Der Lehrer und Lyriker Ernst Rudolf Vinzenz Neubauer, der gelegentlich unter dem Pseudonym Ernst Freilieb seine Dichtungen veröffentlichte, wurde als sechstes Kind einer alteingesessenen Iglauer Tuchmacherfamilie geboren.[1] Sein Vater Kaspar Neubauer, der das Militär als Oberleutnant verließ[2], hatte in Iglau die Bürgerstochter Anna Sopuch, deren Vater Bäckermeister war, geheiratet. Die Familie erbte die bürgerliche Bäckerei und machte sich in Iglau ansässig, unterhielt jedoch auch noch das väterliche Landgut in Wilenz, unweit von Iglau, wo Neubauer seine Kindheit verbrachte.
Rudolf hatte siebzehn Geschwister, von denen zehn jung starben. Weil er sehr früh lesen und schreiben konnte, kam er mit acht Jahren an das Iglauer Gymnasium (1832-1840). Danach studierte er zwei Jahre an der Prager Universität Rechtswissenschaft und später in Wien Philosophie (1842-1847). In dieser Zeit besuchte er die Wiener literarischen Salons und begann, seine ersten, durch die antike Dichtung beeinflussten Gedichtsammlungen herauszugeben, wie z.B. „Schilf und Weide“ (hrsg. 1847 unter Mitwirkung seines Bruders Maximilian). Nach der Promotion blieb er in Wien, wo er als Hauslehrer und ab 1847 als Sekretär der „Wiener Zeitung“[3] sein Auskommen fand.
Im Umbruchsjahr 1848 leitete Neubauer die revolutionäre Zeitung „Der freie Wiener“[4] und mit seinem Landsmann Eugen Netolitzka [5] „Den Gemäßigten“. Als Adjutant im Juristenkorps der Akademischen Legion wurde er im März 1848 verwundet. Die Erlebnisse der Straßenkämpfe schilderte er in „Österreichischen patriotischen Lieder“ (1849), die dem Kaiser Franz Josef I. gewidmet sind, und in dem Gedichtzyklus „Der Legionär“.
Nach der Hinrichtung Cäsar Wenzel Georg Fr. Messenhausers[6], dessen persönlicher Adjutant Neubauer war, floh er aus Iglau nach Czernowitz/Bukowina, wo er als Gymnasialprofessor für Literatur und Geschichte angestellt wurde. 1854 heiratete er dort die um sechs Jahre ältere Amalia Diener, mit der er angeblich eine freisinnige Ehe führte.[7]
Engagiert in verschiedenen Kulturvereinigungen und Presseorganen der Bukowina gehörte er zu den ersten Förderern von Karl Emil Franzos[8] und Mihai Eminescu[9]. Er war Mitherausgeber der „Illustrierten Bukowina“ (1857) und des amtlichen Blattes „Bukowina“ (1862-69), das er in seiner eigenen, 1862 gegründeten Druckerei verlegte und in dessen literarisch orientiertem „Sonntagsblatt“ (1862) er neben deutschen Mitarbeitern auch rumänische Autoren beschäftigte. Nach sieben Jahren sah sich Neubauer jedoch gezwungen, sowohl die Druckerei als auch sein Haus zu verkaufen, weil er u.a. wegen seiner zahlreichen Reisen in die Türkei, nach Russland, nach Siebenbürgen, in die Walachei oder nach Deutschland in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Bevor er Czernowitz verließ, war es ihm gelungen, einige seiner dramatischen Werke, wie z.B. „Das Mädchen von Kaliczanka“ (1865) oder „Der Handel um die Seele“ aufzuführen. Zur Begleichung seiner Schulden und um die Direktorenstelle am dortigen Gymnasium erhalten zu können, die er bis 1883 ausübte, beteiligte er sich an der Gründung der städtischen Bibliothek in Radautz. Danach trat er als Schulrat in den Ruhestand.
In Radautz setzte Neubauer in seiner schriftstellerischen Tätigkeit fort. Zu seinen größten Dichtungen zählt das 1876 herausgegebene Versepos „Nogaja oder die Steppenschlacht“, ein von Goethe beeinflusstes Gedenklied, das an den mythologisierten Zusammenbruch der Mongolen am Sereth 1292 erinnert. Im Gedicht in 50 Liedern mit dem Titel „Die Ideonen“ (1882) legt Neubauer sein Bekenntnis zu den republikanischen Idealen seiner Jugend ab und berichtet über die Schöpfung der Tage bis zum Jüngsten Gericht, nach dem eine neue, auf Wahrheit beruhende Welt entstehen soll. Den Band „Die vier Himmelsgegenden der Ehe“ mit erotischen Gedichten widmete Neubauer seiner Gattin Amalia, angeblich als Entschuldigung für seine zahlreichen Liebesabenteuer.[10] Neubauers „Erzählungen aus der Bukowina“ und „Lieder aus der Bukowina“ besingen in pathetischer Weise die Bukowiner Landschaft und Geschichte (vor allem die Hunnenzeit); beide Sammlungen enthalten witzige und heitere Stücke, die sich Natur und Heimat zum Thema nehmen. Neubauer war auch ein erfolgreicher Stegreifdichter, der mit seinen Improvisationen seit 1865 in Dresden, Wien oder Leipzig auftrat. Neben seiner eigenen literarischen Produktion übersetzte er ins Deutsche den von ihm hochgeschätzten Anacreon.
[1] Urgroßvater: Elias Neubauer; Großvater: Vinzenz Neubauer.
[2] Kaspar Neubauer, Kassa-Kontrolleur im Tuchmacher Hause, gewesener Fähnrich von Erzherzog Ludwig Infanterie Regiment Nr.8.
[3] Wiener Zeitung (Wien).
[4] Der freie Wiener. Wochenschrift für Scherz und Ernst, Novelle und Erzählung, Ironie und Satyre, Kunst und Literatur, Politik und Volks-Interessen. Verantw. Redacteur: Alexander Medis, Samstag 1.4.1848, ab Sa, 29.7.1848 ver. R. E.R. Neubauer („Der freie Wiener. Zeitschrift für Politik und Literatur. Eigethümer und verantw. Red. E.R. Neubauer, Sa, 29.7.1848).
[5] Eugen Netoliczka (18.4.1825 Iglau - 28.9.1889 Graz), Schulmann und Schriftsteller.
[6] Cäsar Wenzel Georg Messenhauser (4.1.1813 Prossnitz/Mähren – 16.11.1848 Wien), österreichischer Offizier und Schriftsteller.
[7] Nemetz, Wolfgang: Iglauer Persönlichkeiten. In: Mährischer Grenzbote 26./128.Jg. Folge 6 (Juni 1976), S. 2.
[8] Karl Emil Franzos (25.10.1848 Podolien/Galizien – 28.1.1904 Berlin), Schriftsteller und Publizist.
[9] Výdej to.
[10] Nemetz, Wolfgang: Iglauer Persönlichkeiten. In: Mährischer Grenzbote 26./128.Jg. Folge 6 (Juni 1976), S. 2.