Josef Schmid – der aus pragmatischen Gründen, d.h. um sich von anderen schriftstellernden Schmid(t)s zu unterscheiden, den Beinamen Braunfels benutzte – stammt aus einer mittelständischen Familie aus der nordmährischen Bergstadt Braunseifen (heute Ryžoviště). Er besuchte die Volksschule in Braunseifen, anschließend das Gymnasium in Römerstadt und später in Freudenthal. Der Vater (ebenso Josef) starb 1884 und hinterließ die Mutter mit fünf Kindern unversorgt. Schmid konnte aber trotz finanzieller Schwierigkeiten das Obergymnasium in Teschen absolvieren (abgeschlossen im Juli 1889). Er entschied sich – so der Biograph und langjähriger Freund Schmids, Ottokar Stauf von der March – aus praktischen Gründen zum Studium am militärtierärztlichen Institut in Wien, da er sich „bei dem Mangel an Tierärzten, eine schnelle und gute Anstellung erhoff[te]“[1], um seine Geschwister ernähren zu können.
Bereits als Gymnasiast wurde Schmid mit Stauf von der March bekannt, welcher sich des Jüngeren annahm und ihn in künstlerischer und politischer Hinsicht beeinflusste. Die Freunde wohnten eine Zeitlang in Wien zusammen (in der Ungargasse), es wurde „das Schrifttum gepflegt“ (S 13); man knüpfte literarische Kontakte an, Stauf erwähnt (Schmids?) Briefverkehr mit Liliencron. 1892 erwarb Schmid das Diplom und arbeitete seit April 1893 als „Praktikant [im] Veterinärdienst der Stadt Wien“ (S 12). Die Anstrengungen dieses Berufs – Schmid war stets unterwegs und arbeitete in gesundheitsgefährdendem Milieu wie Schlachthöfe usw. – seien laut Stauf auch für den vorzeitigen Tod Schmids verantwortlich. Im Oktober 1893 wurde Schmid als Einjähriger ins Heer einberufen. Dass Staufs interpretativer Lebensabriss Schmids nur mit Vorsicht zu genießen ist, zeigt etwa seine Erwähnung des Konflikts, der beinah zu „einem Bruche unserer Freundschaft“ (S 14) führte[2]: Schmid war nämlich höchstwahrscheinlich antimilitaristisch gesinnt (zumindest in der Zeit seines Pflichtdienstes), Stauf vergisst jedoch nicht zu erklären: „Trotzdem hat er aber nie den sinnlosen Haß der internationalen Menge gegen den Soldaten an sich geteilt, dazu lebte in ihm viel zu viel germanisches Empfinden.“ (S 14; herv. im Original)
Nach der Ableistung des Militärdienstes wohnten die Freunde nicht mehr zusammen, sie trafen sich jedoch regelmäßig (laut Stauf) im Café Griensteidl, in der Tiroler Weinstube u.a. und verkehrten etwa in Guido Lists Literarischer Donaugesellschaft oder im Verein Ostarrichi. Die konzentrierte Kontaktpflege der beiden (der Motor war jedoch wahrscheinlich Stauf) mündete in die Gründung der deutsch-national ausgerichteten Österreichischen Schriftstellergenossenschaft, „die einen Zusammenschluß aller deutschösterreichischer Schriftsteller bilden sollte“ (S 16). Stauf erwähnt auch eine Braunseifener Tischgesellschaft in Wien, bei der Schmid oft zugegen gewesen sein sollte und die Schmids in seiner Erzählung Bei der Mutter drhäm literarisch porträtierte. Beide Freunde blieben auch später im Kontakt, obwohl dieser nicht mehr so eng war: Stauf berichtet von gemeinsamen Wanderungen im Böhmerwald und im Erzgebirge und ferner von Schmids Plänen, seinen Beruf zu verlassen und „Wanderlehrer […] beim landsmännischen Bunde der deutschen Nordmährens [sic]“ (S 17) zu werden, um so „dem bedrängten Deutschtum Österreichs“ (S 17) beizustehen. Inwiefern diese Erwähnung Staufs Wunschvorstellungen und Selbstprojektionen sind, lässt sich nicht genau entscheiden.
1899 schmiedeten beide die ersten Pläne zur Gründung einer deutschnationalen Kunstzeitschrift, am 1. Januar 1901 erschien dann die erste Nummer der Halbmonatsschrift für Kunst und öffentliches Leben Neue Bahnen. Für sie lieferte Schmid unter dem Pseudonym „Freidank“ politische Kommentare und Rezensionen bzw. Theaterkritiken. Die Zeitschrift veranstaltete auch Leseabende, bei welchen laut Stauf auch Schmid als Vorleser eigener Texte glänzte. Diese kurze Periode muss für Schmid immens anregend gewesen sein, denn er schrieb und publizierte in diesen Jahren die meisten seiner Werke. Seit 1904 verzeichnet Stauf jedoch Schmids Distanz „unseren freundschaftlichen Zusammenkünften“ (S 20) gegenüber. Schmid litt zu der Zeit bereits unter einer Augenkrankheit (Hornhautentzündung), die Ärzte hätten Schmid den Aufenthalt an „rauchigen Orten […], Lesen und Schreiben aufs strengste verboten“ (S 20). Schmid erwog, in den Ruhestand zu gehen und zurück in das Heimatdorf zu ziehen. Sein Gesundheitszustand musste sich rapide verschlechtert haben, denn 1909 war er bereits in ärztlicher Behandlung wegen Herzleiden und zog sich nach Braunseifen zu seiner Mutter zurück. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Schmid im Lehnstuhl und litt unter intensiven Schmerzen. In diesen Jahren der braunseifener Zurückgezogenheit schrieb er Geschichte der Stadt Braunseifen, ein Werk, das „seine Entstehung der Liebe zur heimatlichen Scholle [verdankt]“[3]. Als Dějiny města Ryžoviště wurde dieses Werk 2013 auch in der tschechischen Sprache publiziert. 1911 wurde Schmid pensioniert, er starb noch nicht vierzigjährig und wurde in seiner Heimatstadt begraben.
Schmids Lyrik – die er als Jüngling und dann kurz vor seinem Tod schrieb und die zu Schmids Lebzeiten nur in Zeitschriften und Almanachen publiziert wurde[4] – ist konventionell in Form und Inhalt und trägt deutliche Spuren seiner ideellen Entwicklung, die wahrscheinlich von Stauf forciert wurde. Die juvenilen Verse lassen die klassische gymnasiale Bildung durchschimmern (Anklänge an antike Stoffe), es finden sich sozialkritische Töne und Balladeskes, autopoetische bzw. poetologische Reflexionen (Gedicht Dichter und Welt) sowie Naturlyrik in spätromantischer Manier. Antike als Utopie (der „poesiedurchhauchte[] Griechenlandtraum“, Gedicht Hellas) fungiert bei Schmid als Gegenentwurf im Rahmen der zeittypischen konservativen Kritik der entmenschlichten, entmythologisierten und verwissenschaftlichten Moderne und der Dekadenz: „Überreif seid ihr zum Sterben,/ Steigen müßt ihr in die Gruft,/ Wenn zur Herrschaft ihre Erben/ Eine neue Zukunft ruft“ (Gedicht Auf der Promenade). Der „[f]revel[haften], versumpften, [l]aster[haften], [s]ünd[igen]“ Welt (Gedicht Fin de siècle) stellt das lyrische Ich eine Gegenwelt platonisierter Schönheit und Reinheit entgegen (Gedicht Die Abendglocke).
Die Spätlyrik zeichnet sich – unter dem Einfluss der schweren langwierigen Krankheit – durch einen melancholisch-tragischen Ton aus (Utopisierung der Kindheit, der Natur und des Glaubens im Gedicht Wer ist glücklich?, es finden sich jedoch andererseits auch kampflustige politische Verse (der Zyklus Sonette aus Österreich), die Schmids politische Radikalisierung illustrieren: „Heimführt aus Wust und Trödel / Ein nordischer Prinz das deutsche Aschenbrödel, / Und glücklich wird es, wie es einst gewesen.“
Erfolgreicher war Schmid mit seinen Bühnenwerken. Viele von seinen dramatischen Texten blieben jedoch nur Entwürfe, wurden nicht vollendet oder sind verschollen, so etwa das Jugendstück Der Totenschein (1885), das Trauerspiel Der Student von Ulm (?), das Trauerspiel Der Graf von Rothenberg (?), das Trauerspiel Thomas Münzer (1890), das soziale Volkstück Die Sozialisten (1893), das Bauernstück Florian Geyer (1903). Neben diesen heute nicht mehr zur Verfügung stehenden Texten berichtet Stauf ferner von einem Plan zum Drama aus der Robotzeit (vgl. S 58-60).
Die beiden erhaltenen und publizierten Bühnenwerke beweisen Schmids dramatisches Talent. Das in Braunseifen im Sommer 1894 umgearbeitete und stark autobiographisch geprägte Volksdrama Das fünfte Gebot (ursprüngliche Version unter dem Titel Der Landarzt, 1885) thematisiert – in beiden ersten Aufzügen sehr überzeugend, im letzten Aufzug jedoch allzu statisch und mit dozierendem Gestus – die Fragen der mitleidigen Sterbehilfe (Euthanasie), des Mordes, der Kriminalität, der Religion, der entmenschlichten Wissenschaft, der Ehre, der Menschlichkeit, der Schuld, der strafgesetzlichen Verantwortung, der Sünde, der sozialen Stereotype usw. Schmid gelingt es, über längere Strecken die Wage zwischen den jeweiligen Einstellungen (Hauptfiguren: Arzt, Pfarrer, Jurist, ein gebesserter Lotter) zu halten, obwohl zwischendurch auch zeittypische Diskurse aufflackern wie etwa der Euthanasie-, Misogynie-, Antibürgerlichkeits-, bzw. Antidekadenz- und der Los-von-Rom-Diskurs u.ä. Der Arzt, ein radikaler Idealist – im Drama lässt sich die Tradition des deutschen klassischen Idealismus nachweisen (Schiller, Beethoven) –, ein auf Ehre pochender Wahrheitsfanatiker, tötet durch Gift seine schwer verletzte, unverheiratete schwangere Tochter. Die „so menschlich-edle[] Tat [], die Vergiftung [der] verstümmelten Tochter“ (135), wird jedoch nicht nur privat-menschlich, sondern auch politisch-sozial begründet (Eugenik), der Arzt deutet sich selbst als einen Wohltäter, der seiner Tochter den „qualvollen Tod oder ein mühseliges Leben und so den Mitmenschen die Last eines Krüppels erspart habe.“ (144)
Das zweite veröffentliche Schauspiel Der Freihof (1904) spielt in einem nicht näher bestimmten Dorf in Nordmähren in der Nähe von Olmütz und bringt ebenso moralische und strafrechtliche Thematik. Karl, der Sohn des Bauers Dittrich, kehrt nach 4 Jahren von der Marine zurück nach Hause. Der Bauerhof befindet sich vor dem Bankrott. Die soziale Thematik wird im Stück mit der Moral und dem Ehrengefühl kontrastiert. Vater Dittrich wünscht, dass Karl die Tochter des reichen Bauers Hadrian, dem er Geld schuldet, heiratet. Die beiden Väter rechnen fest mit diesem Eheband, Karl ist aber in das arme Dienstmädchen Leni verliebt, das auf dem Freihof diente. Die Ehe mit der reichen Klara wird also abgesagt, was für die Familie Hadrians eine Beleidigung bedeutet. Dafür will sich der Bauer Hadrian rächen und verlangt den Schuldbetrag am nächsten Tag zurück. Hinzu kommt die Exekution wegen nicht bezahlter Steuern. In dieser Situation will sich Bauer Dittrich Geld vom Juden Bernstein ausleihen, wofür er mit seiner ganzen Ernte bürgt. Der einflussreiche Hadrian sorgt sich aber dafür, dass ihm das Geld nicht geliehen wird. In der Gestalt des Bergers Franz öffnet sich aber ein möglicher Ausweg. Berger Franz, der vor einiger Zeit seinen versicherten Hof in Brand setzte, weil er verschuldet war, rät Dittrich, dasselbe zu tun. Dies wird jedoch von Dittrich aus moralischen Gründen abgelehnt. Der Freihof wird jedoch (auf Anraten von Leni) von Karl in Brand gesetzt. Der Straftat wird Berger Franz beschuldigt, doch Karl – der unter Gewissensbissen leidet -, bekennt dem Vater seine Schuld. Dittrich betrachtet das als eine Beleidigung und Beschmutzung seines Namens und will seinen Sohn erschießen. Vor dem Mord schrickt er jedoch letzten Endes zurück und will den Sohn dem Gericht übergeben. Karl jedoch verzweifelt ob dem Gedanken, den Rest seines Lebens im Kerker zu verbringen und erschießt sich selbst. Der Bauer Dittrich verliert am Ende den einzigen Sohn und entscheidet sich, den Freihof mit seiner Ehefrau zu verlassen.
Als Prosaautor bewies Schmid mit seinen kurzen und durchaus lesenswerten Texten sein humoristisches Talent. Die im Dialekt verfassten und stark autobiographischen („Jugend- und Heimaterinnerungen“, 5)[5] Humoresken Bei der Mutter drhäm (1903), eine Sammlung von mehreren ‚Geschichtla‘, durchzieht Empathie mit und ein Zugehörigkeitsgefühl zu „meinen lieben Landsleuten“ (5). Die Erzählachse bildet der Sommerurlaub des Ich-Erzählers (der Pepi und „Schmid Seff“ tituliert wird, 45), in der „Heimatstadtla“ (18) Braunseifen, zusammen mit seinen, ebenso aus Wien angereisten, Landsleuten. Die lustigen Binnengeschichten, von einheimischen Weisen erzählt, werden von heiteren Studentenstreichen ergänzt und letzten Endes in einer utopischen Melange aus Mutter-, Kindheits-, Natur- und Heimatlob verklärt: „Ja die zwä Wärtla Mutter und drhäm, die hoan an goldichen Klang, bei dem Klang wird am de Brost wetter und warm ims Harz und mr muß zureckdenken oa gleckliche, längst vergangene Zeiten […], Ort zureck, wu ’s Nastla ies und wu se of de Welt kumma sein. Und de Menschen soll’n nie schlachter sein wie die Viecher; drim soll’n se Mutter und Heimat nie vergassen und soll’n se ei Ehren halden ihr Labstag!“ (23)
Lukáš Motyčka
[1] Stauf von der March, Ottokar: Lebensgeschichtlicher Abriß. In: Schmid-Braunfels, Josef: Ausgewählte Schriften. Hg. und eingeleitet von Ottokar Stauf von der March. Scherer, Wien, S. 2-27, Zitat S. 7. Weiterhin im Text mit der Sigle S zitiert.
[2] Ebenso Staufs Würdigung Schmids und die Akzentsetzung: Er interpretiert Schmid als einen deutschvölkisch gesinnten, den Realismus verfechtenden (logischerweise also die moderne Dekadenz ablehnenden) Autor, der eindeutig volks- und heimatverbunden war (vgl. S 24-27).
[3] Schmid-Braunfels, Josef: Geschichte der Stadt Braunseifen. Selbstverlag, Braunseifen S. 3.
[4] Etwa in folgenden Zeitschriften: An der schönen blauen Donau, Österreichische Dichterhalle, Die Gesellschaft, Neue literarische Blätter, Der Scherer u.a. sowie in Almanachen wie etwa Österreichisches Dichterbuch, Deutsches Dichterbuch aus Mähren, Jungmährische Dichtung, Hellas und Rom u.a.
[5] Zitiert nach Schmid-Braunfels, Josef: Bei der Mutter drhäm. Erzählung in nordmährischer-schlesischer Mundart. Sigmund Stucks, Teschen 1903.