Als zweiter Sohn des jüdischen Tuchhändlers Gustav Weiß und seiner Frau Berta, geb. Wentberg, wurde Ernst Weiß am 28. 8. 1882 in Brünn, zu dieser Zeit eine aufblühende Industriestadt, deren Textilherstellung weit über die österreichischen Länder hinaus Ansehen und Beachtung genoss, geboren. Obwohl der Vater bereits 1886 verstarb und die Witwe mit vier kleinen Kindern zurückließ (Egon Weiß 1880 - 1953, Dr. jur., Richter und Professor an der Juristischen Fakultät der Deutschen Karlsuniversität in Prag; Otto Weiß 1884 - 1944 (?) ermordet im KZ, Dr. jur. und Notar; Alice Weiß 1886 - 1965, Dr. med., verheiratet mit dem Jenauer/Berliner Physiologen Emil von Skramlik), verbrachte Weiß in Brünn - vorübergehend besuchte er die Internatsschulen in Leitmeritz und Arnau - eine beengte, doch glückliche Jugend; 1902 maturierte er am 2. Deutschen Gymnasium in Brünn. Der Heimatstadt ist Weiß immer verbunden geblieben:
Immer habe ich diese Stadt geliebt. In den letzten Jahren bin ich stets nur nach Brünn gekommen, um die alten Häuser wiederzusehen und um mich zwischen ihnen als Kind und Junge zu fühlen, der hier zur Schule gegangen ist, und um von früh bis in die Nacht hinein durch die Wälder um Blansko zu streifen, mit dem Gefühl der Lebensfreude und mit dem schweren, würzigen Gefühl der Jugend auf den Lippen. [...] - all das kenne ich gut, aber es liegt bereits hinter mir wie ein schweigendes, ausklingendes, bis auf den Grund erschöpftes Leben. (E.Weiß: Gesammelte Werke, Bd. 16)
Seit 1902 studierte Ernst Weiß in Wien und Prag Medizin, wurde 1908 promoviert und machte erste klinische Erfahrungen bei Professor Theodor Kocher in Bern und bei Geheimrat Bier in Berlin. 1911 kehrte er nach Wien zurück und arbeitete in der Chirurgie des Wiedener Spitals bei Professor Julius Schnitzler, dem jüngeren Bruder Arthur Schnitzlers. In dieser Zeit erkrankte er an Lungentuberkulose, die er 1913 als Schiffsarzt auf der „Austria“ des Österreichischen Lloyd ausheilte; diese Reise vermittelte ihm Material für die Romane Tiere in Ketten (1918 bei S. Fischer; neue Fassung 1922 bei K. Wolff) und Nahar (1922 bei K. Wolff), die er unter dem literarischen Einfluss Ernst Kaltneckers schrieb. In beiden Werken gestaltet Weiß Liebende, deren ausschließliche und absolute Liebe zur Isolation, zum Verlust mitmenschlicher Beziehungen und zu einer Egozentrik führt, deren letztes Ziel sich in Wahn und Tod erfüllt. Die egoistisch liebende Prostituierte im Roman Tiere in Ketten sinkt gesellschaftlich zum Tier (in Nahar) herab, einem Tier in einer transzendent mystischen Gegenwelt, die Bezüge zu Franz Kafka zeigt. Nach der Rückkehr von der Seefahrt erschien sein erster Roman Die Galeere, der ganz unter dem Eindruck der Psychoanalyse von Sigmund Freud gestaltet ist: Erik Gyldendal, ein Physiker und Physiologe, sublimiert seine Unfähigkeit zur Liebe durch wissenschaftliche Forschung und stirbt - von Weiß exakt beschrieben - an einem Röntgenkarzinom. Der Titel des Romans weist auf die Bindung an die Sexualität; auf die Gestaltung des Josef K., den Protagonisten in F. Kafkas „Prozess“, hat der Roman von Ernst Weiß möglicherweise gewirkt. 1913 zog Weiß nach Berlin, traf hier mit F. Kafka zusammen und war 1914 an der Aussprache im „Askanischen Hof“ beteiligt, die zur Lösung der Verlobung von F. Kafka mit Felice Bauer führte. Zu F. Kafka bestand in dieser Zeit eine enge Freundschaft, die später starken Belastungen nicht widerstand und zu distanziertem Verhalten und auch menschlich abwertenden Bemerkungen führte. In der letzten Lebenszeit Kafkas hat sich die Beziehung wieder zu normalisieren begonnen. Nach den Ereignissen im „Askanischen Hof“ besuchte Weiß mit seiner Freundin Rahel Sanzara, an deren Roman Das verlorene Kind (1926) er wesentlichen Anteil hat, und F. Kafka das dänische Ostseebad Marielyst, wo gemeinsam die Fahnenkorrekturen für den Roman Der Kampf gelesen wurden, der 1916 bei S. Fischer erschien (1919 Neufassung u. d. T. Franziska) und in dessen Mittelpunkt eine Pianistin steht, deren Liebe zu dem unbedeutenden Gegenspieler Erwin und zur Musik selbstzerstörerische Züge aufweist. Ihr „Kampf“ um Liebe vor dem Hintergrund der Gesellschaft der Jahrhundertwende, zeigt das Grauenhafte in einer „grauenhaften Zeit“, die Zerstörung tradierter Bindungen und den künstlerischen Erfolg als Sublimation sexueller Unterdrückung.
Im Ersten Weltkrieg wurde Weiß tief bewegt durch die Leiden der Soldaten, die er amputierend und Seuchen bekämpfend als Arzt behandeln musste, bewährte sich besonders vorbildlich, so dass ihm 1918 das Goldene Verdienstkreuz der Tapferkeitsmedaille verliehen wurde.
Nach dem Krieg lebte Weiß in Prag, pflegte Freundschaften mit Paul Kisch, Ludwig Winder und wieder beginnend mit F. Kafka; zur Prager Literatur hatte Weiß vielfache Beziehungen, zumal er als deren expressionistischer Repräsentant galt. In einer Umfrage L. Winders für die Deutsche Zeitung Bohemia 1919 äußerte sich Weiß programmatisch:
Das Neue in unserer heutigen Kunst liegt meinem Gefühl nach nicht so sehr in neueroberten Gebieten der Darstellung, noch in Kämpfen um die Prägung einer besonderen Darstellungsform, sondern in dem alles erfüllenden Streben nach Intensität. Jeder höhere Grad von Intensität verwebt sich schwesterlich mit Religiosität, oder ist gar das Gleiche... (Deutsche Zeitung Bohemia Nr. 227/1919).
Intensität, geschwisterliche Einheit, Religion und Vollendung des Menschseins und Menschenleids in der Kunst sind Charakteristika expressionistischen Kunst- und Kulturlebens. Begeistert wurde im Prager Landestheater unter der Leitung von Hans Demetz Weiß´ Drama Tanja, in dem Rahel Sanzara die Titelrolle verkörperte, aufgenommen; zwei Monate später fiel es in Wien durch. Der Roman Mensch gegen Mensch (1919) erwies jedoch erneut Weiß' Meisterschaft als expressionistischer Erzähler.
Die Jahre 1919/21 sind durch häufigen Wohnungswechsel zwischen München und Prag geprägt - in dieser Zeit erschienen Weiß' erster Lyrikband Das Versöhnungsfest, in dem er den Weltfrieden als Konsequenz aus dem Kriegsmorden expressiv erhoffte, die Buchausgabe von Tanja und der Prosaband Stern der Dämonen. Letzte dramatische Versuche - Olympia (1923) im Berliner Renaissance-Theater (verrissen von A. Kerr, anerkennend gewürdigt von H. Ihering) und Leonore (1923) in der Prager Kleinen Bühne (der Text ist verloren) - zeigen, dass Ernst Weiß als Dramatiker nicht den Erfolg erlangte wie als Erzähler. Die neuen Publikationen von 1923 (die Erzählung Hodin, die Novellen in dem Sammelband Hodin, die Buchausgabe der Olympia und der Roman Die Feuerprobe) bestätigten Weiß als bedeutenden Repräsentanten des literarischen Lebens in der Weimarer Republik. Besonders Die Feuerprobe ist stilistisch expressionistisch-plakativer Gestaltung verpflichtet (die zweite Fassung von 1929 differenziert die Charaktere und wendet sich Neuer Sachlichkeit zu). Der Ich-Erzähler reflektiert und erlebt eine Traumsituation, in der er zu Beginn erwachend Realität und Fiktion als unlösbare Einheit erlebt und in der sich die personale Identität aufzulösen scheint. Aus dem Erzähler wird ein Schreiber, dessen Schreiben sich verselbstständigt; Verbrechen vollziehen sich - Erinnerungen an den Vater und die Ermordung der liebenden Ehefrau kulminieren die Traumerfahrung. Nicht die Empirie bestätigt sich als Realität, sondern die Realität ist eine Funktion des schöpferischen Geistes: „Alle Wirklichkeit ist im Geiste, aller Geist ist Wirklichkeit.“ Am Ende löst sich der überwache Traum in banale Realität - nur Schreibnotizen neben dem Bett des Ich-Erzählers erinnern an die gedachte Objektivität der Fiktion.
1924 veröffentlichte Weiß eine Kriminalanalyse Der Fall Vukobrankovics über die Giftmischerin Milica Vukobrankovics, die in zwei Prozessen angeklagt, doch nie zur Höchststrafe verurteilt werden konnte. Die Darstellung mischt Berichterstattung, Verhöre und Deutungen und entwirft ein Psychogramm der Täterin und der Gesellschaft der Jahrhundertwende. Der Balzac-Roman Männer in der Nacht (1925) fand großes Interesse, so dass bereits 1926 eine leicht veränderte Neuauflage erschien - in diesem Roman scheint Weiß sein eigenes Geschick vorausahnend thematisiert zu haben:
Wäre dieser Balzac-Roman ins Französische übersetzt worden, vielleicht hätte man Weiß in Paris ein Denkmal gesetzt oder ihn wenigstens nicht in diesen Mauern hungern und elend sterben lassen. Es klingt seltsam, wenn Weiß wörtlich schreibt, daß Balzac ´nicht der erste Mensch ist, den Frankreich im Elend verhungern ließ´. (Wondrák a. a. O. S. 14)
Eine Wendung zu differenzierter Psychologie und sachlich-objektivierter Gestaltung, wobei expressive Elemente durch Parataxen und Fragesätze gesteigert erscheinen, setzte 1928 mit dem Roman Boetius von Orlamünde (später u. d. T. Der Aristokrat) ein, für den Weiß in Amsterdam beim Olympischen Kunstwettbewerb in der Gruppe der epischen Werke eine Silbermedaille und 1930 den Adalbert-Stifter-Preis erhielt. Weiß gestaltet als Entwicklungsroman, wobei nur einzelne Lebensabschnitte in Form einer Gipfeltechnik ausgeführt werden, die Geschichte eines jungen Aristokraten aus hohem aber armem Adel, der eine standesgemäße Erziehung im Internat in Onderkuhle erhält. Deutlich werden eigene Erfahrungen der Internatszeit in Leitmeritz und Arnau reflektiert, die Ähnlichkeiten mit Erfahrungen, die Robert Musil (Verwirrungen des Zöglings Törless, 1906) und Rilke (in der Kadettenschule in Mährisch-Weißkirchen) beschrieben haben, zeigen. Als in Onderkuhle ein Brand ausbricht und ein Mitschüler durch die Vergesslichkeit des Protagonisten umzukommen droht, vollzieht Boetius eine Wandlung. Er kehrt nach Hause zurück, begleitet das Sterben des Vaters und erwirbt als Arbeiter in einer Fabrik seinen Lebensunterhalt. In dieser neuen Tätigkeit und gezeichnet durch den Tod des Vaters erfährt er Glück und Sinn des Lebens. Dieser Roman, der wiederum auf die Tiermystik - nahezu ein ganzes Kapitel widmet Weiß den Pferden des Protagonisten - in der Kafkanachfolge verweist, gehört zu den bedeutendsten Dichtungen der Epoche.
Die Essaysammlung Das Unverlierbare (1928) schließt endgültig die Frühphase in Weiß' Schaffen ab. Nach 1931 erschienen seine großen Romane, die ihm den Ruf eines der bedeutendsten Erzähler des ersten Jahrhundertdrittels sichern. Georg Letham, Arzt und Mörder (1931) greift wieder das Thema der ärztlichen Verantwortung auf; Letham (Anagramm für „Hamlet“) sühnt nicht den Vatermord, sondern den Mord an seiner Frau, die ihm in unbedingter Liebe zugetan war, ihn jedoch nicht aus der Bindung an den Vater zu lösen vermochte. Die Vaterbindung findet ihren Ausdruck in egozentrischem Sadismus, Gefühlsarmut und verinnerlichter Lieblosigkeit. Zur Strafe für den Mord wird Letham auf eine tropische Insel verbannt, wo er mit anderen Ärzten an der Erforschung des Gelbfiebers arbeitet. Hier erfährt er die Liebe zu einer jungen Frau, die er, der Mörder, nicht von ihrem Leiden durch Sterbehilfe erlösen kann, da ihm bewusst wird, dass jedes Menschenleben einen „absoluten Wert“ darstellt. Der Roman erinnert - die Kritik hat mehrfach darauf verwiesen - an Dostojewskis „Schuld und Sühne“, doch fehlt bei Weiß jeder religiöse Bezug. Schuld und Sühne sind nur im täglichen Leben erfahrbar, sühnbar. Die wissenschaftliche Forschung Lethams erhält ihren Wert durch den Bezug zum täglichen Leben.
Als der Reichstag 1933 in Flammen stand, ging Weiß zurück nach Prag, wo er seine kranke Mutter, zu der er keine tiefere Bindung hatte, bis zu ihrem Tode pflegte - anschließend emigrierte er nach Paris. Die Jahre in Paris sind geprägt durch Not und Armut, wenn auch Freunde und Kollegen den Kontakt zu Weiß aufrecht hielten (vgl. M. Wollheim a. a. O.). Eduard Wondrák (a. a. O. S. 16f.) hat die Pariser Lebensumstände des Emigranten beschrieben:
In einem kleinen Zimmer das Grand Hotel Trianon Palace in der Avenue de Versailles in Paris, mit einem Fenster in den Lichtschacht, mit einem Stuhl und einem Tisch, der nicht breiter ist als die Arme des Sitzenden, einem Eisenbett und einem Schrank mit Spiegel und gerade so viel Platz, daß man von der Tür zum Fenster durchgehen kann, lebt und arbeitet Weiß. Er lebt von Unterstützungen durch jüdische Organisationen, bettelt bei besser Situierten, erlebt Demütigungen. [...] Er schreibt verzweifelte Briefe an Franz Carl Weiskopf. [...] Vielleicht wußte er gar nicht, daß er in dem Verzeichnis der Künstler stand, denen Eleonor Roosevelt auf Veranlassung von Thomas Mann das Einreisevisum in die Vereinigten Staaten verschafft hatte. Er hatte nicht mehr den Mut zu fliehen, als ihn Hertha Pauli und Walter Mehring zur Ausreise überreden wollten...
1934 veröffentlichte Ernst Weiß in der Tschechoslowakischen Republik den Roman Der Gefängnisarzt oder Die Vaterlosen, in dem er aus der Sicht des Emigranten die chaotischen Lebensformen der Zeit um 1920 in distanzierter Weise beschrieb. Die Vaterlosen sind die Schieber und neureichen Halbweltgestalten, die gegen die bürgerliche Welt eine neue Epoche repräsentieren. Höhepunkt der Handlung ist die Begegnung eines Mörders mit seinem Bruder, der als Arzt im Gefängnis arbeitet. Menschen, die die Bindungen an die Vaterwelt verloren haben, und die ethische Verpflichtung des Arztes zu helfen sind immer wiederkehrende Themen bei Ernst Weiß. Die Darstellung zeigt eine Welt der Spieler und Drogensüchtigen, der Gewalt und Rechtlosigkeit, der Huren, Zuhälter und Verbrecher. Hermann Hesse hat den Roman als Gestaltung der „Hölle der Nachkriegs- und Inflationszeit“ charakterisiert, wobei sich „hinter dem Bild einer geschändeten und entwerteten Welt...(der) Glauben an das ewige Menschenbild“ zeigt.
Aus Paris reiste Weiß 1935 für einige Tage zu einer ärztlichen Untersuchung nach Berlin und kehrte dann endgültig in die Emigration zurück; den Tod der Freundin Rahel Sanzara (8. Februar 1936 Berlin) erfuhr er in der Fremde. Die letzten epischen Werke waren Der arme Verschwender (1936 gewidmet Stefan Zweig) - die Geschichte eines schwachen Menschen, der seinen Egoismus nicht überwinden kann und im Leben versagt - und Der Verführer (1938 gewidmet Thomas Mann) - die Entwicklungsgeschichte eines jungen Mannes, dessen Vater als Verführer ein Leben „flott, flink und federleicht“ führte und diese Lebensweise nach seinem Tod an den Sohn vererbte, ohne dass dieser die Schwerelosigkeit des Vaters besitzt. Zuletzt findet der Sohn eine Bindung in der Liebe zu einer behinderten jungen Adeligen, der er bereits als Kind begegnet war, doch wendet sich die Situation gegen ihn. Selbst zum Verführten geworden, tötet er seinen besten Freund, der mit der jungen Dame verlobt ist, in einem sinnlosen Duell. Der Roman, der sich in der Kultur der Jahrhundertwende ereignet (vergleichbar mit Thomas Manns Zauberberg), endet mit dem Kriegsausbruch von 1914. Der Protagonist meldet sich freiwillig, „um hinter gewisse Geheimnisse der Menschennatur zu kommen“. Der Krieg als individuelle Bewährung wird hier als Grunderlebnis einer Generation thematisiert (vgl. E. Jünger).
Weiß' letzter Roman Der Augenzeuge erschien (aus urheberrechtlichen Gründen u. d. T. Ich - Der Augenzeuge) nach verschlungenen Wegen des Typoskriptes erst posthum 1963. Weiß erzählt in einer fiktiven Autobiographie eine Jugendgeschichte, die sich um die Jahrhundertwende ereignet und durch bürgerliche Sicherheit und religiöse Bindung bestimmt ist; während des Krieges zeigt sich immer deutlicher, dass diese Geborgenheit trügerisch war. Der Ich-Erzähler - wieder Arzt wie häufig bei Weiß - behandelt und heilt den hysterisch erblindeten A(dolf) H(itler) im Lazarett Pasewalk und wird so mitschuldig am Aufstieg des Diktators, der zuletzt die Krankenakte durch die Geheime Staatspolizei suchen und den Arzt, der aus ethischer Pflicht half, verfolgen lässt. Nach einem Aufenthalt im Konzentrationslager zieht der Protagonist mit den republikanischen Truppen als Arzt in den Spanischen Bürgerkrieg. Selten ist die Rechtlosigkeit so eindringlich gestaltet worden wie in diesem Roman.
In Paris schreibt Weiß für die Exilzeitschrift Maß und Wert und für die Pariser Tageszeitung; als die deutschen Truppen in Paris einmarschieren, stirbt Weiß an den Folgen eines Selbstmordversuchs am 15. Juni 1940 im Hospital Lariboisière.
Das epische Schaffen von Ernst Weiß wird von zahlreichen literarischen Essays, von dichtungstheoretischen Arbeiten und Rezensionen begleitet, die als bedeutende Zeugnisse der literarischen Diskussion und des literarischen Lebens einen wichtigen Platz in der Literaturgeschichte verdienen. Weiß hat diese Beiträge, deren Honorare die Lebensführung des Autors sicherten, unverändert und/oder bearbeitet in zahlreichen Publikationsorganen auch parallel veröffentlicht. Ein differenzierter Überblick ist noch ein Desiderat der Forschung; die systematische Erschließung verspricht wichtige Einsichten in die Arbeits- und Lebensweise des Autors und in das literarische Leben der Zeit.
Weiß, der heute unbestritten zu den bedeutendsten Erzählern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört, verbindet Traditionen der österreichischen Psychoanalyse mit impressionistischen Gestaltungen und expressionistischen Stil- und Handlungselementen (Parataxe, Interjektionen und schwebender Stil durch die Häufung von Fragesätzen; die Handlungsorte sind häufig Gefängnisse, Freudenhäuser, aber auch beengt bedrängende Wohnungen bürgerlicher Familien als Zeichen der Unfreiheit und der trügerischen Sicherheit). Schuld und Leiden, Abhängigkeiten von dominanten Vätern, lieblos gebrochene Beziehungen zu den Muttergestalten geben den autobiographisch motivierten Werken, die in der Emigration zunehmend Elemente der neuen Sachlichkeit zeigen, funktionale Strukturen. Weiß, der keinerlei Bindung an Parteien oder Ideologien hatte (seit der Teilnahme am Ersten Weltkrieg fühlte er sich nur einem sehr persönlichen Pazifismus verpflichtet), steht zwischen allen politischen Gruppen; den nationalen galt er als Kommunist, den Kommunisten als bürgerlicher Utopist und zum Zionismus, mit dem die Prager Dichter um Brod und Kafka sympathisierten, fand Weiß keinen Zugang. Wohl lebte er in engem, nicht immer ungetrübtem Kontakt mit zeitgenössischen Autoren (Stefan Zweig, Thomas Mann, Franz Kafka), doch blieb er Individualist, ein Einzelner und Vereinzelter, den es heute als wichtigen Autor wiederzugewinnen gilt.
Als die Literatur des Exils nach 1945 in beiden deutschen Staaten mit unterschiedlicher Akzentuierung rezipiert wurde, schien der Einzelgänger Ernst Weiß vergessen - nur einige wenige Stimmen erinnerten sich seiner. In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam es zu einer vorübergehenden Rezeption - vornehmlich ausgelöst durch die Veröffentlichung des Romans Ich - Der Augenzeuge (1963) und das Interesse an zeitgeschichtlichen Ereignissen. Es folgten Neuauflagen der Erzählungen und Romane; 1982 veranstaltete der Frankfurter Suhrkamp Verlag eine Gesamtausgabe in 16 Taschenbänden, die heute nur noch teilweise ausgeliefert wird, und 1998 erschien in Frankfurt (Suhrkamp Verlag) und Prag (Vitalis Verlag) posthum die Erzählung Jarmila. Eine Liebesgeschichte in Böhmen. Seit den sechziger Jahren bemächtigten sich auch die Philologen der Werke von Ernst Weiß: Dissertationen wurden geschrieben, Aufsätze in Fachzeitschriften publiziert, ein Symposium Ernst Weiß - Seelenanalytiker und Erzähler von europäischen Rang (1990) veranstaltet und Beiträge in Literaturmagazinen (TEXT + KRITIK 76/1982) gesammelt. Dem lesenden Publikum blieb Weiß jedoch weitgehend fremd; in den Lektürekanon der Schulen, der den Grundbestand der literarischen Kenntnisse tradiert und sichert, fand er keine Aufnahme. Eine einzige gymnasiale Facharbeit weist auf eine vereinzelte Zuwendung hin.
In den literaturhistorischen Publikationen und Literaturlexika der jüngsten Vergangenheit fehlt Weiß im Metzlers Autorenlexikon (hg. v. Bernd Lutz 1986), bei Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max (hg.) Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren vom Mittelalter bis zur Gegenwart (1993) und bei Hartmut Steinecke (hg.) Deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts (1994). Herbert Lehner (Geschichte der deutschen Literatur vom Jugendstil bis zum Expressionismus; 1978) stellt Die Galeere und Der Kampf vor; Kindlers Neues Literaturlexikon (1988) enthält Beiträge zu Die Feuerprobe, Georg Letham, Arzt und Mörder, Ich - Der Augenzeuge und Der Verführer; in Walter Killys Literaturlexikon (1988) und Gero von Wilperts Lexikon der Weltliteratur (1988) wird das Gesamtwerk Weiß´ gewürdigt. Als Essayist und Kritiker ist Weiß bis heute noch nicht adäquat erfasst.
Bibliographie:
Zahlreiche Essays und theoretischen Schriften, sowie Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen sind von Ernst Weiß in verschiedenen Publikationsorganen gleichzeitig und/oder mehrfach, oft etwas verändert veröffentlicht worden. Auf eine Diskussion dieser Praxis und auf die unterschiedlichen Varianten wird hier nicht eingegangen und Vollständigkeit nicht erstrebt.
SAMMEL- UND WERKAUSABEN:
Der zweite Augenzeuge und andere ausgewählte Werke. Eingeleitet und herausgegeben von Klaus-Peter Hinze. Wiesbaden Verlag Franz Steiner 1978.
Gesammelte Werke in 16 Bänden. Hg. von Peter Engel und Volker Michels. Frankfurt/M. Suhrkamp-Verlag 1982.
Die Erzählungen. Frankfurt/M. Suhrkamp-Verlag 1982.