Erwin Ott wurde 1892 in der fast rein deutsch besiedelten Stadt Jägerndorf in Österreichisch-Schlesien geboren. Nach der obligaten Volksschule und der Oberrealschule dort besuchte er den vierten Jahrgang der Lehrerbildungsanstalt in Troppau. Diese höhere, aber nicht akademische Ausbildung befähigte ihn zur Annahme der Stelle eines Lehrers an der Bürgerschule in seiner Heimatstadt, an welcher er später zum Fachlehrer avancierte. Er fand im Gegensatz zu so vielen anderen mährischen Schriftstellern nie den Weg in eine der Metropolen oder auch nur Großstädte und verbrachte sein ganzes Leben in seiner, aus kultureller Sicht „provinziellen“ Heimat, lediglich unterbrochen durch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg, der zugleich seinen Wandel zum Dichter evozierte.
Erwin Ott nahm als Freiwilliger ab 1914 am Weltkrieg an der Südfront teil und geriet an dessen Ende in italienische Kriegsgefangenschaft. Im Internierungslager in Monte Cassino begann er 1919 mit der Niederschrift von Das Ende, die er nach seiner Heimkehr 1920 fertigstellte, „also lange vor dem Einsetzen der Flut der Kriegsdichtungen der letzten Jahre“, wie er selbst im Geleitwort zu dem erst 1930 erschienenen Roman betont. Inwieweit in der dazwischen liegenden Dekade nur „geringfügige Streichungen“ vorgenommen wurden oder ob der Roman nicht doch durch die „literarische Wiedergeburt des deutschen Weltkriegs“ (H. Cysarz: Zur Geistesgeschichte des Weltkriegs. Niemeyer, Halle 1931, S. 124) 1928 inspiriert wurde, muss aufgrund fehlender Manuskripte offen bleiben. Jedenfalls verdankt der Roman seine Veröffentlichung sicherlich mehr dem überragenden Publikumserfolg der Werke von Remarque und Renn als der Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener in der Tschechoslowakei, die die Drucklegung letztendlich förderte.
Im Gegensatz zu allen anderen Bearbeitungen des Weltkriegsthema konzentriert sich Erwin Ott auf den Zusammenbruch der Front 1918, auf die Auflösungstendenzen des österreichisch-ungarischen Heeres und beider psychologischen Auswirkungen auf die Frontkämpfergeneration. Als Sinndeutung des Kriegsgeschehens werden zwei unterschiedliche Modelle angeboten, die jeweils durch eine Hauptfigur des Romans repräsentiert werden. Hauptmann Ringhart, dessen pathetisches Pflichtbewusstsein durch Desillusion und zynische Rationalität gebrochen ist, sieht den Krieg als notwendiges Mittel zur Auseinandersetzung zwischen aufstrebenden und absterbenden Kulturen. Er vertritt damit eine an Oswald Spengler angelehnte Geschichtsphilosophie, die sich allerdings weitestgehend durch das Wissen um die immerwährende Wiederkehr des Gleichen einer Fortschrittsperspektive widersetzt. Sein Konterpart, der idealistische und kaiserergebene Dichter und Leutnant Wiegeland, der mit vielen autobiographischen Elementen ausgestattet ist, erachtet den Krieg ebenso als Notwendigkeit, jedoch als einmaligen ekstatischen Ausbruch zu einer grundlegenden Lebens- und Gesellschaftsreform:
O Herr, laß mich diese gesegnete Zeit erleben! Wo jeder ein Baumeister sein wird auf seine Art! Und doch dem großen Ziele untergeordnet: der Kultur und dem Fortschritt, die diesem ungeheueren Kriege folgen müssen! (Das Ende, S. 71f.)
Beide Sinndeutungen zerbröckeln im Verlauf des Romans. Das sinnbildlich verstandene Ende zertrümmert zugleich die ideelle Vorstellungswelt der Figuren, die sudetendeutsch-großdeutschen Erwartungen und die Habsburgermonarchie.
Wegen der verzögerten Veröffentlichung seines Kriegsromans wurde Erwin Ott der Öffentlichkeit aber zunächst durch zwei andere Romane bekannt. 1922 erschien im Verlag der Brüder Stiepel in Reichenberg der Hölderlin-Roman Erloschenes Licht, der sich im Gegensatz zur zeitgenössischen Forschung neben der einfühlsamen Beschreibung der allmählichen Verwirrung über weite Strecken der Jugend des Dichters annimmt. Eine Perspektive, die später in ähnlicher Weise von Peter Härtling in seiner Bearbeitung Hölderlins eingenommen wurde. Mit diesem verbindet Erwin Ott auch eine Schreibweise, die schon von Otto Arnold in einer frühen Rezension bemerkt wurde. Denn an seiner äußerst wohlwollenden Begutachtung des Romans „kann auch die manchmal indirekte Charakterisierung Hölderlins, durch Verwendung einzelner Stellen aus seinen Werken nichts ändern“ (O. Arnold in Höhenfeuer 2. Jg. 1922, 10. Folge, S. 32). Was für die bundesrepublikanische Kritik einen gewichtigen Vorzug in Härtlings Werk darstellte, kam demnach für das Publikum der 20er Jahre zu früh.
Der Künstlerproblematik blieb Erwin Ott auch in seinen nächsten Werken verbunden. Nach vierjähriger Pause erschien 1926 zunächst Der Wanderer, dessen Titelfigur, eine fiktive Dichtergestalt, auf dem Weg zu seinem heimatlichen Sterbeort sein Leben Revue passieren lässt. In einer Art schwarz-weiß Technik werden die Figuren des Romans präsentiert, jedoch nicht in einer gut-böse Schattierung, sondern in der Polarität Suchender-Verharrender. Dieser Polarität sind die Figuren so untergeordnet, dass man eher von Typen sprechen müsste, wofür auch die Namensgebung steht. Der Wanderer selbst heißt „Ewigsucher“, eine seiner Liebschaften „Maria Unterwegs“ und deren ehemaliger Freund wiederum „Karl Knecht“. Die Liste ließe sich mit einigem Amüsement fortführen, würde aber den Text überbewerten, der sicherlich zu den schwächeren Arbeiten Erwin Otts zählt. Er findet darin aber seinen besonderen, später perfektionierten Stil: episodenhafter Verlauf der Handlung, auffallend hypotaktischer Satzbau, Wechsel zwischen Pathos und resignierendem Zynismus, abrupter Übergang von Erzähler- und Dialogpassagen.
Nach Der Geiger Christian (1933) schließt die erste Phase von Erwin Otts Schaffen mit dem Lenau-Roman Durch blonde Disteln saust der Wind, der nach seinem Erscheinen 1935 bis zum Ende des Weltkriegs noch zwei Auflagen erlebte und sein erfolgreichstes Werk wurde. Der Erfolg hängt sicher mit den Zugeständnissen zusammen, die er hier an den Publikumsgeschmack machte. Viele seiner erzählerischen Spezifika sind eingedämmt und die von Arnold im Hölderlin-Roman kritisierte „indirekte Charakterisierung“ durch lyrische Einsprengsel wurde ganz fallen gelassen. Der Text beschreibt Lenaus Lebensweg von der Rückkehr aus Amerika bis zu seinem Ende, konzentriert sich dabei ganz auf das Scheitern des Künstlers im Leben. Trotz einiger einfühlsamer Beobachtungen und psychologischer Erklärungen, verbleibt der Roman zu sehr auf der äußerlichen Beschreibung des Schemas Liebe-Trennung-Verzweiflung-Wahnsinn-Tod. Er gewinnt dadurch an Spannung und Erzählgeschwindigkeit, verliert aber im gleichen Maße durch Rührseligkeit und falsche Tragik.
Eingeschoben zwischen die Künstlerromane schuf Erwin Ott mit Das Drama der sieben Tage (1932) einen der seltsamsten und dunkelsten Texte der deutschsprachigen Literatur der Zwischenkriegszeit. Der kurze Roman, die Angabe Drama im Titel bezieht sich allein auf die Handlungsebene, setzt mit dem Einbruch eines Fremden aus der Stadt in die einsame Lebenswirklichkeit des Mädchens ein, das zusammen mit seinem Großvater und dem „Waldmenschen“ eine ärmliche, dem Toben der Natur ausgesetzte Hütte bewohnt.
Die Vorgehensweise aller Figuren ist durch eine globale Umweltkatastrophe motiviert. Alle Staaten der Welt, die nur grob durch ihre Himmelsrichtung bezeichnet werden, sind von einer neuen Eiszeit bedroht, deren einschneidenste Folge in einer akuten Verknappung der Lebensmittel besteht. Das Regierungssystem des von Ott beschriebenen Staates ist monarchisch, obwohl die soziale Schichtung hinsichtlich Kapitalbesitz, Arbeitsteilung und persönliche Freiheit eher dem von Karl Marx in der Deutschen Ideologie beschriebenen Endzustand der kommunistischen Gesellschaft entspricht. Die als modern gekennzeichnete Welt (erkenntlich am Stand der Industrialisierung und den technischen Errungenschaften) wird durch einzelne Figuren (Henker, Hofnarr), die aus dem Repertoire der mittelalterlichen oder absolutistischen Hofführung stammen, verfremdet.
Der König spekuliert kurz darauf, die drohende Katastrophe durch einen nach Süden oder Westen gerichteten Eroberungskrieg zu lösen, entscheidet sich aber, angewidert von den sarkastisch übersteigerten Anfeuerungsrufen seines Hofnarren, für eine innenpolitische Lösung. Er ist allerdings machtlos, als im Volk anlässlich der Veruntreuung von Lebensmitteln durch höhere Beamte, eine Revolte ausbricht. Von nun ab versinkt das Staatswesen in einen Taumel aus religiösem Wahn, sexueller Ausschweifungen und Blutdurst. Der „Waldmensch“ vom Beginn des Romans findet in der Großstadt nun als Henker Verwendung, der alle Einwohner, einschließlich des als Inkarnation der Reinheit gezeichneten Mädchens, das letztlich doch moralisch fehlt, mit seinem Beil dahinrafft. Er selbst und die typisierte Figur des Todes als letzte Bewohner der Erde werden schließlich von Gott ihrer Aufgaben enthoben. Es kommt aber zu keiner erlösenden Apotheose. Die Apokalypse bleibt ohne Ausweg und schafft keinen Raum für Neues.
Erwin Ott gelingt im Drama der sieben Tage eine negative Utopie, die auch durch ihre teilweise expressionistische Sprach- und Boschsche Bildgewalt überzeugt. Er liefert ein Musterbeispiel des konservativen Kulturpessimismus, das in seiner ökologischen Zivilisationskritik und Konsequenz, kaum Vergleichbares in der zeitgenössischen Literatur besitzt. Zudem integriert er seine politische Weltanschauung in den Text. Das aufständische Volk wird zusätzlich vom „Griessler“ angestachelt, einer Figur, die in Auftreten und Wortwahl deutlich an Adolf Hitler gemahnt. Schon der gegenwärtige Rezipient und noch deutlicher, die reichlich in diesem Bereich sensibilisierte Leserschaft der 30er Jahre, konnten diese Kritik am Nationalsozialismus nicht übersehen.
Umso überraschter müssen die beiden anderen „politischen“ Romane Otts zur Kenntnis genommen werden In Die Gejagten (1942) und Die Gefesselten (1949) nimmt Erwin Ott, der eigentlich unerlaubte Rückschluss auf den Verfasser ist wegen der starken autobiographischen Züge beider Erzählinstanzen fast unumgänglich, eine stark nationale und antitschechische Position ein. Zumindest der erste Roman ist eine Verherrlichung des Nationalsozialismus und seines „Führers“. Doch Erwin Ott bedient sich dermaßen schamlos der propagandistischen Elemente des Nationalsozialismus und seiner widerwärtigen Lexik, dass Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieses Unternehmens aufkommen. Möglicherweise versuchte er durch lückenlose Kompilation nationalsozialistischen Denkens und durch die Darstellung einer fanatischen Führerliebe eine satirische Wirkung zu erzielen. Dies muss aber reine Spekulation bleiben und kann zum derzeitigen Stand der Forschung ebenso wenig geklärt werden, wie die gegensätzliche Frage, ob seine Hinwendung zum Nationalsozialismus aus echter Überzeugung oder Opportunismus erfolgte.
Erwin Ott wurde am Ende des Krieges von den tschechischen Behörden verhaftet. Von den Folgen der Haft erholte er sich nicht mehr und verstarb kurz nach seiner Aussiedlung 1947 in Bayern. Sein Roman Die Gefesselten, der sich mit der Vertreibung der Sudetendeutschen auseinandersetzt, erschien erst nach seinem Tod. Die antitschechische und politisch unreflektierte Haltung des Romans, lässt sich durch den geringen zeitlichen Abstand zum Thema und den persönlichen Erlebnissen während seiner Inhaftierung erklären. Später gaben Verwandte und Bekannte noch weitere Texte aus dem Nachlass heraus, die literarisch unbedeutend sind. Überdies ist nicht zu ermitteln, inwieweit Erwin Ott sie zu einer Veröffentlichung autorisiert hatte. Novellen, Gedichte und andere Beiträge Erwin Otts erschienen vordringlich in den Zeitschriften Der Oberschlesier und Altvaterbote. (Jörg Krappmann)