Paul Stefan Grünfeld


Unvollendet
Pseudonym
Paul Stefan August Maximilian Grünfeld, Paul Stefan
Geburtsdaten
25.11.1879
Brünn
Sterbedaten
11.11.1943
New York

Verbindungen
Ferdinand von Saar
Richard Schaukal von
Gustav Mahler
Franz Schamann
Arthur Schnitzler
Hugo von Hofmannsthal

Paul Stefan (sein ganzer Name ist Paul Stefan August Maximilian Grünfeld, am 17.1.1906 änderte er seinen Namen in Paul Stefan-Gruenfeldt; alle seine Werke wurden (bis auf das erste, den Gedichtband Stimmungen) unter dem Pseudonym Paul Stefan publiziert) wurde in der Familie des Lederfabrikanten Anton Grünfeld und seiner Frau Anna geboren. Die Familie war jüdisch, die Mutter aber ließ sich und den siebenjährigen Paul im Jahre 1886 taufen, Pauls Bruder Ernst wurde schon seit seiner Geburt als Katholik registriert, der Vater konvertierte erst 1901.

Paul Stefan verbrachte seine Kindheit und die früheste Jugend in seiner Heimatstadt Brünn, die er, nachdem er das Gymnasium abgeschlossen hatte, im Jahre 1898 verließ, um in Wien Jura zu studieren. Sein Interesse gehörte aber schon seit seiner Gymnasialzeit den klassischen Sprachen und, nach einer Pilgerfahrt nach Bayreuth im Jahre 1896, besonders der Musik. Deswegen studierte er neben der Rechte, der Philosophie und Kunstgeschichte auch Musiktheorie bei Hermann Grädener und Komposition bei Arnold Schönberg. Stefans Wunsch, Komponist zu werden, fand zwar keine Erfüllung, seine musikalische Feinsinnigkeit und vor allem sein Talent, das Gehörte zu analysieren und kritisch zu beurteilen, machten ihn dennoch zu einem der regesten Propagatoren von Kunst und Musik in Wien.

Trotzdem sind seine ersten Zeitschriftenbeiträge keine musikkritischen Aufsätze, sondern Gedichte. Stefan veröffentlichte 1900 in der Zeitschrift „Die Zukunft“ eine Probe aus seinen Gedichten, die er im selben Jahr unter dem Titel Stimmungen herausgab. Außerdem hat Stefan einige Gedichte, Skizzen und Erzählungen in Zeitschriften publiziert und drei schmale Bände mit Glossen und Beobachtungen herausgegeben (Der Heimatsucher, 1903; Das Grab in Wien, 1913 und Der ungehörte Ruf. Erscheinungen - Erlebnisse - Fragen). Seinen Roman Das war der letzte Sommer schrieb Stefan erst während seiner USA-Emigration vor seinem Tod im Sommer 1943.

Noch während seiner Studien, im Jahre 1903, gründete Paul Stefan mit seinem Freund Wilhelm von Wymetal den „Ansorge-Verein“ zu Ehren des damals so gut wie unbekannten Komponisten Conrad Ansorge (1862-1930), mit dem Ziel „jede große Kunst alter und neuer Zeit zu pflegen“. Trotz der geringen Bekanntheit des Komponisten Ansorge meinte Stefan, dab der Name des Vereins viel sage, „...denn es gestattete den Namen als Symbol zu deuten; Verein für alles Ringende, Verschmähte, Unterdrückte. Denn das erste Ziel war allerdings Ansorge.“

1904 promovierte Stefan zum Dr.jur., leistete die Militärpflicht in einem Husarenregiment in Oberungarn und arbeitete bis 1910 als Sekretär des Zentralverbandes der Industriellen Österreichs. Sein Hauptinteresse galt jedoch der Kritik und der Musik. Im Jahre 1913 veröffentlichte er eine Chronik aus den Jahren 1903 - 1911 Das Grab in Wien. Das Buch vermittelt den Lesern die kulturellen Ereignisse Wiens durch die Augen des jungen Stefan, der, „aus der Geselligkeit der Provinz kommend...“, gierig nach jeder Art von geistiger Nahrung war. Hermann Bahr, Karl Kraus, Gustav Klimt, Otto Wagner und - Stefans Meinung nach - vor allem Gustav Mahler waren die Wegbereiter der modernen Kunst. Trotzdem kritisiert Stefan heftig die Starrheit der österreichischen kulturellen Institutionen und die „Mut- und Tatenlosigkeit jedes Österreichers“, die verursachen, dab alles Neue in Wien im Gegensatz zu Berlin, München oder Paris Hindernisse stößt und nur schwer Anerkennung findet. Vom Wunsch, dieses zu verändern, getrieben, veranstalteten die Leiter des „Ansorge Vereins“ Konzerte, luden Schriftsteller – Dehmel, Liliencron, Wedekind, Heinrich Mann – zu Lesungen ein. Es ist anzunehmen, dab Stefan dadurch mit vielen Künstlern und Schriftstellern wie Mahler, Schaukal, Schönberg, Schnitzler oder Hofmannsthal engere Kontakte knüpfte. So beschreibt Stefan z.B. in seinem Buch, wie er im Frühling 1904 Liliencron bei seiner Reise nach Stefans Heimatstadt Brünn begleitete, wo der Dichter in einer Studentenvereinigung vorzutragen hatte. Stefan erwähnt hier auch seinen Landsmann, den Brünner Franz Schamann. „Ich hatte mit Franz Schamann von seinen Anfängen her (wir kamen aus der gleichen Stadt) manche schwere Stunde verlebt...“.

Max Brod schätzte Stefans Chronik Das Grab in Wien als einen Versuch, die neueste Geschichte des Wiener Kulturlebens zu erfassen: „Das eben macht die fesselnde Eigenart des Buches aus, dab es nicht von einem, der den Ereignissen passiv zugeschaut hat, geschrieben ist, sondern von einem der energischsten jüngsten Mitkämpfer.“

Das im Jahre 1903 herausgegeben Buch Der Heimatsucher. Erlebtes und Erträumtes 1899-1902, ist eine Art Chronik, die der Chronik Das Grab in Wien vorangeht. Das Buch ist dem im Mähren lebenden Schriftsteller ®Ferdinand von Saar zum 70. Geburtstag gewidmet. Paul Stefan wurde bald ein bekannter Kritiker und Musikschriftsteller. Im Jahre 1908 schreibt er das Buch Gustav Mahlers Erbe, das Hermann Bahr lobte.

Paul Stefan,... unter den Musikern als Kenner geschätzt, hat es verfaßt. Es ist ein Vergnügen, wie gut unsere jungen Leute jetzt schreiben. Kein Feuilletonisteln mehr mit flatternden Adjektiven, ein gelassenes, handfestes, sachliches Deutsch...

Mit diesem Buch fängt eine Reihe von Monographien an, die unter anderen auch Schönberg, Reinhard oder Antonín Dvořák gewidmet sind. Für die Zeitgeschichte am wertvollsten bleiben jedoch weiterhin Stefans Werke über Wagner und über die Wiener Oper, die Künstlerbiographien sind oft stark subjektiv gefärbt.

Geschickt geschrieben, nicht ohne Witz und mit viel Ironie, ist eine kurze Travestie Geheimbericht eines chinesischen Revolutionärs über seine Reise nach Österreich, die 1912 in der Zeitschrift „Der Ruf“ veröffentlicht wurde. Ein Chinese berichtet über die Zustände in Österreich. Mit Aufrichtigkeit eines Außenstehenden beschreibt er, was er sieht und was die Österreicher und besonders Wiener über ihr Land und ihre Stadt sagen.

Österreich liegt in der Nähe von Europa. Man fährt z. B. von Berlin längere Zeit durch die böhmische Wüste oder von München durch die ober- und niederösterreichische Wüste nach der Hauptstadt des Erdteils, die Wien heibt.... Kurz, es ist die schönste Stadt der Welt und man kann nirgends dauerhafter begraben sein. Deshalb leben auch viele Leute in Wien, namentlich solche, die immer behaupten, man könne dort nicht leben.

Stefan zeigt sich als witziger Beobachter und geschickter Stilist, der das Morsche der Monarchie mit Humor aufzeigt. Im Ersten Weltkrieg diente Stefan bei der Kavallerie und in Kriegsarchiven. Als es ihm in dieser Zeit unmöglich war, sich dem Wiener Kulturleben schriftstellerisch in dem Maße zu widmen, wie er es früher gewohnt war, hat er wenigstens einige Bücher mit Kriegsthematik verfaßt und herausgegeben, wie z.B. Unter Habsburgs Banner. Zwei Kriegsjahre 1914/1916 aus dem Jahre 1916, oder zwei Jahre später Das Kriegsland Kärnten.

Nach dem Krieg setzte er als freier Schriftsteller und Kritiker seine vorherige Arbeit fort und unternahm auch längere Reisen. Paul Stefan war langjähriger Mitarbeiter der „Neuen Zürcher Zeitung“, schrieb auch für den „Mährisch-Schlesischen Correspondenten“ und für zahlreiche europäische Zeitschriften, wo er seine musikkritischen Aufsätze und Berichte veröffentlichte. Sein Wirkungsfeld beschränkte sich nicht nur auf die musikalische Muse, Stefan äußerte sich auch zur Politik der Zeit und nicht zuletzt auch zu Literatur und Theater. Stefan verfaßte auch Artikel über E. T. A. Hoffmann, A. Schnitzler, machte ein Interview mit Hugo von Hofmannsthal, untersuchte dessen Briefwechsel mit Richard Strauß oder rezensierte Adolf Loos’ Buch Trotzdem.

Im Jahre 1922 war Stefan Mitbegründer der „Internationalen Gesellschaft für Neue Musik“ und wurde Vizepräsident der österreichischen Sektion. Von 1923 bis 1938 war er Hauptschriftleiter der „Musikblätter des Anbruch“, er war auch als Dozent am „Max Reinhard Institut“ in Wien tätig und war Mitarbeiter des österreichischen Rundfunks. 1932 wurde ihm der Professorentitel verliehen.

Von Stefans Familienleben gelang es nur wenig zu erfahren. Stefan war mit der Opern- und Konzertsängerin Jella von Braun-Fernwald verheiratet, genaue Daten und Angaben über Nachkommen sind der Verfasserin noch nicht bekannt.

Im Jahre 1938 entschied sich Stefan für die Emigration in die Schweiz. 1939 ging er nach Frankreich, wo er als Musikberater des französischen Rundfunks tätig war, 1940 übersiedelte er nach Portugal und erhielt dort von der Regierung den Auftrag, ein Buch über portugiesische Musik zu schreiben. Im Jahre 1941 verließ Stefan Europa und fand in New York seinen Zufluchtsort.

Wie schon erwähnt wurde, verfaßte Stefan während des Sommers 1943 im amerikanischen Exil seinen einzigen Roman Das war der letzte Sommer, der aber erst postum von Alfred Zohner im Jahre 1946 in Wien herausgegeben wurde und der Stefans Frau Jella gewidmet ist. Der Untertitel des Manuskripts heibt A political novel of the Salzburg festival-days, was schon auf gewisse autobiographische Züge deutet. Stefan hat wahrhaftig aus dem geschöpft, was er selbst sehr gut kannte. Dr. Peter Martin, der Hauptheld des Romans, ein - mit vielen autobiographischen Zügen ausgestatteter - Musikkritiker, wurde ebenfalls wie Stefan selbst nicht auf dem Gebiet des neuen Österreichs geboren, „...sondern in einem härteren, vernünftigeren Land des alten, nicht mehr bestehenden Österreichs.“ Mehr aber als über seine Heimatgefühle sagt der Roman über seine Beziehung zu Österreich aus: „Sie verstehen [...], daß ich nicht Österreicher um jeden Preis bin - ich bin es eben nicht ganz und bin jedenfalls gegen alles Österreichische sehr kritisch.“

Die Handlung spielt im Jahre 1937 in Salzburg während der Festspiele und endet mit einer Reise nach Venedig. Es kommen viele reale und berühmte Persönlichkeiten vor, wie z.B. die Dirigenten Arturo Toscanini und Bruno Walter, der Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, der Regisseur Reinhard und nicht zuletzt auch Adolf Hitler. Eine der drei Hauptfiguren, der fünfzigjähriger Musikkritiker und Journalist Dr. Peter Martin, hilft einer jungen amerikanischen Sängerin - Evelyn Curtis - zum ersten Erfolg. Zu derselben Zeit wird in Salzburg von den österreichischen Anhängern der NSDAP eine Störung der Festspiele geplant, die dann im letzten Moment verurteilt wird. Der Roman bleibt - trotz der zwei Handlungsebenen (das Werden einer Sängerin und ihrer Beziehung zu dem Kritiker Peter einerseits und die Drohung des Faschismus andererseits), deren Gegenüberstellung das Persönliche, das Künstlerische und das Politische auf geschickte Weise zusammenknüpft – nur eine Andeutung dessen, was der Stoff verspricht. Am Ende des Romans überlegt der Hauptheld, ob er seine Heimat verlassen soll und entscheidet sich noch zu bleiben, obwohl ihm große Gefahr droht und obwohl er gerne seiner Geliebten in die freien USA folgen möchte. Die Worte Toscaninis, der die Lage seines Kollegen gut versteht, schließen den Roman ab:

Peter [...] sollte bleiben, so lange es geht. Solche Menschen dürfen das Kämpfen nicht aufgeben, solange noch eine Möglichkeit der Rettung besteht. Sollte er aber fortmüssen, bringen wir ihn dahin, wohin Sie und ich jetzt gehen: in Ihre Heimat [USA]...Und wenn ich ein guter Prophet bin, [sehen wir uns] später wieder hier. Im alten Europa. Im freien Europa...

Stefan hat seine Rückkehr in ein freies Österreich nicht mehr erlebt. Der Sommer, während dessen er über seinen „letzten Sommer“ bei den Salzburger Festspielen schrieb, war auch der letzte Sommer seines Lebens. Er starb in New York am 12. November 1943.

Silvie Léblová, Olmütz