Der 1793 in Poppitz bei Znaim geborene Carl Postl, der unter dem Namen Charles Sealsfield in den 1830er Jahren zu schriftstellerischem Ruhm gelangte, ist bis heute einer der geheimnisumwittertsten Autoren der deutschen Literatur, wobei schon die Frage, ob er eher im Kontext der deutschen oder nicht vielmehr der amerikanischen Literatur zu sehen sei, für Diskussionen sorgt. Allzu lange hat sich die Erforschung seines Werkes auch auf biographische Fragen beschränkt; erst seit den 1970er Jahren stand die ästhetische Struktur seiner Romane zunehmend im Zentrum des Interesses.
Postl, der älteste Sohn des Weinbauern Anton Postl und seiner Frau Juliane, geborene Rabl, besuchte das Gymnasium in Znaim, trat in den Kreuzherrenorden ein, studierte in Prag Theologie und wurde 1814 Priester. Als Student dürfte er von seinem Lehrer Bernhard Bolzano beeinflusst worden sein. Er machte schnell Karriere in seinem Orden, wurde Sekretär des Großmeisters und verkehrte in den Kreisen der liberalen und vermutlich freimaurerischen Prager Aristokratie. Unter bis heute nicht völlig geklärten Umständen verschwand er 1823 und flüchtete in die USA, wo er sich eine neue Existenz aufbaute; für seine Familie blieb er vermisst. Erst bei der Testamentseröffnung nach seinem Tod wurde seine frühere Identität bekannt.
Über Postls Aktivitäten nach seiner Flucht gibt es wenig gesicherte Information. Er selbst setzte verschiedene bisher nicht verifizierte Behauptungen in die Welt, so etwa, er habe vorübergehend eine Plantage am Red River besessen. Auch sein verdienstvoller Biograph Eduard Castle vermochte die Geheimnisse nicht zu lüften, da er in zu großem Ausmaß eigenen Spekulationen (etwa Postls Verbindung zur Freimaurerei betreffend) nachgab.
1823 bis 1830 hielt sich Postl jedenfalls, von einem mehr als einjährigen Aufenthalt in Europa 1826/27 abgesehen, in den USA auf, vor allem in Pennsylvania und Louisiana. In diese Zeit fallen seine ersten Publikationen. Neben kurzen Prosaerzählungen in diversen englischen und amerikanischen Zeitschriften, die ihm zum Teil bis heute nicht eindeutig zuzuschreiben sind, veröffentlichte er vor allem zwei Reiseberichte. 1827 erschien unter dem Pseudonym Charles Sidons Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, nach ihrem politischen, religiösen und gesellschaftlichen Verhältnisse betrachtet. Mit einer Reise durch den westlichen Theil von Pennsylvanien, Ohio, Kentucky, Indiana, Illinois, Missuri, Tennessee, das Gebiet Arkansas, Mississippi und Louisiana; eine zweibändige, revidierte englische Version kam 1828 unter dem Titel The United States of North America as They Are in Their Political, Religious, and Social Relations und The Americans As They Are: Described in a Tour through the Valleys of the Mississippi heraus. Dieser Text zeigt bereits jene Merkmale, die für Sealsfields späteres Romanwerk charakteristisch sind: Aus der Perspektive eines Bürgers der Vereinigten Staaten wird Aufklärung über das amerikanische politische System betrieben, wird dem veralteten Europa eine neue, dynamische und zukunftsträchtige Welt vor Augen geführt. Die politische Ideologie des Verfassers orientiert sich stark am Programm des amerikanischen Präsidenten Andrew Jackson und an den Vorstellungen der sklavenhaltenden Plantagenbesitzer in den Südstaaten. Ein zweiter Reisebericht erschien 1828 anonym in London: Austria as it is, or sketches of continental courts, by an eye-witness, eine kritische Abrechnung mit dem Regime Metternichs. Die österreichische Geheimpolizei versuchte vergeblich dem Verfasser auf die Spur zu kommen; erst Jahre später gestand Postl seine Autorschaft ein.
1829 erschien schließlich Postls/Sealsfields erster Roman Tokeah or the White Rose in Philadelphia; eine kaum veränderte britische Version kam im selben Jahr unter dem Titel The Indian Chief; or, Tokeah and the White Rose. A Tale of the Indians and Whites in London heraus. In diesem Roman, dem einzigen, den er in englischer Sprache schrieb, steht Sealsfield deutlich unter dem Einfluss James Fenimore Coopers, dessen Last of the Mohicans 1826 erschienen war.
1830 kehrte Postl nach Europa zurück. Er lebte an verschiedenen Orten in Südwestdeutschland und der Schweiz, ehe er sich schließlich in Solothurn niederließ. In die USA kehrte er nur 1837 für einen kurzen Besuch und 1853 bis 1858 für einen längeren Zeitraum zurück, um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erwerben, wofür ein fünfjähriger Aufenthalt Voraussetzung war.
Mit der Übersetzung und Umarbeitung seines Tokeah begann 1833 seine schriftstellerische Karriere im deutschen Sprachraum. Der Roman erschien anonym unter dem Titel Der Legitime und die Republikaner. Eine Geschichte aus dem letzten amerikanisch-englischen Krieg. Die abenteuerliche Handlung rund um die Schlacht von New Orleans, in deren Verlauf auch der siegreiche amerikanische General und spätere Präsident Andrew Jackson auftritt, orientiert sich am Modell des historischen Romans, das Walter Scott entwickelt hatte. Gegenüber der in der amerikanischen Version noch dominierenden romantischen Indianergeschichte tritt in der deutschen Version der politische Aspekt ins Zentrum: Gezeigt wird das Funktionieren der amerikanischen Republik auch unter den widrigen Bedingungen eines existenzbedrohenden Kriegs. Die Träger dieser amerikanischen Republik sind Hinterwäldler, Bauern und Plantagenbesitzer; der städtischen Sphäre weicht Sealsfield, wie auch in seinem späteren Werk, weitgehend aus.
Die in den nächsten Jahren veröffentlichten Romane zeichnen sich durch eine etwas komplizierte – und von Sealsfield für spätere Auflagen revidierte – Titelgebung aus. 1834 veröffentlichte er unter dem Titel Transatlantische Reiseskizzen und Christophorus Bärenhäuter zwei Erzähltexte, deren ersten, George Howard’s Esq. Brautfahrt, er 1843-46 in seinen Sämtlichen Werken als ersten Band der Romanpentalogie Lebensbilder aus der westlichen Hemisphäre verwendete. 1835 wandte er sich vorübergehend einem anderen Thema zu und veröffentlichte einen historischen Roman über den mexikanischen Unabhängigkeitskrieg Der Virey und die Aristokraten. Im selben Jahr begann er die Lebensbilder aus beiden Hemisphären mit dem unvollendeten zweiteiligen Roman Die große Tour, den er 1844 als Morton oder die große Tour selbständig herausbrachte. Da die weiteren Bände der Lebensbilder aus beiden Hemisphären sich auf die USA beschränkten, mithin nur eine der beiden Hemisphäre thematisierten, versammelte er sie später, wie erwähnt, unter dem Titel Lebensbilder aus der westlichen Hemisphäre. Es handelt sich hier um die Bände Ralph Doughby’s Esq. Brautfahrt oder Der transatlantischen Reiseskizzen dritter Theil (1835), Pflanzerleben oder Der transatlantischen Reiseskizzen vierter Theil (1836), Die Farbigen oder Der transatlantischen Reiseskizzen fünfter Theil (1836) und Nathan, der Squatter-Regulator, oder Der erste Amerikaner in Texas. Der transatlantischen Reiseskizzen sechster Theil (1837).
Die genannten drei Romane sind durch den Auftritt bzw. die Erwähnung einiger weniger gemeinsamer Figuren lose verknüpft. Der Virey verbindet eine abenteuerliche Privatgeschichte, die auch vor melodramatischen Effekten nicht zurückschreckt, eine beeindruckende Schilderung der kriegerischen Ereignisse im Zusammenhang mit der mexikanischen Unabhängigkeitserklärung sowie eine komplexe Intrigenhandlung um den in Mexiko regierenden spanischen Vizekönig und einen fiktionalen mexikanischen Aristokraten. Im Zentrum steht der Anspruch des Erzählers, die Leser über die geheimen Hintergründe der mexikanischen Ereignisse zu informieren und eine klare politische Botschaft zu formulieren, wonach die religiösen, mentalen und sozialen Verhältnisse in Mexiko keine Republik wie in den USA, sondern lediglich eine benevolente Adelsdiktatur zuließen – ein Urteil, das Sealsfield in Austria as it is auch über den Staat der Habsburger gefällt hatte.
Den Anspruch, dem Leser einen Blick hinter die Kulissen der Weltpolitik zu gewähren, erhebt auch der Morton, in dessen Zentrum ein junger Amerikaner steht, der sich nach dem Verlust seines Vermögens dem internationalen Finanzkapital in die Arme wirft und als Abgesandter eines amerikanischen Bankiers nach Europa geht, wo er die französische Julirevolution vorbereiten hilft. Der Roman, der auf die Geheimbundthematik zurückgreift, stellt den tugendhaften Vereinigten Staaten ein tugendloses Europa gegenüber, sieht allerdings auch in den Vereinigten Staaten durch den Einfluss der (europäischen) Geldwirtschaft die Fundamente der Republik bereits untergraben. Sealsfield hat das Buch nie vollendet und ist die versprochene Aufklärung über die Ursachen der Julirevolution schuldig geblieben.
In den fünfbändigen Lebensbildern aus der westlichen Hemisphäre lieferte Sealsfield das Porträt seiner idealen Gesellschaftsordnung – der südstaatlichen Plantagengesellschaft, die, auf Sklaverei beruhend, ein patriarchalisches republikanisches System ermöglicht. Ein Ich-Erzähler, der junge, aus dem Osten stammende Plantagenbesitzer George Howard, gibt über weite Passagen anderen Ich-Erzählern das Wort und erstellt ein breites Panorama, das seine eigene Initiation in die agrarische Welt und seine Bewährung angesichts gefährlicher Ereignisse (einer Sklavenrevolte und eines tropischen Sturms) ebenso schildert wie die Frühgeschichte der Plantagengesellschaft – die Besiedlung Louisianas durch französische und amerikanische Einwanderer und die Zivilisierung der Wildnis. Die Forschung hat wiederholt auf die Widersprüche in Sealsfields idealisierendem Bild hingewiesen: auf den deutlichen Rassismus, die frauen- und sinnenfeindliche Basis, den autoritären Charakter dieser Republik der Plantagenbesitzer und die Furcht vor einer Veränderung durch die fortschreitende ökonomische Entwicklung.
1839-40 folgte der umfangreiche, unvollendet gebliebene Roman Neue Land- und Seebilder: Die Deutsch-Amerikanischen Wahlverwandtschaften. Hier wird das Schicksal einer New Yorker Familie gezeichnet, deren Mitglieder zum Teil der traditionellen – und zunehmend unzeitgemäßen – landwirtschaftlichen Lebensweise verpflichtet bleiben, während ein anderer Zweig sich dem Gesellschaftsleben der Großstadt ergibt. Das satirische Porträt der amerikanischen Ostküstengesellschaft verbindet sich mit dem „atlantischen Thema“ durch die Reise eines jungen preußischen Adeligen in die USA, der ein wenig anziehendes New York kennenlernt. Das offenkundig angestrebte Ziel – Hochzeiten zwischen den amerikanischen und den deutschen Protagonisten – wird nicht erreicht, da Sealsfield den Roman abbrach.
1841 wandte sich Sealsfield mit seinem in der Folge berühmtesten Werk Das Cajütenbuch oder Nationale Charakteristiken, wieder dem amerikanischen Westen zu. Im Zentrum des komplexen Textes – einer zuhörenden Gruppe von reichen Plantagenbesitzern aus Natchez, Mississippi werden mehrere Geschichten erzählt – stehen die texanische Revolution und der südamerikanische Freiheitskrieg. Besonders die erste der Binnenerzählungen, Die Prärie am Jacinto, festigte Sealsfields Ruhm und wurde wiederholt als Einzeltext ediert – zumeist um die auch hier anzutreffende politisch-didaktische Komponente verkürzt.
Als letzter Roman erschien 1842/43 Süden und Norden, eine fantastische Erzählung, die eine Gruppe junger US-Amerikaner in die mexikanische Wildnis und in ein Netz undurchschaubarer Intrigen führt. Paradies- und Höllenvorstellungen, Halluzinationen und Träume strukturieren diese Reise in das Herz der Finsternis, die das Thema mancher späteren kolonialistischen Romane vorwegnimmt.
1843-46 brachte Sealsfield bei Metzler in Stuttgart eine Sammlung seiner Romane, Sämtliche Werke in 18 Bänden, heraus, veröffentlichte aber bis zu seinem Tod keine neuen Texte mehr. Zunächst waren seine Romane anonym erschienen, was bei der zeitgenössischen Kritik zu Spekulationen über die Identität dieses neuen „Großen Unbekannten“ (der erste „Große Unbekannte“ war Walter Scott) führte; aus urheberrechtlichen Gründen bekannte er sich später als Charles Sealsfield zur Verfasserschaft.
In den 1830er Jahren erregten Sealsfields Romane beträchtliches Aufsehen; insbesondere von der jungdeutschen Kritik wurden sie gefeiert. Vorübergehend erreichte er in den 1840er Jahren auch in den USA eine gewisse Prominenz: die meisten seiner Romane wurden – unautorisiert – übersetzt, und in der amerikanischen Presse fanden sich Debatten über den geheimnisvollen europäischen Autor; prominente Schriftsteller wie Edgar Allen Poe oder Nathaniel Hawthorne äußerten sich kritisch. Seit 1848 aber verschwand Sealsfields Werk aus der literarischen Öffentlichkeit. Erst nach seinem Tod setzte wieder ein reges Interesse ein, das allerdings in erster Linie seiner Biographie galt. Sein faszinierendes Romanwerk, das wie ein erratischer Block aus der einigermaßen zahmen Romanliteratur der deutschen Restaurationszeit herausragt, das den verworrenen politischen Diskurs dieser Zeit getreu widerspiegelt und immer wieder multi-ethnische Aspekte und völkerpsychologische Denkmuster heranzieht, ist erst seit den 1970er Jahren von der Literaturwissenschaft stärker beachtet worden. Sealsfield selbst hielt sich zugute, mit seinen Texten einen neuen Romantypus, den „höheren Volksroman“ geschaffen zu haben und mit seinen Romanen zur Aufklärung und zur „Bildung des Zeitalters“ beizutragen. Doch sind die Texte wesentlich komplexer, als die formulierte Intention des Autors vermuten ließe, und eine plausible Einschätzung von Sealsfields literarischer Leistung steht noch aus. (Winfrid Kriegleder)