Bekannt wurde Ralph Benatzky als Operetten- und Schlagerkomponist, Weltruhm erlangte er mit dem Weißen Rößl, doch sein literarisches Talent ist heute so gut wie vergessen, wiewohl sein Œuvre hunderte Liedtexte, Dutzende Libretti, mehrere Drehbücher, einen Roman und anderes mehr umfasst. Vieles davon ist schematisierte Dutzendware, gefällig geschrieben für die schnelllebigen Moden der Unterhaltungsindustrie der Zwischenkriegszeit; es finden sich indes auch Texte, die wert sind, wieder gelesen und gehört zu werden, und das wahre Potenzial dieser künstlerischen Doppelbegabung zu verdeutlichen imstande sind. Um das Leben dieses – wie er sich einmal selbst nannte – „Amokläufer der Arbeit“ ranken sich viele Legenden, denn Benatzky liebte es, sich sein Leben in Selbstzeugnissen zurechtzurücken, etwa in seinem „autobiographischen“ Roman In Dur und Moll (1953), in dem sich Dichtung und Wahrheit unauflösbar ineinander verschlingen. Die Gutgläubigkeit, mit der bis heute in Arbeiten über ihn diese Münchhausiaden für bare Münze genommen werden, trägt selbst bereits operettenhafte Züge. Man tut deshalb gut daran, nicht allen Details dieser Selbststilisierung Glauben zu schenken, aus welchen Gründen sie auch immer geschah.
Am 5. Juni 1884 als Sohn eines Schulmeisters in Mährisch-Budwitz geboren, wächst Rudolf Franz Josef Benatzky in den verschiedenen Tätigkeitsorten des Vaters in Mähren und Böhmen auf und stellt sein Talent schon früh mit Gedichten und kleineren Kompositionen unter Beweis. Nach einem Insubordinationsvergehen wechselt er 1899 von der Realschule in Leitmeritz an die Landwehrkadettenschule in Wien, mustert 1904 als Fähnrich aus und wird der Infanterie zugeteilt. Doch bald ödet ihn der Dienst an, und er benutzt jede Gelegenheit, sich musikalisch zu betätigen. Zu seinem endgültigen Ausscheiden aus dem Militär kommt es 1907, allerdings nicht aufgrund eines Duells oder gar einer Verwundung bei Nationalistenkämpfen in Prag, sondern wegen den Folgen einer hartnäckigen Syphilis. Nach dem Bruch mit dem enttäuschten Vater beginnt er ein Germanistikstudium, das er 1911 mit einer Dissertation über die Dichterin Rosa Maria Assing (und nicht, wie von ihm behauptet, über „Goethe und das Volkslied“) abschließt. Dass er zudem bei Felix Mottl in München und Antonín Dvořák († 1904!) in Prag Musik studiert hat, darf wohl ebenfalls angezweifelt werden. Während seines Studiums tritt er zunächst als Lyriker in Erscheinung (immerhin gewinnt er bei den „Kölner Blumenspielen“ die „Goldene Lilie“) und entdeckt sein Talent für das Chanson, das er selbst vertont. Nach ersten Erfolgen 1908/09 im Kabarett „Die Hölle“ in Wien, zieht es Benatzky nach München, wo er die Chansonette Fedi Féran kennenlernt. Ihre erfolgreiche Zusammenarbeit (Benatzky schreibt ihre Chansons und begleitet sie am Klavier) inspiriert Heinrich Mann zu seinem Einakter „Varieté“. Schon im Chanson zeigte sich Benatzkys Talent, dramatische Handlungsbögen zu entwerfen; mit dem Féran gewidmeten, etwa 1909 entstandenen Einakter Laridon unternimmt er nun einen ersten Versuch auf dem Gebiet der Operette und ist für einen Debutanten damit durchaus erfolgreich (Uraufführung 1911 in Hamburg). Trotz weiterer Versuche mit eigenen und fremden Libretti sind es aber seine Lieder, die ihm zunächst Ruhm eintragen. Wesentlichen Anteil daran hat die Diseuse Josma Selim (eig. Hedwig Fischer), die er 1914 kennenlernt und noch im selben Jahr heiratet. In den eineinhalb Jahrzehnten bis zu ihrem tragischen Tod schreibt er für sie ein umfangreiches Repertoire, das sich vom frivolen Herrenabendlied bis zum gefühlsinnigen Wienerlied spannt, und dem Duo im gesamten deutschsprachigen Raum zu einer Popularität verhalf, die Karl Kraus in der „Fackel“ (17.11.1924) bissig kommentierte (recht besehen ist die Kritik jedoch eher eine „Ferndiagnose“, da er selbst einräumt, kaum etwas gehört oder gelesen zu haben). Auch Th.W. Adorno setzt sich in seinen „Schlageranalysen“ mit populären Werken aus der Feder Benatzkys auseinander, besonders mit den so erfolgreichen Wienerliedern, an denen er angemaßte (da zu „vornehme“) harmonische Mittel, Uneigentlichkeit der Sprache und eine bemühte Volkstümlichkeit beanstandet. Tatsächlich sind Lieder wie Ich muß wieder einmal in Grinzing sein (1915), Ich weiß auf der Wieden ein kleines Hotel (1915) oder das patriotische Draußen in Schönbrunn (Text von Fritz Grünbaum) zum Allgemeingut des Wienertums geworden.
Während des Ersten Weltkriegs weiß sich Benatzky dem Militärdienst geschickt zu entziehen, was ihn nicht daran hindert, mit Anno 14 (Text ebenfalls von Grünbaum) wie Lehár oder Kálmán eine Durchhalteoperette auf die Bühne zu bringen, die aus der Kriegsbegeisterung Kapital zu schlagen versucht. In Liebe im Schnee klingt schon eher der originäre „Benatzky-Ton“ an, ein geschickt rhythmisierter Coupletstil, zwischen Gesang und Sprechton „nonchalant serviert“, getragen von einer einprägsamen Melodieführung; das von ihm mit Willy Prager verfasste Libretto trägt bei aller Sentimentalität bereits opernparodistische Züge. 1916 im Wiener Ronacher-Theater von Oskar Straus uraufgeführt, wird diese Operette sein erster großer Erfolg; und sie sollte auch die einzige sein, die im amerikanischen Exil während des Zweiten Weltkriegs zur Aufführung kommt – grässlich verkitscht und ihres parodistischen Potentials beraubt, wie Benatzky enttäuscht konstatiert. Auch Komponistenkollegen greifen auf seine Libretti zurück, so vertont etwa Karl von Kaskel seine Schmiedin von Kent, mit der er 1911 einen gutdotierten Wettbewerb gewonnen hat. Das Operettengenre selbst allerdings, das musste auch Benatzky erkennen, lief Gefahr, in Klischee und Formelhaftigkeit zu erstarren. Zwei Lösungsmöglichkeiten schienen sich anzubieten: der Weg Lehárs, die Operette der Oper durch pathetisch-sentimentale Handlungsführung anzunähern, oder sie für das „Sensations-Theater“ aufzubereiten mit markanten Schlagermelodien, die auch anderwärtig vermarktet werden können. Benatzky selbst versucht sich in mehreren Stilrichtungen, immer am Puls der Zeit, ohne aber zunächst konsequent eine eigene Linie zu verfolgen. Er kannte seine Schwäche, „keine großgespannte fortreißende Melodie zu haben“, für ein reines Schlager-Potpourri jedoch fand er sein dramatisches Talent vergeudet. So laviert er in der Mitte, zumeist mit akzeptablem Erfolg; ehrgeizig wie er ist und überzeugt von seinem Genie kann er sich damit aber nicht zufrieden geben. Mit Stücken wie Die tanzende Maske (Text mit Alexander Engel, 1917), Die Verliebten (mit Julius Wilhelm, 1919) oder Apachen! (mit I.M. Welleminsky, 1920) stellt er zwar seine Vielseitigkeit und seine Fähigkeit unter Beweis, sich sowohl als Librettist, als auch als Komponist auf thematische und musikalische Moden einzustellen, an den großen Wiener Operettenbühnen aber kann er damit nicht reüssieren.
Die traditionelle Operette Wiener Prägung ließ sich mit Benatzkys kompositorischen und theaterpraktischen Stärken nicht recht in Einklang bringen; mit der in Berlin sich etablierenden Ausstattungsrevue indes findet er schon eher ein passendes Arbeitsfeld, doch Abstriche muss er auch hier machen. Denn der Erfolgsregisseur Erik Charell hatte sich als Mitarbeiter Max Reinhardts 1923 in New York nicht nur von der künstlerischen Opulenz der Broadway-Shows inspirieren lassen, sondern auch von deren arbeitsteiliger Entstehungsweise. Ein Kollektiv von Künstlern besorgt die Gestaltung, erfolgversprechende und altbewährte Sequenzen verschiedenster Provenienz werden durch den Regisseur aneinander montiert, anderes eigenmächtig entfernt. Natürlich kränkt es Benatzkys Künstlerehre, dass er an Charells erster großen Revue An alle (1924) am Großen Schauspielhaus lediglich mit drei „Tableaus“ beteiligt ist, seine Gesangstexte sich nicht wie üblich selber schreiben darf, doch das „Materielle“ lässt ihn seinen Ärger verschweigen. In Für Dich! (1925) ist er immerhin bereits für einen großen Teil der Musik verantwortlich und kann seine eigenen Texte vertonen, in Von Mund zu Mund (1926) ist er wieder bloß ein Autor von vielen. Als diese Revue ihre beträchtlichen Investitionen nicht im erwarteten Maß einspielt, entwickelt Charell die Revueoperette, die anstelle der losen Szenenfolge zu einem bestimmten Thema wieder ein fixes Handlungsgerüst übernimmt, die einzelnen Auftritte jedoch mit dem bewährten Glanz gestaltet, die die Schaulust des Publikums befriedigen soll. In Casanova (1928) ebenso wie in Drei Musketiere (1929) ist Benatzky, der inzwischen (1927) nach Berlin gezogen ist, mit großem Erfolg für die Musik verantwortlich. Dass diese starke Anleihen bei den Großen und Kleinen des Unterhaltungsmetiers nimmt, stört das Publikum nicht.
1930 ist für Benatzky in mehrfacher Hinsicht ein bedeutendes Jahr: er heiratet seine zweite Frau, die Solotänzerin Melanie Hoffmann, seine letzte Zusammenarbeit mit Charell gerät zum Welterfolg, und endlich kann er mit seiner Operette Meine Schwester und Ich – in Weiterentwicklung der Pariser Opérette-légère – auch seinen individuellen Stil konsequent durchziehen. Im Weißen Rößl lässt dies Charell noch nicht zu. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade ein Stück, an dem Benatzky verhältnismäßig wenig Anteil hat (wenn man bedenkt, wieviel eigene Libretti er vertont hat), ihn unsterblich machen wird. Von wem die Idee nun tatsächlich stammt, das erfolgreiche gleichnamige Lustspiel von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg (1897) als Operette auf die Bühne zu bringen – Charell auf Anregung Emil Jannings hin oder, wie er selbst behauptet, Benatzky –, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Charell zumindest ist es, der in seiner üblichen Manier die Arbeit an ein Künstlerteam delegiert: das Libretto verfasst der aus Brünn gebürtige erfahrene Dramatiker Hans Müller, Robert Gilbert (der auch den berühmten Foxtrott „Was kann der Sigismund dafür...“ komponiert) die Gesangstexte; zwei Einlagen stammen von Robert Stolz, je eine von Bruno Granichstaedten und Hans von Frankowski; das musikalische Arrangement der Tänze steuert Adam Gelbtrunk bei, die Instrumentation besorgt Eduard Künneke. Kein Wunder, dass Benatzky fürchtet, es könne der Eindruck entstehen, dem „Hauptunternehmer“ sei „wenig eingefallen“. Tatsächlich wird auch der Löwenanteil am überwältigenden Erfolg der Produktion dem Regisseur Charell gutgeschrieben. Die Streitereien um Filmrechte und Tantiemen sollen dann auch bis zu Benatzkys Tod und darüber hinaus andauern.
Sind im Weißen Rößl Versatzstücke des Operettenrepertoires noch einmal zusammengeklittert, um eine restaurative Idylle im monarchistischen Salzkammergut heraufzubeschwören, so ist das üppig verwendete Traditionsmaterial in Meine Schwester und ich ironisch gebrochen, der Griff in die Mottenkiste eine bewusste Referenz an ein versiertes Publikum, das die intertextuellen Verweise zu entschlüsseln vermag. Die Operette macht, konzentriert und pointiert, ihr Konstruktionsprinzip sichtbar und gelangt dadurch zu ihrem letzten Höhepunkt. Musikalisch setzt sich dieses Stück von der Tradition ab durch die homogenere Verknüpfung von Ton und Text, die im „leisen Chanson“ ihren innovativsten Ausdruck findet. Beinah unmerklich geht die Konversation in das Lied über, die Sprech- in die Singstimme. Die Musik orientiert sich an der Satzmelodik und akzentuiert beinah absichtslos durch Synkopen, durch jazzige Phrasierungen. Nicht mehr das hohe C des Tenors bestimmt die Aufführung, sondern die Darstellungskraft des „singenden ‘Schauspieler[s]’“. Auf ähnlich hohem Niveau stehen weitere Arbeiten der nächsten Jahre, wie Bezauberndes Fräulein! (1933), Das kleine Café (1934) oder der König mit dem Regenschirm (1935), wo er wieder eigene Libretti vertont. Ein letzter Triumph gelingt Benatzky mit dem musikalischen Lustspiel Axel an der Himmelstür, 1936 uraufgeführt am Theater an der Wien, das das deutschsprachige Publikum mit dem faszinierenden Kontra-Alt Zarah Leanders bekanntmacht.
Das politische Klima hat sich inzwischen dramatisch verändert. Bereits 1932 hat Benatzky, der die politische Entwicklung erstaunlich realistisch beurteilt, um den Erlös aus dem Weißen Rößl eine Villa in Thun/Schweiz erstanden, und sich dort mit seiner jüdischen Frau niedergelassen. Nach 1933 ist er gezwungen, seine Werke wieder in Österreich aufführen zu lassen, da er den Nationalsozialisten zunächst als Jude gilt. Wenn er auch seit 1929 Filmmusik und auch Drehbücher (mit-)verfasst (u.a. für Im Weißen Rößl (1935), Wer wagt, gewinnt (1935, mit Heinz Rühmann) oder Die Puppenfee (1936)), wird er für die Reichsfilmkammer erst wieder interessant, als sich der neue Ufa-Star Leander für ihn einsetzt. Für ihren ersten Ufa-Film „Zu neuen Ufern“ schreibt er so populäre Schlager wie Ich steh im Regen und Yes, Sir!. Doch die weitere Zusammenarbeit scheitert zum einen am „Arierparagraphen“, zum anderen an Benatzkys Emigrationsplänen. Schon längere Zeit fühlt er sich in Europa wie auf einem Vulkan, und nach dem Anschluss Österreichs (noch wenige Tage zuvor hatte er als einer der letzten von Bundeskanzler Schuschnigg das Ritterkreuz 1. Klasse verliehen bekommen) reist er mit Frau und Schwiegermutter nach Hollywood, einen lukrativen Vertrag von MGM in der Tasche. Doch auch die amerikanischen Filmstudios bekommen die Ereignisse in Europa zu spüren, es wimmelt plötzlich nur so von genialen Komponisten, Regisseuren, Schauspielern und Schriftstellern und man ist nicht mehr gewillt, Benatzkys Dienste zu den ausgehandelten Konditionen in Anspruch zu nehmen. Rechtsstreitigkeiten folgen und frustriert verlässt Benatzky Ende des Jahres 1938 die Staaten. Doch bereits fünf Monate später kehrt er wieder zurück, getrieben von der Angst, auch die Schweiz könnte annektiert werden. Ohne Aussicht auf Arbeit, von den Ersparnissen zehrend, erlebt nun Benatzky die bittersten Jahre seines Lebens. Trotz aller Versuche gelingt es ihm nicht, im kulturellen Leben Amerikas Fuß zu fassen, sein Ruf gilt hier nichts, seine Kunst ist nicht gefragt. Auch seine Übertreibungen (z.B. er habe bei zweihundert Filmen Regie geführt und die Musik dazu geschrieben, hunderte Rundfunkkonzerte dirigiert) fruchten diesmal nichts. Gedemütigt und enttäuscht kehrt er 1946 nach Europa zurück. Doch auch hier hat sich das Publikum geändert, und nur noch weniges gelingt ihm hier auf den Bühnen unterzubringen. Die Premiere seines musikalischen Lustspiels Der Revisor (1947, nach Gogol) in Zürich wird zum Desaster; lediglich mit seinen Übersetzungen amerikanischer Stücke, vor allem mit Gershwins „Porgy and Bess“, kann er bescheidene Erfolge verzeichnen. Kleinere Aufträge für den Film, die Arbeit am Lustspiel Die Liebesschule und an In Dur und Moll beschäftigen ihn die nächsten Jahre, doch fühlt er sich unverstanden und innerlich leer. Am 16. Oktober 1957 erliegt er in Zürich einem Herzschlag und wird auf eigenen Wunsch in St. Wolfgang/OÖ, dessen Ehrenbürger er sieben Jahre zuvor geworden ist, begraben.
Die Operette prägte das Leben Benatzkys, auch was deren Hang zum Vergrößern, zum pathetischen Klischee und zur Schönfärberei betrifft, hinter dem sich zugleich wieder die augenzwinkernde Aufforderung verbirgt, den schönen Schein zu durchschauen. Wenn also sein Œuvre auch nicht die Dimensionen besitzt, die Benatzky ihm mystifizierend gibt (so spricht er bereits 1928 von etwa 5000 Chansons, später von 110 „Dramatica“), beachtlich ist es allemal, und nicht wenig gäbe es zu entdecken in den über 1000 Chansons, den beinahe 60 Bühnenwerken und Drehbüchern, in seinen Feuilletons, Essays und Übersetzungen. (Christian Neuhuber, Olmütz)
Bibliografie
Auf Einzelveröffentlichungen von Liedern und Chansons kann im Folgenden ebenso wenig eingegangen werden wie auf manche bislang unveröffentlichte Typoskripte (etwa der Tagebücher 1919 - 1957), auf einzelne Feuilletons, Essays und andere Beiträge in diversen Zeitungen und Zeitschriften. Hier sei auf die ‘Stiftung Archiv der Akademie der Künste’ in Berlin als Hüterin des Nachlasses verwiesen.
Wenn nicht anders angegeben, sind Text und Musik von Ralph Benatzky.