Ottilie Breiner: Im Zeitenlauf
7 Bilder aus der Geschichte Znaims- Jahr der Publikation
- 1923
- Publikationsort
- Znaim
- Gattung
- Drama
- Bibliographische Daten
- Breiner, Ottilie: Im Zeitenlauf. 7 Bilder aus der Geschichte Znaims. Znaim 1923.
- Art der Veröffentlichung
- Separate Veröffentlichung
Wie bereits der Titel und insbesondere der Untertitel (7 Bilder aus der Geschichte Znaims) verraten, handelt es sich um ein Stück, das geschichtliche Ereignisse zum Gegenstand hat. Die Darstellung der Geschichte ist allerdings nicht das Hauptanliegen O. Breiners literarischen Bemühens; vielmehr macht sie sich jene zum Mittel, die Heimat bzw. das Deutschtum zu besingen, hervorzuheben, und dem deutschnationalgesinnten Teil des Publikums, ggf. der Leserschaft, Glaube an die Kraft, Einzigartigkeit und Privilegiertheit der Deutschen einzuflößen. Demungeachtet zeugt dieses Werk von einer relativ detaillierten Beschäftigung der Autorin mit der Vergangenheit, wobei aber auch Ungenauigkeiten auftreten: z.B. im 4. Bild, welches Herzog Ottos Hochzeit von 1335 zum Thema hat, muss Ottos Vermählung mit Anna vom 16. 2. 1335 gemeint sein (Hamannová, S. 350); Ottilie Breiner gibt fälschlicherweise als Braut Maria an. Eine tiefer gehende Untersuchung der Richtigkeit geschichtlicher Angaben wäre von einem Historiker zu unternehmen.
Bei den sieben Teilen - „Bildern", aus denen Im Zeitenlauf besteht, handelt es sich jeweils um einen kurzen Einakter mit teilweise dramatischem Aufbau. Strukturell wie inhaltlich bedeutend ist die Rolle des Chors, der sowohl das ganze Werk einleitet, als auch für eine Art Schlussfolgerung und Abschluss jedes der sieben Bilder sorgt. Durch den Chor brachte die Autorin manche explizite Formulierung nationalistischer, häufig kämpferisch gefärbter Gedanken ans Licht. Die personifizierte Heimat nimmt zweifellos die wichtigste Stelle ein: Obwohl „Die Heimat" als Person nur zweimal auftritt (S. 3 u. 31), steht sie im Mittelpunkt des Interesses. Im Vorspiel ersucht der Chor (= die Landeseinwohner) die Heimat um die Verkündigung ihres Leides, worauf sie Bilder aus der Vergangenheit hervorruft mit der Mahnung, ihre Einwohner sollen den Grund neu „bebau'n" (S. 3). „Die Heimat" steht hier als gepeinigte Mutter und Göttin, an welcher Unrecht begangen worden ist. Anhand der einzelnen Geschichtsausschnitte soll ihr Schicksal so skizziert werden, um Mitleid mit ihr zu erwecken, die Erkenntnis der zugefügten Ungerechtigkeit zu veranlassen, und somit den Nährboden für eine mutige nationalistische Denkweise zu schaffen. Das Ergebnis solchen Denkens sollte v. a. die Bereitschaft sein, für die Befreiung der Heimat, die hier mit Nation gleichzusetzen ist, zu kämpfen.
Am umfangreichsten ist das erste Bild, genannt Unter der heiligen Esche, dessen Handlung um 400 n. Chr. spielt und von der Lebensweise der germanischen Stämme inspiriert ist. Für O. Breiner scheint diese Geschichtsetappe eine besondere Wichtigkeit zu besitzen; ihre zweite selbständige Publikation, das Spiel Wintersonnenwende, ist gänzlich dieser Thematik verbunden. Die heilige Esche im Titel verweist auf das ehrwürdige Ansehen, das dieser Baum bei den Germanen genoss. (Nach einer der germanischen Vorstellungen über das Wesen der Welt wird das Weltall von einer Esche Namens Yggdrasil zusammengehalten - vgl. Spáčilová, S. 27.) Es wird hier der Verlauf eines Gerichts geschildert. Der Heermann Alfried vom Tannwalde wird von dessen Heergenossen Herwig des Volksverrates bezichtigt. Er soll einen Spion eines feindlichen Heeres bei sich untergebracht haben, was er zwar zugibt, sich jedoch mit dem Argument seiner Unwissenheit und der Listigkeit des Spions zu verteidigen versucht. Schließlich wird eine würdige Entscheidung getroffen: Alfried soll noch einmal im Dienst seines Gaues kämpfen und womöglich fallen, so dass er sich einen Platz in Walhall, der „Halle der auf dem Schlachtfeld Gefallenen" (Spáčilová, S. 91), sichert, was von den Germanen hoch angesehen wurde. Bleibt er am Leben, so wird er entehrend bestraft. Es besteht die Frage, inwieweit der Inhalt des ersten Bildes mit den tatsächlichen Ereignissen in Südmähren um 400 n. Chr. in Verbindung zu setzen ist. Zu dieser Zeit befanden sich dort germanische Stämme, die aber ebenfalls von dem Vordringen der Hunnen in den Westen betroffen waren und ihre damalige Heimat verließen. Diese von den Hunnen initiierte, mit deren Sieg über die Ostgoten in Südrussland 375 begonnene Erscheinung ist als zweite Völkerwanderung bekannt (vgl. Hoensch, S. 28). Um 500 trafen in Mähren die ersten slawischen Kolonisten ein (vgl. Čapka, S. 16f). In dem Bild ist die Rede von der Absicht, gegen die „fremde Horde" (S. 9), die an der Thaya lagert und Spione herumschickt, einzugreifen. Hiermit kann es sich jedoch schwerlich um eine Darstellung der Geschichte handeln, da der Chor als Bild-abschließendes Element über eine Flucht der geschlagenen Feinde spricht. „[…], treue Germanen, halten die Heimat mit eiserner Hand, […]" (S. 9). Somit muss es um einen bedeutungsloseren Zusammenstoß noch vor dem Erscheinen der Hunnen gehen. Da solche kaum in einer Geschichtsquelle festgehalten sind, kann man annehmen, dass der Handlung des ersten Bildes im Unterschied zu den übrigen kein historisches Ereignis zugrunde liegt.
Bei der Gestaltung des Stoffes legt die Autorin großen Wert insbesondere auf die lautmalerische Seite der Verse; auffallend häufig verwendet sie Assonanz und v. a. Alliteration. Diese verleihen dem Inhalt oft einen zusätzlichen Akzent, ohne dabei das Niveau zu fördern. So z. B. in dem Zentralgedanken „[…] Heilig und hehr ist der Herd meiner Heimat, […]" (S. 7), der in der Verteidigungsrede von Alfried vorkommt. Dieser Gebrauch von Alliteration ist wohl durch die Tatsache zu erklären, dass die Alliteration „als älteste deutsche Reimform den altgermanischen Sprechvers“ trägt (Best, S. 25), und so dem Bestreben O. Breiners entspricht, dem Germanentum in Form sowie Inhalt möglichst nahe zu kommen und es zu huldigen. Das Metrum weist keine deutliche Regelmäßigkeit auf, sowohl was die Silbenzahl als auch die Versfüße betrifft. Der Text ist zum Teil eher prosaisch. Endreim kommt selten vor, öfter erscheint er lediglich in den Chorgesängen am Ende der jeweiligen Bilder, obwohl er auch dort nicht systematisch ist. Die Sprache bemüht sich um einen archaischen Anhauch, der Wortschatz zeichnet sich aber durch keinen beachtenswerten Reichtum aus. Die Wiederholung von manchen Ausdrücken wirkt geradezu auffällig, so z. B. bei „hehr" (ebenfalls in einer weiteren Modifikation des Zentralgedankens auftauchend: „Der Heimat Schutz ist hehrstes Recht der Freien." (S. 8)).
Das zweite Bild (Mit dem Kreuze geschmückt) stützt sich etwas konkreter auf historische Tatsachen. Die Handlung spielt 1096, als die Teilnehmer des Kreuzzuges durch Europa in den Osten nach Palästina zogen. Sehr deutlich zeigt sich die Kampflust der Ritter, deren Gegenstand auch stets genannt wird: die Heiden bzw. Türken. Nur durch deren spätere Bekehrung zum Christentum lässt sich O. Breiners Begünstigen der heidnischen Germanen erklären (vgl. Anmerkungen über diese Problematik im Zusammenhang mit Wintersonnenwende). Die Bedeutung von Heimat erweitert sich - die religiöse Dimension kommt hinzu, indem die Notwendigkeit des Kampfes „für des Erlösers Heimat" (S. 12) zum Ausdruck gebracht wird. In der Ansprache des Fürsten Lutold von Znaim an die Kreuzritter dürfte man wohl mit einigem Recht eine Parallele dazu erblicken, wie die Autorin die Situation des deutschen Volkes in Südmähren im 20. Jh. empfindet: als „Knechtschaft" (S. 12) - vgl. dieselbe Wortwahl im Gedicht „Zum 9. Oktober 1938": „Gebrochen ist der Knechtschaft schmachvoll Band! / Frei sind wir! Heut geht's heim ins deutsche Vaterland! / Deutschland, Sieg, heil! […]"7)). Der Chorgesang am Ende des zweiten Bildes preist den Krieg in religiösen Angelegenheiten und macht sich Gott als Vorwand des Kampfes sowie als Beschützer bei demselben zu eigen. Nachdem sich die Germanen zum Christentum bekehrt hatten, sind sie nun das vorbehaltlose Vorbild und die Bürgschaft des - einzig richtigen - christlichen Glaubens. „Söhne der Helden, treue Germanen, / halten den Glauben heilig und hehr." (S. 13) Unklar bleibt, ob der Autorin die antijüdischen Stürme bekannt waren, die in Prag in Folge jenes Kreuzzuges zustande kamen (vgl. Čapka, S. 61).
Im dritten Bild, genannt Eine denkwürdige Stunde, wird die Beförderung von Znaim zur „deutschrechtlichen Stadt" (Schwarz, S. 30) dramatisch gestaltet, relativ kurz, jedoch mit Hand zur großen Betonung des Deutschtums („[…] ungehemmt mög' wachsen deutsches Glück in Gottes Huld! […]" (S. 15)). Verbindungen wie „der deutsche Fleiß und deutsche Sitte" (S. 14) oder „fleiß'ge germanische Siedler" (S. 16), deren Nachkommen das erreichte Gut „mit eiserner Faust" (S. 16) halten, lassen auf eine augenfällige Betonung der deutschen Verdienste schließen.
Das Hauptanliegen des vierten Bildes mit dem Titel Eine Fürstenhochzeit, dessen thematischer Gegenstand die Hochzeit von Otto dem Fröhlichen mit Anna, der Schwester Karl IV. ist (der Name Maria, den O. Breiner angibt, ist falsch), ist die Äußerung der Überzeugung, dass das deutsche Volk auch schwere Zeiten überwindet. Dies geschieht wieder in etwas kampflustigem Tone: „Doch deutscher Sang und deutsche Sitte, sie werden niemals untergehen; / solange deutsche Herzen schlagen, wird deutscher Frohmut auch bestehen!" (S. 19). Den Anstoß zu solcher Ermutigung gab der Brand, der plötzlich während des Festes in der Stadt ausbrach.
Des Königs Vermächtnis ist der Titel des fünften Bildes, welches von dem Tod des Königs Sigismund in Znaim am 9. 12. 1437 handelt. Obwohl sich Sigismund in Znaim eigentlich auf der Flucht aus Böhmen nach seiner nicht allzu erfolgreichen Regierung befand (vgl. Čapka, S. 197), tritt er hier als ein durchaus positiver und heldenhafter Herrscher auf. Seine letzten Worte stimmen mit der allgemeinen Tendenz des Werkes überein: „[...] Ich bin am Ziel – die Nacht bricht an – der deutsche Arm – die deutsche Treu, die deutsche Wahrheit werden siegen!“ (S. 21). Manche Zeilen lassen wiederum als Parallelen zur Gegenwart denken.
Die Handlungszeit des sechsten Bildes ist, wie auch der Titel Wallensteins Lager andeutet, der Dreißigjährige Krieg, konkret das Jahr 1633. Der gedankliche Ausgang dieses – übrigens gereimten – Bildes ist diesmal nicht so geradlinig: Auch wenn zunächst die aktive Teilnahme am Krieg befürwortet wird, klingt der Schlussgesang des Chors nicht kampflustig („[…] Beim Klang der Friedensglocken die Hoffnung neu ersteht […]“ – S. 26).
Derselben ambivalenten Lage begegnen wir in Bild 7. Dies spielt am 12. 7. 1809, als es bei Znaim zu einem Zusammenstoß von Napoleons Heer und den Soldaten des Erzfürsten Karl kam (vgl. Čapka, S. 405). Die Handlung des Bildes ist auf den Verbandplatz in der Füttergasse versetzt; Verwundete gibt es zu viele, Verbandszeug demgegenüber keines. Das Jammern einiger Flüchtender ruft dank der Realitätsvergegenwärtigung durch den Dialekt, den sie gebrauchen, verstärkt Mitleid hervor. Hoffnungsvoll klingt die Kundmachung des Trompeters, dass Waffenstillstand eintritt (der wurde auf Karls Wunsch vereinbart – vgl. Čapka, S. 405). Der Bild-abschließende Chor bringt eine ganz entgegengesetzte Idee zum Ausdruck, nämlich eine trotzende und kriegerische.
Das Schlusswort gehört der Heimat, und hier wird die Kampflust mit der Notwendigkeit des Kampfes noch deutlicher ausgesprochen. Die Klagen der Heimat über ihr gegenwärtiges Befinden rechtfertigen das Verständnis mancher Passagen des Stücks als Parallelen zur Gegenwart. Kinder werden als Hoffnung des Volkes betrachtet und die Schlusszeilen des Monologs sind alles andere als pazifistisch: „[…] Bald werden Knaben Männer sein, die Funken Flammenlohe! / Die Lüge weicht, die Nacht entflieht und Menschen, freie, frohe, / mit frommer Seele, frischem Sinn, durchschreiten deutsche Lande / und schlendern Fackeln in die Welt, entflammt am Himmelsbrande.“ (S. 31)
Die zentrale Rolle der Heimat, deren Schätzen als höchstes Wesen („Mutter“, „Göttin“ – S. 3) und höchstes Gut sowie die zahlreichen das Deutschtum begünstigenden, z. T. eher wortgewaltigen Äußerungen dürften dazu berechtigen, das Stück Im Zeitenlauf der Heimatdichtung zuzuordnen. Innerhalb derer dann jenem Strom, welcher an der Wegbereitung der sogenannten Blut-und-Boden-Dichtung teilnahm.