Ernst Wolfgang Freissler: Das Gewitterjahr

Roman
Jahr der Publikation
1936
Verlag
Langen-Müller
Publikationsort
München
Gattung
Roman
Bibliographische Daten
Das Gewitterjahr. Roman. Langen-Müller, München 1936.
Art der Veröffentlichung
Separate Veröffentlichung

Es handelt sich um einen Dorf- und Heimatroman der gehobenen Art, für den Freissler das heimatliche Altvatergebirge als Schauplatz wählte. Auch bei diesem Stoff mag ihn wie beim Glockenkrieg die Möglichkeit gereizt haben, Menschen einer noch unverfälschten Welt mit ihren alltäglichen Freuden und Leiden darzustellen. Aber nicht in nostalgischer Verklärung, sondern in durchaus sozialkritischer Sicht. Das Gewitterjahr ist Freisslers einziger Roman, in dem Menschen aus seiner engsten Heimat im Mittelpunkt stehen und er mit der Gestalt des Johann Friede aus dem Bieletal einen typischen Schlesier mit seiner Mischung aus Grüblertum, Naturliebe und Eigensinn zum Träger der Handlung gemacht.

Der Roman beginnt in der Silvesternacht des Jahres 1898, als ein starkes Gewitter die Bewohner eines armen Bergdorfs in Angst und Schrecken versetzt und als schlimmes Vorzeichen gedeutet wird. Tatsächlich scheinen mehrere Unglücksfälle die Vorhersage zu bestätigen. Der Dorfkaufmann sperrt die Kredite, ein Holzfäller verunglückt tödlich, die Schneeschmelze verursacht ein bedrohliches Hochwasser und eine Wildererbande aus Mähren lenkt den Verdacht auf unschuldige Dorfbewohner. Dabei ist die tägliche Arbeit hart genug. Auf den steilen Berglehnen kann kein Zugtier mehr Fuß fassen, so dass die Menschen den Dünger mit Buckelkörben hinaufschaffen und sich selbst oft vor den Pflug und die Egge spannen müssen. Schwer hat es auch der Zimmermann Friede, Streit und Uneinigkeit in der Gemeinde rauben ihm oft den Schlaf. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, vom Domkapitel in Breslau, dem die großen Waldungen gehören, eine Erneuerung der in Vergessenheit geratenen Rechte zu erreichen; dazu zählt neben Weide- und Nutzrechten die Freigabe von Waldflächen zur Rodung, um mehr anbauen zu können. Friede hat auch die Gabe, intuitiv Krankheitsursachen zu erkennen und sie mit Heilkräutern zu behandeln, gerät aber durch Intrigen in den Verdacht der Kurpfuscherei. Vor allem der Dorfbürgermeister ist sein größter Widersacher. Friede wird sogar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Doch nach seiner Entlassung erlebt er eine Überraschung. Als er sich dem Dorf nähert, sieht er die Männer beim Roden des Bergwaldes. Der neue Bürgermeister hat Friedes Ideen gegenüber den Grundherren durchgesetzt. Für das Dorf beginnt eine bessere Zukunft.

Der Roman entwirft ein Bild der sozialen Lage im Altvaterland vor hundert Jahren. Der Gegensatz zwischen armen Häuslern und der privilegierten Schicht der Forstbeamten wird klar herausgearbeitet. Während die Mehrheit der Bevölkerung die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Situation längst aufgegeben hat, wagt der eigenwillige Friede, gegen die Resignation anzugehen. Unüberhörbar ist der leicht ironische Unterton, mit dem Freissler die Dörfler charakterisiert, die mit „Kartoffeln mit Salz, bei Brot und Quark und dünnem Kornkaffee“ zufrieden sind. Auch der „Hang zum Hintergründigen und Jenseitigen“, laut Adalbert Schmidt „Freisslers schlesisches Bluterbe“, wird vom Autor karikierend dargestellt. Hervorzuheben ist der mundartlich gefärbte Erzählstil. So schreibt Freissler beispielsweise „hortich“ (statt hurtig), „ank“ (etwas), „Gemäre“ (Gerede), „a bissla“ (ein bisschen), „gelüstig“ (begierig), „Packla“ (Päckchen) und „dasmal“ (diesmal). Fünf Jahre nach seinem Erscheinen hatte der Roman eine Auflage von 40.000 Stück erreicht.

Neu herausgegeben: Cotta, Stuttgart 1947. 41.-45. Tsd.