Der Schauspieler, Dramatiker und Regisseur Heinrich Ferdinand Möller war Ende des 18. Jahrhunderts vor allem durch sein Originaltrauerspiel Graf Waltron, oder die Subordination bei einem breiten Publikum bekannt geworden. Auch seine weiteren Werke erfreuten sich in den 70er und 80er Jahren dank der geschickt aufgebauten, gedanklich wenig anspruchsvollen und vor allem spektakulär dargestellten Fabeln gewisser Beliebtheit. Jedoch erkannte bereits die zeitgenössische Kritik bald, dass die schmucke Hülle und der schematische Inhalt seiner Dramen bloß auf eine anspruchslose Unterhaltung eines möglichst breiten Publikums zielte.
Über Möllers Leben ist wenig bekannt. Er wurde 1745 im schlesischen Olbersdorf in der Nähe von Jägerndorf geboren. Über seine Schulbildung und seinen frühen beruflichen Werdegang sind keine Informationen vorhanden. Im Jahre 1771 war er Mitglied der Schauspielertruppe des berühmten Dramatikers, Theaterdirektors und Freimaurerreformers Friedrich Ludwig Schröder, der in diesem Jahr in Hamburg tätig war, später gehörte er der Gruppe von Karl Döbbelin an, die in Leipzig und in Braunschweig auftrat. Ab dem Jahre 1774 wirkte Möller in Prag, wo er vor allem in den Rollen der komischen und zärtlichen Väter und Liebhaber auftrat. Als Schauspieler wird Möller in der Chronologie des deutschen Theater´s von Christian H. Schmid (1775) folgendermaßen charakterisiert: „Polternde und humoristische Alte sind seine Hauptfiguren, wobei ihn seine drollige Figur sehr unterstützt. In edlen Rollen aber und in Trauerspielen muss er ja nicht auftreten, wenn ihm seine Ehre lieb ist.“ (Schröter)
Am Königlichen Theater in Prag wurde sein erstes Drama, das Lustspiel Ferdinand und Wilhelmine oder die wunderbare Entdeckung, am 28. April 1774 von der Gesellschaft des Johann Joseph von Brunian zum ersten Mal aufgeführt. Möller selbst spielte bei der Aufführung den „Baron Löwenberg“ und seine Frau die kleine Rolle des Kammermädchens „La Pridon“. In der Vorrede gibt er zwar zu, dass das Lustspiel in nur drei Wochen geschrieben und gedruckt wurde und dass aus diesem Grund die Dialoge nicht genügend ausgefeilt seien, trotzdem scheint die Reaktion des Publikums positiv gewesen zu sein. Der undramatischen Handlung liegt eine sehr unwahrscheinliche Fabel zugrunde: Eine schon Jahre zurückliegende Freveltat wird aufgedeckt. Nicht nur, dass Wilhelmine in ihrem jetzigen Geliebten ihren ehemaligen Vergewaltiger und Vater ihres Sohns, der nach der Missetat vor acht Jahren geboren wurde, erkennt, sondern sie vergibt ihm sogar und willigt in die Heirat ein.
Ermuntert von dem Erfolg des ersten Stückes, schrieb Möller ein Originaldrama in fünf Aufzügen, in dem ein unschuldiges, verwaistes und von seiner Tante unterdrücktes Mädchen ihr Glück macht. Louise, oder der Sieg der Unschuld wurde in Prag am 24. November 1774 aufgeführt. 1778 ließ Möller dieses Drama unter dem veränderten Titel Angela, oder der Sieg der Unschuld noch einmal erscheinen.
Sein erfolgreichstes Stück, das fünfaktige Trauerspiel Graf Waltron, oder die Subordination gab Möller im Jahre 1776, kurz bevor er Prag verließ, heraus, wo das Stück am 25. Januar 1776 uraufgeführt wurde. Graf Waltron wurde eindeutig ein großer Erfolg. Das Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt (ins Tschechische, Italienische, Französische, Schwedische) und wurde 20 Jahre lang in ganz Europa gespielt. 1777 schlug Graf Waltron in Berlin sogar das Stück, von dem sich Möller inspirieren ließ, Minna von Barnhelm und 1785 war es daselbst das am meisten gespielte Stück. Auch in weiteren Städten wie Wien, Frankfurt, Leipzig, Lübeck, Graz, Pressburg, Regensburg, München, Hannover, Nürnberg, Ulm, Luzern, Linz, Riga, Zagreb oder Mailand gehörte dieses bühnenwirksame Trauerspiel zum beliebten Repertoirestück. 1808 wurde das Stück im Amphitheater auf einer Wiese bei Kumrowitz bei Brünn aufgeführt.
Obwohl diese Spectakelstücke im Freien mit Benützung des großen Raumes eine Erscheinung einzig in ihrer Art und eine in Brünn selbst vor Wien eigenthümliche Merkwürdigkeit bildeten, so waren sie doch natürlich mehr großen beweglichen Gemälden in einem colossal vergrößerten Guckkasten, wie sie das Volk angafft, zu vergleichen, als daß sie wahrhaften Kunstgenuß gewährten. Wagen, Pferde, Militär in Menge, Schießen, Hauen, Stechen, Aufzüge aller Art und Musik die Hauptparthien – fast alles Uebrige ging verloren. Unter den Stücken zu einem Zwecke dieser Art war mit dem großen militärischen Schauspiele Graf Waltron noch die glücklichste Wahl getroffen. (d´Elvert, S. 120)
Das Prosa-Trauerspiel spielt in einem Kriegslager, von früh morgens bis ein Uhr mittags. In der Exposition wird Graf Waltron als ein ehrlicher Mann und tapferer Soldat vorgestellt, der seine Heldentaten als Pflicht bezeichnet und der „der Ehre, und nicht des Eigennutzes wegen“ (Waltron, I,6) dient, der aber auch heißes Blut hat und oft sein Temperament nicht zügeln kann. Im Zorn vergreift sich Waltron an seinem Vorgesetzten Graf von Bembrock, der zugleich sein Schwager ist, und wird zum Tode verurteilt, obwohl ihn für eine frühere Heldentat (er hat den Prinzen aus der Schlacht gerettet) eine Beförderung erwartet. Während die Offiziere und sogar Waltron selbst das Urteil für gerecht halten, protestiert seine Frau, die Gräfin Waltron, dagegen:
Mit dem leidenschaftlich vorgetragenen, unbedingten Anspruch der Gräfin auf Glück (und auf das Leben des Gatten) wird als Gegenmodell zur auf Harmonie und Mitleiden beruhenden Männerwelt der Soldaten eine Sturm-und-Drang Konzeption entworfen, die letztlich aber schwärmerisch bleibt und keine wirkliche Alternative zum stoisch-männlichen Entwurf bildet. (Zitiert nach Krah, S. 222)
Aber auch die stoische Männerwelt erweist sich, obwohl sie sich den harten Anordnungen unterwirft, eher als empfindsam-zärtlich. Selbst das Opfer von Waltrons Ausschreitung, Graf von Bembrock, bedauert Waltron seufzend: „Ein Mann, dessen vortreffliche Eigenschaften und seltenen Verdienste sich die Achtung, die Liebe eines jeden empfindsamen Herzens erworben.“ (Waltron, II,1) Mit feuchten Augen bekennen auch andere, dass sie Waltron lieben. Der Feldmarschall lässt auf Waltrons Todesurteil eine Träne fallen, aber seine Ehre gebietet ihm, dass er „den Meinigen weniger nachsehe, als anderen“ und er beteuert, dass er „keine Klausul des Gesetztes überspringen will“, obwohl ihn „der Verlust seines eigenen Sohnes nicht mehr schmerzen könnte.“ (Waltron II,3) Den Höhepunkt bilden Waltrons Abschiedsrede, die dramatische Verzögerung und dann der Protest seiner Gattin. Waltron will nicht kriecherisch um Nachsicht bitten und die Reaktion seiner Frau ist der von Minna von Barnhelm nicht unähnlich: „Ha Barbar! um deinen Stolz nicht zu kränken, willst du dein Weib, dein eigenes Blut unglücklich machen?“ (Waltron, III,4) Sie bezeichnet nicht nur ihren Mann als Barbaren, sondern auch die anderen, die wähnen, rationell zu handeln und sich auf die Pflicht und Ordnung berufen und will, als sie nicht mehr auf Rettung hoffen kann, zusammen mit ihrem Mann sterben. Die Tragödie endet überraschend nicht mit der Hinrichtung des Haupthelden, weil sich in letzter Minute herausstellt, dass Waltrons Beförderung noch vor seiner Freveltat erfolgte und dass in Folge dessen der von ihm angegriffene Oberst Graf von Bembrock nicht mehr sein Vorgesetzter war. Den Gesetzen wird Genüge getan, die Gesetze der Gesellschaft werden also nicht von dem Glücksanspruch der Frau außer Kraft gesetzt. Das Drama endet trotzdem nicht mit einem klaren Happy-End. Gleich nach der Begnadigung wird das Lager vom Feind attackiert, das Leben aller steht auf dem Spiel. Möller gelang es, aus einem Schauspiel, das eher die Form eines weinerlichen Lustspiels hat, ein weinerliches Trauerspiel zu machen. Trefflich charakterisiert Möllers Dramatik Erich Schmidt (1880): „Er ist [...] zahm im tragischen, breiig im rührseligen, sucht Ueberraschungen, streut edle Regungen mit vollen Händen aus, strebt nach „Schlagern“ und „Abgängen...“ Trotzdem war das Drama ungewöhnlich erfolgreich, wurde mehrmals herausgegeben und von Möller sogar neu bearbeitet. Von den späteren Dichtern ließ sich Heinrich von Kleist in seinem Drama Prinz von Homburg von dem Schluss des Waltron inspirieren. Die Dramatikerin des Biedermeier Charlotte Birch-Pfeiffer setzte das leicht veränderte Stück Möllers wieder in Szene.
Im Jahre 1777 war Möller schon Mitglied der Seylerschen Gesellschaft, die in Mannheim, Leipzig, Mainz und Frankfurt gespielt hat. In Leipzig erschien Möllers nächstes Schauspiel Sophie, oder der gerechte Fürst, das von manchen Kritikern als sehenswert gelobt wurde: „Da Walltron so sehr gefallen hat, so können wir unseren Lesern versichern, dass, wenn es mit rechten Dingen zugeht, dieses Stück noch mehr gefallen muss [...]“ (Litterarisches Wochenblatt 1777, zitiert nach Schröter). Der Kritiker der Berliner Litteratur und Theater-Zeitung (25.4.1778) war allerdings bei seinem Urteil über Sophie anderer Meinung: „Man kann nicht leicht was faderes, abgeschmacktres und langweiliges sehn, als dieses Stück.“ Trotzdem gehörte nach Schröter dieses Stück neben Graf Waltron zu Möllers erfolgreichsten. Die Heldin heiratete einen bereits Verheirateten und, um ihn zu retten, erklärte sie, dass sie ihn absichtlich verführt habe und büßt jetzt im Gefängnis. Die Geschichte wird glücklich gelöst, beide Gatten erweisen sich als unschuldig (beide glaubten, die frühere Frau sei tot), Sophie aber geht nach ihrer Befreiung ins Kloster, um für ihre Familie zu beten. Wie sehr Möller nach den aktuellen Motiven der Zeit griff, sehen wir an den Nebenfiguren. Es erscheinen eine Kindesmörderin und auch ein Räuber, den Schmidt (1885) sogar mit dem späteren Karl Moor vergleicht. Der Räuber sei mit Karl Moor darin vergleichbar, „[...] daß er nach Möller´s Absicht ein Exempel verirrter Energie, die auch im Räuberthum Unterdrückten beistand und Menschenschinder strafte, darstellt.“
Im selben Jahr erschienen noch zwei weitere Stücke Möllers: das an Tänzen und Gesängen reiche Lustspiel Die Zigeuner, das als Quelle die Erzählung Cervantes` Das Zigeunermädchen von Madrid hatte (wie die spätere Preciosa von Alexander Wolff) und das fünfaktige Schauspiel Wikinson und Wantrop, das scharf kritisiert wurde.
Im Jahre 1777 folgten zwei Trauerspiele Möllers, Emanuel und Elmire, das laut der zeitgenössischen Kritik ein Plagiat des Romans Isabella von Miranda, eine wundernswürdige Geschichte (Autor unbekannt) war, und ein Trauerspiel im Sinne der antiken Schicksalstragödie, Heinrich und Henriette oder unglückliche Verschwiegenheit. In der Vorrede zu dem letztgenannten Werk reagiert der Autor erbittert auf die zeitgenössische Kritik:
Für die gestrengen Kunstrichter in Journalen, Zeitungen etc., schreibe ich keine Vorrede. Denn ohne Kopf – den sprechen sie mir ja ab – kann man nicht schreiben. Ich schreibe für das Publikum: Wenn man sagt, dass der Klingklang, Trommeln und Märsche, Fahnen und Decorationen allein meinen Stücken Beifall verschaffen, so entgegne ich, dass das eine Unverschämtheit, ja beleidigende Grobheit ist. (Zitiert nach Schröter)
Einerseits wehrte sich Möller mit der Behauptung, dass das Äußerliche nicht das Wichtigste an seinen Stücken sei, andererseits entschuldigt er sich auch in dieser Vorrede dafür, dass er die Dialoge wieder zu schnell geschrieben habe und versuchte so, das Verständnis der Leser zu gewinnen. Er reagierte hier auch auf einen anonymen Kritiker, der unter dem Namen „Schnirkel“ 1777 eine satirische Schrift von 16 Seiten veröffentlichte, in der er sich als ein Verehrer Möllers gibt, der hiermit den schriftstellerischen Größen der Zeit sein Beileid bezeugt. Der Titel verrät deutlich die satirische Absicht des Autors:
Condolenz-Schreiben an die grossen Geister Teutschlandes, Hr Lessing, Hrn Göthe und ihre Cameraden bey dem Tod der Emilia Galotti, der Minna von Barnhelm, und des Götz von Berlichingen, da diese Stücke durch den unsterblichen Dichter Herrn Herrn[!] Möller Mitglied der Seilerschen Gesellschafft ins Reich der Vergessenheit und Vermoderung abzugehen gezwungen wurden. (Schmidt, 1880)
Der fiktive Autor „Schnirkel“, der durch sein Unvermögen, weder stilistisch, noch orthographisch seine Muttersprache zu meistern, als ein ungebildeter, ja gar dummer Mensch charakterisiert wird, huldigt dem Dichter Möller, indem er alle seine Schwächen für Vorteile hält: „Sonsten gab´s Narren, die wollten einen reinen Dalogus, oder wie sie das Ding heissen, eine feine Entwicklung, Character, Maral und dergleichen. Aber darüber ist man, Dank seys dem unsterblichen Möller, hinaus.“ Möller antwortete wehmütig und ohne Witz auf diesen Angriff, die Rückantwort des „Schnirkel“ erschien bald darauf. Möllers oben zitierte Vorrede ist ein Nachklang dieses Zanks, in dem Möller eindeutig der Geschlagene war.
Nach der Auflösung der Seylerschen Gesellschaft im September 1779 begleitete Möller seine Gattin bei deren Engagements nach Reval und Riga, wo er 1780 eine Monatschrift Für Leser und Leserinnen gründete, die Ende 1782 wieder einging.
In Riga blieb Möller jedoch nur wenige Monate, im Juni 1780 wurde er zum Direktor des Hoftheaters in Schwedt berufen. Seine Erfahrungen und gute Kenntnis des Publikums ausnutzend, führte er die Direktion zur allgemeinen Zufriedenheit. Neben seiner Beschäftigung als Direktor und Regisseur wirkte er hier auch als Darsteller komischer und edler Väter. In Schwedt blieb Möller bis zum Jahre 1789, in dem die dortige Bühne nach dem Tod des Markgrafen wegen fehlender Unterstützung geschlossen wurde.
1790 starb Josef II. und Möller entschied sich, anlässlich der Krönungsfeier Leopold II. in Prag ein neues Schauspiel zu verfassen. 1791 erschien daselbst das fünfaktige historische Schauspiel Wladislaw II., böhmischer Herzog, dann König, in dem er eine Parallele zwischen Leopold II. und Wladislaw II., unter dessen Herrschaft Böhmen im 12. Jahrhundert prosperierte, aufstellte. Dementsprechend ist das Stück auch reich an starken Bühneneffekten, an Trommeln, Trompeten und Vivat-Rufen, die dem König und dem Kaiser zujubeln.
Seit 1792 lebte und arbeitete Möller als Regisseur in Nürnberg. Er starb während einer Reise von Schwerin nach Berlin am 27. Februar 1798 in Fehrbellin. Das, was Möllers Zeitgenossen kritisierten, nämlich „daß Möller in der armseeligsten Blöße erscheint, sobald er in seinen Schauspielen die Aufmerksamkeit der Zuschauer durch die mechanische Einrichtung nicht erhalten kann“ (Litteratur und Theater-Zeitung, 25.4.1778), wissen die heutigen Literaturhistoriker (siehe Anhuber) in ein ganz anderes Licht zu stellen: „Abschätzige Urteile, auch so berühmter Zeitgenossen wie Schiller, wegen angeblich mangelnder literar[ischer] Qualität von M[öller]s Bühnendichtungen verstellen (ähnlich wie bei Iffland u. Kotzebue) den Blick auf einen bedeutenden Theaterpraktiker, der ein großes Publikum zu faszinieren wusste.“
(Silvie Jašková)