Fritz Beer : Kaddisch für meinen Vater

Essays, Erzählungen, Erinnerungen
Unvollendet
Jahr der Publikation
2002
Verlag
Arco Verlag
Publikationsort
Wuppertal
Gattung
Kürzere Prosa (Novelle, Erzählung usw.), Essay
Bibliographische Daten
Kaddisch für meinen Vater. Essays, Erzählungen, Erinnerungen. Bibliothek der Böhmischen Länder, Bd. 1. Arco Verlag, Wuppertal 2002.
Art der Veröffentlichung
Separate Veröffentlichung

Mit einem Nachwort von Christoph Haacker.

Kaddisch für meinen Vater ist ein autobiographisches Werk, wie man es von Fritz Beer auch nicht anders kennt. Es beinhaltet Essays, Erzählungen und Erinnerungen des Autors, der in die Rolle des Protagonisten schlüpft. In der Einleitung spricht Fritz Beer von seiner und Ursulas Tochter. Man findet hier eine ähnliche Einleitung wie im Werk Hast du auf Deutsche geschossen, Grandpa?, wo Fritz Beer einen Dialog mit seiner Tochter schildert, in dem sie neugierig nach ihren Verwandten fragt und wie bei Fritz Beer gewohnt eine zynische und komische Antwort bekommt, weil er es anders nicht kann. Er versucht aufs Einfachste dem kleinen Mädchen zu erläutern, dass es anders ist, als die anderen Kinder des Londoner Vorstadtkindergartens.

Das Werk ist in vier Themenbereiche eingeteilt: Ein Fremder in England, Der Brunnen der Vergangenheit, Heimat, Exil und Sprache und Erzählungen. Jeder dieser Bereiche enthält mehrere Kapitel, die sich mit Beers einzelnen Lebensabschnitten decken. Es werden retrospektiv Erlebnisse aus der Kriegszeit erzählt, der Akzent liegt in diesem Werk allerdings eher auf der kurzen Nachkriegszeit.

Im ersten Themenbereich verraten bereits die Titel der einzelnen Kapitel (wie zum Beispiel Die ersten Stunden des Friedens oder Lücken zwischen den Namen), worauf der Autor hier näher eingeht. Es kommt hier zu einer bestimmten Wiederholung des bereits Geschilderten aus Hast du auf Deutsche geschossen, Grandpa? (ersichtlich im letzten Kapitel dieses Themenbereiches Rendezvous im Buckingham Palace). Beer erinnert sich an seine Familienmitglieder und Freunde, die im KZ umgebracht wurden. Im Kapitel mit dem Titel In der Krypta von St. Ethelred behandelt er den inneren Streit mit Gott und schildert einen Dialog mit dem hiesigen Pfarrer. Er stellt sich die Frage, wo Gott war, als Juden in KZs gebracht wurden und hier massenweise ermordet wurden.

Das erste Kapitel des zweiten Themenbereiches Brunnen der Vergangenheit, (das diesem Buch seinen Titel Kaddisch für meinen Vater gab) behandelt den Besuch seiner Cousine Miriam, die ihm die Botschaft überbringt, er möge das jüdische Gebet Kaddisch für seinen Vater aussprechen, wie er es sich vor seinem Tod gewünscht hatte. Miriam schildert ihm, als Überlebende des KZ Theresienstadt, das Schicksal seines Vaters und weiterer Angehöriger seiner Familie. Beer erlebt einen inneren Kampf mit sich selbst, in dem er sich überwinden muss, das Kaddisch zu beten, weil er seine Religion bereits in frühester Kindheit aufgab. In weiteren Kapiteln wie zum Beispiel Warum ich nicht erinnern will oder Brief an einen Freund in Kibbuz schreibt er an Freunde und Verwandte aus seiner Vergangenheit und konfrontiert diese mit dem Begriff Heimatgefühl. Weiterhin erläutert er auch, dass er sich als ein in der Tschechoslowakei geborener deutschsprachiger Jude als vaterlandslos betrachtet und polemisiert über jenen Begriff. Er erinnert sich an Debatten und Auseinandersetzungen mit Freunden aus seiner Vergangenheit und an hypothetische Pläne für die Zukunft, die er nun für kindische Naivität hält. Wieder wird Fritz Beers zynische Weltanschauung ersichtlich. Im dritten Kapitel Bomben auf Hamburg kann man ein weiteres typisches Merkmal seines spezifischen Schreibstils beobachten, und zwar dass er das innere Bedürfnis empfindet, abgeänderte „Fakten“ richtig zu stellen. Er will die wahre Seite dieser Zeit zeigen und auf Papier festhalten, als eine Art Reportage oder auch Erlösung. Damit hängt auch die Einleitung zusammen, in der er behauptet, dass die Menschen die „Wahrheit“ relativieren und auch ihr Leben und sich selbst nach eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen neu kreieren, was häufig nicht der Wahrheit entspricht. Er startet hiermit den Versuch, ein realistisches und wahrhaftes Bild der Vergangenheit zu liefern.

Heimat, Exil, Sprache als dritter Themenbereich bringt seine Existenzkrise und seine ständigen Selbstzweifel zum Vorschein. Man bekommt einen sehr detaillierten Einblick in das Innere Fritz Beers. Man liest in diesem Abschnitt seine ständigen Fragen, spürt die Angst, die ihn immer noch verfolgt, lernt seine teilweise zersplitterte Persönlichkeit kennen, seine tiefschürfende Intelligenz und den Philosophen in ihm. Er befasst sich mit klassischen Begriffen wie Heimat, Sprache aber ebenso Deutschland. Er kehrt in Gedanken zurück in die Zeit, wo er Deutschland verteidigte und sich zugleich als Tscheche, Deutscher und Jude fühlte. Er spricht Zweifel aus, ob das, was er getan hat, wie er sich benommen und gehandelt hat, korrekt war und betrachtet dies aus verschieden Blickwinkeln.

Erzählungen. Der vierte Themenbereich, der Erzählungen wie Der schwarze Ochse, Zehn Minuten, Die Heimkehr des Andreas Kersten oder Ein alter Spitzel beinhaltet, kreist um einen hintergründigen Gedanken, um den Versuch, mit der deutschen Sprache abzurechnen. Bereits nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich betrachtete Fritz Beer die deutsche Sprache als missbrauchtes Mittel und zum Protest schrieb er Erzählungen auf Tschechisch und Kurzgeschichten auf Englisch. Er gestand sich jedoch ein, dass nur das Deutsche als seine Muttersprache melodisch und korrekt in seinen Ohren klingt.

Im Nachwort behandelt er das zerrissene Weltbild und seine unzähligen gescheiterten Versuche die Wahrheit und ein heiles Weltbild zu finden. Das Nachwort dieses Werkes beendet er mit folgenden Worten: Wenn ich nicht gerade von der Melancholie dieser Erkenntnis bedrückt werde, gewinne ich Kraft aus dem Gedanken, dass es ein paar Menschen gibt, die ich als Schreiber, Rundfunksprecher und Journalist mit meinem kleinen Wort erreichte. Vielleicht hat es sie amüsiert, ihnen einen Tropfen Zuversicht gegeben, sie für einen kurzen Augenblick aufgerichtet… Es ist mehr, als ich in Hinblick auf die Wolfsfallen auf meinem langen Lebensweg erwarten durfte.

(Maxi Juliane Petereit, Studentin)

 

Sekundärliteratur:

https://www.databazeknih.cz/autori/fritz-beer-10995
https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Beer#Einzelnachweise

https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=119059185

https://www.cbdb.cz/kniha-76731-a-tys-na-nemce-strilel-dedo-hast-du-auf-deutsche-geschossen-grandpa

https://www.novinky.cz/kultura/163400-prazsky-rodak-fritz-beer-napsal-knihu-o-zivote-mezi-valkami.html
http://www.arco-verlag.com/autoren/autor/9-fritz-beer.html