Willibald Müller wurde am 9. März 1845 in Wildschütz bei Jauernig im damaligen österreichischen Schlesien geboren. Er stammte aus armen Verhältnissen, sein Vater Dominik Müller (Sohn des Amand Müller) war Häusler, seine Mutter Anna die Tochter eines Bauern aus dem nahen Neu Wilmsdorf. In seinem Geburtsort besuchte er die Grundschule, nach deren Abschluss ging er nach Weißwasser, wo er in der Piaristenschule die vierte Klasse besuchte. 1856 kam er ans Troppauer Gymnasium. Dort unterstützte ihn die Baronin Anna Stillfried. An dieser Schule verbrachte er acht Jahre. Nach dem 1865 abgelegten Abitur kam er ins Olmützer Alumnat, um hier das Theologiestudium aufzunehmen.
Es ist offensichtlich, dass das Studium der Theologie nicht seinen Wunschvorstellungen entsprach, denn gleich nach dem Abschluss des ersten Jahrgangs brach er das Studium ab und ging nach Wien, wo er sich an der Philosophischen Fakultät der dortigen Universität einschrieb. Später wechselte er nach Prag und setzte sein Studium an derselben Fakultät der dortigen Karl-Ferdinand-Universität fort. Zur Studienzeit lebte er in schlechten sozialen Verhältnissen. Für sein Studium musste er durch Privatunterricht in Häusern bedeutender Persönlichkeiten (auch in der Familie der Erzherzogin Maria Theresia) Geld verdienen. Nach Abschluss des Studiums verließ er seine Heimat und reiste 1871 in die Türkei, wo er in Konstantinopel zwei Jahre lang als Privatlehrer in der Familie des zukünftigen Präsidenten der österreichisch-ungarischen Handelskammer Siegfried von Adler wirkte
Mit dem Aufenthalt in Konstantinopel sind Müllers literarische Anfänge als ausländischer Korrespondent der Zeitung Wiener Blätter verbunden. Diese Tätigkeit setzte er nach seiner Rückkehr nach Wien im Jahre 1873 fort. Ein Jahr später zog er nach Olmütz und nahm den Posten als Redakteur bei der Olmützer Zeitung Die Neue Zeit an. In Olmütz heiratete Müller. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, der Sohn Willy und die Tochter Margarethe, die aber 1899 im Alter von 18 Jahren verstarb. Der Journalistik widmete er sich noch ganze fünf Jahre, im Jahre 1877 gründete er eine eigene Zeitschrift unter dem Namen Moravia, die an die Tradition der gleichnamigen, in den Jahren 1838-1848 in Brünn herausgegebenen Zeitschrift anknüpfte. Als Chefredakteur wirkte Müller bis 1882. In diesem Jahre wurde die Redaktion nach Brünn verlegt. Die Zeitschrift ging hier jedoch bald danach ein. Aber auch danach wirkte er weiterhin als Korrespondent der Zeitungen Wiener Abendpost und später auch der Wiener Montagsrevue. Er beteiligte sich auch an der Herausgabe der Allgemeinen Enzyklopädie der Künste und Wissenschaften, die von Prof. Leskien redigiert wurde.
1879 wirkte er bereits als Skriptor der Olmützer Studienbibliothek und 1892 erhielt er den Posten des Kustos daselbst. Müllers Tätigkeit in der Bibliothek wurde mehrmals gewürdigt: Zum ersten Mal im Jahre 1898, als das Ministerium für Kultus und Unterricht ihm für 40 Dienstjahre die Ziviljubiläumsmedaille verlieh. Mit einer weiteren Medaille wurde er 1908 ausgezeichnet. Zum dritten Mal wurde er 1910 belohnt - damals wurde er für die erfolgreiche Umsiedlung der Bibliothek zum Ritter des Franz-Josef-Ordens ernannt. Mit diesem Umzug der Bücherei hing auch die neue Signierung aller Bücher einher.
Seine höheren Ambitionen realisierte Müller durch Zusammenarbeit mit der Fachpresse. Schon im Jahre 1882 wurde er zum ordentlichen Mitglied der historisch-statistischen Sektion der Mährisch-schlesischen Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde ernannt. Von 1883 an war er korrespondierendes Mitglied der Zentralkommission für kunsthistorische Denkmäler. 1913 wurde er zum Korrespondenten des k.k. Archivrates ernannt. Noch nach Abschluss seiner beruflichen Tätigkeit und dem Fortgang aus Olmütz wurde Müller zum Mitglied des Museumsausschusses in Freiwaldau ernannt.
Die Vielfältigkeit von Müllers Interessen bezeugt eine weniger bekannte Aktivität: Zu seinen Hobbys gehörte auch die Archäologie. Die Fundberichte veröffentlichte er in den Sitzungsberichten der historischen Kommission. Die archäologischen Funde übergab er dem Naturwissenschaftlichen Hofmuseum in Wien. Durch diese Tätigkeit wurde er so bekannt, dass ihn der Minister für Kultus und Unterricht im Januar 1892 für fünf Jahre zum Konservator für Angelegenheiten der II. Sektion in Mähren ernannte.
Sein Verhältnis zur Literatur - und zwar nicht nur das passive, als er zuerst in der Rolle eines subalternen Beamten und später als Vorstand der Olmützer Studienbibliothek wirkte - sondern auch das aktive, in der Journalistik realisierte, konnte sich im Bibliotheksmilieu voll entwickeln. Schon kurz nachdem er sich in Olmütz niedergelassen und sich im Zusammenhang mit seiner journalistischen Tätigkeit mit dem Kulturleben der Stadt Olmütz vertraut gemacht hatte, veröffentlichte er seine Ansichten vor allem in Bezug auf das Olmützer deutsche Theater, das sich zu der Zeit in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen befand. Seinen Standpunkt zur Theaterkrise veröffentlichte er in zwei kleinen Schriften, von denen die erste in Form eines Flugblatts im Jahre 1879 erschien (Zur Theaterfrage in Olmütz), die zweite umfangreichere Schrift (Gedanken über die Leitung der Olmützer Bühne) gab er im Jahre 1880 außerhalb von Olmütz, in Graz, heraus. Er verfasste auch selber ein eigenes Theaterstück (ein Lustspiel) unter dem Titel Der tote Gast, das er im Jahre 1888 dem Hoftheater in Wien anbot. Der Theaterdirektor Langer lehnte das Stück jedoch ab. Ebenso erfolglos endete das Angebot des Theaterstückes beim Berliner Theater. Das Lustspiel ist in der Wissenschaftlichen Bibliothek in Olmütz deponiert.
Müllers reichhaltige literarische Produktion besteht aus Zeitungsartikeln, kürzeren und längeren Aufsätzen in Zeitschriften (einige davon betreffen die Olmützer Studienbibliothek) und schließlich aus vielfältigen Monographien, in denen die historische Thematik insbesondere in Beziehung auf Olmütz oder Mähren überwiegt. Im Vordergrund steht zweifellos seine Geschichte der königlichen Hauptstadt Olmütz von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart (1882), die bei der deutschen Bevölkerung großen Anklang fand, so dass sie 1895 neu aufgelegt wurde. Diese Arbeiten, die man wegen ihrer - damals gängigen - belletrisierenden Schreibart nicht zu streng beurteilen darf, beruhen auf dem Studium von Fachliteratur und gedruckter Quellen. Das erwähnte Werk war die erste repräsentative Stadtgeschichte im gesamten Donauraum (Zimprich).
Zu den der Stadt Olmütz gewidmeten Studien gehört seine erste größere Arbeit, die Festschrift zum 5. Juni 1876. Anläßlich des Burgtordurchbruches und der beginnenden Stadterweiterung (1876). Mit K. Graeser als Mitverfasser gab er das faktographisch reiche Buch Olmütz im Jahre 1894. Denkschrift aus Anlaß des Ankaufes der Festungsgründe durch die Stadtgemeinde 1894 heraus.
Unparteiisch, frei von jeglichen antisemitischen Anflügen ist das Buch Urkundliche Beiträge zur Geschichte der mährischen Judenschaft (1903). Müllers Stellungnahme zum Judentum hing damit zusammen, dass er (eigentlich schon von Jugend an) die Ausdehnung des Machtbereiches der katholischen Kirche ablehnte und sich sowohl dem Antisemitismus als auch dem deutschen Nationalismus widersetzte. Auch gegenüber der tschechischen Bevölkerung finden wir bei ihm keine feindliche Stellungnahme, obwohl er sich selbst immer als Bürger Österreich-Ungarns fühlte und die Tschechen und deren Kultur gleichzeitig tolerierte und ignorierte (Chytil).
Außer faktographischen Arbeiten über Olmütz schrieb er auch zwei historische Romane: Um Sprache und Glauben. Eine Stadtgeschichte aus der Zeit der Hussitenkriege (1905, 2. Auflage 1911), in dem er sich kritisch mit dem Hussitentum auseinandersetzte, und Der Ratsherr von Olmütz. Eine Stadtgeschichte aus der Schwedenzeit (1891, 2. Auflage 1911).
Nicht zuletzt sollte man an die ersten zwei Bände der Olmützer statistischen Jahrbücher erinnern, die bis heute eine wertvolle Informationsquelle darstellen.
Müllers Lieblingsthema waren Biographien. In drei von ihnen - Josef von Sonnenfels. Biographische Studie aus dem Zeitalter der Aufklärung in Österreich (1882), Gerhard van Swieten. Biographischer Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Österreich (1883) und Johann Leopold von Hay. Ein biographischer Beitrag zur Geschichte der Josephinischen Kirchenpolitik (1892) zeigt er seine positive Einstellung zur josephinischen Aufklärung. Im Buch Hans Kudlich. Denkschrift zur vierzigjährigen Feier der Robot-Aufhebung (1888) feiert er diesen Politiker und übernimmt auch einige seiner Ansichten, wenn er z. B. den anwachsenden Einfluss der slawischen Bevölkerung im Staat befürchtet. In diese Gruppe von Biographien kann man auch die Festschrift zum vierzigjährigen Regierungs-Jubiläum Sr. Majestät des Kaisers (1888) und Josef von Engel. Ein Lebensbild, zugleich Erinnerungsblatt an seine Tätigkeit als Stadtverordneter und Bürgermeister der königlichen Hauptstadt Olmütz (1896) einreihen.
Aus dem Bereich der Sagen- und Völkerkunde verfasste er die Werke Das romantische Mähren. Eine Sammlung vaterländischer Sagenstoffe (1881), Sagen und Geschichten der Stadt Olmütz (1892) und Beiträge zur Volkskunde der Deutschen in Mähren (1893).
Trotz seiner verhältnismäßig reichen Tätigkeit sowohl im Bereich der Geschichte (Müller hielt sich vor allem für einen Historiker), als auch in der Belletristik, ist sein Werk nur einem kleinen Leserkreis bekannt. Seine historischen Romane wurden vor allem von der Olmützer deutschen Bevölkerung angenommen; Müller gilt als der erste deutsche Autor, der in seinen Werken die Olmützer Vergangenheit romanartig bearbeitete.
Müllers längster Lebensabschnitt hängt mit Olmütz zusammen und die meisten seiner Werke sind dieser Stadt gewidmet. Dem Augenschein nach war Müller mit Olmütz eng verbunden. Umso merkwürdiger ist der bisher unbekannte Sachverhalt, dass er trotz aller geäußerten enger, fast intimer Beziehung zu Olmütz, sich praktisch sein Leben lang um die Versetzung in eine andere Stadt bemühte.
Seine Anträge stellte Müller fast bis zum Schluss seiner Erwerbstätigkeit in Olmütz. Im Jahre 1915 beantragte er seine Versetzung in den Ruhestand und übersiedelte danach nach Freiwaldau. Vier Jahre später gaben die Gattin Josefine und der Sohn Willy in einer Todesanzeige bekannt, Willibald Müller, k.k. Bibliotheksdirektor, Schriftsteller, Ritter des Franz-Josef-Ordens etc., sei am 8.12.1919 im Alter von 74 Jahren verstorben und am 10.12.1919 in Freiwaldau beerdigt worden. (Vladimír Spáčil, Olmütz)