F. T. Bratranek wurde am 3. November 1815 in die Familie eines Herrschaftsbeamten in der südmährischen Ortschaft Jedovnice, östlich von Blansko, geboren. Sein Vater war Tscheche, seine Mutter stammte aus dem deutschmährischen Kleinadel von Hetzendorf. Die Grundschule und das Gymnasium besuchte Bratranek in Brünn. 1834 trat er in das Augustinerkloster in Alt Brünn ein, dessen Abt, Cyrill Napp, ihn zur weiteren Ausbildung an die Wiener Universität schickte. In Wien wurde Bratranek u. a. mit Goethes Schwiegertochter Ottilie, geb. von Pogwisch, und ihren Söhnen Walter und Wolfgang bekannt. Dieser Umgang ermöglichte ihm einerseits den Zugang zu den gebildeten Kreisen der höheren Gesellschaft, andererseits wurde so der Grundstein für seine lebenslänglichen Goethestudien gelegt. Im Salon der Josephine von Wertheimstein begegnete er auch dem Schriftsteller Ferdinand von Saar, der ihn in seiner Erzählung Innocens (1866) in der Gestalt des Priesters abgebildet haben soll. Nachdem Bratranek 1839 den Doktorgrad erlangt hatte, wirkte er kurz als Sekretär des Abtes, 1841-43 war er Adjunkt (Assistent) von Prof. I. J. Hanuš an der Philosophischen Fakultät in Lemberg, der Hauptstadt des österreichischen Galiziens.
In dieser Zeit erreichte Bratraneks Gedankenentwicklung in Anlehnung an die spekulativen Systeme des deutschen Idealismus (J. G. Fichte, F. W. J. Schelling, G. W. F. Hegel) ihren Höhepunkt. Der Grundstein zu dieser Orientierung wurde bereits in Wien gelegt; jetzt galt sein Interesse jedoch auch der junghegelschen radikaldemokratischen Publizistik (B. u. E. Bauer, D. F. Strauß, M. Stirner, L. Feuerbach, A. Ruge, O. Wigand) und streifte sogar den rechten Sozialismus (K. Grün, G. Biedermann, L. v. Stein). Auf seinen Ferienreisen ins Ausland konnte Bratranek mit bedeutenden Repräsentanten des literarischen und wissenschaftlichen Lebens in Deutschland (F. W. J. Schelling, T. Mundt, W. Grimm, K. Varnhagen von Ense, A. Trendelenburg) auch persönliche Kontakte knüpfen und die letzten Neuerscheinungen der philosophischen Literatur erwerben, die in Österreich verboten waren.
Seine neu erworbenen, manchmal sehr radikalen Ansichten konnte Bratranek allerdings nur in seiner Privatkorrespondenz oder im Chiffreslang der spekulativen Philosophie offenbaren. Den ersten, ziemlich gewagten Versuch, sie zu publizieren, machte er in der Abhandlung Zur Entwicklung des Schönheitsbegriffes (1841). Eine gründliche und systematische Bearbeitung seiner neuen Weltanschauung stellt jedoch das unlängst entdeckte Werk Neue Bestimmung des Menschen (1841) dar, das erst 2001 veröffentlicht werden konnte. In diesen Arbeiten erklärt Bratranek als das adäquate Werkzeug für die Erläuterung aller Wirklichkeit (auch aller theoretischen Forschung sowie praktischen Wirkens) die genetische Methode und deren Schlüsselbegriff, die Innigkeit. Die Innigkeit ist der einzige göttliche Grund des Lebens. Die Welt- sowie Menschenentwicklung besteht im aufsteigenden Prozess der Aufhebung der ursprünglichen Entzweiung des Unendlichen in die Momente der Natur und des Geistes. Die Natur ist der Inbegriff aller endlichen Existenzen, in welchen sie ihre einzelnen Potenzen in gegenseitiger Isolierung entwickelt; im Menschen werden dagegen diese Potenzen in die Momente eines Organismus verwandelt. Das Tierreich ist gleichsam der auseinandergelegte Mensch (L. Oken). Dasselbe Prinzip beherrscht auch den geistigen Organismus und die Tätigkeit des Menschen. Der aufsteigende Prozess der Vermittlung zwischen dem Welt- und Selbstsein erreicht seinen Gipfel in der Trichotomie Religion, Kunst und Wissenschaft. Die Wissenschaft (Philosophie) ist so die höchste Stufe der Welterfüllung der Innigkeit. Die Hegelsche Provenienz der Konzepte Innigkeit und der genetischen Methode stehen außer Zweifel (dialektische Methode, Geist); relativ originell ist aber deren Entwicklung und Anwendung durch Bratranek. Auf dieser Grundlage betrachtete er die brennenden Probleme seiner Zeit sowie des eigenen Denkens und Wirkens: Religion, Demokratie, Nationalismus, Kunst.
Schon die weltoffene Atmosphäre im Alt Brünner Kloster entfremdete Bratranek bald der kritiklosen Orthodoxie. Von den Universitätsstudien in Wien kehrte er nach Brünn eher als idealistischer Weltweiser als als katholischer Gottesgelehrter zurück. Wenn er von der Wahrheit des Geistes sprach, wussten Eingeweihte, dass er nicht den christlichen, sondern den Hegelschen Geist im Sinne hatte. Er sprach von der Religion auch in den Kategorien der Abhängigkeit von einer höheren Macht (F. E. D. Schleiermacher) oder sogar des entfremdeten menschlichen Gattungswesens (L. Feuerbach). Die damaligen Reformbestrebungen des Deutschkatholizismus lehnte er barsch ab: Dessen Führer (J. Ronge) benehme sich nur als Flickschuster, doch wir brauchen keine Stiefel mehr!
Diese Erklärung lässt uns Bratraneks eigenes Verhalten verstehen: Zwar hatte er nicht genug Mut aufgebracht, um mit der Kirche zu brechen, jedoch hielt er sich möglichst fern vom Alt Brünner Kloster auf, und als 1867 ein neuer Abt gewählt werden sollte, lehnte er die angebotene Kandidatur ab und lies sich im Gegenteil säkularisieren.
Einen großen Einfluss auf Bratraneks politische Überzeugung übten die linken Hegelianer und geschichts- und kunstphilosophische Ansichten aus. Er war besonders von ihrer Forderung, von der Theorie (Philosophie) zur Praxis (Politik) überzugehen (A. Ruge), fasziniert. 1846 schrieb er: „In der Tat sind wir theoretisch fertig! und solange nicht eine neue Weltordnung eintritt, kann die Philosophie auf Pension gesetzt werden.“ Die schwierigen Verhältnisse des revolutionären Jahres 1848 verwirrten und erschreckten ihn zunächst; er fragte sich, was dabei am Ende herauskommen würde: Ein Rassenkrieg, wie die böhmische Partei ihn zu beabsichtigen schien? Ein Militär- oder ein Proletarierterrorismus? Oder gar russische Hilfe? Den Sieg der Kräfte der alten Ordnung begrüßte er dann sarkastisch: „Gott segne übrigens die Reaktion und ihre Studien, denn wenn auch nicht heute oder morgen, also nicht zu Gunsten meiner Erlebnisse, wird die Revolution heftiger als je aus dieser hintangehaltenen Ghrung hervorbrechen! Pereant!“ Die Unterdrückung der Volkserhebung hielt er also keineswegs für deren definitive Niederlage. Als er 1851 im Rückblick über seine Abhandlung Des Lebens Urworte aus dem Jahre 1843 zu sprechen kam, gestand er melancholisch, jedoch nicht resigniert, dass sie eine der vielen Illusionen geworden sei, welche den Prozess des Werdens mit der Theorie zu fördern meinten: „Jetzt sind wir über dieses Grünsein, dank den Dingen, die geschehen, hinaus, die Praxis wird entscheiden.“
Bratraneks demokratische und humanistische Philosophie der Politik und Kultur kann am besten aufgrund seiner Betrachtungen über die Problematik der Nation und des Nationalismus erläutert werden. Kein Wunder. Es handelte sich um sein persönliches Lebensproblem. Die Forderung des Räubers „Geld oder Leben!“ schien ihm noch honett im Vergleich mit der Alternative „Slawe oder Deutscher!“, denn diese stellte ihm nur den Tod in Aussicht. Er wollte beides sein und bleiben. Die Rechtfertigung seiner Einstellung fand er im Paradigma der dialektischen Einheit der Gegensätze: Das, was auf den ersten Blick einzelne Menschen sowie ganze Völker zu trennen scheint, erweise sich nach Bratranek bei näherer Betrachtung als der beste Kitt ihrer Einheit. Den abstrakten Kosmopolitismus lehnte er aber ab. Zur Humanität könne man nicht direkt, durch Verfolgung allgemeinmenschlicher Zwecke, sondern nur durch den vollkommenen Ausdruck der eigentümlichen Art seines Volkes gelangen. Andererseits könne die Rechtfertigung jeder nationalen Kultur nur in ihrem humanistischen Wesen gesucht werden. Die erstrangige Aufgabe der Gegenwart sei deshalb, alle Völker zu der Erkenntnis zu führen, dass sie - indem sie sich um die Darstellung und Durchsetzung ihrer Eigentümlichkeit bemühen - jedes auf seine Weise um dasselbe, nämlich um die Verwirklichung der Humanität bemüht sind, und dass sie sich deshalb zur friedlichen Zusammenarbeit die Hände reichen sollen.
Bratranek war bestrebt, sich auch in seinem Leben, als Lehrer und Wissenschaftler, nach diesen Grundsätzen zu richten, was zu seiner Zeit allerdings nicht leicht war. Dankbar gedachte er seiner tschechischen Kindheit, insbesondere seiner Großmutter väterlicherseits, die ihm den Schatz der mährischen Märchen und Sagen vermittelt hatte. Während seiner Studien wurde er allerdings von der höheren deutschen Bildung fasziniert; er gewährte den tschechischen kulturellen Bestrebungen aufrichtige Sympathien, glaubte jedoch nicht, dass die tschechische Kunst und Wissenschaft je der deutschen an Kraft und Bedeutung gleichkommen könnte. Eine solche Gesinnung mussten allerdings die nationalbewussten Tschechen als kleinmütig, ja beleidigend hinnehmen.
In der zweiten Hälfte der 40er Jahre hat der Aufschwung der tschechischen nationalen Bewegung Bratranek zeitweilig in näheren Kontakt mit den Mitgliedern der Böhmisch-Mährischen Brüderschaft (F. M. Klácel, I. J. Hanuš, L. Hanušová, B. Němcová, J. Helcelet, V. Vrbková) gebracht; er nahm sogar an ihren Zusammenkünften (Hory Matky Boží) teil. 1851 wollte Bratranek trotz seiner Skepsis seine Pionierleistung auf dem Gebiete der vergleichenden Literaturwissenschaft zunächst tschechisch herausgeben. J. Helcelet sollte sie in die Zeitschrift Koleda aufnehmen; als dies infolge des Druckes der klerikalen Kreise auf die Moravská národní jednota (den Herausgeber der Koleda) misslang, versuchte B. Němcová die Abhandlung O příměrech literatury polské a německé bei V. B. Nebeský im Časopis českého museum in Prag unterzubringen. Erst nachdem auch dieser Plan an dem nachrevolutionären Defätismus gescheitert war, veröffentlichte Bratranek seine Arbeit unter dem Titel Parallelen zwischen der deutschen und polnischen Poesie 1853 in den Österreichischen Blättern für Literatur und Kunst in Wien, die doch ein bisschen freisinniger waren. So waren es eigentlich der Defätismus und Konservatismus der tschechischen Herausgeber, die den Eintritt Bratraneks in die tschechische Wissenschaft vereitelten.
Wegen der Uneindeutigkeit, ja Zwiespältigkeit seiner Haltung in der nationalen Frage geriet Bratranek mehrere Male in seinem Leben in Schwierigkeiten. Im Juni 1848 berichtete er z. B. (gemeinsam mit I. J. Hanuš und J. Helcelet) vor dem Wiener Sicherheitsausschuss von dem brutalen Vorgehen des Generals Windischgrätz gegen den Prager Pfingstaufstand und widerlegte die Behauptungen der chauvinistischen deutschen Presse, die den General als Erretter Deutschlands vor einer panslawistischen Verschwörung verherrlichte; unmittelbar darauf reiste er jedoch nach Prag, um seine tschechischen Freunde von der Notwendigkeit der Teilnahme der böhmischen und mährischen Abgeordneten an den Verhandlungen des Frankfurter Parlaments zu überzeugen, wodurch sie den Anschluss der Böhmischen Länder an Deutschland gutgeheißen hätten. Als dann 1850 sein Handbuch der deutschen Literaturgeschichte erschien, das unter den damaligen Verhältnissen ziemlich freisinnig konzipiert war, beschuldigte ihn sein Freund I. J. Hanuš, er wollte dadurch nur die Gunst der siegreichen deutschnationalen Partei in Wien gewinnen.
Die unerträgliche Atmosphäre im vormärzlichen Österreich ließ Bratranek schon 1843 den verzweifelten Plan der Flucht aus seinem Vaterlande, aus dem Orden, ja aus der katholischen Kirche fassen. Ausgestattet mit Empfehlungsschreiben von Ottilie von Goethe unternahm er eine Reise nach Berlin, um sich um einen akademischen Posten in Preußen zu bewerben. Sein gewagter Versuch scheiterte damals an der Abwesenheit des Ministers Eichhorn, der allein in einem solchen Fall das entscheidende Wort hatte. Die vergebliche Berlinreise bedeutete für Bratranek nicht nur den Schiffbruch eines konkreten Vorhabens, sondern einen nicht mehr wiedergutzumachenden Bruch in seinem ganzen Leben. Er wiederholte den Versuch, Freiheit zu erringen nicht mehr, sondern akzeptierte die gegebenen Verhältnisse notgedrungen. Wie durch eine Ironie des Schicksals wurde Bratranek bald nach seinem Berliner Abenteuer beauftragt, Vorträge am Brünner Philosophischen Institut zu halten (1844), von dem sein Klosterbruder F. M. Klácel wegen seiner Slawomanie und Hegelianismus abgesetzt worden war. Von Bratraneks philosophischen Präferenzen hatten seine Vorgesetzten, wie es scheint, keine Ahnung. So konnte der enthüllte Hegelianer durch einen geheimen ersetzt werden.
Im Jahre 1851 wurde Bratranek zum außerordentlichen Professor der deutschen Literatur an der Jagiellonischen Universität in Krakow (Krakau), der Hauptstadt des österreichischen Teils Polens, ernannt, wo er dann volle 30 Jahre wirken sollte. Die Berufung schien ihm ein willkommenes Entkommen aus den drückenden Verhältnissen in Brünn zu bieten. Der Aufenthalt im österreichischen Polen hat ihn zwar von seinen tschechischen Freunden und ihren Bestrebungen abgebracht, doch andererseits konnte er sich jetzt seinen philosophischen Interpretationen Goethescher Werke und Editionen von Goethes Korrespondenzen widmen. Außerdem bot sich ihm der Anlass und die Gelegenheit, sein Augenmerk auf die deutsch-polnischen literarischen Beziehungen zu richten (J. Szujski, W. Pol, A. E. Odyniec) und dabei nicht nur als Interpret und Übersetzer, sondern auch als Komparatist wertvolle Beiträge (J. W. Goethe - A. Mickiewicz u. a.) zu verfassen.
Auch während seiner Krakauer Verbannung blieb Bratranek im regen Gedankenaustausch mit seinen Freunden in Brünn und Wien, jetzt allerdings vorwiegend schriftlich. Neben F. M. Klácel, I. J. Hanuš und R. Eitelberger kam dabei Frauen - Ottilie von Goethe, L. Hanušová, B. Němcová - eine besondere Rolle zu. Die Äußerung A. Kleczkowskis, Bratranek teile demokratische Ansichten von der Gleichheit des Rechts und der Arbeit, unterlag jedoch der aristokratischen Kultur, insbesondere der großen Damen, wobei der Ausdruck große Damen als groß an Geist verstanden werden sollte.
Dass er die Prüfung der Zeit auch als Dekan der philosophischen Fakultät (1864 - 1865) und Rektor der Universität (1866 - 1867) würdig bestand, bezeugt die Tatsache, dass es ihm gelang, trotz der Germanisierung der Universität unter Bachs Absolutismus (50er Jahre) das Vertrauen seiner polnischen Kollegen und Studenten zu gewinnen, und dass man - als nach dem polnischen Aufstand 1863 die Universität wieder polonisiert wurde - speziell für ihn eine Ausnahme machte: Er konnte im Amt bleiben, obwohl er nur deutsch vortrug. Im Jahre 1881 wurde Bratranek in den Ruhestand versetzt und kehrte nach Brünn zurück. Am 02.08.1884 starb er im Alt Brünner Augustinerkloster.
(Jaromír Loužil, Prag)
Nachlass:
- F. T. Bratraneks Nachlass: Státní oblastní archiv, Fonds Alt Brünner Kloster
Einzelne Schriftstücke:
- Národní muzeum v Praze, Handschriftenabteilung der Bibliothek
- Náprstkovo muzeum v Praze, F.-M.-Klácel-Nachlass
- Památník národního písemnictví v Praze, Literaturarchiv, I.-J.-Hanuš-Nachlass