Erica Pedretti: Engste Heimat

Roman
Unvollendet
Jahr der Publikation
1995
Verlag
Suhrkamp
Publikationsort
Frankfurt am Main
Gattung
Roman
Bibliographische Daten
Engste Heimat. Roman. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995.
Art der Veröffentlichung
Separate Veröffentlichung

Die in der Schweiz lebende Ich-Erzählerin vermittelt während zwei Aufenthalte in der Tschechoslowakei (1976 und 1990) ihre Gefühle, Überlegungen und Kindheitserinnerungen. In der Ich-Form beschreibt sie ihr Leben in der Roulette an einem schweizerischen See und geht als ihr Alter Ego Anna in die Vergangenheit nach Mähren zurück. Aus Annas Sicht beschreibt sie die idyllische Kindheit in Hohenstadt (Zábřeh na Moravě) und Sternberg (Šternberk), wo ihre gebildeten Großeltern wohnten und zusammen Spaziergänge im Wald machten. Anna, die oft mit der Ich-Erzählerin (bzw. Pedretti selbst) verschmilzt, schildert auch den Einmarsch der Russen und die schmerzliche Vertreibung in 1945, mit der sie sich nicht versöhnen kann. Während der zwei Besuche revidiert sie ihre Erinnerungen und versucht, sich mit ihrer eigenen Identität abzufinden. Annas Lebensleitfigur ist ihr Onkel Gregor, der als Maler nach Paris geht und nach 1945, obwohl er in der Tschechoslowakischen Legion kämpfte, nicht mehr als Deutscher nach Tschechien zurückkehren darf. Heimatlosigkeit, Vertreibung und Rückkehr, Versöhnung mit dem Schicksal, idyllische Erinnerungen und das Verdrängte bilden die Hauptthemen Pedrettis Romans. (Adéla Rossípalová)

Das Schloß über der Stadt ist jetzt Museum.

"Bilder; Ölbilder. Die hab ich alle verbrannt", lachte stolz der Museumdirektor: "Nach dem Krieg, da war ich noch Hausmeister hier, hab ich ganze Berge von Büchern und Bildern verbrannt. Hier in diesem Ofen."

Nur die billigen Öldrucke preußischer Feldherren hat er respektiert, die überlebten.

Von den Schloßfenstern aus konnte ich sehen, daß von all dem, was ich in mir aufbewahrt hatte, hier nur ein riesiger Grundriß übriggeblieben war, ein paar verwahrloste Bäume, darunter, zwischen Lastwagen und Kisten, Gras. (17)

Er studierte an der Dresdner Akademie, wo er Karl Liebknechts Sohn traf, der bald sein Freund wurde und lebenslang sein Freund blieb, ging dann als Maler nach Paris und heiratete Jacqueline, eine Französin. Zeitweilig, wenn er Geld brauchte, kam er zurück nach Mähren, um seinem Vater in der Weberei zu helfen. Als sich die politischen Verhältnisse zuspitzten, Henleins Parteigänger immer lauter nach dem Anschluß schien, wurden Gregors eindringliche Warnungen vor dem Irrsinn, der da so fanatisch herbeigewünscht wurde, nicht mehr verlacht, sondern mit Haß quittiert: Du Verräter! Und als am Ende das Land, von nun an nur noch Sudetenland genannt, von England und Frankreich in München an hitler verhandelt verkauft wurde, ging Gregor endgültig, flüchtete er nach Paris. [...] Und dann: Wie man ihm nach dem Kriegsende die Rückkehr nach Hause, nach Mähren, verwehrte: Auch für die Tschechen war er nun, obwohl er grade erst als Tschechoslowake gegen Deutsche sein Leben riskiert hatte, ein Deutscher. (27-28)