Oskar Rosenfeld : Wozu noch Welt

Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz. Herausgegeben von Hanno Loewy.
Jahr der Publikation
1994
Verlag
Neue Kritik
Publikationsort
Frankfurt a.M.
Gattung
Biographie/Autobiographisches (Tagebuch, Memoiren…)
Bibliographische Daten
Wozu noch Welt. Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz. Herausgegeben von Hanno Loewy. Neue Kritik, Frankfurt a.M. 1994.
Art der Veröffentlichung
Separate Veröffentlichung

Neben der offiziellen Tätigkeit als Redakteur im Ghetto von Lodz entstand im Verborgenen auch sein Tagebuch, das unter dem Titel "Wozu noch Welt. Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz" von Hanno Loewy herausgegeben wurde.

In seinen Tagebuchaufzeichnungen unternimmt Rosenfeld den in dieser Art wohl beispiellosen Versuch, das im Ghetto erlebte Grauen möglichst unmittelbar in eine sprachliche Form zu gießen. In einer Welt, die im Ghetto jede Normalität verloren hat, wird sein über weite Strecken agrammatischer Telegrammstil, geprägt vom weitgehenden Verlust der Konjunktionen, Präpositionen, Artikel und dem Abbau der Verbflexion, zu einem getreuen Spiegel des Ghetto-Lebens. Wir lernen aus den Texten, wie ein Ghetto-Bewohner nach und nach die Fähigkeit einbüßen kann, die Grausamkeiten des Ghetto-Alltags anders als durch strukturlose Satztrümmer zum Ausdruck zu bringen. So erinnert seine Sprache über weite Strecken an einen Aphasiker in fortgeschrittenem Stadium, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass Rosenfeld trotz aller Verfremdungen den referenziellen Bezug zwischen Sprache und Welt und dem phonematischen Wert der einzelnen Laute nicht antastet. Da selbst im Ghetto noch Hoffnung auf Überleben besteht, wird diese letzte Grenze in den Tagebüchern nie überschritten.

Die Sprache der Aufzeichnungen ist das Ergebnis eines von den Umständen diktierten Experiments. Der Akt der sprachlichen Verfremdung ist beabsichtigt. Die unmittelbare Dokumentation des Grauens führt den Leser und wohl auch den Autor selbst aber bis an den Rand des Erträglichen. In letzter Konsequenz würde eine solche Darstellung des Ghetto-Lebens zwangsläufig wohl zum völligen Verlust der Sprache führen. Die festen grammatischen Strukturen, in denen sich unsere Gedanken für gewöhnlich bewegen, halten der permanenten Bedrohung nicht stand. Sie zerbrechen. So darf man vermuten, dass sich auch bei Rosenfeld der Stil seiner Tagebücher zum Ende hin mehr und mehr verselbstständigt hat.