Der „Lehrer, Schriftsteller und Kalenderreformator“[1] Franz Orlet gehört zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Römerstadt-Region. Er kam in einer Weberfamilie, in „einem schlichten Vorstadthaus […] [in der Mühlgasse]“[2] zur Welt, wurde Lehrer und wirkte zunächst in dem kleinen Dorf Mährisch Kotzendorf (Moravský Kočov) in der Nähe von Freudenthal, später höchstwahrscheinlich auch in Olmütz Genaueres über Orlets Lebensschicksale konnte bis dato nicht festgestellt werden.
Ebenso muss man sich in Bezug auf Orlets vermutlich umfangreiches dramatisches und episches Schaffen nur auf die Berichte von Franz Tutsch und Hellmuth Breitener verlassen. Orlet debütierte 1906 mit seinem Epos über den letzten Hohenstaufer Konradin, der letzte Hohenstaufe. 1909 erschien unter Orlets Namen das Schauspiel in einem Aufzug aus dem Nachlass von Paul Heyse Agar. Tutsch nennt ferner Orlets Heimatepos Meister Martin (konnte nicht gefunden werden), ein romantisches Epos Vocho von Rabenstein (konnte nicht gefunden werden), ein Opernlibretto Annora für den beliebten deutschen Opernkomponisten und Klaviervirtuosen Eugen d’Albert, ein Mysterium Allerseelen (konnte nicht gefunden werden) und die Tragödie Mein Sohn (konnte nicht gefunden werden). Von Breitener werden dann folgende Bühnenwerke aufgelistet: Die Hochzeit des Ahasveros; Heimkehr; Arme Menschen; Zwei Welten und Das Kallypso-Idyll. Keiner dieser Stücke konnte gefunden und eingesehen werden.
Im Bereich der volks- bzw. landeskundlichen sowie wissenschaftlichen Schriften Orlets ist die Lage viel besser. Franz Orlet fing an, sich bereits als anfangender Lehrer in Mährisch Kotzendorf für das deutschsprachige katholische Kirchenlied aus dem Gebiet des Altvatergebirges zu interessieren: „[U]nd hier war es, wo er als Neunzehnjähriger den Entschluß faßte, alles das zu sammeln, zu studieren und in einem großen Werke zu vereinigen, was noch im Volke versteckt oder verschämt an alten deutschen katholischen Kirchenliedern lebte.“[3] Die Früchte dieser Beschäftigung waren mehrere Vorträge. Breitener erwähnt Orlets „glänzenden Vortrag auf dem Kunstkongresse in Prag 1928“[4]. Franz Orlet ist es zu verdanken, dass ein Rest des umfangreichen Römerstadter Passionsspiels und des Engelberger Krippenspiels erhalten, publiziert und mit einer Studie versehen wurden.
Orlet publizierte ebenfalls pädagogische Schriften, etwa Sprachbuch für die Hand des Lehrers (1933), das dem „Lehrervereine Freudenthal“ gewidmet ist. Diesem Handbuch wohnt ein durchaus liberaler humaner Pathos inne, der für die Notwendigkeit des Sprachunterrichts plädiert, das Moment der Pflege der Muttersprache hervorhebt (auch „um Fremdsprachen zu lernen“[5], d.h. Tschechisch!), denn „das Einzige, was alle Deutschen auf dem weiten Erdenrund unter einander verbindet, was sie mit Stolz ihr eigen nennen dürfen, ist unsere Muttersprache.“[6] Tutsch erwähnt ferner Orlets Vortrag Kindliches Erleben des Geschichtsunterrichts (1936). Ein weiteres Interessenfeld Orlets war die Geschichte der Weberei, die „in unserer nordmährischen Heimat das traditionelle Element darstellt“[7]. Zu diesem Thema gibt es von Orlet mehrere, in diversen Zeitschriften verstreute Beiträge.
Franz Orlet betätigte sich ferner auf dem Gebiet der Kalenderreform; dieses Interesse entstand – laut Breitener – dank der Bekanntschaft mit dem Astronomen Johann Palisa (1848 Troppau – 1925 Wien). 1915 erhielt Orlet von dem Politiker und Vertreter der Kalenderreform-Bewegung Hermann Reese „die Aufforderung, an dem großen Werke unmittelbar mitzuschaffen“[8]. Breitener weist auf zwei, heute nicht zur Verfügung stehende Studien Orlets zu diesem Thema: Meine erste Gedenkschrift zur Kalender-Reform (1916) und Meine zweite Gedenkschrift zur Kalender-Reform (1918). Orlet wurde nach dem Ersten Weltkrieg zum Mitarbeiter der internationalen Kalender-Reform-Kommission in Genf und gab 1938 Die Geschichte unseres Kalenders in mathematischen Formeln heraus.
Von den wenigen erhaltenen belletristischen Werken sei die kurze Erzählung Letzter Herbst erwähnt, in der sich Orlet seiner Heimatregion zuwendet. Es handelt sich um eine impressionistisch anmutende Momentaufnahme aus dem letzten Lebensjahr des Komponisten Eduard Schön-Engelsberg (1825 Engelsberg – 1879 Deutsch Jaßnik). Der Erzähler lässt den „melodiespendende[n] Engelsberg“[9] in melancholischer Retrospektive (Goethes Wandrers Nachtlied wird zitiert) – auf dem Annaberg über dem Heimatstädtchen stehend und Ausschau über das Altvatergebirge haltend – in Erinnerungen an seine Jugend versinken, die er in Olmütz, in einer bescheidenen Stube im Turm der St.-Michael-Kirche verbracht hatte.
Lukáš Motyčka
[1] Viele biographische Informationen verdanke ich dem Beitrag von Zdena Přikrylová: Franz Orlet – učitel, spisovatel a reformátor kalendáře, der in Rýmařovský horizont abgedruckt wurde.
[2] Breitener, Hellmuth: Franz Orlet. In: Orlet Franz: Römerstädter Passionsspiele. Verlag Deutschmährische Heimat, Brünn 1933, S. 1-2, Zitat S. 1.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Orlet, Franz: Sprachbuch. Für die Hand des Lehrers. Staatliche Verlagsanstalt, Prag 1933. Einleitung, nicht paginiert.
[6] Ebd.
[7] Orlet, Franz: Sind die von mir aufgefundenen Verse die Reste des Römerstädter Passionspieles? In: Ders.: Römerstädter Passionsspiele. Verein Deutschmährische Heimat, Brünn 1933, S. 6-10, Zitata S. 6.
[8] Breitener, S. 2
[9] Orlet, Franz: Letzter Herbst. Ein Engelsberg-Idyll. In: Heimatbuch Ostsudetenland. Hg. Von Adolf Gödel, Inning/Ammersee. Bd. 7 (1959), S. 44-45, Zitat S. 44.