Ernst Weiß : Tiere in Ketten


Unvollendet
Jahr der Publikation
1918
Verlag
S. Fischer-Verlag
Publikationsort
Berlin
Gattung
Roman
Bibliographische Daten
Tiere in Ketten. S. Fischer-Verlag, Berlin 1918.
Art der Veröffentlichung
Separate Veröffentlichung

2. Fassung: München Verlag Kurt Wolff 1922; 3. Fassung: Berlin Propyläen-Verlag 1930

Zusammenfassung:

In einem Freudenhaus lebte ein schönes Mädchen Olga. Man nannte sie Olympia. Sie liebte einen Mann, den Besitzer des Hauses, Franz Michalek. Ihr Leben war wie das Leben eines gefesselten Tieres, über ihr Leben entschieden andere Menschen (vor allem Franz Michalek). Einmal verliebte sich ein junger Mann in sie, er mochte Olga aus dem Freudenhaus befreien, aber Olga wollte nicht mitgehen. Tagsüber war dieses Haus ein gewöhnliches Wirtshaus. Der Besitzer Michalek trank sehr viel Alkohol. In dem Haus arbeiteten auch andere Mädchen, zum Beispiel die Wienerin Mizzi, oder Kathinka. Diese Mädchen stritten sich oft mit Olga. Während eines Streites zerbrachen sie ein Porzellanstück. Michalek schmiss Olga raus und nannte sie eine Hure. Als Besitzer des Freudenhauses konnte er mit seinen Mädchen wie mit Tieren umgehen, als ob sie keine Rechte hätten. Olga nannte ihn einen Schinder, obwohl sie ihn liebte. Franz Michalek bot ihr ein neues Leben an: bei seiner Mutter könnte sie eine Schneiderwerkstätte eröffnen. Doch Olga wollte nicht, sie wollte bei ihm im Freudenhaus bleiben, weil sie ihn liebte.

Schließlich kam Olga nach Hause, in ihre Heimat. Ihre Mutter und die Geschwister erwarteten sie schon. Ihr Vater war gestorben und die Familie hatte kein Geld für sein Grab, aber Olga brachte einiges Geld mit. Später diente sie als Haushälterin bei einem Rechtsanwalt, Dr. Richard Kühn. Nach vier Jahren verdiente Olga genug Geld, um sich eine eigene Wohnung zu mieten. Der Rechtsanwalt kam täglich zu ihr, er wollte sie heiraten, aber sie lehnte ihn immer ab. Olga hatte in allem Glück, sie gewann sogar in der Lotterie. Für das Geld kaufte sie sich einen Kuraufenthalt in Franzensbad. Aber in der ersten Station verließ sie den Zug und fuhr in die Stadt, in der Michalek lebte. Sie trafen sich wieder. Beide waren glücklich, dass sie sich wiedersehen konnte. Olga ging mit Michalek ins Kaffeehaus, wo jetzt Mizzi arbeitete. Nachdem sie Michalek besucht hatte, fuhr sie nach Franzensbad, aber sie dachte immer an ihn, sie konnte sich nicht mehr an das Gesicht des Rechtsanwalts erinnern. Dann schrieb Olga ein paar Briefe an Michalek, aber er antwortete nicht. Sie liebte ihn so sehr, dass sie nach ihm süchtig wurde. Sie schenkte ihm auch Geld. Olga wollte sich an Mizzi für ihr früheres schlechtes Verhalten rächen, da sie unter Albträumen über Mizzi und Michalek litt. Ein Arzt erklärte sie für krank. Ihre Albträume und psychischen Probleme nannte er „tierische Dämonen“, obwohl sie inzwischen eine ordentliche Frau geworden war. Sie erinnerte sich sehr oft an ihre Zeit im Freudenhaus, für sie waren das die besten fünf Jahre ihres Lebens.

Nach dem Aufenthalt im Kurort ging sie zum Rechtsanwalt zurück. Sie begann viel zu beten und wollte in Frieden leben. Nach Olgas Rückkehr veränderte sich aber das Benehmen des Rechtsanwalts gegenüber ihr, er ging oft in Weinstuben und Kaffeehäuser, um Olga zu meiden. Schließlich sagte Dr. Kühn Olga, er sei zuckerkrank und werde früh sterben, aber er liebte Olga.

Olgas Benehmen beschreibt der Autor manchmal als tierisch, zum Beispiel wenn sie in der Kirche vor einem Altar auf allen vieren wie ein Tier ging. Es hing mit dem Titel des Buches zusammen. Anstelle des Altars sah Olga ein Grab mit acht toten Pferden. Dann sah sie auch die Leichen der Tiere. Das war ihr Traum über ihre Hochzeit. Eine Pranke schlug nach Olga in ihrem Albtraum, es gab dort auch ein lästiges Insekt. Auch Michalek war da, er war Olgas Retter in ihrem Albtraum. Der Traum dauerte vierzehn Stunden und in ihm gab es Ereignisse und Gestalten aus Olgas Vergangenheit, die mit dem Freudenhaus verbunden waren. Der Rechtsanwalt kümmerte sich um Olga, aber sie war nicht mehr wie früher, sondern litll psychisch.

Olga war sehr fromm, den Rechtsanwalt warnte sie, dass er von Gott bestraft werden würde. Sie wollte ihn zwingen, sein ganzes Geld zu verschenken, auch Michalek wollte sie dazu bewegen, weil sie glaubte, dass - wenn sie der Kirche Geld stiften würde – würde sie wieder gesund werden und auch gut leben können. Dem Rechtsanwalt wird es aber klar, dass Olga zurück zu Michalek will und sein Geld nur für die Reise zu ihm braucht. Er nannte Michalek einen Lumpen, weil er Olga wieder aussaugen wollte. Richard wollte, dass Olga bei ihm bleibt, bis sie wieder ruhig geworden war. Richard sagte Olga, dass sie nach seinem Tod heiraten soll, wen sie will, nur Michalek nicht.

Olga kam mit dem Zug zu Michalek. Während ihrer Reise verglich sie die beiden Männer – Franz Michalek und Richard Kühn. Olga war abhängig von Franz, sie idealisierte ihn. Richard war für sie eiskalt wie ein toter Stein, sie wollte ihn ins Pferdegrab werfen. Richard hatte einen Traum über Olga, indem sie ihn ins Pferdegrab warf, als wäre er tot. Olga ging in die Kirche in Michaleks Stadt. Sie betete in der Kirche und Gott antwortete ihr in ihrem Kopf, dass sie eine schwersündige Frau sei, schmutzig und schlecht. In dieser Rede Gottes gab es auch ein Tiermotiv – vier Beine, eine Pferdegrube, totes Vieh. Als Olga Franz traf, war er zuerst verärgert. Er erzählte ihr über das jetzige Leben ohne Olga im Haus Nr. 37, in dem Mizzi die Hauptrolle spielte. Olga erinnerte sich, dass Mizzi sie damals vergiften wollte und jetzt womöglich auch Michalek vergiften wollte. Er glaubte es aber nicht, sagte, dass alles in Ordnung sei, und Mizzi als zuverlässige Buchhalterin arbeitete. Das Verhalten der Mädchen hatte sich allmählich gebessert, nachdem Olga weggeangen war. Mizzi versuchte sogar, Michalek vom Alkohol fernzuhalten. Olga brachte ihm aber ein paar Flaschen Schnaps. Sie tranken zusammen. Als er betrunken war, liebte er Olga wieder, und sie durfte im Haus Nr. 37 bleiben. Olga wollte Franz heiraten, aber Mizzi hatte ihn fest in der Hand. War er jetzt ein Tier in Ketten? Olga stritt sich mit Mizzi um Geld. Olga brauchte Geld für die Kirche, sonst würde sie von Gott verflucht werden. Sie versprach ihm Geld in ihrem letzten Gebet. Sie wollte gerettet werden. Olga stahl einen Revolver von Michalek und erschoss Mizzi. Während dieses Mordes wurde sie von ihrem tierischen Dämon geritten. Michalek konnte nicht glauben, dass Mizzi erschossen wurde. Olga wollte nicht fliehen, die Gendarmen fanden sie und sie wurde als Mörderin verhaftet. Im Gefängnis musste sie sich vielen Verhören, Drohungen und Fragen, Urteilen und Strafen unterziehen. Sie litt an Wutanfällen. Sie wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Im Gefängnis hatte Olga eine weibliche Wache und jeden Tag musste sie mit anderen Gefangenen arbeiten. Ihre Albträume verfolgen sie auch hier. Olga sah in ihren Träumen die tote Mizzi und Franz Michalek. Ihn bat sie um Verzeihung und sagte ihm, dass sie ihn liebt. Am Ende wurde Olga im Traum zu einem Tier. Sie griff Mizzi an, biss sie mit ihren Zähnen und zerkratzte sie mit ihren Krallen. Am Ende verwandelte sich Olga in ein Tier für immer und in der Wirklichkeit: sie zerriss eine Aufseherin.

Das Werk „Tiere in Ketten“ wird als expressionistisch bezeichnet und weist tatsächlich viele expressionistische Merkmale auf:

Der Autor benutzt spezifische expressive Wörter, die die Atmosphäre des ganzen Werkes prägen, sich vor allem auf das Leben im Freudenhaus beziehen, aber auch Olgas Albträume füllen. Sie sieht z.B. ein Grab mit acht toten Pferden anstelle des Altars, man kann Knochen und Fleisch auf den Pferden sehen, neben diesem Altar befindet sich in Olgas Albtraum auch eine Knochenmühle und eine Knochenfabrik. Andere sich oft wiederholende Ausdrücke sind zum Beispiel: „grauenhaft, nacktes Fleisch, das Aas“ u.a.m.

Der Autor beschreibt die Gefühle sehr sorgfältig von Olga, er versucht, die Psychologie der literarischen Protagonisten zu beschreiben und auch die Realität mit einem Traum zu verbinden – Olga liebt Michalek und sie erinnert sich sehr oft an die Zeiten, als sie zusammen waren. Sie ist krank vor Liebe zu Michalek. Obwohl sie in einem Freudehaus lebte, war sie hier glücklich. Sie erlebt Gefühle wie Angst, Sehnsucht und Liebe. Manchmal weiß der Leser nicht, was Realität ist und was nur Olgas Traum. Am Ende des Buches verwandelt sich Olga selbst zu einem Tier, zu einer Bestie, die Soldaten im Gefängnis angreift.

Tereza Sisrová (studentka)