Ernst Weiß : Die Verdorrten


Unvollendet
Jahr der Publikation
1920
Publikationsort
München
Gattung
Kürzere Prosa (Novelle, Erzählung usw.)
Bibliographische Daten
Die Verdorrten. In: Der Neue Merkur. Heft 2/3. München 1920, S. 119-139.
Art der Veröffentlichung
Artikel

Auch in: Die Entfaltung. Novellen an die Zeit. Hg. v. Max Krell. Berlin 1923, S. 200-223.

Inhalt:

Edgar und Esther kannten einander viele Jahre, bevor sie zu einem Liebespaar wurden, deshalb erkannte Edgar erst nach einer längeren Zeit des Fernseins, dass sich nicht Esthers Körper, sondern ihre Seele verändert hatte. In Wirklichkeit hatten sich beide verändert und sie wussten schon lange, dass ihre Liebe nicht mehr dieselbe war. Aber sie waren daran gewohnt, zusammen zu sein, also blieb Esther bei Edgar, auch wenn er sein ganzes Vermögen an der Börse verspielte. Über die Ehe redete sie nicht mehr, weil es Edgar nicht wollte.

Nach einigen Jahren verzweifelte er an ihr und sie an ihrem Leben. Nach Beschuldigungen und Vorwürfen kamen aber immer Umarmungen, Küsse und rauschhafte Nächte. In einer dieser Nächte entstand ein Kind. Doch Esther wollte nur Edgar, kein Kind von ihm. Sie stritten oft wegen des ungeborenen Kindes. Er entschloss sich das Kind in seinen Gedanken zu zerstören, erst dann konnte es in Esthers Gedanken zerstört werden und schließlich auch in der Wirklichkeit. Er überredete sie dazu, sich das Kind nehmen zu lassen, und sie zwang ihn, dabei zuzuschauen. Danach wollte sie ihn nicht mehr wieder sehen.

Mehrere Tage nach der Abtreibung las Edgar in der Zeitung, dass Esther sich mit dem Bankier Anschutz (seinem Freund) verlobt hatte. Nun lebte er wieder alleine, als forschender Chemiker entwickelt er eine besondere Art roter Farbe, deren Erfindung sich aber ein Assistent zu eigen machte, und Edgar wurde an eine andere Stelle versetzt, die seiner Gesundheit zuträglich war, da die Gefahr von Lungenkrankheiten drohte.

Esther kam dann zu ihm, um mit ihm ein Geschäft abzuschließen: Sie wollte ein Kind, doch ihr Mann war unfruchtbar, also sollte er sie für Geld schwängern. Er bekam das Geld allerdings nicht und musste sich eine neue Arbeit suchen – als Hilfschemiker bei Urinuntersuchungen. Anschutz schöpfte Verdacht und rührte Esther nicht mehr an. So entnahm sie Blut aus ihrem Arm, um die Regel vorzutäuschen, und versuchte ihn inzwischen, ins Bett zu locken. Nach vier Wochen stand sie allerdings vor Edgars Tür, weil sie ihr Mann durchschaut hatte.

Edgar ließ das ungeborene Kind diesmal leben, ging zurück in die Fabrik, weil der Assistent, der seine Erfindung gestohlen hatte, die Farbe doch nicht vollenden konnte. Er war allerdings lungenkrank, deswegen trieb Esther wieder ab, um den kranken Edgar pflegen zu können.

Die beiden lebten weitere Jahre miteinander, es kamen aber keine Kinder mehr: „Er, der Irrsinn und menschenleere Einsamkeit gefürchtet hatte, war verflucht zu endlosem Altern, nie von Esther verlassen, und sie, die Mutter ihrer Frucht, verdorrte, ein Strauch am Gestein.“