Es ist nicht klar, wo Paul Speratus (mit Eigennamen vermutlich Paul Spret) studierte, er soll jedoch die Doktorwürden in Philosophie, Kirchenrecht und (wohl) Theologie erworben haben (Schmidt-Beste, 1170, vgl. König, 10–11). 1506 erhielt er die Priesterweihe. 1516 bezeichnete er sich in einem Gedicht als in Salzburg tätiger Prediger. Bevor er im Juli 1520 Domprediger in Würzburg wurde, wirkte er kurz in Dinkelsbühl. In Würzburg wurde er wegen seiner kritischen, reformatorisch gesinnten Predigten und seiner unsittlichen Lebensweise angeklagt. Das überrascht nicht, denn er lebte bereits seit 1517 mit einer Frau namens Anna Fuchs zusammen. Im November 1521 verließ er heimlich die Stadt und kehrte nach Salzburg zurück. Bald erhielt er eine Berufung nach Ofen. Auf der Reise dorthin machte er Halt in Wien, wo er am 12. Januar 1522 im Stephansdom eine Predigt hielt. Insbesondere weil er in seiner Rede das Zölibat in Zweifel zog, wurde er der Ketzerei bezichtigt. Die Wiener theologische Fakultät leitete einen Prozess gegen ihn ein, der in die Exkommunikation von Speratus mündete. Mit der Anstellung in Ofen war daraufhin nicht mehr zu rechnen.
Wahrscheinlich mit der Absicht, sich nach Wittenberg zu begeben, landete Speratus in Iglau. Die Chronik von Iglau von Martin Leopold von Löwenthal berichtet, Speratus sei Anfang des Jahres 1522 zu einem günstigen Zeitpunkt in die Stadt gekommen, weil der Stadtpfarrer kurz vor seiner Ankunft verstorben sei, woraufhin es Speratus vom Stadtrat erlaubt worden sei, zu predigen. Speratus geriet jedoch rasch in einen Zwist mit dem König und dem Bischof von Olmütz. Bereits am 25.7.1522 erließ Ludwig II. Jagiello ein Mandat gegen ihn, in dem dem Iglauer Rat befohlen wurde, den Einwanderer aus der Stadt auszuweisen. Gleichzeitig befahl der König dem Bischof Stanislaus Thurzo, Speratus nach Olmütz überführen zu lassen. Seitdem bemühten sich die Iglauer, unter mithilfe einflussreicher Adeliger, eine Predigterlaubnis für Speratus in der Stadt zu bewirken. Das Mandat des Königs vom 19.2.1523 bedeutete jedoch ein endgültiges Predigtverbot für Speratus. Daraufhin wurde Speratus in Olmütz in Haft gesetzt und schließlich im April 1523 von König Ludwig zum Feuertod verurteilt. Das Urteil wurde nach der Fürsprache wichtiger Adeliger auf eine Inhaftierung von 12 Wochen gemildert. Speratus wurde befohlen, nach der Entlassung aus dem Land zu ziehen. Er kehrte trotzdem noch nach Iglau zurück, fand hier aber nicht die erhoffte Unterstützung, woraufhin er im September 1523 nach Wittenberg aufbrach. Wie seine dort verfassten Schriften und Übersetzungen belegen, hielt Speratus seine Trennung von der Iglauer Gemeinde jedoch für nur vorläufig. Er erreichte Wittenberg im November 1523, verließ es jedoch nach einem halben Jahr wieder, weil ihm Martin Luther das Amt des Hofpredigers in Königsberg vermittelte. In den Diensten des Herzogs von Preußen Albrecht von Brandenburg trug er zur Verbreitung des Luthertums auf dessen Herrschaftsgebiet bei. 1530 wurde er zum Bischof von Pomesanien in Marienwerder. Hier starb er im Jahre 1551 und ist im dortigen Dom bestattet.
Speratus sollte aus dem Olmützer Gefängnis Briefe an die Iglauer geschrieben und das Lied Es ist das Heil uns kommen her verfasst haben (= Ein lied vom gesetz und glauben; Löwenthal, S. 55). Dieses findet man im bekannten Achtliederbuch von 1524 neben drei Liedern von Luther.
Der Prädikant entwickelte seine publizistische Tätigkeit jedoch erst, nachdem er nach Wittenberg geflüchtet worden war. In der Zeit von November 1523 bis Juli 1524 übersetzte er Luthers Schriften De instituendis ministris, Formula Missae et Communionis und Ad librum eximii Magistri Nostri Magistri Ambrosii Catharini, defensoris Silvestri Prieratis acerrimi, responsio ins Deutsche. Die zweit genannte Übersetzung, die unter dem Titel Ein weyse Christlich Mess zuhalten vnd zum tisch Gottis zu gehen erschien, widmete er der Stadt Iglau. Er erinnert sich in der Vorrede daran, wie er der Gemeinde das Evangelium predigte und wie die Iglauer deshalb leiden mussten. Er hieß sie, im Wort Gottes auszuharren. Er habe diese Übersetzung verfasst, um ihnen auch in seiner Abwesenheit nützlich zu sein, Martin Luther selbst sei es gewesen, welcher die Zuschreibung der Übertragung an die Iglauer veranlasst habe, denn er wisse, dass sie den Inhalt der Schrift begreifen und annehmen werden.
Die Schrift Wie man trotzen sol eröffnet Speratus mit dem Wunsch, der Iglauer Gemeinde wieder predigen zu dürfen. Er hält sich weiterhin für ihren Prediger, die Gemeinde wird wiederholend aufgefordert, sich zu äußern, ob er sein Amt erneut annehmen soll. Die Stadt möge im Glauben ausharren und solle nicht vergessen, dass man lediglich Gott und keinem Menschen gehorchen solle. Gott habe Jesus nicht geschont, weshalb sich auch die Iglauer seinetwegen nicht schonen lassen mögen. Speratus kommt in mehreren Anläufen auf die Ereignisse in Mähren zu sprechen. Indem er seinen Anklägern vorwirft, sie hätten ihn nie vernommen und ihm den Gegenstand der Anklage nie verraten, schildert er seine Verhaftung in Olmütz und die Verbrennung der Schriften Luthers. Weiter führt er aus, Gott habe die Stadt Iglau zweimal besucht: Zuerst in seiner Güte, als Speratus in die Stadt gelangt sei und hier das Evangelium verkündet habe, das andere Mal in Form einer Feuersbrunst, die sich während seiner Gefangenschaft ereignet hatte (vgl. Löwenthal, 60–61). Diese sei nicht, wie seine Gegner behaupten, als Strafe für seine Predigten zu deuten, sondern sie sei ausgebrochen, weil die Stadtbewohner nicht mehr dem Wort Gottes vertrauten. Speratus fordert zur Tat:
„Woellen wyr nuo Gott nicht verachten/ den nachsten nicht weyter ergern/ die gotlosen nicht also sterken/ vns selber nicht tieffer versencken/ vnd (als zu besorgen wer) vnwiderbringlich verderben. So schleusset sich gewaltigklich aus allen bisher erzelten artickeln/ das wyr hynwider auff das Creutz muessen. Wyr kunnen nicht hynumb. Woellen wyr selig werden/ wyr muessen da hyn durch.“ (Wie man trotzen sol, G2v)
Wie Martin Brecht ausführt, stelle die Schrift weder bloß eines der reformatorischen Predigtsummarien noch eine der vielen, an verfolgte Städte gerichteten Trostschriften der Zeit dar. Das Schildern des Vorfalls sei deswegen wichtig, weil ihm die Rolle eines Exempels zufalle. Das Besondere sei, dass Speratus keine Polemik gegen die vom Evangelium abgefallene Gemeinde geschrieben hätte, sondern „mit geduldiger Ausführung“ reagierte und dargestellt habe, welche Konsequenzen sich aus der Unbeständigkeit der Iglauer ergeben haben. (Brecht, 120)
In der gemeinsamen Schrift Widder das blind vnd toll verdamnis (…) von 1524 verteidigen Luther und Speratus die evangelische Lehre gegen die Urteile der Universitäten von Ingolstadt und Wien. Während Luther die Artikel kommentierte, die Arsacius Seehofer in einem von der Universität in Ingolstadt geleiteten Prozess widerrufen musste, äußerte sich Speratus zu acht Artikeln, die von der theologischen Fakultät in Wien aus seiner Predigt vom Januar 1522 zusammengestellt und in Druck gegeben wurden. Den Wortlaut der Wiener Predigt, in der einzig das Taufgelübde anerkannt, während das Keuschheitsgelübde ausführlich kritisiert wurde, soll die Schrift Von dem hohen geluebd der Tauff enthalten. In der Vorrede an Hochmeister Albrecht von Brandenburg wird die Genese des Textes dargestellt: Speratus habe den Text im Olmützer Gefängnis verfasst. Er habe den Sermon aus dem Gedächtnis neu aufgeschrieben, weil ihm das Originalmanuskript bei der Verhaftung abgenommen worden sei und weil er gefürchtet habe, sich bald verteidigen zu müssen. Nachdem er sich gegen die Artikel der Wiener Theologen hat öffentlich wehren müssen, scheine ihm angemessen, jetzt auch die ganze Predigt veröffentlichen zu lassen. Eine zusätzliche Legitimation der Schrift liefert der beigefügte Brief Martin Luthers vom 16.5.1522, in dem der Wittenberger Reformator bereits die Drucklegung wünschte. Die Zueignung an Albrecht von Brandenburg ist auf den 16.9.1524 datiert, was bedeutet, dass die Flugschrift kurz nach der Ankunft von Speratus in Königsberg in Druck gegeben wurde. Laut Bernd Moeller und Karl Stackmann zeigen sowohl das Datum als auch der Text der Vorrede, dass Speratus sich mit dieser Veröffentlichung in seiner neuen Wirkstätte hat einführen wollen (Moeller/ Stackmann, 168).
Wie die Iglauer Chronik berichtet, blieb Speratus mit der mährischen Gemeinde auch nach seinem Abgang nach Königsberg und Marienwerder in Briefkontakt. Am 15.2.1527 soll er seine Auslegung des 37. Psalms nach Iglau geschickt und dem Stadtschreiber angeordnet haben, jedem Ratsherrn eine Abschrift anzufertigen (Löwenthal, 59). Es handelte sich höchstwahrscheinlich um das Lied Der xxxvij. psalm czu trost allen die gewalth vnd vnrecht leiden, das zusammen mit Eyn dancksagung nach der predigt um 1528 in Königsberg gedruckt wurde. Speratus hat auch weitere Lieder und Gedichte verfasst: 1530 reagierte er mit einem umfangreichen Gedicht Eyn lied mit klagendem hertzen auf die Resultate des Augsburger Reichstags, zudem wird angenommen, dass er für die Herausgabe der beiden Königsberger Gesangbücher von 1527 verantwortlich oder mitverantwortlich war. (Jiří Černý, přeložila Tereza Kelarová)
Editionen:
D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 12. Böhlau, Weimar 1891, S. 166–168, 203–204.
D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 15. Böhlau, Weimar 1899, S. 94–140.
König, Hans-Joachim: Aus dem Leben des Schwaben Paul Speratus. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 62 (1962), S. 7–63; 63 (1963), S. 104–138.
Müller-Blatau, Joseph (Hg.): Die zwei ältesten Königsberger Gesangbücher von 1527. Bärenreiter, Kassel 1933.
Wackernagel, Philipp (Hg.): Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts 3. Teubner, Leipzig 1870, S. 31–41.