Johann Gabriel Anderle wurde am 3. April 1899 in Zlabings Nr. 108 (heute in Südböhmen) als Nachkomme einer alteingesessenen südböhmischen Brauerfamilie in Zlabings geboren[1] und starb am 27. Juni 1957 in Krieglach in der Steiermark.
Anderle genoss mit seinen Geschwistern in Zlabings eine sorglose Kindheit, was für ihn eine maßgebliche Bedeutung hatte. Als kleiner Junge beteiligte er sich in der Zlabingser Kirche der Himmelfahrt der Jungfrau Maria als Ministrant an den Messen des Zlabingser Priesters Theodor Deimel [2], der als großer Kunst- und Literaturliebhaber Anderle in die Welt der Dichtung einführte. Er hinterließ in Anderle starke Erinnerungen, die im Zyklus von 12 Gedichten mit dem Titel Zlabings, eine Heimatandacht (erschienen 1927) ihren Niederschlag fanden.
Mit elf Jahren kam er an das Iglauer Gymnasium, wo er in der zweiten Klasse prof. Emil Hadina [3] als Klassenlehrer bekam. Hadina hatte auf den jungen Anderle einen großen Einfluss, regte ihn zu seinen ersten Dichtungsversuchen an und „legte die grundlegenden ästhetischen und ethischen Werte in die Seele Anderles“.[4] Im Jahre 1913 zog die Familie nach Krems an der Donau um, wo Anderle seine Gymnasialstudien fortsetzte. Hier begann er auch intensiv zu schreiben und sein erstes Gedicht erschien an seinem 15. Geburtstage in einem heute nicht mehr existierenden Wiener Blatt.
Im März 1917 ging er zuerst mit Kriegsbegeisterung an die Front des Ersten Weltkrieges. Seine kriegbegeisterten Gedichte aus dieser Zeit, in denen eine „starke Hoffnung auf völkische Erneuerung“[5] ausgedrückt wird, erschienen in der Berliner Zeitung „Neues Leben“. Er wurde zum Offizier ausgebildet und in einem Infanterie-Regiment in Oberitalien in der Piaveschlacht eingesetzt. Am 17. Juni 1918 wurde er im Gesicht schwer verwundet, geriet in italienische Gefangenschaft und blieb bis August 1919 im Forte Sperone in Genua inhaftiert. Die schrecklichen Erlebnisse, die den ursprünglichen Enthusiasmus ablösten, beschrieb er in den Novellensammlungen Die Mauer. Miterlebte Geschichten und Schmerzhafter Rosenkranz, die beide im Jahre 1925 herausgegeben wurden. Die Gedichtsammlung Der farbige Abglanz, die einige Monate früher entstanden ist, als Anderle als Gefangener nach Genua gebracht worden war, trägt noch optimistische Töne, inspiriert durch die Schönheit der italienischen Städte. Im gleichen Jahr erschien die inhaltlich ähnlich gestaltete Sammlung Traum im Alltag. Beide wurden von der damaligen Kritik sehr positiv angenommen. Prof. Gregori aus Berlin verglich Anderle sogar mit Arno Holz (1863 - 1929)[6]. Beim Publikum sehr beliebt waren auch seine Ergötzliche Geschichten (1925).
Nach Hause kehrte Anderle erst im August 1919 zurück, legte sein Abitur ab, aber konnte in seinen Studien nicht mehr fortsetzen. Er wurde Bankbeamter und gleichzeitig widmete er sich seiner schriftstellerischen Leidenschaft. Im Jahre 1924 heiratete er Nelly Soft (u.a. Mitarbeiterin an dem seinerzeit sehr populären „ersten großen, erfolgreichen deutschen Blatt“ „Gartenlaube“[7]), mit der er drei Söhne hatte.
Er arbeitete auch als Journalist, schrieb Beiträge u.a. für die „Jugend“, „Reclam“, „Muskete“, „Türmer“ und viele andere Blätter.[8] In den 30er Jahren wurde ihm der Tschechoslowakische Staatspreis für deutsche Dichtung zugesprochen[9], den 1928 auch Franz Werfel bekommen hatte. In dieser Zeit schrieb er auch unter dem Namen Hanns Anderle für die deutschen Zlabingser Blätter „Zlabingser Nachrichten“ und „Zlabingser Wochenblatt“ vor allem kurze Erzählungen und humorvolle Gedichte und festliche Hymnen an Südmähren. Letztere sind aber meistens zu pathetisch und statisch; der Autor benutzt kitschige Metaphern, dank deren er versucht, so farbig wie möglich die Schönheit seiner Heimat und seine Liebe zu ihr und zu den Menschen, die dort leben, zu ihren Traditionen und Sitten zu schildern. Anders ist es bei seinen Prosatexten, die witzig und ernst sind, spannend und auch melancholisch, mit einem zwar zu erwartendem, aber stilistisch und sprachlich gut pointierten Schluss. Im „Zlabingser Wochenblatt“ wurde vom 22.12.1932 bis 30.3.1933 auf Fortsetzung seine Heimat- und Krimi-Erzählung Wem nie durch Liebe Leid geschah... Eine Erzählung aus der Heimat in Fortsetzung abgedruckt, welche die Geschichte von Anderles Großmutter erzählt. Der Erzähler wendet sich als Vertrauter an die Leserschaft, d.h. an seine Landsleute, und führt sie so unauffällig in den Zug der tragischen Ereignisse ein, die aber mit einem guten Schluss enden. Als eine wahrhafte Schelmerei wird eine andere Geschichte in der Erzählung Der Simanderl (selbstständig schon 1929) geschildert, die auch im „Zlabingser Wochenblatt“ erschien, und zwar ab 6.4.1933. Die Hauptfigur ist der achtzigjährige Greis Simanderl, der durch seine Schelmenstreiche seine Umgebung ins Staunen bringt, aber dank seiner gutmütigen Listigkeiten jede anscheinend unlösbare Situation regelt. In seinen Erzählungen benutzt Anderle oft kürzere Exkurse, die stilistisch vom allgemeinen erzählerischen Rahmen abweichen, um entweder eine geschichtliche Weisheit auszusprechen oder um auf die unendliche Schönheit der Zlabingser Landschaft oder der löblichen Eigenschaften ihrer Einwohner aufmerksam zu machen.
1938 zog Anderle mit seiner Familie nach Linz. Neben seiner journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeit war er vom Sommer 1938 bis Ende August 1939 für das Gaupresseamt Oberdonau als Schriftleiter tätig. Während des Zweiten Weltkrieges war er Mitglied der von Joseph Goebbels gegründeten Reichspressekammer und Reichsschrifttumskammer und erlangte für näher nicht bekannte Verdienste das Eiserne Kreuz II. Klasse. Inwieweit Anderle auch politisch aktiv war, ist nur schwer zu rekonstruieren, er hatte jedoch zeitweise Beziehungen zur NSDAP (9.4.1929-1.11.1929, 1.5.1933-?).[10] Während des Krieges wirkte Anderle in einer Propaganda-Kompanie der Wehrmacht als Kriegsberichterstatter an der Ostfront. Er erlitt dort eine schwere Schießverletzung, die dauerhafte Folgen hatte – er verlor ein Auge und das Hörvermögen an einem Ohr. Sein weiteres Schicksal im Krieg ist unklar.[11]
Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ sich Anderle als freier Schriftsteller im österreichischen Krieglach nieder. Neben seiner journalistischen Tätigkeit widmete er sich der Arbeit an seinem Heimatroman Mürztaler Heimatroman, dessen Held der steirische Volksbildner Jakob Eduard Schmölzer[12] ist, der sich in seiner Tätigkeit vor allem auf das volkstümliche Schaffen konzentrierte, besonders auf das Volkslied. Anderle setzte sich auch für die Erhaltung des Erbes des steirischen „Nationalautors“ Peter Rosegger[13] ein und war bis zu seinem Tod Kurator des Peter Rosegger-Museum in Krieglach.
Viele Beiträge, Gedichte aber auch Volksarbeiten publizierte Anderle im Südmährischen Jahrbuch, z. B. drei Gedichte im Jahre 1952. Im Jahre 1969 wurde posthum die Sammlung Hirt ohne Herde herausgegeben, die er in memoriam seinem Lehrer Theodor Deimel widmete. Seine schriftstellerische Tätigkeit umfasst zudem Gedichte oder ganze Gedichtsammlungen, von den noch nicht genannten Das Kreuz im Herzen (1934), weiter dann die Erzählung Die Hochzeit von Cepoy (1945), einen Roman Das Geheimnis der weißen Rose (1931), Jahrbücher verschiedenen Inhalts wie 800 Jahre Krieglach. Heimatbuch (1948) oder Peter Rosegger persönlich (1951).
(Petra Knápková, ergänzt von Adam Vlček)
[1] Vater: Mathias Anderle (geb. 14.1.1862 Budweis, Bräuer in Zlabings), Mutter: Adolfine Pabisch (geb. 15.9.1870 Zlabings), verh. 17.11.1896
[2] Theodor Deimel (30.10.1866 Zlabings – 28.12.1952 Wien) – katholischer Theologe, Patristiker und Heimatforscher.
[3] Emil Hadina (16.11.1885 Wien – 7.4.1957 Ingolstadt) – Lehrer und Schriftsteller.
[4] Kleiner, Karl: Hanns Anderle, unser südmährischer Heimatdichter. In: Zlabingser Wochenblatt (6.4.1933).
[5] Ebda.
[6] Ebda.
[7] Erschien in den Jahren 1853-1944.
(http://www.swarthmore.edu/Humanities/ssimon1/popular_culture/gartenlaube.htm)
[8] Monatshefte für die deutsche Familie (Redakteur, 1930-1934); Niederösterreichische Land-Zeitung (Schriftleiter, -1938, Krems); Donauland, Beilage der Niederösterreichischen Land-Zeitung (Schriftleiter, 1930-1934, Krems); Donaupost (Gründer und Herausgeber, 1928-1938, Krems); Niederösterreichische Alpenpost, Nebenausgabe der Niederösterreichischen Donau-Post (Schriftleiter, 1933-1938, St. Pölten); Volksstimme (Lokal-Schriftleiter, Sommer 1938-31.5.1939, Linz); Faber (Schriftleiter, 1928-1938); St. Pöltner Nachrichten (Schriftleiter, -1938, St. Pölten).
[9] Kleiner, Karl: Hanns Anderle, unser südmährischer Heimatdichter. In: Zlabingser Wochenblatt (6.4.1933).
[10] Baur, Uwe/Gradwohl-Schlacher, Karin: Literatur in Österreich 1938-1945: Handbuch eines literarischen Systems, Bd. 3, Oberösterreich. Böhlau Verlag: Wien/Köln/Weimar 2014.
[11] Ebda.
[12] J.E. Schmölzer (1812 Graz – 1886 Oberkindberg/Steiermark) – Komponist und Flötenspieler.
[13]