Er ist der wohl bekannteste Unbekannte der Wiener Literatur der Jahrhundertwende, literaturwissenschaftlich über Jahrzehnte kaum beachtet, noch weniger gelesen. Erst in den letzten Jahren, nicht zuletzt dank der Bemühungen der 1996 wiedergegründeten Schaukalgesellschaft, findet sein ebenso umfangreiches wie vielfältiges Werk wieder vermehrt Interesse und wird im Kontext der literarischen und ästhetischen Tendenzen und Diskussionen des (vorletzten) Fin de siècle neu bewertet. Dass Schaukal, um 1900 noch in einem Atemzug mit Hofmannsthal und Rilke genannt, in Vergessenheit geraten konnte, muss um so mehr verwundern, als er wie kaum ein anderer seine ‚Zurüstungen für die Unsterblichkeit’ ernst nahm und in zahlreichen Beiträgen Anleitungen zur richtigen Beurteilung seines Lebens und Œuvres gab, die getragen waren von der Hoffnung, dass „die getreue Hut“ (Einleitung einer Vorlesung aus eigenen Schriften) der Germanisten seinen Arbeiten einst eine gerechte Anerkennung zuteil werden ließe. Und tatsächlich verdient Schaukal eine nähere Auseinandersetzung, denn selten finden sich die Antinomien der Moderne, die gerade auch den Stilpluralismus der Wiener Fin de siècle - Literatur prägen, derart markant in einer Person vereint wie bei ihm. So vertritt er als wertkonservativer Kaufmannssohn und pflichtbewußter Staatsbeamter einen aristokratisch-dandyhaften Elitarismus, der sich auf eine prädisponierte Überlegenheit des Standes beruft. Auch hindert ihn sein ausgeprägter Traditionalismus nicht, als einer der ersten moderne Strömungen der europäischen, v.a. der französischen Literatur für das eigene Schaffen zu verwerten. Sein Selbstbild des kompromisslosen Individualisten und schöpferischen Neuerers widerspricht der vor allem rezeptiven Qualität seines Werks, das Anregungen geschickt übernimmt und verarbeitet, und seinem rigiden (Karl Kraus verpflichteten) literaturtheoretischen Programm wird sein eigenes Schaffen nur sehr bedingt gerecht. Selbstbewusst bis zur Selbstgefälligkeit funktionalisiert er die zunehmende Erfolglosigkeit zum bewussten Moment seiner Kunst, die sich nicht an die Menge, sondern an die Wenigen wendet, die imstande sind, ihre Bedeutung zu fassen, unterlässt es aber nicht, beharrlich über die Ungerechtigkeit seiner Verkennung zu lamentieren.
Dabei ist seinen literarischen Anfängen durchaus Erfolg beschieden. Am „27. Mai 1874 zu Brünn im ehemaligen österreichischen Kronlande Mähren geboren“ (Selbstdarstellung), veröffentlicht er bereits 1893 mit finanzieller Unterstützung einer Tante seinen ersten Band mit Gedichten, die – wie er später bekennt – „mit wenigen Ausnahmen, Gelesenem, Heine namentlich nachempfunden“ (Mein Werk) sind und denen Kraus nahelegt, unter sie „‚frei nach Heinrich Heine’ zu setzen: dann müßte man sie famose Travestien nennen“ (Wiener Lyriker). Dennoch verschafft ihm diese erste Talentprobe einen Namen in den literarischen Zirkeln Wiens, wo er seit 1892 Jus studiert und Kontakt sucht zu den Etablierten und den neuen Größen des Literaturlebens wie Hofmannsthal, dessen Einfluss in Schaukals zweitem Band Verse 1892 - 96 ebensowenig zu übersehen ist wie die Wirkung Gautiers und Verlaines (wie sein gesamtes lyrisches Werk gekennzeichnet ist durch die – zum Teil dezidiert ausgewiesene – Nähe zu verschiedenen literarischen Vorbildern, die ihm oft auch den Vorwurf des Epigonentums, wenn nicht des Plagiats bescherte). Mit Meine Gärten, 1897 erschienen und vom Autor später als „das zu Bewunderung und Ablehnung zugleich herausfordernde Hauptwerk des deutschen Symbolismus“ (Mein Werk II) eingestuft, löst er sich noch deutlicher von seinen durch die Mutter vermittelten romantischen Leitbildern und zeigt sich zunehmend dem Motiv- und Gestaltungsinventar der Décadence verpflichtet. In üppiger sprachlicher Ornamentalik und formstrenger Stilisierung werden, gängige Topoi aufgreifend, melancholische Bilder von Einsamkeit und Sehnsucht mit Phantasien schwüler Erotik und inszenierter Künstlichkeit kontrastiert. Diese Gedichte, die ihre Suggestivkraft durch das gekonnte Spiel mit dem anspielungsreichen Unausgesprochenen, dem vage, rätselhaft Bleibenden gewinnen, bringen ihm die ersehnte Berühmtheit. Im selben Jahr kehrt Schaukal in seine Heimatstadt zurück, um nach einem mehrwöchigen Englandaufenthalt in den politischen Verwaltungsdienst der Statthalterei Brünn einzutreten. 1898 promoviert er und lässt mit Tristia einen weiteren Band an Verlaine, Baudelaire und Maeterlinck orientierte Stimmungsgedichte folgen, die nun, wie auch Tage und Träume (1899), verstärkt pathetisch-vitalistische Visionen von Macht und Herrentum als antibürgerliche Identifikationsangebote beinhalten (so etwa in der Verarbeitung von Nietzsches Ecce homo) und das Erlebnishafte und Persönliche betonen. Nach seiner Versetzung nach Mährisch-Weißkirchen, das er – so gänzlich verschieden von Rilke und Musil – als „freundliches Landstädtchen“ erlebt, „das den an der Kavallerie-Kadettenschule als Lehrer wirkenden Offizieren sein gefälliges Wesen dankte“ (Selbstdarstellung), heiratet er im Mai 1899 Fanny Hückel aus der Neutitscheiner Hutfabrikantenfamilie, Mutter seiner drei Kinder Wolfgang, Lotte und Georg.
1901 erscheint sein ‚erster und einziger Roman’, die u.a. von Flauberts L’éducation sentimentale und Altenbergs Stimmungsbildern beeinflussten Intérieurs aus dem Leben eines Zwanzigjährigen, die bereits Jahre zuvor auf Empfehlung Rilkes veröffentlicht werden sollten, nach dem Verlust des Originalmanuskripts jedoch umgearbeitet werden mussten. Die Anfänge der Arbeit an dieser formal erstaunlich heterogenen Befindlichkeitsstudie der Wiener jeunesse dorée gehen zurück auf die Zeit seines Einjährig-Freiwilligen-Jahres bei den Sachsendragonern in Wien und Stockerau (1894/95). Neben einer zentralen Liebesgeschichte (die Schaukal 1904 als ‚Novelle’ unter dem Titel Mimi Lynx erneut veröffentlicht) finden sich kürzere Erzählungen, ästhetisch-philosophische Reflexionen, Tagebucheintragungen, Erinnerungen, Dialogsequenzen, Literaturbesprechungen, Anekdoten; lediglich das Bemühen, eine epochentypische Adoleszenz zu erfassen, verleiht diesem Textkonglomerat, das sich selbst als Fragment begreift, inhaltliche Stringenz. Das Bemühen des Protagonisten Heinrich Dietmann (in dem sich unschwer der Autor erkennen lässt) um seine Sozialisation in der besseren Gesellschaft der Hauptstadt führt dem Studenten deren narzißtische Inhaltsleere vor Augen. Doch gelingt es ihm selbst zunächst nicht, sich von der vergnügungssüchtigen Trivialität zu lösen, auch wenn er sie als Surrogat für einen abhanden gekommenen bzw. noch nicht gefundenen Lebenssinn durchschaut. Erotische Abenteuer, Trinkgelage und Spiel verdecken nur für kurze Zeit einen als Zeitphänomen verstandenen Ennui. Seine Mitmenschen sind Heinrich bloß Mittel, die Konturen seines Selbstbilds zu bestimmen, doch sein Hang zur Selbstbeobachtung droht ihn sich selbst zu entfremden. Der Weg zum Schreiben und die Rückkehr nach Hause deuten indes Möglichkeiten der Selbstfindung an; ein bezeichnender Hinweis auch auf Schaukals eigene Biographie. Bereits in diesem Werk zeigt sich die Tendenz, das Schreiben auch als Arbeit an der eigenen Identität zu verstehen, sie über die Versprachlichung je neu gestaltend und sich ihrer versichernd. Denn in Schaukals Verständnis ist Sprache – bei aller Krisis, die in Uneigentlichkeit, Klischierung und „Verwahrlosung“ (Einsame Gedankengänge) zu Tage tritt – dennoch imstande, (eine) Wirklichkeit erfassbar und erfahrbar zu machen. Das unterscheidet seine Sprachkritik entschieden etwa von der Hofmannsthals, für den die Bezeichnungsfunktion der Sprache generell in Frage gestellt ist (vgl. Chandos-Brief).
1902 legt Schaukal mit Pierrot und Columbine oder das Lied von der Ehe seinen wohl in seiner Konzeption originellsten und eigenständigsten Gedichtband vor. Mit heiteren, leichten Tönen wird hier das Ehepech des gehörnten Pierrot nachgezeichnet; wo die überstrapazierte Thematik zu Pathos oder Klischee drängt, sorgen ironische Brechungen für die nötige Distanz. Das folgende Jahr bringt nach mehreren vergeblichen Anfragen die ersehnte Berufung nach Wien in das Preßdepartement des Ministerratspräsidiums und damit den Beginn einer erstaunlichen Karriere (1909 Präsidialchef, 1911 Ministerialrat), die erst 1912 stagniert, als ein „feindlich gesinnter Minister, ein brutaler Emporkömmling“ (Selbstdarstellung) zu seinem Vorgesetzten avanciert. Mit den Ausgewählten Gedichten (1904) endet nach eigener Aussage die erste Periode seines Schaffens, die „literarischer Kunst, Lyrik nicht so sehr des Lebens wie der Lebenserhöhung und -überwindung durch die erlesene Form“ (Einleitung einer Vorlesung) verpflichtet war; nach einer Masernerkrankung und unter dem Eindruck der Werke Schopenhauers, Paters, Platons und Kants sei es zu einer poetologischen Wende, einer „Umkehr“ gekommen: „Das ‚Literarische’ fiel wie eine Schlangenhaut von mir ab: ich war ich geblieben, aber ein neuer Mensch geworden. Mein Buch Großmutter (1906) kennzeichnet diese Wendung.“ (Einleitung einer Vorlesung aus eigenen Schriften). Dieses ‚Literarische’ versteht Schaukal dabei als das Uneigentliche und verschriftlichte Unerlebte; der ‚Literat’ (ein seit Mitte des 19. Jahrhunderts und vor allem auch von Kraus pejorativ gebrauchter Begriff) ist ihm ein „Künstlicher, kein Künstler“ (Literatur), der inhaltliche Belanglosigkeit durch manieristische Ornamentik und sinnentleerte Phrasen zu überdecken sucht. Wie Kraus, dessen Arbeiten er sein Leben lang schätzt, sieht er im Missbrauch von Sprache und Stil ebenso wie in den epigonalen Erfahrungssurrogaten einer unauthentischen Literaturproduktion den Ausdruck eines allumfassenden Kulturverfalls, dem sich die ‚Berufenen’, die wahren Dichter zu widersetzen hätten. Seine diesbezüglichen Vorstellungen präzisiert Schaukal u.a. in seinen Dialogbänden Giorgione und Literatur (1907), die von dem platonischen Vorbild allerdings nicht die maieutische Entwicklung des Gedankengangs übernehmen. Wortführer und eigentliches Sprachrohr des Autors ist hier allein der ‚Künstler’, der im Gespräch mit dem ‚Gebildeten’, dem ‚Philosophen’, der ‚malenden Dame’, dem ‚Laien’, dem jungen ungedruckten Dichter’, dem ‚einflußreichen Journalisten’ und dem ‚jungen Literaten’ selbstbewusst, ja selbstherrlich seine Vorstellungen vertritt von der verbindlichen inneren Wahrheit, dem unverfälschten Ausdruck, der Einsamkeit der Kunst, und der den zeitgenössischen Kunstbetrieb, die „ekle Kliquenwirtschaft“ (Literatur), mit ätzender Kritik bedenkt.
Dass sich Schaukals Polemik nicht zuletzt auch gegen sein eigenes Werk vor der ‚Umkehr’ richtet und zum Teil eine Abrechnung mit dem eigenen ‚Literatentum’ ist, darf freilich nicht übersehen werden. Die sprachliche wie inhaltliche Pose sollte nun einer neuen Form der Authentizität weichen, der Übereinstimmung von Künstlertum und Lebenspraxis, wie sie Schaukal an zwei Beispielen demonstriert: am Kapellmeister Kreisler (1906), der sein privates Glück einem rigorosen Kunstanspruch hintanstellt, und vor allem am Dandy in Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser (1907). Dieses wohl bekannteste und auch erfolgreichste Buch Schaukals, eine „halb ironische, halb polemische Abrechnung mit dem [...] Literatentum (Mein Werk II), teilt dem Leser die Anschauungen des standesgemäß bei einem Duell umgekommenen ‚Dandy und Dilettanten’ Balthesser mit, der sich aus einer durch Geburtsadel legitimierten überlegenen Position den verachteten gesellschaftlichen Konventionen zu entziehen berechtigt sieht. Über Balthessers Credo „Das Selbstverständliche ist alles“ lanciert Schaukal geschickt seine Kunst-, Kultur- und Gesellschaftskritik, die in der radikalen Blasiertheit des Dandy zwar ironisch distanziert vermittelt wird, durch ihr provokantes Potential dennoch zur Überprüfung des eigenen Standpunkts auffordert (zumal Forderungen wie die Freiheit von den Zwängen eines modernen Lebens mit seinem Konsumzwang und Selbstverwirklichungstrieb bis heute aktuell sind). An exponierter Stelle ist auch in dieser bedeutendsten deutschsprachigen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Dandyismus die Kritik am gängigen Literaturbetrieb.
Recht besehen genügen indes auch seine eigenen nach 1905 entstandenen literarischen Arbeiten seinen poetologischen Ansprüchen nur bedingt. Am ehesten gelingt ihm die Umsetzung noch in seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen (wie in Großmutter, den Märchen von Hans Bürgers Kindheit (1913) oder im Buch Immergrün (1915)). Neben den heiteren Bildern einer liebevollen laudatio temporis acti – die oft versetzt ist mit Bezügen auf die Gegenwart des Autors, derart Geschichten zu Ende erzählend und einordnend in den größeren Rahmen des eigenen Lebens – finden sich in diesen Werken auch sehr persönliche Momente der Trauer, der Enttäuschung, des Verlusts überzeugend verarbeitet. Deutlich wird hinter diesen kurzen Erzählungen das wertkonservative, antimodernistische Weltverständnis Schaukals, das freilich nicht als naiv-reaktionäres Festhalten an überkommenen Ordnungen verstanden werden darf, sondern als Ausdruck eines ausgeprägten, durchaus differenzierten Kulturpessimismus. Seine radikale Rationalismus- und Fortschrittskritik in seinen theoretischen Arbeiten (die Schaukal schließlich auch wieder zum katholischen Glauben zurückführt) korrespondiert mit dem verklärenden Blick zurück in eine Zeit der klaren Verhältnisse und der Gültigkeit traditioneller Wertkategorien. Nicht zufällig lokalisiert Schaukal die ersten beiden Novellen seiner Sammlung Eros Thanatos (1906), die „zwischen Großmutter, Kapellmeister Kreisler und den Gesprächen Giorgione – Literatur entstanden sind“ (Vorwort zur zweiten Auflage) in das Rokoko. Die altertümelnde, überladene Form sowohl von Eros als auch von Das Stelldichein, die beide mit formelhafter Rollenverteilung eine tödlich endende Dreiecksbeziehung behandeln, widerspricht freilich noch auffällig Schaukals parallel entworfenen ästhetischen Positionen. In der Sängerin dagegen findet seine Forderung nach der „Abtötung des Floskeltriebs“ (Literatur) in der subtil nachgezeichneten Klimax eines Verhängnisses, das sich nicht dem großen, ‚unerhörten’ Ereignis, sondern den bösartigen Zufälligkeiten verdankt, eine überzeugende Umsetzung. Die absichtslosen Blicke der Sängerin Lucia Corma, die Alexander Schreiner als Antrag falsch interpretiert, werfen den biederen Beamten und Ehemann mit der fatalen Konsequenz einer Kettenreaktion aus der Bahn und lassen ihn, auch dies ohne Vorsatz und Willen, schließlich zum Mörder werden. Sein Schicksal verdeutlicht drastisch-symbolhaft Schaukals Vorstellungen von der Unvereinbarkeit von Kunst und Bürgerlichkeit und der Bedrohung durch uneigentliches, angemaßtes Rollenverhalten.
Auch die Protagonisten seiner zweiten Novellensammlung Schlemihle (1908) schlittern in ihr Verhängnis, ohne die Kraft aufzubringen, sich dagegenzustemmen; ihnen allen scheint der Glaube an die Wirksamkeit rationaler Konzepte als Fundament des eigenen Lebens zu fehlen. Graf Decerti, heruntergekommener Rittmeister i.R. und Freund des buckligen Außenseiters Mathias Siebenlist, versucht diesem Irrationalismus in einer nihilistischen ‚Philosophie des großen Blödsinns’ zumindest einen Unterhaltungswert abzugewinnen. Sein Selbstmord „aus Mangel an anderweitiger Beschäftigung“ zieht den labilen Proletarier Siebenlist, dem die glanzvolle Vergangenheit Decertis zum Realitätsersatz gerät, mit in den Abgrund. Erstmals in seinem Werk weitet hier Schaukal den Blick auf die Lebensumstände jenseits der aristokratisch-großbürgerlichen Welt und vermittelt in der realistischen Beschreibung der Elendsquartiere und billigen Etablissements ein Stück literarischer Sozialgeschichte. Auch Moriz Duftig in Elisa Hußfeldt verweigert scheinbar logische Schritte der Krisenbewältigung und bindet sein Schicksal an die Zufälligkeit des Moments, läßt Stimmungen und Launen sein Leben beeinflussen. Nicht an den Widrigkeiten der Gesellschaft, nicht an der Feindseligkeit seiner Umgebung geht der Mensch zugrunde, sondern an sich selbst, an einem unbestimmten, rational nicht begründbaren Hang zum Tod. Wie unbedeutend dieser Tod des Einzelnen, im größeren Rahmen der Metempsychose gesehen, sein kann, veranschaulicht die dritte (bereits 1902 in der gleichnamigen Sammlung erschienene) Erzählung Von Tod zu Tod, die noch stark dem Ästhetizismus von Schaukals früheren Arbeiten verpflichtet ist.
Von 1907 bis Ende 1911 lässt ihn eine „von Jahr zu Jahr gesteigerte verantwortungsreiche Amtstätigkeit wenig zum Schreiben kommen“ (Mein Werk). Neben kulturkritischen Schriften (Vom unsichtbaren Königreich, 1910) und Gedichten zumeist früheren Datums erscheinen Übersetzungen von Mérimées Novellen und Barbey d’Aurevillys Brummel, einem literarischen Vorgänger seines Balthesser. Die berufliche Misere 1912 eröffnet ihm wieder mehr Raum für seine schriftstellerische Tätigkeit, die Lyrik und wehmütig-verklärende Kindheitserinnerungen bringt. 1914 teilt er mit vielen Intellektuellen und Künstlern die anfängliche Kriegseuphorie, die er als einer der erfolgreichsten Kriegslyriker mit seinen patriotisch-pathetischen Ehernen Sonetten und Kriegsliedern (1914/15) poetisch bedient. Das kollektive Erlebnis des Kriegs wurde als Möglichkeit einer inneren und äußeren Erneuerung verstanden („in dieser Not wirst du dich selbst erkennen: Es muß der Phönix erst sein Nest verbrennen.“ Österreichs Schicksalsstunde), wie sie Schaukal seit Jahren einforderte. Dass er sich damit für die propagandistische Wirklichkeitsmanipulation jener funktionalisieren ließ, die kritische Stimmen unterbanden und dadurch den Untergang seiner geliebten Monarchie mitzuverantworten hatten, will Schaukal, der für seine Bemühungen 1918 nobilitiert wurde, auch 1933 noch nicht verstehen: „Ich kann auch im Nachhinein der nörgelnden Anschauung nicht beipflichten, die den Dichter im Hinterland ablehnt. Diese weitverbreiteten und vielgerühmten Schöpfungen, worunter nicht wenige sind, die dauern werden, haben, gleich großen Beispielen der Vorzeit, ihr Teil beigetragen, heldenhaftes Ausharren zu verstärken“ (Mein Werk). Der Zusammenbruch der alten Ordnung und die Proklamation einer demokratischen Republik ist denn auch eine traumatische Erfahrung für den Monarchisten und k.u.k. Staatsbeamten Schaukal, der sich Ende 1918 als Sektionschef frühzeitig in den Ruhestand versetzen lässt, auch, um als freier Schriftsteller um so vehementer gegen die verhassten politischen Gegebenheiten vorgehen zu können. Seine antidemokratische, konservativ-elitäre Haltung bringt ihn in publizistischen Kontakt mit der radikalen Rechten (so veröffentlicht etwa auch Jörg Lanz von Liebenfels in seiner kurzlebigen, mit Alois Essigmann gegründeten Zeitschrift Gewissen, 1919), deren antisemitische, antikommunistische und völkische Gesinnung er teilt. Hatte sich seine Judenfeindlichkeit zuvor (ganz im Sinne Kraus’) großteils auf eine Kritik des ‚jüdischen Intellektualismus’ als Urheber der feuilletonistischen ‚Literatenliteratur’ beschränkt, gewinnt sie nun durchaus konkretes politisches Profil. Doch trennt ihn von den Zielsetzungen der Nationalsozialisten, die ihn für ihre Sache gewinnen wollen, neben seiner religiösen Überzeugung seine entschiedene Ablehnung des Anschlusses Österreichs an Deutschland. Schaukal versteht und empfindet sich als Österreicher, und es ist ihm ein Anliegen, die politische, geschichtliche und kulturelle Eigenständigkeit der österreichischen Nation zu legitimieren; nicht zuletzt über die österreichische Literatur (vgl. Österreichische Züge, 1918; Adalbert Stifter, 1925; Nestroy, der Österreicher, 1929), deren Eigenart er zurückführt auf die nationale Pluralität des Donaustaatengebildes, das ihm als Vergangenes glorifizierend zum Mythos wird.
Die ‚österreichische Idee’ als rückwärtsgewandte Utopie bildet auch die Folie seiner dritten Novellensammlung Dionys-bácsi (1922), die neben der titelgebenden Erzählung die Novelle Die Krücke sowie die bereits 1896 entstandene, erstmals in Eros Thanatos unter dem Titel Lili veröffentlichte Erzählung Alltag umfasst. Stilistisch wie formal der Erzähltradition des 19. Jahrhunderts verpflichtet, verarbeitet Schaukal in Dionys-bácsi ein Stück Familiengeschichte: die unglückliche Ehe seiner Schwester mit einem ungarischen Aristokraten. Weder Resas Opferbereitschaft noch die Versuche der Familie, Differenzen auszugleichen, können das Scheitern der Beziehung verhindern, zu sehr hat man sich entfremdet. Angesichts der nostalgischen Kulisse der untergegangenen Österreichisch-Ungarischen Monarchie, die der Autor mit wenig originellen Bildern malt, nimmt sich die Trennung der Ehepartner am Schluss der Erzählung wie eine Vorausdeutung der kommenden Ereignisse aus. Deutlicher noch wird der zeitkritische wie autobiografische Bezug in der Novelle Die Krücke. Hubert von ..., ehemaliger Ministerialbeamter und hochdekorierter Soldat, nun aber durch die gesellschaftlichen Umwälzungen verarmt und verbittert, droht nach dem Verlust seines Beins durch einen Straßenbahnunfall an seinem Schicksal zu verzweifeln, doch in der Liebe seiner Kinder findet er seinen Lebenssinn wieder. Allzu offensichtlich verarbeitet hier Schaukal seine ideologischen Positionen, die sich dem Leser in plakativen Wertungen und der moralisierend-sentimentalen Handlung aufdrängen. Weitgehend frei von dieser Politisierung ist das lyrische Spätwerk Schaukals (Jahresringe, 1922; Herbsthöhe, 1934; Spätlese, 1941), das sich als thematisches Refugium vor den Unbilden der Zeit vor allem die von einer melancholischen Gelassenheit getragene Naturbetrachtung bzw. die metaphysisch-religiöse Kontemplation wählt. In der Natur findet sich noch jene Harmonie der Gesetzmäßigkeiten, die dem Menschen in der Moderne verlorengegangen ist; durch den Weg zurück zu ihr bindet er sich wieder ein in eine höhere Ordnung. Der Wechsel der Jahreszeiten wird dabei zum Gleichnis des eigenen Lebens, das sich im Herbst, in der Erntezeit befindet. Die spürbare Todesnähe veranlasst den Blick zurück, um die eigene Leistung noch einmal zu wägen, ebenso wie die Hinwendung zu Gott.
Schaukals letzte Jahre sind geprägt von einer arthritischen Krankheit, die ihn zunehmend zum Rückzug ins Private zwingt. Von der Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen, droht sein literarisches Werk der Vergessenheit anheimzufallen. Um dies zu verhindern und „alle Herzen und Köpfe, zu denen je der Dichter und Denker Richard Schaukal gesprochen hat, in einem starken Echo [zu] sammeln“ (Gründungsaufruf), wird zu seinem 55. Geburtstag die Wiener Schaukal-Gesellschaft ins Leben gerufen, zunächst unter dem Vorsitz des Wiener Ordinarius Hans von Arnim, später unter Josef Nadler. Der Verein, der 1931 immerhin 316 Mitglieder, v.a. Freunde und Kollegen aus seiner Staatsbeamtenzeit und aus Künstlerkreisen, aufweist (u.a. Sektionschef Emil v. Wohlgemuth, die Maler Anton Kolig und Alfred Kubin, die Schriftsteller Erwin Kolbenheyer und Rudolf Huch, aber auch etwa den Wiener Kardinal Friedrich G. Piffl), bemüht sich mehr als dreißig Jahre lang um die Sammlung und Vermittlung des Gesamtwerks des Dichters und veranstaltete zahlreiche Lesungen und Vortragsabende. Den Stellenrang in der Literaturgeschichte, den Schaukal für sich angemessen empfindet, können ihm allerdings auch diese Bemühungen letztlich nicht verschaffen. Als er am 10. Oktober 1942 in Wien stirbt, sind seine Werke kaum noch bekannt. (Christian Neuhuber)