Als eine „gefühlsstarke Lyrikerin“ wird die Dichterin, Lehrerin und Professorengattin (ÖBL; Partisch) Ella Hruschka bezeichnet. In ihrer Zeit eine bekannte Persönlichkeit der Wiener Künstlergesellschaft, ist sie heute kaum mehr bekannt und wird kaum mehr gelesen. Nicht nur ihre Gedichte, sondern auch ihre Schriften und ihr persönliches Engagement im Sinne der Frauenemanzipation und Kinderfürsorge sind in Vergessenheit geraten, obwohl sie sicher zu den ersten Frauen gehörte, die diese Fragen thematisierte. Sie „gab Proben eines umfassenden Talents, das im Drama, der Lyrik, der Erzählung nicht immer gleichmäßige Werte schuf, aber manch glücklichen Wurf tat. Als Frauenrechtlerin gemäßigter Art schrieb sie eine große Zahl Essays und trat für die Erweiterung weiblicher Erwerbstätigkeit ein.“ (Geißler, Max: Führer durch die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts. 1913. S. 237) „In ihrem 18. Jahre wurde sie von der mächtigen Zeitströmung ergriffen, welche in den Frauen das Verlangen nach höherer Geistesbildung und wirtschaftlicher Selbständigkeit weckte.“ (Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung. Hrsg. von Sophie Pataky. Berlin 1898)
Sie wurde am 7. Mai 1851 als Tochter eines österreichischen Staatsbeamten in Trebitsch geboren, verbrachte aber ihre Jugend in der mährischen Kreisstadt Iglau. Das zitierte Geburtsjahr wurde aus Elisabeth Friedrichs´ Lexikon Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhundert entnommen, wo ausdrücklich das in allen anderen Lexika angeführte Jahr 1854 als falsch widerlegt wird. Friedrichs scheint sich überhaupt auf die Wahrhaftigkeit und Korrektheit von den Lebensdaten Hruschkas Recht anzumaßen, denn das gleiche betrifft auch das Sterbedatum.
Als ein früh verwaistes Kind war sie auf „Selbsterhaltung angewiesen“ und versuchte sich zuerst als Schauspielerin. 1874 absolvierte sie die k.k. Lehrerinnenbildungsanstalt in Brünn und fand darauf hier auch eine Anstellung, zuerst an der Volksschule und nach der Ablegung der Bürgerschulprüfung an der Bürgerschule in Brünn. Schon 1893 schied sie aus dem Lehramt und bereiste ein Jahr lang Deutschland und Italien, wobei sie sich auf das Studium moderner Sprachen konzentrierte, vor allem auf Französisch, Englisch und Italienisch. Ende 1894 übersiedelte sie nach Wien, wo sie ihre schriftstellerische Laufbahn begann. „Schon in Brünn entfaltete sie rege schriftstellerische Tätigkeit auf schöngeistigem und schulpolitischem Gebiete, der sie sich nach ihrem Übertritt in den dauernden Ruhestand in Wien, wohin sie übersiedelt war, umso lebhafter hingab.“ (Pataky) Seit 1896 arbeitete sie als Feuilletonistin des Neuen Wiener Tagblattes und hielt Vorträge in Lehrerkreisen. Später schrieb Hruschka zahlreiche Beiträge für die Blätter Neuer Wiener Journal, Volksstimme (Wien), Deutscher Dichterhain (Wien/Dresden), Jung-Deutschland (Eberswalde), An der schönen, blauen Donau (Wien), Wiener Hausfrauen-Zeitung und wahrscheinlich weitere mehr, wodurch ihr Name in der Wiener Journalistik bekannt wurde.
In Wien wechselte sie mehrmals den Wohnort, wie Kürschners Literatur-Kalender belegt. Sie wohnte zuerst in der Geusaugasse 43 (Pataky). Später zog sie in die Herbeckstraße 82 um, um sich schließlich 1909 im Gersthof niederzulassen. Über ihre familiären Umstände ist leider nicht mehr zu berichten. Sie erlag nach einer kurzen Krankheit einem Herzinfarkt und starb in Wien am 13. März 1912.
Ella Hruschka war eine vielseitige Schriftstellerin und begann schon früh Gedichte zu schreiben. „Schon frühzeitig erwachte ihre Liebe zur Dichtkunst und zur dramatischen Kunst.“ (Pataky) In die Spannweite ihres Schaffens reichen Gedichte, journalistische Gattungen wie Essays, Skizzen oder Feuilletons, aber auch Theaterstücke. Ihr erstes Schauspiel trägt den Titel Gegen den Strom. Es wurde 1898 zu Ende geschrieben und an die österreichischen Bühnen versendet. Ob aber dieses Stück auch wirklich zur Aufführung gebracht wurde, ist nicht mehr überliefert.
Eine große Hochachtung erlangte sie mit dem Stück Ferdinand Raimund, das im Raimund-Theater in Wien 1906 uraufgeführt und ein Jahr später nach dem Erscheinen im Berliner Verlag Wigand mit dem niederösterreichischen Landesautorenpreis ausgezeichnet wurde. Schon der Titel deutet darauf hin, dass Hruschka eine treue Verehrerin Raimunds und seiner Wiener Volksstücke und vor allem seiner Zauberstücke war und dass sie hiermit dieses seinerzeit überaus populäre Genre erneuert auf die Bühne bringen wollte. Hierfür spricht auch die Aussage Mühlbergers, der im ersten Kapitel „Erstarrung und erste Lösungsversuche“ seiner Studie Die Dichtung der Sudetendeutschen in den letzten 50 Jahren (Kassel-Wilhelmshöhe 1929) erklärt: „Ella Hruschka (1854-1912) wollte den Zauber der altwiener Zauberkomödie wachrufen; sie erzählt von der Bühne herab Leiden und Leben Raimunds [...].“ (Mühlberger, S. 26) Der Wiener Kritiker und Feuilletonist Max Kalbeck urteilt über dieses sozusagen Opus im ähnlich klingenden lobenden Ton:
Lassen Sie mich Ihnen herzlich danken für die große Freude und den reinen Genuss, den ich von der Lektüre Ihres "Ferdinand Raimund" gewonnen habe. Es ist Ihnen gelungen, in diesen poetischen, von dramatischem Leben bewegten Szenen ein ebenso treues als fesselndes Bild des Dichters und seiner Zeit gegeben zu haben. Die Charakterstudie der Hauptperson ist so sorgfältig und fein ausgeführt, dass ich Ihrer Dichtung auch abseits von der Bühne einen großen Erfolg verspreche. (Literarische Silhouetten)
Hruschka schildert Raimund als einen sehr begabten, liebevollen und zum Teil depressiven Mann, der zum Opfer seiner hasserfüllten und neidvollen Zeit geworden ist. Nach einem einführenden Gedicht wird das unzählige Personal vorgestellt, es sollen nämlich die Jahre zwischen 1790 und 1836 behandelt werden, d. h. der ganze und wirkliche Lebensweg Raimunds. Das Stück besteht also aus fünf Momenten: im Vorspiel wird das Kind Ferdinand geboren und durch märchenhafte Wesen mit dem Besten für das Leben ausgerüstet. Ganz im Sinne von Raimunds Zauberstücken erscheinen außer den Feen das Schicksal, das der Held an seinem Todesende wiedertrifft, und der Genius der Poesie. Der erste Akt stellt die Schauspieler und Schauspielerinnen aus dem Leopoldstädter Theater vor, dem Wirkungsort Raimunds, aus deren Unterhaltung der Neid auf Raimunds Erfolge ersichtlich wird. Es kommt zu einer Liebeserklärung zwischen Raimund und Toni Wagner, die aber durch Tonis Eltern zerstört wird. Im zweiten Akt erfährt man, dass Ferdinand Raimund seine Kollegin Luise Gleich geheiratet hatte, aber diese Ehe ist unglücklich. Es kommt zu einem Bruch zwischen den Eheleuten, aber Raimund wird erneut durch den Genius der Poesie besucht und bekommt seine ersten Impulse zum Schreiben. Im dritten Akt, wo es zur Aufführung eines Stückes von Raimund kommt, wird der Neid seiner Kollegen und Vorgestellten eklatanter und führt zum Rückzug des Haupthelden in ein Haus in der Nähe Wiens. Der vierte Akt schließt das Leben Raimunds, das er doch mit Toni verbringt, mit einem Hundebiss ab, durch den er sich mit Tollwut angesteckt fühlt und Selbstmord verübt. Die Glaubwürdigkeit der einzelnen Geschehnisse wird durch die aus Raimunds Tagebüchern und Briefen übernommenen Zitate bezeugt. Im Stück wird bei Personen aus den Dienerschichten der Wiener Dialekt gebraucht, formal erscheinen bei den Zauberfiguren und bei Raimund selbst gereimte Aussagen; die Liebesszenen zwischen Raimund und Toni sind zugespitzt pathetisch. Die Sprache ist im Allgemeinen sehr flexibel und im spannenden Stil gebraucht, sodass sich der Leser bzw. Zuschauer schnell und bequem durch die Geschichte geführt fühlt.
In der Lyrik war Hruschka noch viel produktiver; ihre Gedichte und größere Epen erschienen schon früher in den Wiener Zeitungen und wurden später in mehreren Sammelbänden herausgegeben. Sie zeichnen sich meistens durch einen regelmäßigen Strophen- und Reimaufbau aus. Oft benutzt Hruschka banale Reime wie „Herz-Schmerz“ und besingt die Kunst oder die Natur (Frühlingsnahen, Natur), oder sie wendet sich einer historisch berühmten Person zu und preist ihr Schaffen und Ideengut (Vor dem Standbilde Giordano Bruno´s). An anderen Stellen versucht sie, fromm eine bestimmte Atmosphäre in träumerischen Bildern zu beschreiben (In der Stiftskirche). Unter dem Titel Im goldenen Licht erschien 1910 eine Auswahl von ihren Gedichten, die auch von dem Brünner Schuldirektor und Schriftsteller Paul Strzemcha sehr hoch geschätzt wurde. Obwohl es nicht ihr erstes publiziertes lyrisches Werk war, erreichte sie hiermit auch auf diesem Gebiet eine bedeutendere Anerkennung. Sie ließ sich trotzdem noch von anderen Literaturkennern ermutigen, was aus ihrer Korrespondenz zu entnehmen ist. Anfang 1910, kurz nach dem Erscheinen von Im goldenen Licht, schrieb sie an einen unentschlüsselbaren schriftstellerisch tätigen Brünner Schulrat mit der Bitte, ihr neues Werk in einer der Brünner Zeitungen zu rezensieren.
Wien XVIII./2 Herbeckstraße 82, 26.2.1910
Hochgeehrter Herr Schulrat!
Ermutigt durch Herrn Direktor Paul Strzemcha erlaube ich mir, Ihnen mein soeben erschienenes Lyrikbuch zu senden mit der wohl recht unbescheidenen Bitte, Sie wollten die Güte haben, der über einige Zeilen in eine der Brünner Zeitungen (Mährschles. Korrespondent, Morgenpost oder Brünner Zeitung) zu schreiben.
Die auch wirklich publizierte und anscheinend überaus positive Kritik sollte ihr laut eigenen Worten „ein Plätzchen unter den österreichischen Lyrikern der Gegenwart“ schaffen und sie „in der Meinung der Leser des Blattes mit einem Ruck einige Stufen höher stellen“ (Brief an denselben vom 20.3.1910).
Schon 1890 publizierte Hruschka ein fünfaktiges dramatisches Gedicht mit dem Titel Antiope. Fünf Jahre später erschien Mira, eine größere erzählende Dichtung im vierfüßigen Trochäus aus den Meraner Bergen. Leider konnten beide Werke nicht eingesehen werden, deshalb müssen wir uns in diesem Falle auf die damalige kritische Publizistik verlassen, die nur Lob zur Hruschkas Dichtkunst und Sprachgebrauch vermerkt:
In dieser Dichtung bietet die Verfasserin dem modernen Materialismus einmal gründlich: Schach! Dies Werk ist ideale Poesie, alle die seelischen Wandlungen, denen "Mira" unterworfen ist, weiß die Dichterin mit vielem Geschick, mit überzeugender Klarheit, mit Wärme zu schildern, wie ihr denn überhaupt die Gabe des poetischen Wortes mit bezwingender Gewalt zur Seite steht, sowohl was die Darstellung innerer und äußerer Vorgänge betrifft, als auch dort, wo es sich um das Aufrollen stimmungsvoller Landschaftsbilder handelt. […] Die Sprache weiß sie prächtig zu gestalten, dabei bleibt sie im Grunde doch stets einfach, schlicht, klar... wie silberheller Waldquell fließt die poetische Dichtung mit ihren vielen Schönheiten dahin. Der Dichtung selbst liegt der Gedanke zu Grunde, dass die individuelle Natur im Menschen unbedingt ihr Recht verlangt und dass eine starke Natur zuerst streben wird, sich ihrer Individualität entsprechend auszuleben [...]. (Literarische Silhouetten)
Mira soll eine gut entwickelte Erzählung in gebundener Rede gewesen sein und wurde dem mährischen Schriftsteller Ferdinand von Saar gewidmet, von dessen Sprachkunst sich Hruschka beeinflussen ließ und über dessen Werk sie sich mehrmals äußerte. Mira ist ein schönes Zigeunermädchen, in die sich ein Tiroler Bauer verliebt. Er heiratet sie, aber der Hang zu der wandelbaren Zigeunermentalität führt sie zu ihrem ursprünglichen Leben zurück. Der Bauer verübt in Verzweiflung Selbstmord. (Geißler)
Es wurde schon angedeutet, dass man außer ihrem dichterischen Schaffen bei Ella Hruschka Broschüren und Fachartikel über die Frauenlage finden kann. Zu den bekanntesten gehört z. B. Das neue Weib, das dramatisiert wurde, oder Der Wirkungskreis des Weibes, in dem unter Benutzung von Zitaten Goethes, Schillers, Schopenhauers, Wagners, Rousseaus u. a. die verschiedenen Aufgaben einer Frau besprochen werden. Nach dem Vorwort von 1892, in dem sie sich als Ziel stellt, die Geschichte der Frauenbewegung und ihre Konsequenzen zu schildern, überrascht es, wie vorsichtig sie mit dem Begriff der Emanzipation umgeht. Der Ausgangspunkt dieser Schrift ist die Tatsache, dass sich in Deutschland diese Erscheinung nur „auf dem geistigen Gebiete“ vollzieht, dass für Aufklärung gesorgt werden muss und dass alles getan werden muss, damit die Frau dem Manne gesetzlich gleichwertig wird. Es werden auch Berufsarten angesprochen, in denen sich Frauen in den letzten Jahren oder Jahrzehnten durchsetzten (wie Ärztin, Lehrerin, Politikerin usw.), aber das gilt nur für die Frauen, die unverheiratet bleiben. Ansonsten soll die wichtigste Aufgabe der Frau sein, „die Sitte zu hüten und das Schöne zu pflegen, [...]. Die Pflichten der Hausfrau und Mutter zu erfüllen“. Hruschka publizierte auch in pädagogischen und Frauen- und Lehrerzeitschriften wie in Der Lehrerinnen-Wart, in der Österreichischen Frauen-Rundschau oder in der Neuzeit und war Mitglied mehrerer humanitärer Vereine.
Nach ihren Genossinnen innerhalb der Frauenbewegung war Ella Hruschka „als Mensch still, manchmal mit Neigung zur Melancholie kämpfend, aber herzenswarm und liebevoll.“ (Österreichische Frauen-Rundschau, 10. Jg., Nr. 97, 1912, S. 11.) Sie leistete sicher viel in ihrer emanzipatorischen und humanitären Tätigkeit, aber der Wunsch, sich auch als weit wirkende Dichterin einen Platz zu erringen, gelang ihr nicht, trotzdem ist ihr Werk aus vielen Hinsichten beachtenswert. „Hruschka hat nicht in den Reihen der Großen gestanden und gehört nicht hinein. Aber ihre Gemeinde wird noch einige Zeit an den Gaben ihrer schlichten Kunst sich erfreuen.“ (Geißler) (Petra Knápková, Olmütz)