Leo Slezak wurde als Sohn einer deutschsprachigen Handwerkerfamilie - der Vater betrieb eine Mühle - im südschlesischen Mährisch-Schönberg, einer ausgedehnten deutschen Sprachlandschaft, geboren und sollte dem Wunsch der Eltern gemäß in die österreichische Armee als Offizier eintreten. Diese Lebensplanung zerschlug sich früh, da der Sohn mit 14 Jahren wegen Lausbübereien von der Realschule in Brünn relegiert wurde und damit nicht mehr die schulischen Voraussetzungen für eine Offizierslaufbahn erfüllte. Brünn wurde zur Heimatstadt Slezaks; hier leistete er den obligaten Militärdienst, verließ dann kurzzeitig die Stadt, um in Gmünden eine Gärtnerlehre auszuüben, die er jedoch abbrach. Anschließend nahm er in Brünn eine Schlosserlehre auf und besuchte die Werkmeisterschule.
Auch an dieser Ausbildung fand Slezak wenig Gefallen, doch entschädigte den theaterbegeisterten jungen Mann die abendliche Mitwirkung als Statist und Chorist bei Opernaufführungen im Stadttheater, das 1882 von den Architekten Hermann Helmer und Ferdinand Fellner als modernes Bühnenhaus mit der ersten elektrischen Beleuchtung und automatischen Drehbühne errichtet worden war. Das Brünner Theater galt als das internationale Sprungbrett für junge Künstler; so begannen hier beispielsweise die Dirigenten Clemens Kraus und Robert Heger, die Schauspieler Attila Hörbiger, Adrienne Gessner, Fritz Imhoff, Willi Forst, die Sänger Maria Jeritza, Alfred Jerger und Julius Patzak ihre Karriere; das Stadttheater wurde auch der Ort berühmter Uraufführungen der Kompositionen von Leoš Janáček, der in Prag anfänglich wenig beachtet wurde.
Slezak, der begeistert und laut im Chor sang, fiel dem Bariton Adolf Robinson, der in Brünn sein letztes Engagement hatte und als Gesangslehrer wirkte, auf; dieser lud Slezak zum Vorsingen ein und bildete ihn unentgeltlich zum Sänger aus. Eine regelmäßige Arbeit in der Schlosserei und ein abendlicher Schulbesuch war nun für Slezak nicht mehr möglich. So verdiente er sich als Schreiber bei einem Rechtsanwalt und als Vertreter einer Powidlfabrik (Pflaumenmus) seinen Lebensunterhalt. Seinem künstlerischen Mentor blieb Slezak bis zu dessen Tod 1920 herzlich verbunden. In seinem ersten Buch Meine sämtlichen Werke hat er Robinson ein Kapitel gewidmet:
Gleich am Beginn seiner Lehrtätigkeit entdeckte er meine Stimme und hat mich in selbstlosester Weise ausgebildet, nahm mich in die Familie wie einen Sohn auf, und so bin ich denn seit meinem siebzehnten Lebensjahre mit dem herzinnigsten Bande unauslöschlichster Dankbarkeit mit ihm und den Seinen verbunden gewesen. […] Er war von einer Herzensgüte, die einfach jeder Beschreibung spottete, gepaart mit einer Vornehmheit, einem Seelenadel, einem rührenden Vertrauen jedermann gegenüber, das naturgemäß sehr oft missbraucht wurde, und es kam vor, dass er nicht nur die Leute umsonst unterrichtete. […] Wenn er bei uns im Unterricht etwas vorsang, so saßen wir recht entmutigt da, weil wir Schüler ja doch nicht imstande waren, diesem Vorbild auch nur nahezukommen.
1896 debütierte Slezak erfolgreich als Lohengrin in der gleichnamigen Oper von Richard Wagner im Brünner Stadttheater und ging dann an die Berliner Staatsoper, die seine Erwartungen jedoch nicht erfüllte, da er zu wenig Auftrittsmöglichkeiten erhielt und zudem die Opernkultur in der Reichshauptstadt nur sehr geringe künstlerische Anforderungen stellte. Nach Auflösung des Vertrages folgte er einer Berufung nach Breslau, wo er in zahlreichen Partien seine Bühnenreife vollendete. Hier heiratete er die Schauspielerin Elisabeth Wertheim; aus der lebenslangen glücklichen Ehe gingen die Kinder Margarete, die sich auch als Sängerin versuchte, und der Schauspieler Walter Leo Slezak hervor, der in Hollywood Karriere machte.
Das entscheidende Ereignis in Slezaks Berufsleben erfolgte 1901, als ihn Gustav Mahler an die Wiener Staatsoper verpflichtete, deren Ensemble der bald zum Kammersänger avancierte Künstler 34 Jahre angehörte. In Meine sämtlichen Werke hat Slezak die Arbeitsweise Mahlers charakterisiert:
Wie danke ich meinem Schicksal, dass es mir vergönnt war, sieben volle Jahre hindurch, in der Sturm- und Drangperiode meines künstlerischen Schaffens, unter der Leitung dieses Mannes arbeiten zu dürfen. Freilich, als Direktor war er unbequem, mehr als das, oft sogar unerträglich; aber wenn er im Probesaal oder auf der Bühne mit uns arbeitete, zerstob jeglicher Groll in alle Winde, alle kleinlichen Plackereien des Alltags waren im Nu vergessen, und man war stolz darauf, mit diesem Genie durch dick und dünn gehen zu dürfen. […] Die Sorge des einzelnen um seine eigene Person, sein Wohl, betrachtete er als Verbrechen am künstlerischen Werk. Restlos, ohne Gedanken an sich und seine Familie, sollte man in der Kunst aufgehen.
Mit dem Wiener Engagement begann Slezaks Weltkarriere als Sänger. Er gastierte an nahezu allen großen europäischen (Paris, Stockholm, Budapest, Rom, Venedig, Bukarest etc.) und südamerikanischen Opernhäusern, gehörte zum Gastensemble des Londoner Covent-Garden und der Mailänder Scala und war sieben Jahre verpflichteter Gastsänger der Metropolitan Oper in New York. In den großen Tenorpartien der italienischen Oper (Verdi, Puccini) war Slezak ebenso umjubelt wie als Wagner- und Liedersänger, als Interpret zeitgenössischer Opern und Unterhaltungsmusik. Freundschaften verbanden ihn mit Arturo Toscanini, Benjamino Gigli, Richard Tauber, Enrico Caruso und dem Wiener Volksschauspieler Alexander Girardi.
Vor dem Ersten Weltkrieg versuchte Slezak einen Besitz in Oberbayern, in einer Landschaft, die ihm Erholung und Muße bot, zu erwerben. In Rottach-Egern am Tegernsee kaufte er 1910 ein Landhaus, in dem er Ferien- und später Altersjahre während des Zweiten Weltkriegs verlebte. Hier fand der gesellige Künstler rasch freundschaftliche Kontakte zu dem bayerischen Heimatdichter Ludwig Ganghofer (†1920), dem Dichter, Erzähler und Zeitkritiker Ludwig Thoma (†1921) und dem Zeichner und Maler Olaf Gulbransson (†1958); Thoma hat Slezak 1911 in einem Filserbrief heiter charakterisiert und Gulbransson hat den Sänger in zahlreichen Skizzen charakterisiert.
Auf dem Höhepunkt seiner Sängerlaufbahn zog sich Slezak im April 1934 nach einer Aufführung von Verdis Othello in der Wiener Oper aus dem Sängerleben zurück, konnte jedoch die Schauspielertätigkeit nicht lassen und begann eine zweite Karriere als komischer Charakterdarsteller beim Film an der Seite von Paul Hörbiger, Hans Moser, Adele Sandrock u. a. Während der Kriegsjahre wurde es am Tegernsee einsamer um Slezak. 1944 starb seine Frau; 1946 ist er ihr gefolgt.
Slezaks literarische Werke entstanden seit 1920 neben und nach seiner Bühnenarbeit. 1922 veröffentlichte er als ersten Band Meine sämtlichen Werke, eine heiter-besinnliche, oft witzige aber auch gemütvoll-sentimentale Sammlung kurzer Skizzen, in denen er seinen Werdegang, seine Erlebnisse bei Gastspielen in Amerika, Skandinavien, Russland und am Balkan erzählt, Witze, Schnurren und Anekdoten einstreut und sich dankbar zahlreicher künstlerischer Weggefährten erinnert. Das unterhaltsame Buch wurde rasch beliebt, so dass Slezak sein Versprechen, nur ein Buch zu schreiben, brach und mit Der Wortbruch 1925 den Erfolg fortsetzte. Wieder erzählte er aus dem Sängerleben und von familiären Ereignissen; ein heiterer Opernführer und fröhlich-besinnliche Erinnerungen aus Paris, aus dem Tegernseegebiet und Wien runden das Büchlein ab. 1940 folgte Slezaks letzte Publikation mit heiteren Reflexionen über das modische Kulturleben (Claque, Grammophon, Radio, Film), über seine Heimatstadt Brünn und mit zahlreichen Erinnerungen. Erstmals taucht hier ein Kapitel des Briefwechsels mit seinem Sohn auf, in dem der besorgte Vater die Filmkarriere des Sohnes in Amerika kommentierend begleitet und in dem auch Charakterseiten Walter Slezaks erkennbar werden, die den Vater schmerzlich verletzten. Dennoch brach der Briefwechsel nicht ab, ja er gewann nach dem Kriegsausbruch an Intensität. Über 2000 Briefe hat Slezak in den Jahren 1934 bis 1946 nach Amerika geschrieben, die niemals zur Veröffentlichung gedacht waren und die häufig auf abenteuerliche Weise in die Neue Welt gelangten. Neben die väterliche Sorge treten in diesen Briefen Stellungnahmen zum Zeitgeschehen, wobei selbstverständlich nur verdeckt formuliert werden konnte. So erscheint Hitler als „Wastl“ oder „Oberförster“ und die Herrschaft der Nationalsozialisten unter dem Decknamen „Ali (und die vierzig Räuber“). Einige Interpreten der Zeitgeschichte glauben in den Briefen und späten Schriften faschistoide Züge feststellen zu können, da Slezak etwa darauf verweist, dass unter Mussolini mehr Ordnung in Italien zu beobachten sei; dabei wird übersehen, dass derartige Formulierungen durchaus zeittypischen Charakter haben und kaum Rückschlüsse auf die Weltsicht des Verfassers zulassen. Die Briefe sind auch Ausdruck einer schmerzlichen Freude, die Slezak in dem Satz zusammenfasst: „Ich danke meinem Herrgott, daß Du drüben bist. Wärst Du da, hätten wir Dich nicht mehr.“ 1966 hat Walter Slezak eine Auswahl dieser Briefe Mein lieber Bub. Briefe eines besorgten Vaters veröffentlicht; sie vermitteln einen guten Eindruck, wie die NS-Diktatur auf die alternde Generation wirkte. Eine letzte Sammlung von Erlebnissen, die Slezak wohl noch zusammengestellt hat, gab seine Tochter Margarete Slezak 1948 unter dem Titel Mein Lebensmärchen heraus; Heiteres mischt sich mit Sentimantalem - das Unbedeutende überwiegt. Wie von der Schauspielerei, so konnte Slezak sich auch vom Schreiben nicht trennen.
Slezak war als Sänger ein international anerkannter Künstler; seine Bücher wurden Bestseller, da sie zahlreiche Bewunderer ansprachen und durch die witzig-heitere, unbeschwerte Erzählweise, die jeden Konflikt humorvoll löste, auch Leser gewann, die zur Oper keine Beziehung hatten. In dem Maße, in dem im schnelllebig-modernen Theaterbetrieb der Künstler nach seinem Rückzug von der Bühne vergessen wird, verlieren auch die Zeugnisse des Künstlerlebens an Nachwirkung. Dies ist bei den Schriften Slezaks umso bedauerlicher, als hinter vordergründiger Anekdote und persönlichem Witz eine historische Realität auftaucht, die heute häufig durch ideologisches Besserwissen verstellt wird. So gesehen, stellen die Texte des „Sängers und Dichters“, wie sich Slezak wiederholt nannte, einzigartige Zeugnisse einer Lebenswelt und Kultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar.
(Dieter Krywalski)