Oskar Bendiener: Der Renegat
Schauspiel in vier AktenIn dem vieraktigen Schauspiel Der Renegat aus dem Jahre 1920 wird das Thema Religion versus Politik angesprochen. Die politische Situation gerät in eine schwierige Lage, an der Grenze beim Dorf Drakovic wartet fast ein Tausend jüdischer Flüchtlinge, die im Land Zuflucht suchen. Im Parlament soll entschieden werden, ob sie eingelassen werden sollen oder nicht. Der Hofrat Jenbach wird von den Liberalen ermahnt, dem Minister die Aufnahme der Flüchtlinge zu empfehlen, die Konservativen wollen das Gegenteil. Sogar Jenbachs Frau und sein Sohn mischen sich ein und äußern sich gegen den Einlab. Jenbach wird als Gesandter des Ministeriums an die Grenze geschickt, um die kritische Situation zu regeln. Die Bauern drohen mit einem Aufstand, die einheimischen Juden aber wollen ihren Glaubensgefährten helfen. Für Jenbach bedeutet aber seine offizielle Aufgabe eine Rückkehr in die eigene Vergangenheit. Jenbach, der ursprünglich Jeiteles hieß, wechselte als junger Mann seinen Namen und ließ sich taufen, um Politik und Karriere machen zu können. Der Drakovicer Rabbiner ist sein Vater. Es kommt zur Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, die sich nach Jahrzehnten wieder sehen. Der Rabbiner bleibt aber hartnäckig und versöhnt sich mit seinem Sohn nicht. „JEITELES: Ich bin ein Jude. Es gibt nichts Höheres. HOFRAT: Ich diene dem Staat, der für alle ist. JEITELES: Alle bis auf uns.“ Der Hofrat ordnet an, alle Flüchtlinge wieder hinter die Grenze zu führen. Der Rabbiner hat nämlich das Gesetz in die eigenen Hände genommen und den Juden erlaubt, die Grenze zu überschreiten. Im Parlament streiten inzwischen die Parteien über die Drakovicer Frage. Jenbach kommt gerade vor der Abstimmung an und berichtet von dem Vorfall. Die Konservativen wollen den Rabbiner strafen und nennen ihn verbrecherisch. In dem Moment verteidigt aber Hofrat Jenbach seinen Vater, der nach seinem besten Wissen und Gewissen gehandelt hat und bekennt öffentlich, dass er von Geburt Jude ist, obwohl er weiß, dass er sich dadurch seine Karriere verbaut. Das Parlament stimmt ab, die Einwanderungserlaubnis wird erteilt, der Minister bietet die Demission des gesamten Kabinetts an. Der ärgste Schlag ist für den Hofrat aber die Tatsache, dass ihn seine Frau und sein Sohn wegen des politischen Falls verlassen wollen. Jenbachs väterliche Gefühle sind über die Undankbarkeit seines Sohnes tief verletzt und als sich die Situation unerwartet zu Gunsten des Hofrats ändert (er wird auf die Kuratorstelle der Nationalbank ernannt), bleibt er seiner Familie gegenüber kalt.
Abgesehen davon, dass das Stück verkürzt werden könnte, ist es Bendiener gelungen, einen interessanten Konflikt der Politik, des Judentums und des Vater-Sohn-Konflikts anhand von drei Generationen zu skizzieren. Bendiener entwirft eine dreigliedrige politische Szene: die Liberalen und die Konservativen sind in ihren Forderungen immer zu radikal, es spricht aus ihnen Machtgier, ein Widerstand um des Widerstandes Willen, nur die Sozialisten scheinen den richtigen, mittleren Weg gefunden zu haben. Den „gesunden Verstand“ der Sozialisten betont Bendiener im Drama auch dadurch, dass er sie als einzige Dialekt sprechen lässt:
Mir Sozialisten treten für [die Juden] ein, weil mir kane Ausnahmen net machen, je nachdem wie der politische Wind weht, sondern weil wir für alle eintreten, denen an anderer, Stärker den Dam’ auf’s Aug setzt. Nicht weil’s Juden, sondern weil’s Schwächere sind.
Mehr aber als um die politischen Auseinandersetzungen, die oft das Tempo des Spiels verlangsamen, geht es Bendiener um den „Mann im Beruf“. Alle drei männlichen Hauptgestalten (der Rabbiner, der Hofrat und sein Sohn) müssen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen wählen. Der Rabbiner sagt sich von seinem Sohn los, weil er seinen religiösen Stolz nicht überwinden kann. Der Glaube ist zwar auch eine Privatsache, genauso wie die Vaterliebe, aber sein Posten als Rabbiner bedeutet doch eine nicht übersehbare öffentliche Machtstellung. Jenbach ist ein Karrierist, der den „Aberglauben“ seiner Väter verkennt, der sich aber für seinen Vater einsetzt, als ihm Unrecht geschieht, obwohl er alles, was er bisher anstrebte, dadurch aufs Spiel setzt. Der junge Burschenschaftler, Jenbachs Sohn Hugo, tut gerade das nicht, was Jenbach für seinen Vater getan hat: ihn in Not zu unterstützen, seinen guten Namen zu verteidigen und seine eigenen gesellschaftlichen Interessen zu opfern.