Schriftsteller und Pädagoge Erich Pawlu, geboren am 24. 2. 1934 im nordmährischen Frankstadt, besuchte das humanistische Gymnasium in Ingolstadt, studierte Germanistik, Geschichte, Geographie an der Universität München und wirkte als Gymnasiallehrer und später als Studiendirektor in Dillingen an der Donau. Diese Stadt wurde ihm seit 1956 zur „zweiten Heimat“. Er schreibt Erzählungen, Satiren, Glossen, Hörspiele, Rundfunksketche und Gedichte, ist auch Mitherausgeber verschiedener Schulbücher. Sein Erzählband Gestörte Spiele oder Das umgedrehte Hitlerbild (1981) ist das einzige Werk, in dem sich der Autor direkt mit der Vergangenheit beschäftigt. Erich Pawlu hat bei unserem Treffen betont, er fühle sich nur biographisch als ein „sudetendeutscher“ Autor, denn die Mehrzahl seiner Veröffentlichungen beschäftige sich nicht direkt mit dem „sudetendeutschen“ Thema. Das Niederschreiben der Kindererlebnisse habe eher einen psychologischen Grund gehabt, nämlich als abschiedsnehmendes Überwinden bedrückender und belastender Erinnerungen.
Beim Schreiben stützt sich Pawlu auf seine pädagogischen Erfahrungen, außerdem bemüht er sich - zumeist mit ironischer Akzentuierung - um eine Analyse der modernen Gesellschaft. Er interessiert sich auch für die moderne Informationsvermittlung und für Probleme der modernen Computerwelt. Franz Peter Künzel schrieb über das Werk von Erich Pawlu:
Sein literarisches Hauptinstrument ist die Satire, ob er nun Gedicht, Erzählung oder Aphorismus als Form wählt. Des Satirischen bedient sich Pawlu, obwohl er weiß, daß der Deutsche keine rechte Beziehung zu Humor, Ironie, Groteske oder Esprit im wortkünstlerischen Artefakt hat; aber es hat sie der Sudetendeutsche, jedenfalls ist das Satirische mannigfacher Schattierung und Tönung ein Charakteristikum der Literatur aus den Sudetenländern; worin sich übrigens ihre Nähe zur tschechischen Literatur manifestiert, die in humor- und satiregeladenen Werken am stärksten erscheint. (Sudetenland 1986/2, S. 142-143)
Erich Pawlu veröffentlichte weit über 17 000 Einzelveröffentlichungen – Rezensionen, Berichte, Essays – in verschiedenen Tageszeitungen und Zeitschriften (Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Neue Zürcher Zeitung, Frankfurter Rundschau, Augsburger Allgemeine, Nürnberger Zeitung, Hannoverische Allgemeine u.v.a.). Erzählungen und satirische Gedichte sind auch in der Zeitschrift Sudetenland zu finden. In dieser Zeitschrift wurde im Jahre 1987 seine kurze Computer-Geschichte veröffentlicht, in der Kritik an der sog. „Vergangenheitsbewältigung“ geübt wird. Er kritisiert, dass der deutschen Geschichte aus dem Osten und der Vertreibungsproblematik nur eine geringe Aufmerksamkeit gewidmet wird. Er deutet an, dass man in der Gegenwart wegen der allzu großen Begeisterung für die moderne Technik und den Fortschritt die eigene Geschichte beiseitelegt und das eigene kulturelle Erbe allmählich vergisst. Seine Erfahrungen aus dem informationstechnischen Bereich sammelte Erich Pawlu vor allem in dem satirischen Erzählband Gefühle auf Diskette und andere Computer-Satiren (1991).
Das autobiographische Werk Gestörte Spiele oder Das umgedrehte Hitlerbild erschien 1981. Nachwort und Vorwort spielen in den 80er Jahren; ein Gespräch auf der Autobahnraststätte eröffnet das Buch, eine kurze Beschreibung des Besuches in der alten Heimatstadt beendet das Werk. Das eigentlich Erzählte spannt sich über die Kriegsjahre, beginnt im Jahre 1938 und endet 1945. Aus den Erzählungen erfährt man, wie sich ein deutscher Junge in Mähren in den bewegten Zeiten gefühlt hat, was er verstanden und nicht verstanden hat. Das Buch nimmt die Leser gefangen, wirkt nicht einseitig, parteiisch oder belehrend. In diesem aus der Perspektive eines Kindes erzählten Werk „bewältigt Erich Pawlu Geschichte durch Geschichten“ (Ebd., Buchumschlag).
Die Kindheit des Erzählers und seiner Kameraden wurde durch den Krieg zerstört, ihre Spiele wurden durch Luftangriffe, das Heulen der Sirenen, die Ideologie des „Dritten Reiches“ und durch nazistische Parolen gestört. Häuser mussten verdunkelt sein, es mangelte Brennholz, es gab Hunger. Auch der Schulbesuch wurde später eingestellt. Ein Gartenfest wurde wegen des Attentats auf Hitler unterbrochen. Unmittelbar nach dem Kriegsende wurde den Kindern sogar der Spielraum eingeschränkt:
Wir spielten zwar leise und oft unter den Tischen mit unseren selbstgebastelten Holzwägelchen. Aber die Luft war uns doch nicht verboten, verboten war uns nur der Wald und der Sportplatz, der Schulhof und die Turnhalle, der Aussichtsturm und der Dorfanger, der Garten und zeitweise die Straße. Manches Mal wagten wir trotzdem ein Versteckspiel im Freien, aber immer störte das schwarze „N“ auf seiner hundert Quadratzentimeter großen weißen Leinenfläche, das wir auf der Brust herumzutragen hatten. (Ebd., S. 193)
Der spätere Heimatverlust und die Vertreibung bedeuteten dann den „Zusammenbruch aller bis dahin vertrauten und überlieferten Ordnungen“ (Ilse Tielsch. In: Sudetenland 1985).
Im Werk Ein kleines bißchen Reife (1982) nützt Erich Pawlu Erfahrungen aus seiner langjährigen Praxis als Lehrer. An einem sonnigen Maitag schreiben Abiturienten des Johann-Remplein-Gymnasiums in Altstädt ihre Abiturarbeiten im Leistungskurs Geschichte/Erdkunde. Und der Leser hat die einmalige Chance, ihnen während des Schreibens über die Schulter zu blicken und sich mit der Gedankenwelt dieser 19-20-Jährigen auseinanderzusetzen.
Jede Abiturgeschichte wird zur Lebensgeschichte eines jungen Menschen. Der eine Held versucht zum Zeitvertreib sein Leben zu analysieren, der andere ist bemüht, seine Zukunft visionär zu erfassen. Vom Autor werden zugleich „Analyse[n] moderner Familien und darüber hinaus ein treffendes Spiegelbild der Gesellschaft von heute“ angeboten (Buchumschlag). Mit leichter Ironie, scharfer Beobachtungsgabe und Einfühlungsfähigkeit bietet dieses Buch eine amüsante und anspruchsvolle Lektüre. Auch für diesen Erzählband trifft zu, was Franz Peter Künzel über Erich Pawlus Schreibweise sagte: “Der sensibilisierte Leser merkt plötzlich, daß ein grotesker Zustand im einlullenden Alltäglichen des Heute entlarvt wird” (Sudetenland 1986/2, S. 142-143).
Im Jahre 1993 veröffentlichte Erich Pawlu seine heiteren Gedichte im Band Künstler, Kämpfer, Konkubinen. In diesem Gedichtband spielt der Autor mit der Sprache, nimmt die Wortinhalte ernst und wörtlich. Seine Gedichte sind zeitkritisch, ironisch und voller Sprachwitz. Auch in seinem lyrischen Schaffen nützt der schreibende Studiendirektor seine pädagogischen Erfahrungen, beschäftigt sich mit zeitgenössischen Fragen und warnt vor dem Verkümmern des Ausbildungsniveaus. Er fördert mittels seiner Gedichte das kritische Nachdenken über das Leben in der heutigen Konsumgesellschaft, prangert den Konsum, „moralischen Schutt“ (Ebd., S. 51) und „Dauerstreß“ (Ebd., S. 53) an, kritisiert die Gesellschaft, die zwar bestens informiert ist, aber die Realität mit Fernsehprogrammen verwechselt. Das Weltwissen ist im Internet gespeichert und jederzeit abrufbar, aber die Briefkultur geht verloren und die zwischenmenschlichen Beziehungen werden immer flacher.
Von den Kritikern werden vor allem Erich Pawlus „gepflegter Stil, sein konstruktiver Humor und sein psychologisches Einfühlungsvermögen“ (Ein kleines bißchen Reife, Buchumschlag) gelobt. Für seine schriftstellerische Tätigkeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In der Zeitschrift Sudetenland (1989, S. 28-34) wurde die erfolgreiche Erzählung Kolumbus scheitert bei Finisterre veröffentlicht, für die ihm beim Erzählwettbewerb des Ostdeutschen Kulturrates im Jahre 1988 der 1. Preis verliehen wurde. Mehrere Informationen zu seiner Person und kurze Leseproben sind auf den Internet-Seiten des Autors zu finden: www.erichpawlu.de
Štepánka Hetfleischová, Olmütz