Dipl. Ing. Wilfried von Proskowetz entstammt einer gebildeten Familie, die seit drei Generationen für die Landwirtschaft in Mittelmähren wichtig war (1850 gründete sein Großvater, Emanuel Ritter Proskowetz von Proskow und Marstorff, in Kwassitz eine Zuckerfabrik). Zu den landwirtschaftlichen Interessen gehörten in der ganzen Familie auch Interesse für Botanik, Geologie, Mineralogie und Psychologie, aber auch für Kunst. Der wohl bekannteste Mitglied der Familie war Max von Proskowetz (geboren 4.11.1851), Wilfrieds Onkel. Er studierte am Piaristengymnasium in Kremsier, dann am Schottengymnasium in Wien. Er blieb in Wien und setzte sein Studium an der Juridisch-politischen Fakultät der Wiener Universität fort (seit 1869). 1874 erlangte er den Doktortitel. Er beherrschte französische, italienische, spanische, russische und natürlich auch tschechische Sprache, spielte Violine und zeichnete Karikaturen. Er wirkte an der Hochschule für Bodenkultur in Wien und in Halle, arbeitete mit Mendel zusammen. Er war landwirtschaftlicher Attaché Österreichs in Smyrna und in den USA. Am 19.9.1898 fiel er unter einen Zug und starb infolge der erlittenen Verletzungen. Er schrieb Fachbücher und Reiseberichte, Aphorismen, Gedichte und Sprüche (Auszüge aus dem Tagebuch Max von Proskowetz aus dem Jahre 1885, in: M. von Proskowetz, 1899, J.N.Vernay, Wien). Sein älterer Bruder Emanuel war Biologe, Wirtschaftler und Botaniker und arbeitete mit ihm an den Fachbüchern zusammen.
Wilfried Ritter von Proskowetz wurde am 5.1. 1887 in Kwassitz als Sohn von Emanuel Ritter von Proskowetz und Julietta von Proskowetz (Robert geboren) geboren. Das Abitur legte er am Deutschen Gymnasium in Kremsier ab. Der Familientradition nach ging er nach Wien, um an der dortigen „Technischen Hochschule“ zu studieren und um Industriekaufmann und Landwirt zu werden. Dort lernte er den expressionistischen Dramatiker Anton Wildgans kennen, der sein Freund für das ganze Leben blieb und sein literarisches Schaffen sehr beeinflusst hat. Mit Wildgans, Haertl, Haymerle und Gagern bildete Proskowetz den „Bund der Gewaltigen“, was wahrscheinlich eine kleine Dichtergruppe war. Ab 1904 fing er an, Gedichte zu schreiben, und 1912 gab er seine erste Sammlung Zwölf Sonette an Anton Wildgans heraus, die heute höchstwahrscheinlich verschollen ist. Das Sonett bleibt von nun an die häufigst benutzte Form in seinem dichterischem Werk. Gleich in demselben Jahr kommen 40 Sonette heraus. Seine Novellen und Gedichte erschienen ab und zu auch in verschiedenen Wiener Zeitschriften. Eine lange Pause in seinem Schaffen wurde durch den Ersten Weltkrieg verursacht. Er wurde in Polen als Leutnant des 15. Dragonenregiments eingesetzt, nach der ersten Verletzung zum Armiererregiment überordnet und zum zweiten Mal verletzt. Nach dem Krieg verließ er die Armee. Als Zeugniss seiner Armee-Zeiten sind einige Kriegsgedichte geblieben (in der Sammlung Unterwegs). Nach dem Krieg erlebte er eine heftige Bekehrung zu Gott, was sich in seinen späteren Gedichten widerspiegelt. Er reiste viel, vor allem nach Italien. Erst 1936 erschien seine weitere Sammlung Unterwegs (H.Gusek, Kremsier). Anstelle eines Vorworts steht hier ein Gedicht, das von Anton Wildgans an Wilfried Proskowetz am 3.3. 1913 gewidmet wurde. Diese Sammlung beinhaltet Gedichte, die Proskowetz in dem Zeitraum von 1904 bis 1935 geschrieben hat, Übersetzungen von einigen Gedichten der tschechischen Dichter (E. Valenta, J. Chaloupka, F. Velkoborský) und Übersetzungen einiger Gedichte von Ch. Baudelaire. Die Breite der Themenwahl zeugt davon, dass auch Wilfried Proskowetz sehr belesen war und sich viel für Kunst interessierte. Man kann in seinem dichterischem Werk von fast naiv wirkenden Natur- und Liebesgedichten (auch auf tschechisch und französich), die sich aber der Naivität entfernen und manchmal bis ins Mystische übergehen, bis zu Gedichten, die stark von deutschen expressionistischen Dichtern (vor allem G. Benn) beeinflusst sind, finden. Die Qualität der Gedichte variiert, Sonett ist die meistbenutzte Form, es kommen aber auch Gedichte mit freien Versen vor. Die nächste Sammlung Dreissig Gedichte kamm 1937 bei Reuss und Itta heraus, ein Jahr später kommt dieser Band auch bei H. Gusek in Kremsier heraus. Inhaltlich ist diese Sammlung der vorrigen sehr ähnlich, eine dichterische Entwicklung ist nicht deutlich. Die einzigen zwei bis jetzt entdeckten Novellen Der Schankbursche Michael und Abiturus kommen 1938 heraus. Die erste Novelle schildert eine Liebesbeziehung eines Jungen, der sich in einer Gebirgsgaststätte anstellen lässt, zu der jungen Witwe Wirtin Katharina Brauner. Michael verliebt sich kopflos in sie, sie aber liebt einen anderen. Daher macht er die junge Köchin Agnes zu seinem Ersatz – Lustobjekt, den er liebelos ausnutzt. Agnes wird schwanger, die Wirtin schickt sie in die Stadt. Michael verliert den Vermittler seiner sexuellen Auslassung und sein Trieb und seine Besessenheit treibt ihm zum Wahnsinn. In einem Brief an Agnes beschreibt er seine Absicht das Schankhaus zu verbrennen. Er wird in ein Irrenhaus gebracht und Agnes bleibt im Gasthaus mit der Wirtin. Die Erzählung, die am Anfang sehr sinnlich ist und viele poetische Naturbeschreibungen enthält, kippt nach und nach in eine Schilderung des sich von Wahnsinn verändernden Gemüts von Michael um. Liebe ist hier als eine Gewalt, die unergreifflich werden und zur Besessenheit führen kann, gefährliche dunkle Macht, die von Vernunft unbeherrschbar ist, worin man deutliche Einflüsse der Psychoanalyse und der Novellistik der Moderne (Musil, …) sehen kann.
Proskowetz widmete sich auch dem Drama. 1940 erscheint Die Versuchung des Pescara, ein Drama, das nach der Novelle C. F. Meyers geschrieben und dem Duce Bennito Mussolini gewidmet wurde. Im Vorwort erwähnt Proskowetz Meyers Absicht, die Novelle zu dramatisieren. Die Uraufführung fand sogar in dem Deutschen Theater in Prag statt. Im folgenden Jahr erscheinen Básně (J. Gusek, Kremsier 1941), die tschechisch geschrieben sind. Es sind 12 Gedichte mit unterschiedlicher Thematik: Liebesgedichte, die von Sehnsucht sprechen, Stimmunggedichte, in denen die vergehende Zeit wichtige Rolle spielt und ein Kriegsgedicht, in dem der Krieg als eine Katastrophe für die ganze Menschheit gesehen wird.
1941 erscheint sein zweites Drama Thermidor. Das Stück ist in vier Aufzüge geteilt, von denen der erste und der vierte in zwei Auftritte weitergeteilt wird. Die Handlung spielt sich von Mai bis Juli 1794, während des Terrors der Jakobiner ab (ein anderer Titel des Dramas ist Robespierre). Zur Schau kommt der Fall des großen Diktators Robespierres, der ohne Skrüpell Köpfe fallen lässt, bis sein eigenes fällt. Es kommt zu einer Verschwörung gegen dem Diktator, in der eine nicht unwichtige Rolle die Frauen spielen: bei Proskowetz finden sich immer Gestalten der „starken Frau“, hier sind es die Schwester von Robespierre, die sich als einzige offen gegen dem Diktator stellt, und die Marquise Therèse, die durch ihre Schönheit und Machtgier sogar den frauenfeindlichen Titelhelden bezaubert. Das Stück ist ein Sprechdrama, auf der Bühne wird nichts „Unschönes“ gezeigt, alle Ereignisse erfährt der Zuschauer aus den Dialogen der Figuren. Die Figuren sind nicht sehr tiefgehend charakterisiert, es handlet sich eher um eine einfache Typisierung, obwohl die Entwicklung vom Robespierres Scheinfreund zu Robespierres öffentlichem Feind alle männliche Figuren durchgehen. Robespierre ist hier klar als ein Sonderling, der Menschen nicht mag, dargestellt. Er ahnt sein eigenes Tod – er sieht es in seinem Traum – und fürchtet vor ihm.
Nach dem 2. Weltkrieg sind einige von Proskowetz´ Werken noch einmal in der Bundesrepublik Deutschland erschienen, sein Werk wurde jedoch nie ganz veröffentlicht und seine Handschriften und weitere Manuskripte liegen in der Bibliothek des Museums Kromerizska in Kremsier: Gedichtbände Meiner Frau, Erinnerung, Sbírka básní, Werden und Reifen. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Familie aus der Tschechischen Republik ausgesiedelt. Wilfried Proskowetz lebte in Eßlingen und er starb am 29.3.1972 in München.
Vlasta Jiranová, Olmütz