Jakob Julius David gehört - nach den Worten Stefan Zweigs - zu den besten Dichtern Österreichs. Er ist in Mährisch-Weißkirchen als Sohn eines jüdischen Tabaktrafikanten und Mautpächters geboren. Seine Jugend war - laut David – „unerquicklich genug". Sein despotischer Vater ist allzu früh, bereits im Jahre 1866 zur Zeit der Cholera-Epidemie, gestorben. Nach seinem Tode war Davids Mutter Karoline (eine aus dem armen Ghetto stammende Frau, geborene Mandel) nicht imstande, allen Kindern eine geeignete Erziehung zu sichern, deshalb übersiedelte der kleine, damals erst siebenjährige Jakob nach Fulnek in Nordmähren zu seiner Tante und seinem Onkel. Dort besuchte er zuerst die Volksschule, seit 1868 dann das Gymnasium in Kremsier – „In Kremsier lernte ich mährische Slawen gründlich kennen"-, dann in Troppau, in Teschen und schließlich wieder in Kremsier. Während der Schulzeit litt er an verschiedenen Krankheiten, vor allem der Typhus hatte unangenehme gesundheitliche Folgen, so dass er die achte Klasse des Gymnasiums und auch das Abitur am 18. September 1877 nur mit großen Schwierigkeiten ablegen konnte. An der Wiener Universität studierte er mit vollem Erfolg Germanistik und Geschichte bei Richard Heinzel, Robert Zimmermann und Erich Schmidt, konnte aber schließlich wegen seiner Schwerhörigkeit kein Lehramt anstreben. Die Jahre an der Universität waren jedoch - was die materielle Lage betrifft - schlimm genug, er war mittellos und manchmal musste er mit dem Hunger ringen. Im Jahre 1883 starb seine Mutter.
In diesem Jahr hat David auch sein erstes Werk veröffentlicht, und zwar das Gedicht Die Elbe rauscht in der Anthologie Dichterbuch aus Österreich (Hg. Karl Emil Franzos). Zu dieser Zeit verliebte sich David in die österreichische, aus Preßburg stammende, wenig bekannte Dichterin Hermance de Potier (geb. 1863), diese Beziehung enttäuschte ihn aber. Im Jahre 1889 promovierte er in Wien mit seiner Dissertationsarbeit über die Psychologie Pestalozzis . Damals plante er noch, seine literarische Tätigkeit fortzusetzen. Er versuchte zuerst Dramen zu schreiben, manche sind zu Unrecht vergessen, zum Beispiel das an Heinrich von Kleist erinnernde Drama Hagars Sohn oder das neuromantische Drama Der getreue Eckhart. Im Jahre 1891 heiratete David das aus Polen stammende Fräulein Juliane Christine Ostruszka. Am 20. Februar 1895 wurde ihre Tochter Marlene geboren.
Fast das ganze Leben verbrachte er dann in Wien. Nach dem Universitätsstudium arbeitete er zunächst als Hauslehrer und dabei sehr intensiv als Journalist. In den Jahren 1893 - 1903 wirkte er als leitender Redakteur der Zeitschrift „Neues Wiener Journal“, 1903 als Redakteur der „Wiener Zeitung“, lange Jahre als Mitarbeiter von verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften wie z. B. „Allgemeine Zeitung“, „An der schönen blauen Donau“, „Berliner Tageblatt“, „Cosmopolis“, „Deutsche Rundschau“, „Frankfurter Zeitung“, „Heimat“, „Montagsrevue“, „Nation“, „Nord und Süd“, „Neue freie Presse“, „Österreichische Rundschau“, „Quelle“, „Über Land und Meer“, „Westermanns Monatshefte“, „Zeit“, „Zukunft und von anderen“, wo er eine Unmenge von Essays, Aufsätzen, Reportagen, Erzählungen u. ä. veröffentlichte. Er unternahm auch mehrere Reisen nach Italien und Deutschland, glaubend, dass diese Aufenthalte, vor allem im Süden, seinen Gesundheitszustand verbessern würden. „Ich fühle mich ganz lediglich - mehr nicht. Aber ich habe wieder einiges Vertrauen in mich", schrieb er im Jahre 1904 noch mit Hoffnung in einem der Briefe an seine Frau. Leider hat das alles nicht mehr geholfen.
Als Schriftsteller war er ein schwermütiger Realist, ausgezeichneter, doch herber Erzähler, von Schopenhauer und Dostojewski - siehe u. a. seinen Roman Der Übergang - stark beeinflusst, zuerst mit Conrad Ferdinand Meyer künstlerisch verwandt („Sie meyern", pflegte ihm Erich Schmidt zu sagen) - , später mit Adalbert Stifter, Theodor Storm, Ludwig Anzengruber. Epigonenhaft sind seine Werke jedoch nicht.
Wenn ich eine Reihe von Schiffen hintereinander den gleichen Strom in guter Reihe herabgleiten sehe, so muß ich nicht annehmen, sie folgten dem, das zufällig an der Spitze der Reihe fährt. Wahrscheinlich ist, daß sie alle vom gleichen Zuge des Wassers getrieben sind.
So schrieb David im Jahre 1906 etwas metaphorisch in der Zeitung „Wiener Abendpost“. In seinen Werken gibt es schon des Öfteren naturalistische Elemente. Albert Soergel gesteht, dass man nicht genau weiß, wo der realistische Dichter David mit seinem starken Mitleidsethos für das geistige Proletariat hingehört.
Er hat alles der großen deutschen Erzähler, nur eines nicht: den Humor. Mag sein, daß dies dunkle Erbschaft des Judentums ist, denn was sie auch können mögen, Tragik und Heiterkeit, Sprache und Witz: den aus tiefen Quellen licht aufspiegelnden Humor, den haben sie alle nicht. Nun liegt es wie ein grauer Schleier über seiner Kunst. Eine leise Melancholie
bemerkte Stefan Zweig. Sein Werk kann als deterministisch bezeichnet werden, wofür vor allem sein Roman Das Blut Zeugnis ablegt. Dieser Roman ist wahrscheinlich als eine literarische Polemik auf den optimistisch wirkenden, vom Menschenglauben überfüllten Roman Marie von Ebner-Eschenbachs Das Gemeindekind aufzufassen. David war überzeugt, dass das Leben eines Menschen kaum durch neue Impulse grundsätzlich zu ändern sei, und dass das Leben durch das vorher „einprogrammierte“ Schicksal - heute könnten wir sagen „genetisch“- bestimmt sei.
Davids stilreines Werk in melancholisch gedämpften Farben war von der mährischen Landschaft stark bedingt, das Drei-Rassen-Problem (Germanentum, Slawentum, Judentum) war manchmal dominant, Mähren, das Land seiner Jugend, hielt er immer für seine echte Heimat („Mein fernes Heimatland, mein teueres Mähren!“), was u. a. auch manche seiner Werke bestätigen, wie z. B.: seine Novellensammlung Die Hanna - mit den Novellen Cyrill Walenta, Ružena Čapek und Die Hanna - („Sammlung der wunderschönen sinnenfrohen Novellen Die Hanna, das war des Dichters Vermächtnis an seine Heimat Mähren, die er auch als Wiener zu lieben nicht verlernt hatte,“ schrieb man in einem Nekrolog in den Zeitungen), der Roman Das Blut (die ganze Handlung verläuft im Dorfe Söhle, wo David auch seine Ferien verbrachte, es wird hier auch der Jahrmarkt in Neu-Titschein geschildert), das Idyll Das Jugendland, die Novelle Bettelvoget u. a. Sein eigentliches Thema war die Darstellung des tschechischen Volkes. Innerlich war er Herder nahe, auch er glaubte, in den Slawen schlafe eine große Kraft. In schweren Zeiten - und das bedeutete in seinem Leben beinahe immer - benutzte David das tschechische Sprüchlein „Nedejme se! / Wir ergeben uns nicht.“
Seine wenig bekannte Erzählung Von der Weltreise des kleinen Tyrnauer, die David in der Tagespresse veröffentlichen ließ (den Text siehe in: Erzählungen aus Mähren, Berlin 1991), bot wohl Thomas Mann Inspiration für dessen Felix-Krull-Roman, Davids Erzählung Ein Poet? kann für eine Vorlage zu Kischs angeblicher Erinnerung an dessen erste Reportage gehalten werden.
David wurde u. a. mit dem Bauernfeldpreis und mit dem Preis der Schwestern-Fröhlich-Nadation ausgezeichnet. Er starb an Lungenkrebs und an Nierenleiden. „Sein Sterben war wie sein Leben, qualvoll und erhebend,“ schrieb Anna Caspary in ihrem Werk, das im Jahre 1908 in Köln erschien. David wurde in Wien am Zentralfriedhof begraben. Sein Grab liegt in der Reihe der Ehrengräber und an seinem Denkmal steht, wie er sich selbst wünschte: „Er starb am Wege.“ Das ist eine bittere Anspielung an den Titel eines seiner erfolgreichsten Romane. In seinem Testament (aufbewahrt in der Wiener Stadtbibliothek) sagt man:
... Aufgerieben durch ein Leben voll Sorge und Enttäuschungen, die töten, ohne allen Erfolg. Nun aber legt sich die letzte menschliche Eitelkeit. Ich übersehe mein Werk, es ist ja natürlich Torso geblieben, wie es bei einem sein und bleiben mußte, der zunächst Brot, und zwar Brot in anständiger Form, zu beschaffen hatte. Ich halte es für ein Unrecht, würd ich ganz vergessen.
„Nicht alles soll mit ihm begraben werden,“ schrieb nach seinem Tode Stefan Zweig im Nekrolog in der Österreichischen Rundschau.
Zweierlei soll bleiben. Sein Werk: für alle, die noch Freude an ernster Kunst, an großer Schöpfung haben können. Und dann seine Bitterkeit: sie muss heute in uns sein und ihn anklagend überleben... Was er uns sagte, muss heute öffentlich gesagt werden: wie man einen Dichter, einen der besten in Österreich missachtet hat. Man muss anklagen. Anklagen ein deutsches Lesepublikum und seine Führer, die es ihm nicht vergönnt haben, auf den vollkommensten Werken die Worte „zweite Auflage“ zu lesen. Anklagen ein Vaterland, das einen solchen Dichter in seinen besten Jahre verkommen ließ. Anklagen das von der Theatersucht gepackte Wiener Publikum - das ängstlich gezittert hätte bei dem Katarrh eines Operettensängers - das nie danach fragte, wie seit Monaten im Bannkreis der Stadt einer der Begabtesten mit dem Tode rang.
(Jiří Veselý)