Otto Rommel


Unvollendet
Geburtsdaten
12.06.1880
Mährisch Schönberg
Sterbedaten
06.09.1965
Salzerbad

Verbindungen
Adolf Loos
Karl Kraus
Oskar Kokoschka

Otto Rommels literaturwissenschaftliche Arbeiten sind wie bei kaum einem anderen österreichischen Literaturwissenschafter der älteren Generation auch heute noch maßgebend und in vielerlei Hinsicht unersetzlich; zumal seine profunden Kenntnisse zur Wiener Theatergeschichte gelten – bei aller kritischen Distanz zur Methodik – nach wie vor als nur schwerlich einholbar. Als Sohn des Privatbeamten Otto Rommel und dessen Frau Hermine kommt er am 12. Juni 1880 im nordmährischen Mährisch Schönberg zur Welt. Nach dem Gymnasium in Teschen (Matura 1899) studiert er Germanistik, Geschichte und klassische Philologie in Wien und ab 1900 in Graz, wo er 1904 mit einer Dissertation über den Wiener Musenalmanach 1777 - 1796 promoviert. Zunächst Gymnasiallehrer in Teschen, folgt er 1908 einem Ruf an das Akademische Gymnasium in Wien. Im selben Jahr beginnt er mit dem großangelegten Projekt der Herausgabe einer Deutsch-Österreichischen Klassiker-Bibliothek, die bis 1914 48 Bände umfassen sollte und neben bekannten Autoren dem Lesepublikum auch weniger bekannte oder beinah vergessene vorstellt, wie Franz Stelzhamer, Adolf von Tschabuschnigg oder Johann Ludwig Deinhardstein.

Neben seinen Lehrverpflichtungen am Akademischen Gymnasium beginnt er 1909 auf Einladung Eugenie Schwarzwalds auch an deren (Mädchen-)Realgymnasium Deutsch zu unterrichten. Die ‘Schwarzwaldschule’ am Franziskanerplatz, später in der Wallnerstraße, war ein reformpädagogisches Projekt mit dem Ziel, Kinder als gleichberechtigte Bildungspartner zu ‘vitalen’ und freien Menschen zu erziehen. Ein stringentes erziehungstheoretisches Konzept lag diesem Schulversuch, der 1938 von den Nationalsozialisten jäh beendet wurde, allerdings nicht zugrunde; er war vielmehr getragen von den Ideen und Idealen Schwarzwalds, einer der prominentesten und interessantesten Frauen ihrer Zeit. Ihr Salon ist Treffpunkt hervorragender Künstler und Intellektueller wie Else Lasker-Schüler, Rainer Maria Rilke, Robert Musil oder György Lukács. So sind denn auch unter den Lehrerkollegen Rommels Größen wie Adolf Loos (der Teile der Innenausstattung des neuerrichteten Gymnasiums entwirft), Arnold Schönberg, Hans Kelsen oder Oskar Kokoschka (der allerdings nur ein halbes Jahr Zeichenunterricht gibt, da das Kultusministerium zum Schluß kommt, daß ‘Genies im Lehrplan nicht vorgesehen sind’ – und ihm überdies die Berechtigung für das Lehramt fehlt). Ihnen allen gewährt das Schulkonzept Möglichkeiten des Unterrichts, die ihnen anderswo verwehrt geblieben wären. Wie sich Alice Herdan-Zuckmayer erinnert, läßt Rommel etwa seine Schülerinnen durchaus auch Werke lesen, die damals noch keineswegs zur Kanonliteratur gehörten, geschweige denn zur Schullektüre vorgesehen waren, wie August Strindbergs Totentanz oder Hedda Gabler von Henrik Ibsen.

1916 übernimmt Rommel die Leitung der Schule in der Wallnerstraße; Schwarzwald selbst wird diese Funktion verweigert, da man ihr in Zürich erworbenes Doktorat in Österreich nicht anerkennen will. Die Erfolge der Schwarzwaldschule, nach dem Weltkrieg auch koedukativ geführt, sind indes derart wegweisend, daß sie zur Grundlage werden für die großangelegte Schulreform des späteren Präsidenten des Wiener Stadtschulrats, des Sozialdemokraten Otto Glöckel. Einer jener Lehrer, die er abwirbt, um ihre Erfahrung für die Neuorganisation des Schulwesens zu nützen, ist Rommel. Als Mitarbeiter der Schulreformabteilung des Ministeriums wird er 1919 mit dem Aufbau und der Leitung der Bundeserziehungsanstalt Wien-Breitensee betraut und bestimmt damit in den nächsten beiden Jahrzehnten wesentlich die österreichische Bildungspolitik mit. Daß seine pädagogischen Fähigkeiten auch in diesem Tätigkeitsfeld von den Schülern außerordentlich geschätzt wurden, bestätigt Robert Mühlher in seinem Nachruf:

„Rommel gab und vermittelte nicht allein Wissen, er gab ein von einer starken, sensiblen Persönlichkeit erlebtes Wissen.“

Trotz dieser anspruchsvollen Aufgabe findet er auch in diesen Jahren noch Zeit, das Gesamtwerk Ludwig Anzengrubers (1920-22, mit Rudolf Latzke, bis heute einzig maßgebliche Gesamtausgabe) und vor allem Johann Nestroys (1924-30, mit Fritz Brukner) in historisch-kritischen Ausgaben erstmals zu veröffentlichen. In den dreißiger Jahren gilt sein Forschungsschwerpunkt der Barocktradition im österreichisch-bayrischen Volkstheater, die er in sechs Bänden im Reclam-Verlag vorstellt.

Ende des Jahres 1937 scheidet Rommel aus dem Bundesdienst aus, nach Angaben seiner ‚halbjüdischen’ Frau (für die etwa zur Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer notwendige politische Beurteilung durch die Gauleitung 1938) „von der Systemregierung wegen seiner Sympathie zu nationaleingestellten Schülern suspendiert und schließlich pensioniert“. Tatsächlich weist nichts in den Akten des Unterrichtsministeriums auf eine politische Motivation dieser Ruhestandsversetzung (die zwei weitere hochrangige Beamte des Lehrpersonals betrifft) hin. Aufgrund der „Auflassung der Zivilklassen an der Bundeserziehungsanstalt und Militär-Mittelschule in Liebenau und der ganzen Bundeserziehungsanstalt Wien XVII“ stehen diese Dienstposten „älteren Mitgliedern der Lehrkörper“ nicht mehr zur Verfügung. Dementsprechend wird Rommels Ansuchen um Pensionierung als Direktor der BEA XIII am 20.5.1937 stattgegeben. Nach einer Augenoperation widmet er sich nun verstärkt der literaturwissenschaftlichen Arbeit, mit Forschungsberichten und theoretischen Abhandlungen zur Komik- und Komödientheorie, Studien zur Wiener Theatergeschichte, einer Wildgans-Gesamtausgabe u.a.. 1952 erscheint seine bekannteste Arbeit, die bis heute ein Grundlagenwerk geblieben ist: Die Alt-Wiener Volkskomödie. Nachdem er bereits 1929 den Hofrattitel zuerkannt bekommen hat, wird ihm in diesem Jahr auch der ‘Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaften’ zugesprochen; weitere Ehrungen (wie der Ehrenring der Stadt Wien, 1960) folgen. Bis zuletzt wissenschaftlich tätig, stirbt Rommel am 6. September 1965 hochbetagt in Salzerbad in Niederösterreich.

Drei Bereiche seines Schaffens sind hervorzuheben: Zunächst seine Arbeit als Herausgeber historisch-kritischer Ausgaben, die oft erst den Anstoß gaben zu einer näheren Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Autor und in ihrer Texttreue und fundierten Kommentierung Maßstäbe gesetzt haben. Seine Nestroy-Ausgabe galt als solch ein Musterstück, obwohl schon Karl Kraus (dem Rommel nach eigenen Aussagen den rechten Zugang zu Nestroy verdankt) die textphilologische Überfracht moniert, hinter der der Reiz der Texte zu verschwinden drohe (vgl. Fackel 608,40). Für die Forschung jetzt noch unverzichtbar ist etwa auch die hervorragend betreute Textedition zum österreichisch-bayrischen Volkstheater (auch wenn die Gruppierungen hier bisweilen nicht recht nachvollziehbar sind). Zweitens sind seine Beiträge zur Komik- und Komödientheorie zu nennen. Immer noch hilfreich ist hier sein Aufsatz Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Analyse des Komischen, der als früher gründlicher Forschungsbericht ein wertvoller Beitrag war zur weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Der Versuch allerdings in Komik und Lustspieltheorie, die von ihm isolierten zwei Grundformen des Komischen (‘Komik der Unzulänglichkeit’ und ‘Stimmung überlegen spielender Subjektivität’) auszuwerten für gattungstypologische Differenzierungen, kann in seiner formalistischen Systematisierungswut mit Dutzenden Unterkategorien ohne wirklich illustrative Beispiele nicht recht überzeugen. Zuletzt sein Hauptwerk, die Alt-Wiener Volkskomödie: In seiner Textkenntnis bis heute sicherlich unerreicht, stellt hier Rommel einen Informationsschatz zur Verfügung, an dem keine Arbeit zum Wiener Volkstheater vorbeikommt. Inwieweit seine Wertungen (etwa der Epigonen, der ‘großen Drei’ Gleich, Meisl, Bäuerle) Berechtigung haben, harrt vielfach noch einer kritischen Überprüfung. Einige der Grundthesen dieser Arbeit finden in der jüngeren Forschung freilich auch Kritiker, so etwa die Konstruktion einer kontinuierlichen Entwicklung des Wiener Volkstheaters vom Beginn des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, mit ‘Aufstieg’, ‘Höhepunkt’ und ‘Niedergang’; die Überakzentuierung des Komischen als Gestaltungsprinzip und somit die Fixierung auf die Komödie; die ideologisierende Beschwörung einer ‚Alt-Wiener’ Kultur; das teilweise Ignorieren von Traditionszusammenhängen und überregionalen Einflüssen u.a.m..       

Christian Neuhuber, Olmütz