Otto Abeles
- Geburtsdaten
- 01.05.1879
- Rohatetz
- Sterbedaten
- 01.06.1945
- Tröbnitz bei Frankfurt an der Oder
Verbindungen
Berthold Feiwel
Ludwig Bato
Geboren 1879 in Rohatetz, wuchs Otto Abeles im mährisch-slowakischen Grenzgebiet auf. Antisemitische Anfeindungen durch Mitschüler und Lehrer, insbesondere durch deutschnationale Judenfeinde - “tägliche Bitterkeiten und Demütigungen” - deprimierten den jungen Abeles so sehr, dass er unter “trostlose[r] Vereinsamung” litt. Erst die Lektüre von Theodor Herzls zionistischer Programmschrift Der Judenstaat (1896), die er während seiner Gymnasialzeit in Brünn las, vermittelte ihm ein Befreiungserlebnis. In der weltanschaulich-politischen Bewegung des Zionismus, der die Herausbildung eines gewandelten, selbstbewusst-kämpferischen Selbstverständnisses der Juden in die Wege leitete und den Widerstand gegen den Antisemitismus forcierte, mit der letzten Konsequenz, in Erez Israel, dem “Land Israel”, ein jüdisches Gemeinwesen aufzubauen, fand Abeles sein zukünftiges Wirkungsgebiet. In einer (1926 veröffentlichten) autobiographischen Schrift gibt er den überwältigenden Eindruck wieder, den Herzl auf ihn ausgeübt hat:
"Da erreichte uns die königliche Botschaft Theodor Herzls, niedergelegt im “Judenstaat”. So kam ich fast vor dreissig Jahren zum Zionismus. Seit damals habe ich die Entwicklung der zionistischen Bewegung mitgelebt, die guten und die bösen Tage. Von dem faustischen Beginnen Herzls, die Judenheit mit einem gewaltigen Griff aus ihrer unwürdigen Lage zu befreien - die grosse Masse der nach Palästina Verpflanzten faktisch, die Zurückbleibenden moralisch zu erlösen - bis zu den heutigen, hoffnungsvollen, herrlichen, aber im Vergleich zum ursprünglichen, utopischen Programm der politischen Zionisten bescheidenen Möglichkeiten bewusstjüdischer Siedlungsarbeit im alten Judenland." (Abeles, Besuch in Erez Israel, S. 3f.)
Im selben Jahr, als Der Judenstaat erschien, 1896, gründete Abeles - noch als Mittelschüler - mit Gleichgesinnten in Brünn die jüdisch-akademische Verbindung "Veritas”, eine der ersten zionistischen Schüler- und Studentenorganisationen Mährens. Zu seinen Mitkämpfern zählten spätere prominente zionistische Publizisten und Politiker wie Berthold Feiwel (1875-1937) und Robert Stricker (1879-1944). Nach Beendigung der Schulausbildung studierte Abeles Rechtswissenschaften an der Universität Wien, hielt aber nach wie vor Kontakt zur zionistischen Bewegung in Brünn. Unter anderem redigierte er 1904 und 1905 zwei Jahrgänge des im Brünner Jüdischen Buch- und Kunst-Verlag erscheinenden Jüdischen Volks-Kalenders.
Nach der Promotion trat Abeles in den Staatsdienst und war bis 1928 als Beamter bei der österreichischen Eisenbahn in Wien beschäftigt. Neben seinem Brotberuf entfaltete er eine reichhaltige publizistische Tätigkeit als Mitarbeiter und Redakteur jüdischer Organe. Zum Gedenken an den im Ersten Weltkrieg gefallenen böhmisch-jüdischen Dichter, Zionisten und Jiddisch-Übersetzer Hugo Zuckermann (1881-1915) gab er 1915, im Auftrag des Wiener zionistischen Studentenvereins Theodor Herzl, dessen nachgelassene Gedichte heraus. Zuckermann war zu Beginn des Krieges durch sein patriotisch-kriegsbefürwortendes Reiterlied bekannt geworden. Abeles legte den Schwerpunkt seiner Auswahl auf die Dichtungen mit jüdischer Thematik und begründete Zuckermanns Österreich-Patriotismus aus dessen Überzeugung, den Kampf gegen das zaristische Russland als Rachezug für Kischinew (S. 11) (gemeint ist das Pogrom von Kischinew 1882), d. h. als Kampf gegen die Verantwortlichen der staatlich geleiteten antisemitischen Ausschreitungen zu führen, von denen Russland seit den 1880er Jahren erschüttert wurde.
Während des Ersten Weltkriegs begründete Abeles zusammen mit Ludwig (Jomtov) Batу (1886-1974) den Jüdischen Nationalkalender, eine von 1915 bis 1920 jährlich erscheinende Sammlung mit politischen Kommentaren (unter anderem zur Kriegslage, zu aktuellen Fragen der jüdisch-nationalen und zionistischen Politik sowie zur Siedlungstätigkeit in Palästina), Essays zur jüdischen Geschichte, literarischen Beiträgen jüdischer Schriftsteller, Buchrezensionen sowie einem ausführlichen Kalenderteil mit der Auflistung jüdisch-nationaler Gedenktage. Der aus der Slowakei stammende zionistische Publizist Batу (eigentlich: Ludwig Berliner) hielt sich von 1910 bis 1933, als Angestellter der Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft, in Wien auf und arbeitete mit Abeles in diversen jüdischen Vereinigungen zusammen. Der Jüdische Nationalkalender erschien im ersten Jahrgang im R. Löwit Verlag, die folgenden Bände kamen im Verlag der Wiener “national-jüdischen” Wochenzeitung Jüdische Zeitung heraus. Im Geleitwort zum ersten Band stellen die Herausgeber ihr publizistisches Unternehmen in die Herzl-Nachfolge:
"Das Jammern über unser Geschick, das Klagen über erlittenes Unrecht und das Überredenwollen, daß man uns doch gelten lassen möge, liegen hinter uns. Der Meister lehrte uns, die zertretene jüdische Würde wieder aufzurichten, als älteste Kulturnation unser Recht zu fordern - statt um Duldung zu bitten oder in fremdnationaler Verstellung unterzukriechen. Und er wies uns den Weg zur Erlösung, indem er den Begriffen ,Judennot‘ und ,Judenschicksal‘ die Begriffe entgegensetzte: Judenvolk, Judenland." (S. 3)
Als juristischer Beamter der Nordbahn kam Abeles in den Kriegsjahren in unmittelbaren Kontakt zu den jüdischen Flüchtlingen aus Galizien, die massenhaft nach Wien strömten, als ihr Wohngebiet in die Frontlinie zwischen Österreich-Ungarn und Russland geriet. Zunächst brachte die Wiener Bevölkerung den Kriegsflüchtlingen Sympathie entgegen, im Laufe der Jahre wandelte sich die ursprüngliche Solidarität jedoch in Misstrauen, Ablehnung und Hass. Der Großteil der ca. 25.000 ostjüdischen Flüchtlinge siedelte sich in einem traditionell jüdischen Wohngebiet, dem zweiten Wiener Gemeindebezirk, der Leopoldstadt - im Volksmund auch “Mazzesinsel” genannt - an. Am Eingang zur Leopoldstadt befand sich der Nordbahnhof, wo die Flüchtlingszüge ankamen. Abeles versah Dienst als Kommissär der Wiener Nordbahn-Direktion und war unter anderem für die Wiederfindung von abhanden gekommenem Gepäck zuständig. Aus den unmittelbaren Begegnungen bei dieser Arbeit erhielt er Einblick in Schicksale und Lebensumstände der Flüchtlinge - daraus entstand das 1918 veröffentlichte Buch Jüdische Flüchtlinge. Abeles entwirft fragmenthaft aneinandergereihte Prosaskizzen, die die Vielfalt der ostjüdischen Lebenswelten ebenso wiedergeben wie die integrative Kraft der jüdischen Religion. In knapper, konzentrierter Form skizziert Abeles “Szenen” und “Gestalten” und assoziiert anhand des Geschilderten weitergespannte symbolhafte Zusammenhänge. Anhand von Einzelschicksalen stellt der Autor ein vielschichtiges Sozialpanorama der galizischen Flüchtlinge dar, das von wohlhabenden Kaufleuten bis zu Bettlern reicht und orthodoxe und chassidische, in den traditionellen Kaftan gekleidete Fromme ebenso umfasst wie “Modernisierte”, an die europäische Lebenswelt assimilierte Juden, aber auch solche, die ihrer Tradition entfremdet waren.
Individuelle Leidenserfahrungen werden für Abeles zu überindividuellen Sinnbildern für jüdisches Schicksal. Hinter dem unscheinbaren, zum Teil verwahrlosten Äußeren der Flüchtlinge verbergen sich oft innerer Adel, Geistigkeit, Frömmigkeit und Weisheit. So etwa stilisiert Abeles eine ostjüdische Frau, deren Hab und Gut von Kosaken geplündert und deren Tochter vergewaltigt worden war, die sich trotz des erlittenen Leides jedoch ein langes Leben wünscht, zu einem Symbol für die “Lebensbejahung” und die “Lebenskraft Israels” (S. 10). Ein wahnsinnig gewordenes Flüchtlingsmädchen, das sich immer noch auf der Flucht vor den Kosaken fühlt und “Gewalt!” schreiend in einem Gebüsch Zuflucht sucht, verkörpert “die Anklage eines Volkes, dessen Würde zertreten ward” (S. 27). Unter dem vermissten Gepäck sind den Flüchtlingen die heiligen Bücher das Wertvollste, die sie durch Krieg, Vertreibung und Elend zu retten suchen: “Am Horizont lohten Brände, der Kanonendonner rollte näher, der polnische Jude floh vor den Kosaken und nahm mit der letzten Habe die Bibel mit.” (S. 99) Zugleich beschreibt Abeles die vergeistigte Atmosphäre der jüdischen Feste, beispielsweise des freudigen Pessachfestes, des Neujahrsfestes Rosch ha-Schana und des Fastentages Jom Kippur, aber auch der allwöchentlichen Schabbatfeier, eine Atmosphäre, die die Flüchtlinge aus ihrem bedrückenden Alltag entrückt und es ihnen ermöglicht, sich “in unerhörtem Aufschwung über ihre Flüchtlingsverlassenheit zu erheben” (S. 53): “Ein Eiland. Was draußen, jenseits dieser verhängten Fenster vorgeht, ist nicht mehr. Nur diese Insel lebt noch, auf der sie sich, dicht geschart, zusammendrängen, hinausgehoben über Zeit und Raum. [...] Allsabbatlich werden sie auf dieser Insel der Erlösung zusammengespült [...].” (S. 78 f.) Abeles protokolliert aber auch die judenfeindliche Stimmung unter der Wiener Bevölkerung, die sich bisweilen zu Hass und pogromähnlicher Stimmung zusammenballt, so dass Abeles die “Kluft gähnen” (S. 8) sieht, die zwischen Juden und Nichtjuden klafft. Und er stellt dar, wie sich unter den Juden der Widerstand gegen die jahrhundertelange Diskriminierung zu entfalten beginnt. Am Beispiel einer Gedenkfeier anlässlich des Todestages Theodor Herzls, die zu einer Massenkundgebung der ostjüdischen Flüchtlinge an der Grabstätte des Begründers des politischen Zionismus ausgeweitet wurde, wie auch anhand der Aktivitäten der Schomrim (= Wächter), eines in Galizien entstandenen jüdischen Jugendbundes, der das Ideal eines wehrhaften Judentums verkündete, bringt Abeles die Wandlung des jüdischen Selbstbewusstseins zum Ausdruck, die durch die Erneuerungsbewegung des Zionismus in die Wege geleitet wurde.
Die Lyrik von Otto Abeles, zusammengefasst in dem 1920 im Wiener jüdischen Verlag R. Löwit erschienenen Band Die Genesung, thematisiert großteils die jüdische Identitätsfindung des Autors, eingespannt in das Ringen zwischen dem Leiden an der Diaspora und der Hoffnung auf das Gelingen des zionistischen Projekts. Der Titel - Die Genesung - identifiziert den Zionismus als Heilungsprozess, d. h. als Lösung nicht nur der individuellen Identitätskrise des Autors, sondern der Diaspora-Juden in ihrer Gesamtheit. Untergliedert ist der Band in die Abschnitte Kranke Jugend (Entfremdungserfahrungen und Antisemitismus), Frühling (zionistische Identitätsfindung) und Stunden und Gestalten (Gedichte anlässlich persönlicher Begegnungen, zu biblischen Figuren wie Moses oder Hiob sowie zu historischen Gestalten wie Jehuda Halevi oder Theodor Herzl). Das lyrische Ich der Gedichte Abeles’ beklagt die Ausgrenzung, die es in einer antisemitischen Umwelt erfahren hat, und beschreibt den Prozess seiner Bewusstwerdung, d. h. des Bekenntnisses zum eigenen “Anderssein”, motiviert aus zionistischer Überzeugung und aus Widerstand gegen Antisemitismus: “Mein Judenleid hat meinen Judenstolz entflammt.” (Mai; S. 17). Als Metaphern für das Leben in der Diaspora wählt Abeles Nacht, Herbst, Ghetto und Wanderschaft; dem steht das Bild des Frühlings - Erneuerung, Aufbruch, Lebenszuversicht und Erlösung symbolisierend - bei der Beschreibung des durch den Zionismus initiierten Erweckungserlebnisses entgegen.
1920 befand sich im Wiener R. Löwit Verlag ein Buch von Otto Abeles mit dem Titel Die hohe Gass’. Ein Krakauer Bilderbuch “in Vorbereitung”, dieser Band ist jedoch nicht erschienen. Auszüge wurden unter anderem im Jüdischen Nationalkalender publiziert.
Ein überwältigendes Erlebnis für Abeles bedeutete die Palästinafahrt, die er im Sommer 1925 unternahm. Anlässlich dieser Reise entstanden Tagebuchblätter eines alten Zionisten, die er im darauffolgenden Jahr unter dem Titel Besuch in Erez Israel, ebenfalls im R. Löwit Verlag, publiziert hat. Als Abeles das Land besuchte, befand sich Palästina in einer ernsten Wirtschaftskrise, bedingt durch die Umstellungsschwierigkeiten im Zuge der (von 1924 bis 1931 dauernden) Vierten Alija, die im Unterschied zu den früheren Einwanderungswellen nicht nur gut ausgebildete Chaluzim (= Pioniere) in das Land brachte, sondern großteils (klein)bürgerliche Einwanderer, die aufgrund der antisemitischen Politik Polens den Entschluss zur Emigration gefasst hatten. Abeles erwähnt die historischen Stätten und Denkmäler, die er im Lauf seiner Reise, vor allem in der Altstadt von Jerusalem, besichtigt hat, nur am Rande; im Mittelpunkt seines Interesses steht die Darstellung des zionistischen Aufbauwerkes. Er beschreibt die städtischen Ansiedlungen (vor allem das dynamische Leben in den Küstenstädten Tel Aviv und Haifa), das Kulturleben (insbesondere die Hebräische Universität und die Jüdische Nationalbibliothek in Jerusalem) und die landwirtschaftlichen Siedlungsformen aus der Perspektive eines Angehörigen der Übergangsgeneration, eines Juden, der “zwischen zwei Welten” (S. 4) steht, dem die “Rückkehr zum Judentum” nur als Theorie (als “Bekenntnis”), nicht jedoch als Praxis, d. h. als direkte Mitwirkung am Siedlungswerk in Erez Israel möglich ist. Auf seinem Besuchsprogramm standen nicht nur “klassische” Siedlungen und Einrichtungen wie die nahe Tel Aviv gelegene landwirtschaftliche Ausbildungsstätte Mikweh Israel oder die 1891, im Zuge der Ersten Alija gegründete Kolonie Chedera, sondern auch viele der wenig bekannten neueren Siedlungsprojekte, wie beispielsweise die Kwuza (Genossenschaftssiedlung, Vorform des Kibbuz) Biberachah bei En Ganim, in der sich westjüdische - aus der Tschechoslowakei stammende - und ostjüdische - aus Polen eingewanderte - Chaluzim zu einer tatkräftigen kleinen Gemeinschaft zusammengeschlossen und eine Schulfarm gegründet hatten. Neben sozialistischen Siedlungsvorhaben berichtet Abeles aber auch über Projekte religiöser Juden wie etwa die orthodoxe Siedlung Bne Berak oder die von polnischen Chassidim unter Anführung des Jablonner Rebben aufgebaute Kolonie Nachlath Jaakob.
Abeles’ Darstellung ist von zwei Prinzipien geprägt. Zum einen bemüht er sich, darzulegen, wie sich im “neuen jüdischen Leben” (S. 39) Palästinas, frei von Unterdrückung und Antisemitismus und begünstigt durch die vereinheitlichenden Tendenzen des hebräischen Kulturlebens, die Divergenzen zwischen West- und Ostjudentum aufzulösen beginnen, so dass sich “die Bruchstücke Ost und West [...] zu einer neuen Einheit” (S. 7) zusammenfügen. Zum anderen benutzt er die Beschreibung des entbehrungsreichen Lebens der Chaluzim zu einer Polemik gegen die mangelhafte Finanzierung der zionistischen Projekte durch die Juden der Diaspora: “Aber die erschreckliche Diskrepanz aufzeigen zwischen der Hingabe dieser werdenden jüdischen Bauern und den Bettelleistungen unserer ,Zionisten‘ der Hinterländer für Bodenerwerb und Aufbaubudget - das wollen diese Zeilen.” (S. 51) Das Reisebuch Abeles’ schließt mit einem leidenschaftlichen Appell an die Zionisten in Europa, die Mittel zum Gelingen des Siedlungswerks bereitzustellen:
"Dem Heroismus der Urbarmacher im Sumpfgebiet, der Steinbrucharbeiter und Städtebauer, der schlecht genährten Lehrer, Krankenpfleger, Aerzte in den Kolonien, der Hausfrauen in Jerusalem winkt die Sorglosigkeit derer mit dem lauten Lippenbekenntnis in der übrigen jüdischen Welt, die Ahnungslosigkeit der im Alltag gesichert und vergnüglich Dahinlebenden. Dieser ungeheuerliche Gegensatz - nur die Flammenseele, das Flammenwort eines antiken hebräischen Propheten könnte ihn in seiner ganzen Schrecklichkeit enthüllen - ist die Gefahr, die einzige Gefahr für Erez Israel. Juden in aller Welt, ihr müsset die Gefahr ersticken. Um eurer Kinder willen. An jener Küste [...] wird das Schicksal der kommenden Generationen entschieden, wo immer sie wohnen werden. Der Weg in die jüdische Zukunft geht über Palästina." (S. 102)
In der Zwischenkriegszeit war Abeles auch als Redakteur und Mitbegründer der von Robert Stricker geleiteten Wiener Morgenzeitung tätig, der von 1919 bis 1927 erscheinenden einzigen zionistischen Tageszeitung im deutschsprachigen Raum. Abeles betätigte sich vor allem als Kunst- und Theaterkritiker. In dieser Eigenschaft besprach er unter anderem die Aktivitäten der Freien jüdischen Volksbühne, der Vereinigung jüdischer Forscher, Schriftsteller und Künstler “Haruach”, an der er selbst aktiven Anteil nahm, oder der 1924/25 in Wien wirkenden jiddischen Kleinkunstbühne “di gildene pawe”. Des Weiteren berichtete er über das aufsehenerregende, 1922/23 stattgefundene Wiener Gastspiel der “Wilnaer Truppe”, der damals führenden jiddischen Theatergruppe. Das Paradestück der Wilnaer, An-Skis dramatische Legende Der Dybuk, fasste er als “ein Bühnenweihespiel” und als “ein chassidisches Oratorium” auf, das von den Schauspielern als ein “von weltfernen, gewichtslosen Gesängen durchwirkte[s] Mysterium” interpretiert wurde: “Wer diese Vorstellung besucht, geht bereichert, geläutert nach Hause. Und beglückt, daß er das Aufblühen neuer jüdischer Kunst erleben darf.” (Wiener Morgenzeitung, 15. 10. 1922, S. 10)
Nachdem Abeles 1928 seine Anstellung aufgegeben hatte, war er als Delegierter des Keren Hajessod, des zionistischen Palästina-Grundfonds, in Siebenbürgen, Ungarn, Galizien, der Tschechoslowakei und Luxemburg tätig. In seiner literarischen Arbeit bevorzugte er nun vor allem Essayistik, die er in den Bänden Zehn Jüdinnen (1931) und Begegnung mit Juden (1936) zusammengefasst hat. In der ersten dieser Essaysammlungen stellt Abeles zehn jüdische Frauen vor, um so auf den oft wenig beachteten Anteil von Frauen am Kultur- und Geistesleben, vor allem aber am sozialen Leben der jüdischen Diaspora aufmerksam zu machen. Der Bogen der Darstellung spannt sich vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, wobei sowohl prominente Persönlichkeiten wie Glückel von Hameln, Fanny Arnstein oder Rahel Levin-Varnhagen als auch Gestalten aus dem Alltagsleben vorgestellt werden. So etwa berichtet Abeles über “das Weib des reichen Israel aus Enns” (S. 5), die sich 1420, während der blutigen Judenverfolgungen und Zwangstaufen in Wien, mit ihrem Schleier erwürgt hat, um so ihren bedrängten Glaubensgenossen ein Märtyrervorbild zu geben. Aus dem Krakauer Ghetto erzählt er Anekdoten über das Wirken der Bube Machale, die wie eine Heilige verehrt wurde, da sie ihr Leben in den Dienst der Gemeinde stellte - des “tätige[n] Leben[s]”, der “Sorge um die Gasse, die täglich wachsende Aufgabe, in das Schicksal der anderen ordnend, schlichtend, rettend einzugreifen” (S. 79 f.). Im Eisenstädter Ghetto wirkte an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die um Recht und soziale Gerechtigkeit kämpfende Frumet Wolf, die Abeles als “eine Rebellin der Gass’” (S. 85) und als einen “weiblichen Michael Kohlhaas aus der Judengasse” (S. 86) charakterisiert. Abeles schildert das Wirken solcher Frauen, die ihr Leben der jüdischen Gemeinde widmen, mit großer Sympathie, während er das Porträt der Salondame Fanny von Arnstein mit kritischen Zügen versieht, da sie es unterlassen hat, ihren Einfluss auf führende Politiker ihrer Zeit geltend zu machen, um die Lage der Juden zu verbessern; ebenso skizziert er am Beispiel der Rahel Levin-Varnhagen die Identitätskonflikte, die mit der “Entfremdung” vom Judentum verbunden waren. Den Abschluss des Buches bildet ein autobiographisches Kapitel, in dem Abeles seine “Tante Sali aus Nikolsburg” vorstellt. Das Porträt der unverheirateten, für ihre Familie sorgenden Tante, die Abeles als eine “kluge, heitere, wesenhafte, welterfahrene, unendlich gütige” Frau darstellt (vgl. S. 118), weitet sich zu einer farbigen Schilderung des vergangenen Lebens in der Judenstadt des südmährischen Städtchens Nikolsburg aus.
"Das Buch Begegnung mit Juden enthält Charakterskizzen von Menschen, denen Abeles im Laufe seiner Tätigkeit (als Bahnbeamter, Keren Hajessod-Delegierter und Journalist) begegnet ist, sowie einige historische Porträts. Der Autor setzt sich mit diesem Buch zum Ziel, den Diaspora-Juden seiner Generation, die er als Angehörige einer Übergangsepoche - geprägt von den Identitätskonflikten zwischen Assimilation und Zionismus - betrachtet, Orientierungshilfen bereitzustellen, indem er ihnen heterogene jüdische Lebensmodelle, abgeleitet von individuellen Lebenswegen, vorzeichnet: Der entfremdete Jude, welcher heimfinden möchte, hat es nicht leicht. Nur Ausnahmsmenschen ist es verstattet, bei den Urgroßvätern zu erwerben, was die Väter zu vererben unterlassen haben. Die andern, also ungefähr alle, stehen zwischen zwei Welten. [...] Aber sich umtun, den jüdischen Zeitgenossen begegnen, die Bedingungen ihres Daseins zur Kenntnis nehmen, vor allem: ihnen in die Augen sehn - da ist eine Möglichkeit für das Übergangsgeschlecht, zu erkennen, sich selbst verstehen zu lernen, sich zurückzutasten." (S. 5)
Abeles protokolliert Begegnungen mit unterschiedlichen jüdischen Charakteren, sowohl mit solchen, die in jüdischen Traditionen verankert sind, als auch mit solchen, die dem Judentum entfremdet sind. Er beschränkt sich dabei auf Beschreibung und Protokollierung und überlässt die Bewertung den Lesern:
"In diesem Buche vermerkt ein Westjude seine Begegnungen mit Juden und jüdischem Schicksal. Es ist alles unmittelbares Erlebnis, er kam durch viele Gassen. Er hat nichts unterschlagen. Auch die Schande nicht. Eine grausame Entwicklung hat uns gezeichnet, uns, die Entfremdeten. Die Schuldfrage ist nicht aufgeworfen, es sind nur die Beobachtungen gebucht." (S. 5)
An den Beginn der Essaysammlung stellt Abeles mehrere überarbeitete, inhaltlich und stilistisch komprimierte Kapitel aus dem Buch Jüdische Flüchtlinge. Darauf folgen Skizzen aus dem Leben in der Krakauer Judenstadt (Legende Krakau), erfüllt von ostjüdischer Geistigkeit, chassidischer Frömmigkeit und messianischer Erlösungshoffnung. Als Kontrast dazu beschreibt Abeles die soziale und ökonomische Not, die in den jüdischen Gemeinden Polens herrscht (Not in Polen). Weitere Kapitel befassen sich mit dem jüdischen Leben im Burgenland und in Transsylvanien, wobei Abeles Reisebeschreibungen mit historischen Exkursen verbindet. Der letzte Abschnitt - Bittere Schwänke - widmet sich unter anderem Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, die Abeles als Symbolfiguren jüdischer Identitätskrisen betrachtet: Den (in Wirklichkeit nicht-jüdischen) Schauspieler Charlie Chaplin fasst er als einen paradigmatischen Darsteller jüdischen Schicksals - “als wesenhaft jüdischen, ostjüdischen Menschen” und “als eminent jüdischen Humoristen von der Bedeutung Scholem Alejchems” (S. 127) - auf, dem er es jedoch zum Vorwurf macht, “kein Jude sein” zu wollen (S. 130). Am Beispiel der Identitätskämpfe des getauften Heinrich Heine, der seiner Ehefrau nicht einzugestehen wagte, Jude zu sein, deutet Abeles auf tragikomische Weise die Persönlichkeitsspaltung und die Schuldgefühle assimilierter Juden, die er als “Randmenschen” (S. 159) bezeichnet.
1933 übersiedelte Abeles nach Holland, wo er sich in der jüdischen Gemeinde Amsterdams engagierte. Nach dem Einmarsch Hitler-Deutschlands in die Niederlande war er bei der Hilfstätigkeit für die verfolgten Juden aktiv, bis er selbst im Konzentrationslager Westerbork inhaftiert wurde, von wo er im Mai 1944 in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert wurde. Er konnte die Strapazen und Qualen der Lagerhaft überleben, aber schon kurz nach der Befreiung, im Juni 1945, während des Heimtransports der befreiten Häftlinge, starb er in der Nähe von Frankfurt an der Oder an Flecktyphus. (Armin Wallas, Klagenfurt)
Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen:
Zahlreiche Beiträge in diversen jüdischen Periodika, z. B. Die Welt (Wien), Wiener Morgenzeitung (Wien), Selbstwehr (Prag), Jüdische Rundschau (Berlin), Jüdische Volksstimme (Pressburg).
In seiner Kindheit nimmt Otto Abeles die antisemitische Atmosphäre seiner Heimat in Rohatetz deutlich wahr. Später, unter dem Einfluss des Zionismus, gründet Abeles am Gymnasium in Brünn die jüdisch-akademische Verbindung Veritas. In Wien studiert er Rechtswissenschaft. Nach dem Einmarsch Hitler-Deutschlands in die Niederlande, wo Abeles ab 1933 lebte, wird er in das Konzentrationslager Westerbork und später nach Bergen-Belsen deportiert. Im Juni 1945, kurz nach der Befreiung, stirbt Abeles an Fleckfieber.
Abeles war als Bahnbeamter, Redakteur, Kunst- und Theaterkritiker u. a. tätig. Als Literat bevorzugt er vor allem Essayistik z. B. Begegnung mit Juden (1936). Der Lyrikband Die Genesung thematisiert großteils die jüdische Identitätsfindung des Autors. Inspirationsquelle für seine Werke waren seine häufigen Reisen durch Europa und vor allem die Reise nach Palästina: Besuch in Erez Israel, 1926.
Forschungsliteratur
Archiv Bibliographia Judaica. Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Band 1: A - Benc. Redaktionelle Leitung: Renate Heuer. Unter Mitarbeit v. Andrea Boelke, Rainer Brändle, Alois Hofman, Judith Lorenz u. Siegbert Wolf. K. G. Saur Verlag, München/London/New York/Paris 1992. S. 3 f. |
Tag, Bernard: Otto Abeles. In: Die neue Welt. Nr. 3. Heft 86. O.V., O.O. 1929. S. 8. |
Weldler, Norbert : Jüdische Flüchtlinge. In: Jerubbaal. Nr. 1. Heft 6. O.V., O.O. 1918. S. 240. |