Andreas Ludwig Jeitteles stammte aus der bedeutsamen Familie der Prager Jeitteles, deren Geschichte allein äußerst interessant ist. Der Großvater des ausgedehnten Stammes, Jonas Jeitteles, wurde in seiner Zeit als Arzt berühmt, ähnlich wie zwei seiner Söhne (beide waren außerdem literarisch tätig), der dritte war ein bekannter Orientalist. Von vier Enkeln war einer Schriftsteller (Ignaz Jeitteles – Herausgeber eines Aesthetischen Lexikons und Autor von mehr als 500 Beiträgen kritischen, historischen, satirischen und poetischen Inhalts in österreichischen und deutschen Zeitschriften) und zwei literarisch tätige Ärzte: Andreas Ludwig (Justus Frey) und sein in Brünn lebender Cousin Alois Jeitteles (geboren 1794 in Brünn, gestorben 1858 in Brünn), der seit 1821 als praktischer Arzt in Brünn arbeitete. 1848 wurde er in die städtische Verwaltung berufen, da er als philanthropischer Arzt und kritischer Publizist auf sich aufmerksam gemacht hatte. Am 1.10.1848 wurde er mit der Redaktion der Brünner Zeitung beauftragt, dieses Amt übte er bis zu seinem Tod aus. Von seinen literarischen Arbeiten ist der von Beethoven vertonte Gedichtzyklus An die ferne Geliebte am meisten verbreitet. Außerdem war er in seiner Zeit vor allem als Dramatiker, dessen selbständige oder gemeinsam mit Castelli verfassten Stücke im Wiener Burgtheater mit Erfolg aufgeführt wurden, und als Übersetzer der Dramen Calderons bekannt. – Häufig werden seine Gedichte irrtümlich seinem berühmteren Cousin Andreas Ludwig zugeschrieben.).
Der Vater von Andreas Ludwig Jeitteles, Juda Jeitteles (1773 Prag bis 1838 Wien), war Orientalist, beschäftigte sich vor allem mit dem Hebräischen und Chaldäischen, in einer Zeit, in der es noch kein Handbuch der chaldäischen Grammatik in hebräischer Sprache gab. Juda stellte eine solche sowie eine Tabelle des grammatikalischen Systems zusammen und gab sie 1813 in Prag heraus (Fundamenta linguae chaldaicae). Das Lehrbuch wurde besonders von den Bibel- und Sprachforschern hoch geschätzt. Juda Jeitteles übersetzte auch einige Bücher des Alten Testaments neu (das Buch Nehemin aus dem Chaldäischen). Unveröffentlicht blieb ein vollständiges chaldäisch-deutsches Wörterbuch, das die chaldäischen Wurzelwörter im hebräischen Text des Alten Testaments erklärt. Ebenfalls in Prag erschien seine Sammlung hebräischer Sinngedichte, Fabeln, Sprüche, dramatischer Szenen... (1821). Unter dem Pseudonym Julius Seidlitz veröffentlichte er die Übersicht Die Poesie und die Poete in Österreich im Jahre 1836.
Andreas Ludwig Jeitteles besuchte 1810-1815 das Akademische Gymnasium in Prag, wo er sich mit Vorliebe mit der klassischen Philologie befasste, lateinische Gedichte schrieb und an einem für künftige Hochschulstudenten obligatorischen Philosophiekurs (u. a. bei Bolzano und Dambeck) teilnahm. Unter schwierigen materiellen Bedingungen studierte er Medizin, vier Jahre in Prag, das letzte Jahr in Wien, wo er 1825 den akademischen Doktorgrad erwarb. Bereits während des Studiums war er mit Literaten, Schauspielern und Künstlern (Karl Egon Ebert, Karl Seydelmann, Josef Führich) befreundet und veröffentlichte Beiträge in literarischen Zeitschriften in Österreich und Deutschland. Als er 1826 eine Studienreise nach Deutschland unternahm, lernte er nicht nur Ärzte, sondern vor allem Schriftsteller kennen, und besuchte auch sein literarisches Idol Goethe. – 1828 konvertierte er zum Katholizismus.
1829 arbeitete er als Prosektor an der Anatomischen Lehrkanzel in Wien, ab 1831 als deren Leiter. 1833-1834 ordnete er die medizinische Literatur der k. u. k. Universitätsbibliothek in Wien nach einem neuen System. 1834 wurde er beauftragt, als Supplent die Lehrkanzel für theoretische Medizin in Wien zu übernehmen. Nach dem Vorlesungsverzeichnis der Olmützer Universität wurde er 1837 (nach Wurzbach bereits 1835, nach Strzemcha sogar 1832) zunächst supplierender, dann ordentlicher Professor der theoretischen Medizin an der Universität Olmütz, wo er bis 1869 tätig war, u. a. 1842 als Rektor.
Nach der Emeritierung übersiedelte Andreas Ludwig Jeitteles nach Graz zu seinem Sohn Adalbert, der als Germanist und k. u. k. Universitätsbibliothekar tätig war (u. a. eine Zeit lang auch als Deutschlehrer am Realgymnasium in Troppau). Der veranlasste seinen Vater, sein lyrisches Oeuvre zu ordnen, und gab es in zwei Bändchen 1874 in Graz heraus; diese Ausgabe soll aber als erfolglos vom Büchermarkt zurückgezogen worden sein. Die in beiden Sammlungen enthaltenen Gedichte sowie Verse aus dem Nachlass wurden von Adalbert Jeitteles nach dem Tode seines Vaters herausgegeben.
Das literarische Werk von A. L. Jeitteles, der ausschließlich unter dem Pseudonym Justus Frey publizierte und zur jüngeren Generation der Olmützer Dichterschule gezählt wird, ist ziemlich reichhaltig. Sein poetisches Interesse galt der Einstellung des Menschen zur Natur und zur Kunst, im engeren Sinne der Position des Künstlers in der Gesellschaft, dem Wesen und dem Sinn der Kunst und ihrer gesellschaftlichen Funktion, dem Verhältnis zwischen Natur und Kunst, der Reinheit der Sprache und der Problematik des öffentlichen Lebens. Freilich verlagerten sich die Schwerpunkte. Nach melodischen, liedhaften Natur- und Liebesgedichten, von denen manche vertont wurden (von Ignaz Ritter von Seyfried, Ignaz Lachner, Gottfried Preyer, Simon Sechter), steht im Brennpunkt seines Schaffens das Zeitgeschehen, dem er sich auch in seinem persönlichen Leben widmete. Neben deutsch-nationalen Gedichten (z. B. An die deutschen Frauen, An die Fürsten u. a. m.), in denen er an die patriotische und ethische Gesinnung der Deutschen appelliert, sind es eben Gedichte, die mit seinem politischen Engagement um das Jahr 1848 verbunden sind. Als Gegner Metternichs sprach er in politischen Versammlungen in Olmütz und in Brünn und gewann einen Großteil der akademischen Jugend sowie der deutschen Bevölkerung für die „großdeutsche“ Idee. Im April 1848 übernahm er die Redaktion des Olmützer Blattes Die neue Zeit, im Mai wurde er im Olmützer Wahlbezirk zum Abgeordneten der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main gewählt. Dort vertrat er das „linke Zentrum“, zog sich aber, nach dem Scheitern seines politischen Konzepts, gegen Ende des Jahres 1848 aus dem öffentlichen Leben zurück. Manche bemerkenswerte Verse drücken seine Hoffnungen sowie Enttäuschungen aus (Vor der Goethe-Statue, Der achtzehnte September u. a. m.). Auch in späteren Versen nimmt er Stellung zum Zeitgeschehen, die Zielscheibe seiner Angriffe ist die Politik Frankreichs, die er für weichlich, blasiert, verdorben und scheinheilig hielt. Ein ähnliches Ziel hat auch eine Reihe von satirischen Versen, die außerdem ganz allgemein gegen schlechte menschliche Eigenschaften, ganz im Sinne der Aufklärer des 18. Jahrhunderts, gerichtet sind. Nicht wenige wurden erst postum veröffentlicht.
Das Judentum wirkte sich überhaupt nicht auf das Schaffen des Dichters aus. Natürlich behandelte er das Thema Gott, Glauben und Religion, meist aber als inneres Erlebnis; die katholische Kirche als Institution, besonders die Jesuiten, unterzog er einer scharfen Kritik. Seine Einstellung zur Kirche wurzelte im Rationalismus des 18. Jahrhunderts, dessen französische Repräsentanten er im Gegensatz zu den zeitgenössischen französischen Politikern hoch schätzte. Ein einziges Gedicht ist einem alttestamentarischen Thema gewidmet, das Ghasel Abraham und der Fremdling, in dem religiöse Toleranz proklamiert wird. Es finden sich aber unter seinen Versen solche, die – neben dem starken Glauben an Gott – auch Zweifel festhalten oder (auf jüdische Weise) mit Gott hadern.
Ganz in der Intention der Aufklärung und deren Auffassung der Tugend bewegen sich die Gedanken, die sich der Dichter über die Funktion der Poesie und die Aufgabe des Poeten machte. So verteidigte er das politische Engagement des Dichters gegen die Anschauung, dass der Poet nur die innersten Regungen und Geheimnisse des Menschen aufdecken sollte (Vorwurf und Entgegnung), den Dichter stellt er sich als einen weisen, ausgeglichenen, charakterfesten Mann vor, der zur Menschlichkeit und Großmut erziehen und im rechten Augenblick als Kämpfer und Retter vor die Menschen treten könnte. Das alles verbindet er mit der Forderung einer einfachen, natürlichen, von fremden Einflüssen gereinigten Sprache. Mit dieser Auffassung der Dichtung hängt die ausgeprägte und allgegenwärtige Tendenz zum Didaktischen im Sinne der pietistischen Tugend zusammen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert als nicht mehr aktuell empfunden wurde. Unausweichlich musste die Kritik der vernichtenden Leidenschaftlichkeit Lenaus (im Gedicht Nikolaus Lenau) folgen, der er Goethes Weisheit gegenüberstellte. Und nicht verschont blieb der „undeutsche“ Heine: „Aber dennoch preist und lobt ihr / Das Undeutsche, das Gemeine, / Zu dem Sternenraum erhobt ihr / Über Schillern gar den Heine“ (Bange machen gilt nicht).
Den größten Einfluss übten auf ihn also die Werke der Weimarer Klassik aus, Schiller und Goethe waren seine einzigartigen Vorbilder, die er gegen die Romantiker zu verteidigen suchte (z. B. im Gedicht Schiller und seine romantischen Gegner). Auf die Verehrung, die er beiden entgegenbrachte, weist das frühe Distichon (1819) hin: „Schillern verehr’ ich und Goethen; doch müsst ich Jenen umarmen, / Diesem mich ehrfurchtsvoll nah’n, stünden sie beide vor mir.“ Beide werden in seinen Versen häufig herangerufen, als Inbegriff der moralischen Haltung und poetischen Kraft sowie Stütze und Vorbild für den modernen Weichling. In vielen Gedichten sind Anklänge an Goethe spürbar, wobei dem Dichter ein fließender Reim, eine gewisse Sprachgewandtheit und die Kenntnis klassischer Gedichtformen nicht abzusprechen sind.
Goethe ist die dramatische Skizze Goethes Genesung, in der Frey die Erholung des Dichters von einer schweren Erkrankung 1823 preist, gewidmet. Interessanter – den Zeugnissen mancher Zeitgenossen nach – dürfte die dramatische Skizze Faust und Mephistopheles auf Besuch im Irrenhaus gewesen sein, die allerdings nie veröffentlicht wurde. Nach den Worten des Editors des Nachlasses soll es sich um „ein mit sattesten Farben gemaltes und von schärfstem Sarkasmus erfülltes Spiegelbild menschlicher Abirrungen“ handeln. Drei erhaltene Fragmente weisen Reminiszenzen an Goethe auf, das Gedicht Monolog des Faust zeigt einen titanischen Helden des Sturm und Drang, ebenso Ein weiblicher Prometheus, das auch in der für Frey ungewohnten Form des freien Rhythmus an das Vorbild erinnert.
Das Oeuvre Justus Freys wurde von seinem Sohn Adalbert Jeitteles mit Kommentaren und Erläuterungen herausgegeben.
Ludvík Václavek