte der Oberst der untergegangenen Armee und Berufsmusiker literarisch aus. Das Adelsgesetz umgehend publizierte er unter dem Pseudonym Rudolf von Eichthal ein durchaus markantes rund 25 Bände umfassendes episches Werk. Eingebettet in seine profunde Kenntnis des Milieus, bediente er mit seinen Romanen, Erzählungen und Novellen ein nostalgisches Bild der alten Armee, seiner briefadeligen Gesellschaft und deren Personals. Nicht primär einem politischen System das Wort redend, wie es etwa der rabiate Deutschnationale Bruno Brehm tat,[13] nicht darauf pochend, dass die untergegangene Welt eine bessere gewesen wäre, wie es im Werk Alexander Lernet-Holenias anklang,[14] und auch nicht im untergegangenen Reich die Gegenwelt zum aufsteigenden Nazi-Reich sehend, wie es das Spätwerk von Joseph Roth markiert,[15] sondern sich ganz dem Glück biedermeierlichen Erinnerns hingebend, fand Eichthal sein (klein-)bürgerliches Publikum und die Zustimmung seiner Kameraden, ein Heimito von Doderer[16] für Spießer. So rühmte Edmund Glaise von Horstenau, der seit 1918 wiederum im Kriegsarchiv Dienst tat und dort Pfersmann von Eichthal kurzzeitig als Mitarbeiter erlebte, in seinen kurz vor seinem Suizid im Juli 1946 verfassten Erinnerungen Eichthal „Leutnant Spielvogel“[17] als treffliches „Denkmal“ jenes Milieus „in welches ich anno 1893 eintrat.“[18] Damit bezog sich der zum Nationalsozialisten gewordene General[19] auf die stark autobiographisch gefärbte Hauptfigur der Romane „Der göttliche Funke“ (Salzburg 1937) und „Die goldene Spange“ (Wien 1941), denen Eichthal die Romane „Der grüne Federbusch“ (Wien 1951) und „Der Marschallstab“ (Wien 1952) nachfolgen ließ. Scharf umreißt István Deák dieses Genre „fiktive[r] Reminiszenzen“: „Was diese Schriften von den ,seriösen‘ literarischen Werken unterscheidet[,] ist die Tatsache, daß diese volkstümlichen Erzählungen im allgemeinen in der ersten Person geschrieben sind und fiktive Anekdoten vorwiegend deshalb einflechten, um die persönlichen Erinnerungen des Verfassers zu ergänzen.“[20] So, wie Pfersmann von Eichthal 1918/1920 den Zusammenbruch seiner Welt meisterte, so hinterließen die Zerstörung der Demokratie 1933/34, die nationalsozialistische Machtübernahme 1938 und die Befreiung Österreichs und die Wiedererrichtung der Republik 1945 keine Zäsuren im Werk und im Leben des durchaus begabten Schreibers „altösterreichischer“ Geschichten.
Der soignierte ironisch-distanzierte Herr blieb beliebt, die jeweiligen Machthaber hatten an ihm nichts auszusetzen, neue Leserkreise sollten erschlossen werden. Auf seine alten Tage besann man sich zusätzlich seiner Herkunft, die wohl eher zufällig in Mähren lag, durch die nun erneut höchst virulenten „Sudetendeutschen“.[21] Eingebettet in die Renaissance der Monarchie, wie sie der österreichische Film eindrucksvoll vermarktete,[22] aufbereitet durch ein Österreich-Bild, wie es partiell im austrofaschistischen Bemühen um eine Identitätskonstruktion sichtbar wurde, und begleitet von der Neuaufstellung eines österreichischen Bundesheers, das um traditionsstiftende Elemente rang,[23] verfestigte sich die Eichthalsche Dichtung. Sein altösterreichischer Bilderbogen, der mit „Miczike“ (Salzburg 1931) und „Gloria Viktoria“ (München 1935) begann, der in den „Spielvogel“ Romanen kondensierte, dem „Die Wunderkur“ (Wien 1943) genauso zugeordnet werden muss, wie „Die große Schweigerin“ (Wien 1949), überschlug sich schließlich mit „Er ging an meiner Seite“ (Wien 1955), „Der ersten Liebe goldne Zeit“ (Wien 1956), „K. u. k.,“ (Wien 1958), „Im gleichen Schritt und Tritt“ (Wien 1959), „Zapfenstreich“ (Wien 1969), „Ich hatt' einen Kameraden“ (Wien 1961), „Servus“ (Wien 1962), „Habt acht!“ (Wien 1964), „Gott erhalte!“ (Wien 1966), „Abgeblasen“ (Wien 1968). Das österreichische Bundesheer dankte dem uralten und hyperaktiven Obersten des Generalstabs a.D. mit einer umfassenden literarischen Würdigung zum 90. Geburtstag[24] und setzte ihm nach seinem Tode am 14. August 1974 eine Gedenktafel an sein Wohnhaus.[25] Die Buchgemeinschaft-Ausgaben seiner Bücher blieben bis in die 1980er Jahre auf dem Markt, bis der „volkstümliche“[26] Duktus keinen Leserkreis mehr fand.
[1] Peter Frank-Döfernig, Adelslexikon des österreichischen Kaisertums 1804-1918, Wien-Freiburg-Basel 1989, 152.
[2] Peter Frank-Döfernig, Adelslexikon des österreichischen Kaisertums 1804-1918, Wien-Freiburg-Basel 1989, 450.
[3] Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Wien 1779, Bd. 8, 37.
[4] Vgl. Dietz Bering, Der „jüdische Name“, in: Julius H. Schoeps, Joachim Schlör (Eds.), Vorurteile und Mythen, München-Zürich 1995, 153-166.
[5] Weimarer historisch-genealoges Taschenbuch des gesamten Adels jehudäischen Ursprungs, Weimar 1912, 479.
[6] Zu seiner militärischen Karriere vgl. Peter Broucek, Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, Wien-Köln-Graz 1980, Bd. 1, 92f., Anm. 102.
[7] Schematismus für das kaiserliche und königliche Heer und für die kaiserliche und königliche Kriegs-Marine für 12900, Wien 1899, 293.
[8] Die Bukowina. Eine allgemeine Heimatkunde, verfasst anlässlich des 50 jährigen glorreichen Regierungsjubiläums Seiner kaiserlichen und königlichen Apostolischen Majestät unseres Allgnädigsten Kaisers und Obersten Kriegsherrn durch die k.k. Gendarmerie des Landes-Gendarmerie-Commandos No. 13 [Czernowitz 1913.]. Die deutsch-ukrainische Ausgabe dieses Bandes erschien als Reprint ebenfalls in Tscherniwzi 2004
[9] Address book (Directory) for Czernowitz - For the year 1909, Address book (Directory) for Czernowitz - For the year 1909, eingesehen am 9. Juni 2015. Zu Cernowitz vgl. Andrei Corbea-Hoisie, Cernowitzer Geschichten. Über eine städtische Kultur in Mittel(Ost)-Europa, Wien-Köln-Weimar 2003.
[10] Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, 211 ex 1919: Gesetz vom 3. April 1919 über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden.
[11] Wilhelm Kosch, Bruno Berger (Eds.), Deutsches Literaturlexikon. Biographische-Bibliographisches Handbuch, Bern-München ³1976, Bd. 4, 17.
[12] Zur Situation der Berufsmilitärs der Monarchie nach dem Zusammenbruch s. Wolfgang Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande. Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Republik, Wien 1988.
[13] Vgl. Dieter A. Binder, Das Bild vom untergegangenen Reich – Joseph Roth, Bruno Brehm und Heimito von Doderer oder variable Enden der k. u. k. Weltordnung, in: Horst Haselsteiner, Heinrich Schuschnigg (Ed.), Die Kaiserreiche. Roms Erben, Wien – München 2004, 45 – 69; derselbe: L’image des émigrés chez Bruno Brehm, in: Anne-Marie Corbin (Ed.), Émigration et Guerre froide, Le Mans 2004 113 – 121.
[14] Markus Rieger, Zauber der Montur. Zum Symbolgehalt der Uniform in der österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit, Wien 2009.
[15] Vgl. David Bronsen, Joseph Roth. Eine Biographie, Köln 1974; Joseph Roth. 1894-1939. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek, Frankfurt/M. 1979.
[16] Vgl. Wolfgang Fleischer, Heimito von Doderer. Das Leben. Das Umfeld des Werks in Fotos und Dokumenten, Wien1995; Franz Hubmann, Heimito von Doderer. Eine biographisch-literarische Reise rund um die „Strudelhofstiege“, Wien-München 1996.
[17] Leutnant Spielvogel ist die autobiographisch geprägte Hauptfigur der Romantrilogie „Der göttliche Funke“,
[18] Zum Milieu und dem Habitus des jungen Offiziers vgl. die unglaublich expressive Selbstdarstellung in Bruno Binder[Freiherr von]-Krieglstein, Jugenderinnerungen eines alt-österreichischen Salonlöwen. Hersg. V. Birgit Strimitzer und Christian Steeb, Graz 1994.
[19] Edmund Glaise von Horstenau (1882-1946) musterte 1903 als Leutnant aus, wurde 1913 zum Hauptmann im Generalstab, ab 1918 Verwendung im Kriegsarchiv und schließlich dessen Direktor, als Repräsentant der „betont Nationalen“ Mitglied im Staatsrat ab 1934 und ab 1936 Minister, hochverräterische Beziehungen zum deutschen Gesandten in Wien Franz von Papen, 1938 Mitglied des Reichstages, 1939General, 1941-1944 deutscher Bevollmächtigter für Kroatien, Zeuge im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Selbstmord angesichts eines drohenden Hochverratsprozess in Österreich. Vgl. Peter Broucek, Ein General im Zweilicht. Die Erinnerungen Glaises von Horstenau, Wien-Köln-Graz 1980.
[20] István Deák, Der K.(u.)K. Offizier. 1848-1918, Wien-Köln-Weimar 1991 (EA: Beyond Nationalism. A Social and Political History oft he Habsburg Officier Corps. 1848-1918, Oxford 1990), 258.
[21] Vgl. Wilhelm Formann, Sudetendeutsche Dichtung, München 1961; Hubert Partisch, Österreicher aus sudetendeutschem Stamme, Wien 1961.
[22] Vgl. Ruth Beckermann, Christa Blümlinger (Eds.), Ohne Untertitel. Fragmente einer Geschichte des österreichischen Kinos, Wien 1996; Elisabeth Büttner, Christian Dewald, Anschluß an Morgen. Eine Geschichte des österreichischen Film von 1945 bis zur Gegenwart, Salzburg 1997.
[23] Vgl. Hebert V. Patterer, Unter Österreichs Fahnen. Ein Buch vom österreichischen Soldaten. Farbtafeln und Zeichnungen von Gottfried Pils, Graz-Wien-Köln 1960.
[24] Militärkommando Wien (Eds.), Rudolf v. Eichthal. Offizier, Schriftsteller, Musiker. Ein Leben für Österreich, Wien 1969.
[25] http://austria-forum.org/af/Bilder_und_Videos/Bilder_Wien/1030_Gedenktafeln/9803, eingesehen am 9. Juni 2014.
[26] István Deák, Der K.(u.)K. Offizier. 1848-1918, Wien-Köln-Weimar 1991 (EA: Beyond Nationalism. A Social and Political History oft he Habsburg Officier Corps. 1848-1918, Oxford 1990), 263.