Walter Seidl: Der Berg der Liebenden

Erlebnisse eines jungen Deutschen
Unvollendet
Jahr der Publikation
1936
Verlag
Julius Kittls Nachfolger
Publikationsort
Leipzig / Mährisch Ostrau
Gattung
Roman
Bibliographische Daten
Der Berg der Liebenden. Erlebnisse eines jungen Deutschen. Julius Kittls Nachfolger, Leipzig / Mährisch Ostrau 1936.
Art der Veröffentlichung
Separate Veröffentlichung

Seidl verlegte eine Phase der Handlung (ein Kapitel, Die Stadt des Kommenden) seines autobiografischen Romans nach Zlin. Der Hauptprotagonist des Romans, Hermann Kessler, der ähnlich wie Seidl Liebe zur französischen Musik und Literatur zeigt und in Grenoble lebt, wird frühzeitig vom Tod eingeholt. Nach dem Scheitern einer seltsamen Dreier-Beziehung kehrt er in die Tschechoslowakei, nach Prag, zurück, wo er von einem betrunkenen Tschechen bei der Verteidigung eines misshandelten Kindes mit einem Bierglas tödlich verwundet wird. Noch kurz zuvor besuchte er jedoch die Schuhmetropole Zlin, wo er sich um eine Stelle bei der Firma Baťa bewarb. Ihn faszinierte der sonderbare Rhythmus dieser Maschinenstadt und er ist von der Perfektion des Systems Baťa hingerissen. Im nüchternen Stil berichtet Seidl über die Verflechtungen der Arbeits- und der individuell-persönlichen Welt, der ökonomischen und sozialen Realität in einer Stadt, in der man dazu neigt, Mitglied eines großen, wohl organisierten Kollektivs zu werden, eines Kollektivs, das an eine perfekt funktionierende Maschine erinnert.

Eine viel kritischere Sicht auf Zlin bot in seiner Reportage Schuhwerk1 der berühmte „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch, der die Schuhstadt kurz vor seinem Tode im Jahr 1948 besuchte. Kisch sucht nach den Bedingungen für den Aufstieg von Baťa und entmythisiert seinen Erfolg. Kritisch betrachtet er vor allem die angeblichen Verdienste der Familie Baťa. Seine Kritik ist moralisch fundiert und er greift dabei auf marxistische Formensprache zurück. Kisch berührt auch die mit dem Leben in Zlin verbundenen sozialpathologischen Phänomene: Megalomanie, unnütze Verschwendung des Raums für hochtrabende Bauprojekte etc. Dort, wo Seidl beinahe Faszination zeigt, findet Kisch Masse und Manipulation. Oder nur die Hektik des modernen Lebens, denn „eines der wichtigsten Charakteristika Zlins war das Lebenstempo, das „sich vom Largo zum Andante, […] vom Prestissimo zum furiosen Galopp [steigerte].“2 Für all das verwendet Kisch – ähnlich wie Seidl, jedoch in ironischer Weise – die Amerika-Metapher.

 

1 Egon Erwin Kisch: Schuhwerk. Unvollendet. In: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Prager Pitaval. Späte Reportagen. Herausgegeben von Bodo Uhse und Gisela Kisch. Berlin/Weimar: Aufbau, 1986, S. 415–428.

2 Kisch, S. 415.

 

Neuauflage: Der Berg der Liebenden. Erlebnisse eines jungen Deutschen. Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff. Wuppertal Arco-Verlag 2002. Bibliothek der Böhmischen Länder, Bd. 2.