Karl Wilhelm Fritsch
- Geburtsdaten
- 07.07.1874
- Teschen
- Sterbedaten
- 27.03.1938
- Jundorf bei Brünn
Karl Wilhelm Fritsch war ein vielfältig wirkender Schriftsteller und Intellektueller. Aus seinem Werk hat jedoch einzig der südmährische Roman Um Michelburg (1911) breitere Resonanz gefunden, deren deutschnationale Grundnote allerdings in starkem Widerspruch zu Fritschs intellektuellem Engagement und seinem übrigen Schaffen steht. Fritsch erweist sich bei komplexerer Betrachtung nicht als „Heimatdichter“, wie es auf Grund des Romans Um Michelburg zunächst scheinen könnte, sondern als Naturfreund, Volkserzieher, Moralist, aber auch Humorist, „bekennender“ Kosmopolit und praktizierender Sozialist, Antimilitarist und Antikapitalist, als Sprachenliebhaber, als Autor mit ausgeprägtem Sinn für das Phantastische, Groteske und Satirische. Die meisten seiner Romane, Novellen, Erzählungen, Skizzen und Essays erschienen in Zeitungen und Zeitschriften, die zwar in Brünn herausgegeben wurden (deutschliberaler Tagesbote, kosmopolitische Wahrheit, sozialdemokratischer Volksfreund, sozialdemokratischer Volkswille), aber von einer der deutschen Sprache mächtiger und politisch linksstehender Leserschaft zumindest in der gesamten Tschechoslowakei (und darüber hinaus) gelesen wurden. So dürften die Fritsch zugeschriebenen Attribute aus seinen Nachrufen im Tagesboten („der bekannte Schriftsteller“) und im Volksfreund („der geschätzte Schriftsteller“) nicht nur wirklich zutreffend gewesen sein, sondern auch weit über Brünn hinaus Geltung gehabt haben. Die Verstreutheit seiner Veröffentlichungen, die bis heute weder bibliographisch noch philologisch ausreichend erfasst sind, trug sicher dazu bei, dass Fritschs vielleicht diffuses, aber zweifellos einzigartiges und beziehungsreiches Werk von der Renaissance der deutschmährischen Regionalforschung seit den 1990er Jahren bislang wenig profitiert hat. Erst in allerletzter Zeit zeichnet sich eine Rekanonisierung von Fritsch ab. Sein bekanntester Roman Um Michelburg wurde auf textanalytischem Wege gewürdigt (Jörg Krappmann: Allerhand Übergänge, 2013) und seine Wanderskizze Im Gesenke in der Anthologie der deutschmährischen Literatur (2014, hg. von Lukáš Motyčka und Barbora Veselá) aufgenommen.
- Vor Um Michelburg
Im Gesenke (1910) ist auch Fritschs erste in Buchform erschienene selbständige Arbeit. Zu diesem Zeitpunkt war Fritsch aber schon 36 Jahre alt und etwa seit einem Jahrzehnt im Brünner kulturellen Leben aktiv. Die Umrisse der Aktivität Fritschs vor 1911 rekonstruiert sein einziger systematischer Biograph, Zdeněk Mareček (2001). Bei der Beschreibung der Zeit um 1900 ist er primär auf die Perspektive – oder vielmehr Retrospektive – von Karl Hans Strobls Memoiren Glückhafte Wanderschaft von 1942 angewiesen. Strobl war mit Fritsch in den 1900er Jahren befreundet, arbeitete mit ihm auch literarisch zusammen (1908 gaben sie gemeinsam eine Auswahl aus den Geschichten der Bettina von Arnim heraus) und teilte mit ihm auch den Beruf als Finanzkonzipist im Brünner Finanz-Landesamt. Mit deutlicher Ironie wird Fritsch von Strobl als „ein dem Brünner Boden entwachsener neuer Leibniz“ (S. 78) beschrieben, der Strobl dennoch auch durch seine Belesenheit (Schopenhauer) imponiert. Strobl erwähnt in seinen Erinnerungen, die allerdings den nicht zu unterschätzenden Abstand von 40 Jahren überbrücken müssen, auch Fritschs damalige dichterische Tätigkeit, die er aber sehr herablassend beschreibt: „Karl Wilhelm Fritsch blieb allein zurück [in einem Lokal, JB], und nun begann er zu dichten. Es war eine Dichtung von acht Bieren aufwärts und sie war leider danach.“ (S. 126) Aus Fritschs literarischer Tätigkeit vor Um Michelburg führt Mareček nur seinen heute nicht mehr erreichbaren Einakter Heimkehr an, der 1904 zusammen mit zwei anderen Einaktern (von Helene Hirsch und von Eugen Schick) in Brünn uraufgeführt wurde. Darüber hinaus ist Fritsch aber bereits in dem 1902 erschienenen, relativ umfangreichen Jahrbuch Mährische Dichter, das als Weihnachtsgabe des Vereines „Deutsches Haus“ in Brünn vergeben wurde, mit zwei Gedichten vertreten. Dieser mährische „Musenalmanach“ (Schick) hatte zum Ziel, „den Anteil Mährens an der deutschen Literatur der Gegenwart“ (Vorwort) zu zeigen und bringt Texte von 55 Autoren und Autorinnen von Ebner-Eschenbach und Saar über Langmann bis zu Schaukal, Schick, Strobl oder Trübswasser. In Schicks Buchbesprechung im Brünner Tagesboten (20. Dezember 1902) wird besonders der Anteil „Jung-Mährens“ an der Anthologie hervorgehoben. Der dazu gezählte Fritsch präsentiert sich u. a. mit dem symbolistischen Naturgedicht „Über das schwarze Meer schwimmen tausend purpurne Särge...“. Ab spätestens 1903 schreibt Fritsch dann Buchbesprechungen für den Brünner Tagesboten, die z. T. in der Volltext-Version der Zeitung auf www.difmoe.eu recherchierbar sind. Fritschs Beiträge „vom Büchertisch“ sind zwar nicht so zahlreich wie die von Strobl, Schick, Gajdeczka oder Kreisler, er äußert sich dennoch zu vielen Texten z. B. aus der Märchen- und der phantastischen Literatur, aus der deutschmährischen (Stonas Roman Rahel, 1909) bzw. deutschböhmischen (Stifters Korrespondenz, 1925) Literatur. Außerdem rezensiert er philosophische bzw. ästhetische Schriften, frauenemanzipatorische Literatur (Roman Der Kampf der Frau ums Recht, oder Emil Luckas Roman Eine Jungfrau, sehr wohlwollend) sowie Kriegsromane und -berichte, diese mit stark antipathetischer Tendenz. So bespricht er in derselben Nummer des Tagesboten vom 23. September 1917 den Bericht eines österreichischen Arztes von der Isonzo-Front, den er als „den wahren Helden und Menschenfreund“ bezeichnet, und zwei neue Ullstein-Kriegsbücher, u. a. das von „Oberleutnant zur See“ Dönitz. Diese Buchbesprechung, die Wendungen wie „verlegerische Großpropaganda“ oder „Publikum, das hungrig nach solcher Kost verlangt“ enthält, schließt er wie folgt ab: „Doch auch die Kriegszeit wird ein Ende finden, mit ihr die Kriegsliteratur und hoffentlich erleben wir bald eine Renaissance edleren künstlerischen Empfindens.“ Buchbesprechungen für den Tagesboten verfasst Fritsch bis in die späten 20er Jahre, obwohl er in der Nachkriegszeit in diesem deutschliberalen Medium eher mit literarischen Texten vertreten ist und die essayistischen Texte vorwiegend einem kosmopolitisch (Die Wahrheit) und sozialistisch gesinnten Publikum vorlegt.
Schon seit 1898 gehörte Fritsch zum Vorstand des Deutschmährischen Volksbildungsvereins (Mareček 2001, S. 274) und war auch eines seiner öffentlich aktivsten und laut Zeitungsberichten auch beliebtesten Mitglieder. Für den Volksbildungsverein bereitete er spätestens ab 1900 Vorträge und Vortragszyklen vor, v. a. über Literatur („Die Alpen im Lichte deutscher Dichtung“, 1900) und juristische Fragen („Rechtsfragen des praktischen Lebens“, 1901, darunter zu „Völkerrecht“ und „Arbeiterschutz“). In der Nachkriegszeit bekommen seine Vorträge eine stärkere weltanschauliche Aussage. Dokumentiert sind Fritschs Vorträge im Rahmen des Brünner deutschen Rundfunkprogramms, die er noch 1936 hielt und die auch in seinen Nachrufen erwähnt werden. Diese sind als die logische Fortsetzung seiner Vortragstätigkeit im Deutschmährischen Volksbildungsverein aufzufassen (z. B. 11. Mai 1929: „Von Krankheit und Heilung unserer Zeit“, 13. April 1930: „Humanität und Willensfreiheit“, vom 3. April 1931 „Natur und Kunstwerk“, vom 22. August 1931 „Die Milchstraße“ – Fritsch lieferte laut einem der Nachrufe jahrelang auch meteorologische Berichte für Zeitungen –, oder vom 14. Dezember 1935 „Der Mensch und sein Recht“).
Fritsch las auch oft bei Autorenabenden, vor allem nach der Veröffentlichung seines südmährischen Romans (vgl. Bericht im Tagesboten vom 29. September und 3. Oktober 1912, im Rahmen des Vortragszyklus des Deutschakademischen Lesevereines). Laut Karl Kreisler („75 Jahre mährisch-schlesischer Heimatdichtung“, Jubiläumsausgabe des Tagesboten vom 29. November 1925) las Fritsch aber auch schon beim ersten Vortragsabend der „Neuen akademischen Vereinigung“, der von Kreisler „große Verdienste um die Förderung literarischer Dinge“ attestiert werden, am 8. April 1905, gemeinsam mit Strobl, Schick, Helene Hirsch, Hans Müller (-Einigen) u. a. Zu seinem 50. Geburtstag im Jahre 1924 wurde er von der Schriftleitung des Brünner Tagesboten beglückwünscht und durfte mit einer seiner „nachdenksamen Arbeiten“ (S. 1, d. i. der Erzählung „Der Berg der Welt“) die Sonntagsbeilage des Tagesboten am 13. Juli 1924 eröffnen.
- Essayist und Volkserzieher
Zumindest zeitweise war Fritsch aber nicht nur eine lokale Brünner Größe, sondern auch regelmäßiger Autor der von Ernst Viktor Zenker herausgegebenen „Wiener Wochenschrift“ Die Wage. Die Wochenschrift erschien ab 1898 und wurde 1925 eingestellt. In den 1910er Jahren trat sie für Pazifismus und Überwindung von nationaler Unverträglichkeit ein (z.B. ausführliche Berichte zu Plänen des „böhmischen Ausgleichs“ im Jahre 1911 oder zum „Trialismus“). Ferner wurden hier der kulturelle und wirtschaftliche Ausgleich zwischen Zentren und Peripherien der Monarchie, die Frauenemanzipation, die jüdische Problematik, die Kritik am Kapitalismus usf. behandelt. Fritsch steuerte schon 1913 literaturhistorische Aufsätze bei (z.B. über Jean Paul, dessen Schreibweise er z.T. in seinem späteren Roman Die Mondfabrik folgte). Zu einem der prominentesten Autoren der Wage wurde er aber erst in der Kriegszeit. Schon Fritschs 1915 erschienene Beiträge essayistischer Art, die oft Impulse aus besprochenen Neuerscheinungen aufnehmen, zeigen seine Hinwendung zum kosmopolitischen Gedankengut. Ein Beispiel: Ausgehend von der Kritik an Davis Trietschs (1870 Dresden – 1935 Tel Aviv, zionistischer Schriftsteller und Politiker) Broschüre Juden und Deutsche, deren „Grundakkord: deutsche Interessen würden durch eine Bundesgenossenschaft mit den Juden im Auslande am besten gefestigt und erweitert“ Fritsch als unrealistisch ablehnt, schlägt er in seinem Aufsatz „Zur Stellung des Judentums“ (Die Wage, Jg. 18, Nr. 31/33, 14. August 1915) eine Verbindung der „geistig Hochstehenden der einzelnen Nationen“ vor, und zwar auf der Basis des „Gemeinsamen einer die Nationen überragenden Menschheitskultur.“ Die „geistig Hochstehenden“ stellt sich Fritsch sogar als eine Art Kontrollinstanz vor, die über das Einhalten des Völkerrechts wacht (vgl. seinen Essay „Völkerrecht“, Die Wage, Jg. 18, Nr. 46/47, 27. November 1915): „Einen alle Staaten umfassenden Überstaat gibt es wohl, es ist die Menschheit selbst [...]. Die in jedem Staate lebenden rechtlich und klar Denkenden, die geistig Starken bilden einen alle Staaten verbindenden und selbst durch keine Grenzen beengten idealen Staat. Dieser bildete ja wohl stets eine Art Kontrollstaat in manchen Belangen, könnte dieser nicht, wenn ihm neben der rein geistigen Kritik praktische Macht gegeben wäre, den das Völkerrecht regulierenden und ihm faktisches Dasein gebenden Überstaat bilden? Die Frage kommt durchaus nicht aus dem Traumlande.“ In dem Essay „Die ideale Gesellschaft“, der die Nr. 8/9 des 19. Jahrgangs der Wage eröffnet (4. März 1916), geht Fritsch von einer Überlegung Schopenhauers aus, die besagt, dass „nur das Individuum allein existiert“. Fritsch leugnet hier zwar nicht die Nationalität des Menschen an sich, plädiert aber für sein Recht, „ein Volk zu verlassen und sich einem anderen anzuschließen, [wenn dieses] nach seiner Meinung die Ehre verloren hat.“ Den nationalen Kampf sieht er als in einer bloßen „Illusion“ begründet, die durch die Erziehung und insbesondere durch „die Gewalt der Sprache der Dichter“ entsteht. „Die Liebe zum Volke und der Patriotismus“ existieren nach Fritsch nur in dieser Illusion. In Fritschs Idealvorstellung konzentriert sich demgegenüber alle Macht in der „Schicht der kulturell Höchststehenden“, innerhalb deren „auch Völkergrenzen schwinden würden“ und durch die „auch den Minderwertigen kein Unrecht erstehen würde, da ja das von den moralisch Hochwertigen ausgeübte Recht nur ein, nach moralischen, also nicht egoistisch geschäftlichen Gesichtspunkten, ausgeübtes wäre [...]. Ziel des Schaffens wäre eben dann das gemeinsame Wohl aller.“ Fritsch stellt sich vor, dass „die Rechtsgebiete der Einzelnen sich nicht als zwangsweise zugewiesene darstellen würden, sondern als solche, welche jeder als die seiner moralischen, geistigen Kraft möglichen erkennen müsste.“ Konkreter wird Fritsch hier nicht, dafür spezifiziert er aber die Instanzen, die er für den Krieg verantwortlich macht. Er findet sie vorwiegend im intellektuellen, weniger im politischen Bereich. Die Überschriften seiner weiteren Essays für Die Wage während der Kriegszeit belegen dies: „Die Blutschuld der Phrase“ (Jg. 19, Nr. 18/19, 13. Mai 1916) ist eine radikale Anklage der durch „Herdenmenschen“ verinnerlichten sprachlichen „Kampfreizmittel [...], die die Menschheit in zwei feindliche Lager spalten und [...] praktisch zum Massenmorde werden.“ Fritsch nennt dies den „Geistigen Militarismus“ (Jg. 20, Nr. 3/4, 27. Jänner 1917), den er konsequenterweise in journalistischen und literarischen Texten sowie insbesondere bei bestimmten Verlagen diagnostiziert. Den „Niedergang unserer Literatur“ (Jg. 20, Nr. 5/6, 10. Februar 1917) sieht er – wiederum mit Schopenhauer – im „Geldverdienen durch Bücherschreiben“. Er kritisiert aus einer konservativen Position heraus den gesamten Literaturbetrieb mit „amputiertem Geschmack“, Kritik als „Buchreklame“ und den „prächtigen Einnahmen“ der Literaten und Verlage. Der „Berufsschriftsteller“ schreibe nur das, was er „anbringen“ könne. So komme der Literatur allerdings ihre „sittliche Größe“ abhanden. Fritsch richtet seinen Essay rhetorisch an die „Herren Literaten“ und will ihr „Literaturgewissen wachrufen“.
Fritschs Mitarbeit an der Zeitschrift der Brünner Kosmopolitischen Gesellschaft (Die Wahrheit, 1919-1922, hg. von Edmund Rosenberg) wird ausführlich von Zdeněk Mareček (2001) analysiert. Primäres Ziel der Brünner Kosmopoliten, die besonders in den ersten Jahren nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik aktiv waren, bestand darin, „die nationalen Gegensätze zu entspannen, indem sie auf allgemein menschliche Werte hinwies“ (Mareček 2001, S. 278). Dies sollte in aufklärerisch-rationalistischer Tradition durch Erziehung zum Pazifismus, Kosmopolitismus, zur Wahrung individueller Freiheiten sowie durch die Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems erfolgen. Fritschs Beiträge stehen „am linken Flügel des Brünner kosmopolitischen Kreises“ (Mareček 2001, S. 279). Wiederholt äußert er sich vor allem zu der von ihm sehr kritisch beurteilten Kontinuität der neuen Republik mit dem alten Kaiserreich: „Da kam der Umsturz, von dem so viel erwartet wurde und der so gar nichts Neues brachte, es wäre denn, neuer deutsch-tschechischer Rollentausch. Die Bühne blieb altösterreichisch.“ („Luft für freie Menschen im freien Staate!“, Jg. 2, Nr. 2, 1920) Fritsch nimmt an der ersten tschechoslowakischen Volkszählung (1921) Anstoß, wobei er auf den im vorab einkalkulierten politischen Missbrauch der scheinbar neutralen Erhebung der „Nationalität“ kritisch hinweist: „Nun frage man einmal aufrichtig: welchen Sinn derartige statistische Kuriositäten haben sollen und gebe eben so aufrichtig die Antwort. Wie kann diese lauten? Sinn gleich Null. Einen allerdings nicht wissenschaftlichen Zweck haben sie freilich, nämlich den: den nationalen Gegner des Seelenraubes anklagen zu können. Gezüchtet wird aber damit nur weitere Verbitterung, weitere Gehässigkeit, weiterer Unfriede.“ Fritsch schlägt deshalb vor, „die Frage nach der Nationalität, wenigstens diesmal, vollständig beiseite zu lassen.“ Stattdessen würde er „fragen, wieviel da und dort Schieber, Kriegswucherer, durch den Krieg neuentstandene Millionäre sich befinden, diese konskribieren und unschädlich machen, etwa unter gütiger Mithilfe von Galgen.“ Eben „dem gewinnenden Mann im Golde“ wirft Fritsch schließlich vor, „die chauvinistische Glut, sobald die just zu verkühlen droht, neu anzufachen. Er gewinnt ja dabei und je mehr die Straßen von deutschen und tschechischen Schimpfworten widerhallen, desto reichlicher fischt er im Goldflusse und gewinnt, gewinnt.“ („Ein Nachwort zu den jüngsten nationalen Wutausbrüchen“, Jg. 2., Nr. 4, 1920). Im Kosmopolitismus, den er 1916 in einem Essay in der Wage („Die ideale Gesellschaft“) noch modifizieren wollte, da er das „Aufgeben des Nationalgefühls“ nicht empfehlen konnte, sieht Fritsch 1920 schon „die endgültige Abkehr von der Auffassung der Nation als Machtmittel, den einzigen Ausweg aus dem Wirrsal.“
In der Wahrheit erwägt Fritsch auch die Möglichkeiten, wie dieses Umdenken – eine politische Wende bekommt bei Fritsch keine konkrete Form – herbeizuführen wäre. Neben dem üblichen aufklärerischen Mittel, nämlich der Erziehung bzw. Bildung, spricht Fritsch ziemlicher radikal von der Revolution, wobei er sich aber mit deren aktuellen, sowjetrussischen Form kritisch auseinandersetzt, und zunehmend auch vom Christentum bzw. einer moralisch und humanistisch ausgerichteten Religiosität. Fritschs pädagogische Absichten lassen sich eindeutig aus seinem appellativen Sprachgebrauch („Gehöre dir wieder selbst!“) und der anvisierten Zielgruppe (einmal sogar explizit „An die Jugend“) herleiten und belegen im Kontext seiner früheren Tätigkeit im Volksbildungsverein oder der Radiovorträge aus den 30er Jahren Fritschs konsequentes volkspädagogisches Selbstverständnis als Intellektueller. Demgegenüber ist seine Befürwortung der Revolution als „Notbestandteil der Entwicklung“ heute geradezu schockierend. Fritsch versteht diesen Begriff allerdings anders als gewohnt. In seinem lebenslangen Kampf „gegen die Phrase“ will er den von der „kapitalistischen“ Presse dämonisierten Begriff gegen den Strich bürsten. Der Bolschewismus ist für Fritsch eine „Revolution der Seelenkräfte“, somit dem Christentum analog, das den unmöglich scheinenden Ausweg aus dem „Sumpfe“ des untergegangenen römischen Kaiserreichs brachte. Für den Bolschewismus argumentiert Fritsch nietzscheanisch: „Die Altweibersommerlogik: ´Damit würde Zuchtlosigkeit einreißen´, erstickt in sich selbst, sobald sie einsieht, dass relative Werte gesetzt werden müssen, damit an ihnen Zucht und Zuchtlosigkeit gemessen werden können. Erst wo die Moral aufhört, beginnt nämlich der Mensch, denn sie, als vom Menschen dem Menschen gesetzt, ist eben Unfreiheit.“ Auch den christlichen Weg zur Besserung der Menschheit, der auch in Fritschs literarischen Texten („Der Zorn der Awa“, 1921, „Dolorosa“, 1932) eine Rolle spielt, beschreibt er ziemlich unorthodox. In seiner Besprechung der Fabeleien über göttliche und menschliche Dinge von Rosa Mayreder (Wahrheit, Jg. 3, Nr. 6, 1921) schreibt Fritsch: „Den Schauenden, Denkenden, Schaffenden erstehen gemeinsame Ideen aus dem Wirbel der Welt. Nur spiegeln sie sich in den Köpfen verschieden. Aber Gott suchen wir alle – freilich nicht den biblischen – und finden ihn in uns.“ Fritsch geht in seinen Texten für die Wahrheit oft auf liturgische Texte (Paulus-Briefe) ein und wählt dann einen dementsprechenden predigerhaften Ton: „Das große Ostern der Menschheit, die große Weltauferstehung“ wird kommen, wenn das „am Marterholze zurückbleibt, was die Menschheit noch immer daran hindert, zum reinen Menschentume auferstehen zu können“, und das sind „Gruppen, die die irdische Engheit geschaffen hat“, also vor allem Nationen. Eine ähnliche Predigt über die Gleichheit aller Menschen liefert Fritsch den Lesern der Wahrheit zu Pfingsten 1921. Eine „Summa summarum“, so der Titel seines umfangreichsten Essays, seiner Kapitalismuskritik zu Beginn der 20er Jahre verfasst Fritsch bereits nach dem Einstellen der Wahrheit für die sozialdemokratische südmährische Wochenzeitung Volkswille im Dezember 1923. Fritsch erwartet eine Katastrophe, da sich auch nach den Friedensschlüssen von 1919 kaum etwas geändert habe, und hat – als jemand, der „geologisch denkt“ – wenig Angst vor Revolutionen, die „ja doch nichts als natürliche Entwicklungen“ sind, an denen die „Menschheit nicht stirbt“.
- Schriftsteller
Fritsch entwickelt in seinem literarischen Schaffen keinen einheitlichen künstlerischen Stil. Er verfügt vielmehr über mehrere verschiedene Schreibweisen, die jeweils in verschiedenen Texten die Überhand gewinnen. Nach diesen Schreibweisen, die aber auch jeweils an bestimmte Thematiken gekoppelt sind, lässt sich sein literarisches Werk relativ anschaulich gliedern. Seine frühesten literarischen Texte – abgesehen von den vereinzelt publizierten Gedichten der 1900er Jahre und dem nicht veröffentlichten Einakter Heimkehr – sind erzählende Berichte über Wanderungen in Nordmähren und Österreichisch-Schlesien, das Fritsch als die Region seiner Herkunft ansieht. Diese Berichte veröffentlichte er zwischen 1908 und 1911 in der Zeitschrift Schlesische Rundschau u.a. Als selbständige Publikationen sind sie unter den Titeln Im Gesenke (1910) und Aus schlesisch Nordwest (1919) in kleinen schlesischen Verlagen erschienen. Laut dem Vorwort zu dem zweiten Band halten die darin enthaltenen Texte – neben Landschaftsskizzen auch Erzählungen in schlesischer Mundart – z.T. noch um viele Jahre ältere Wandereindrücke und -erlebnisse des Autors fest. Vor allem die längste von Fritschs „Landschaftsskizzen“ (Vorwort zu Aus schlesisch Nordwest), Im Gesenke, ist eher eine heitere Nacherzählung von Erlebnissen und Gesprächen während einer Wanderung als etwa eine Landschaftsbeschreibung. Obwohl Fritsch zu Beginn der Erzählung die geschichtlichen und geographischen Spezifika der Region (mährisch-schlesisches Altvatergebirge) knapp wiedergibt, verzichtet er, mit feiner Ironie, auf jegliche politische Funktionalisierung der Landschaftsschilderung: „Wie sich das Deutschtum [in Österreichisch-Schlesien] unter anderen Umständen [wäre es 1742 an Preußen gekommen] entwickelt hätte – wer weiß es. Oder sollten wir Österreichisch-Schlesier doch etwas wissen? Nun, jedenfalls sind das politische Dinge – und ich bin nun einmal kein Politiker.“
Die zweite Station auf Fritschs schriftstellerischer Laufbahn ist durch seine südmährischen Romane markiert: Um Michelburg (1911) und dessen lose Fortsetzung, Vaterland (1920). Um Michelburg wurde in den Vorkriegsjahren intensiv rezipiert und positiv rezensiert, erhielt 1911 eine mehr als eine Zeitungsseite lange, recht undogmatische Besprechung im Tagesboten (18. Juni 1911). An dem Roman wurden andere, später erschienene südmährische Romane gemessen (z.B. Guido Glücks Der goldene Boden von 1912 in einer ausführlichen Rezension von K. H. Strobl, Tagesbote vom 16. November 1912). Er wurde über Mähren hinaus bekannt (z.B. in der schon erwähnten zionistischen Broschüre Juden und Deutsche von Davis Triesch zitiert) und schließlich auch in Fritschs Nachrufen explizit genannt. Fritsch selbst beschwerte sich später, dass der Roman „vielfach unsinnigerweise als ein nationales Propagandabuch angesehen“ wurde (Wahrheit, Jg. 3, Nr. 4, 1921). (Fritsch fügt hinzu, dass „nur die tschechische Kritik mir sofort Gerechtigkeit widerfahren ließ“, ich habe aber nicht ermitteln können, ob bzw. wo diese Kritik gedruckt wurde). Zdeněk Marečeks (2001) Analyse des Romans belegt jedoch überzeugend, dass der Text nicht ganz zu Unrecht als Heimat- bzw. Grenzlandroman gelesen wurde, als die Geschichte eines deutschen Positionsbezugs in der nationalen Auseinandersetzung zwischen den Brünner („Brennburg“) und Nikolsburger („Michelburg“) Deutschen und Tschechen. Fritsch bedient sich in dem Roman vieler gattungstypischer Versatzstücke der Grenzlandprosa („Instrumentalisierung der Mundartforschung, nationale Spannungen als Ergebnis quasi-biologischer Prozesse, Anonymisierung des Feindbildes“, Mareček 2001, S. 277) und eines unmissverständlich national besetzten Vokabulars, also genau dessen, was er selbst schon 1916 als „blutschuldige Phrase“ bezeichnet. Dass damit aber nicht alles über den Roman gesagt ist, zeigt die nicht minder einleuchtende Analyse von Jörg Krappmann (Allerhand Übergänge, S. 130 - 139), der die „polyphone Struktur“ des Romans dafür verantwortlich macht, dass statt einer nationalen Bekehrungsgeschichte vielmehr ein „Knäuel von Meinungen“ (S. 137) entsteht, eine Vielzahl von unterschiedlichen Figurenperspektiven, die „das Panorama des zeitgenössischen Nationalismus vervollständigen“ (ebd.). In diesem Sinne nimmt Krappmann den Roman sogar aus der Gattungsschublade der Grenzlandprosa heraus (S. 138). Tatsache bleibt aber, dass der Roman (überwiegend) als „nationaler Kampfroman“ (Strobl im Tagesboten vom 16. November 1912) gelesen wurde. Fritschs zweiter Brünn-Roman Vaterland (gedruckt als Fortsetzungsroman in der Brünner sozialdemokratischen Tageszeitung Volksfreund 1920) führt die Erzählung des Schicksals von zwei Söhnen des Richters Kandler weiter, einer idealistischen deutschen Nebenfigur aus Um Michelburg, deren Persönlichkeit an der national gemischten und wenig harmonischen Ehe der Eltern krankt. Die zwei jungen Männer – ein etwas zu pflichtbewusster junger Richter und ein ehrlicher, aber unsteter Journalist – müssen sich von der Illusion befreien, die im Namen des „Vaterlandes“ die Freiheit, Familien und Menschenleben zunichtemacht. Die auktoriale Absicht, mit dieser politischen Phrase aufzuräumen, macht zwar den Roman weitgehend schematisch, er illustriert aber auch Fritschs gestiegenes Interesse für die soziale Problematik. Bis auf die Verbindungslinie der Hauptfiguren zu Fritschs vorangehendem Roman enthält Vaterland weder nationales Vokabular noch nationales Gedankengut. Das „neue“ Vaterland, das zum Schluss des Romans im tätigen Leben und im Leben in der Familie gefunden wird, gewinnt allerdings keine klaren Umrisse.
Fritschs dritter (und letzter umfangreicher) Roman, Die Mondfabrik (erschienen als Fortsetzungsroman im Volkswillen, 1924) spielt zwar zum Teil ebenfalls in Südmähren, daneben aber auch etwa im Himalaya und auf dem künstlichen Erdenmond, Luna tertia, der zu Beginn des Romans auf die Erdumlaufbahn hinaufgeschleudert wird. Dieser Roman gehört zu einer anderen Gattung als die zwei vorangehenden, realistischen Romane. Fritsch nennt ihn im Untertitel „einen verwegenen Roman“. Im Text macht er sich über die Kleinstadt, über den Militarismus, über die Aktienmärkte, über die Wissenschaft, über die Rationalität ausgelassen und (vielleicht zu) befremdlich lustig. Auf jeden Fall ist der Großteil des Romans humoristisch und satirisch. Gleichzeitig handelt es sich um einen phantastischen Roman, der, auch wenn er die ernst Aussage immer wieder ironisch untergräbt, eine Art sozialer Utopie zum Gegenstand hat, die auf Impulse aus der unmittelbaren Nachkriegsgegenwart Bezug nimmt (Übervölkerung der Erde, Brutalität des Kapitalismus). Fritsch beschäftigte sich kontinuierlich mit Märchen und der literarischen Phantastik und hat zu diesen Genres viele Buchbesprechungen verfasst (u. a. zu Angermayers „Drama des Alls“ Raumsturz in der Wahrheit 1922 oder zum Atlantisroman Karl zu Eulenburgs Brunnen der großen Tiefe im Tagesboten 1926, gegen den er Hauptmanns Atlantis-Roman ausspielt). Im Mittelpunkt von Fritschs Roman stehen zwei wissenschaftliche „Übergenies“, Manimont und Funkenkratzer, die miteinander telepathisch kommunizieren, wissenschaftlich klingende, aber absolut lächerliche Begründungen für die gravierendsten Verletzungen der Naturgesetze erfinden und dadurch „wunderbare“ Kräfte im Griff haben, z.B. eine durch den Zorn eines eingesperrten Lichtstrahls angetriebene „Spiegellichtkanone“ oder die befreite potentielle Energie eines Stücks Erdboden, genau genommen eines verlassenen Exerzierplatzes, mit der sie diesen zum künstlichen Erdtrabanten machen und ihn später mit Hilfe eines Flugzeugs besuchen. Der Roman hat wenig Handlung, ließe sich aber doch (wie Zdeněk Mareček dies tut) als eine vielfach gebrochene kosmopolitische Utopie interpretieren, die nur in der Form einer wunderlichen Parodie erscheint und sogar als solche vorläufig scheitert. Das auf Luna tertia versetzte junge Menschenpaar aus der (fiktiven) südmährischen Kleinstadt Freistift, die aber im Roman für die ganze Welt (außer dem skrupellosen Amerika) steht, kehrt am Ende aus Heimweh auf die Erde zurück. Der weitgehende Verzicht Fritschs auf die bis dahin stets präsente Erziehungsabsicht ist hier offensichtlich. Da aber auf Luna tertia die Zeit etwa tausendmal schneller abläuft als auf der Erde, ist dort schon ein eigenes Menschengeschlecht im Entstehen begriffen, das von Professor Funkenkratzer beobachtet und betreut wird. Und vor allem erreicht die erzählerische Frivolität des Romans, die der Jean Pauls in nichts nachsteht, ein solches Ausmaß, dass er sicher nicht nur Fritschs Resignation im Hinblick auf die Erziehung des Menschengeschlechts, sondern auch seine humoristische Veranlagung illustriert.
Fritschs kürzere belletristische Texte aus den 1920er und 1930er Jahren oszillieren zwischen diesen beiden, gut aufklärerischen Zielsetzungen: Belehrung und Unterhaltung, obwohl die letztere im Vergleich zu der Mondfabrik hier in den Hintergrund tritt. Dass er bis zuletzt seine erzieherische Aufgabe nicht aufgegeben, sie aber vielleicht entideologisiert hat, zeigt seine m. W. letzte im Tagesboten veröffentlichte Erzählung „Hadwik“ (November/Dezember 1934), die abschreckende Geschichte einer begabten und erfolgreichen Schauspielerin, die ihr noch ungeborenes Kind ihrer Kunst opfert, wegen der verpfuschten Abtreibung dann aber nicht mehr schwanger werden kann und darüber den Verstand verliert. Eine Künstler-Novelle verfasste Fritsch mit „Der närrische Schuster“ schon 1917. Diese ist jedoch auch mit seinen südmährischen Romanen verwandt. „Der närrische Schuster“ aus Nikelau (vgl. tsch. Mikulov, d.h. Fritschs Michelburg), Egon Ehrenfried, ist ein Versager, der sich jeder Leistung bewusst verweigert, weil die ehrgeizigen Eltern seine hohe Begabung durch ihre übermäßige, auf Repräsentation bedachte Förderung zunichte gemacht haben. Der zugleich verwöhnte und aufrichtige Mensch findet erst im höheren Alter in seine bescheidene, aber ehrliche Existenz hinein. Auch Fritschs späten Künstler-Novellen, „Dolorosa“ (1932) und „Der arme Millionär“ (1933), liegen relativ eindeutige Moralvorstellungen zu Grunde, die aber durch die Kunst fraglich werden. „Der arme Millionär“ ist ein Maler (aus einem südmährischen Dorf), der unter dem Einfluss seines kunstliebenden Adoptivvaters auf seine Geliebte verzichtet. In diesem ihn ewig schmerzenden Verzicht findet er später die Grundlage seiner großen Kunst. In der Novelle „Dolorosa“, die eine Legende aus Fritschs langjährigem Wohnsitz Jundorf bearbeitet, wird in einem jungen Maler der Antrieb zum Künstler wach, als er einer engelhaften Klosternovizin begegnet, die aber daraufhin von einem umfallenden Kreuz erschlagen wird. Das eigentlich Interessante an dieser Novelle sind jedoch die Gespräche zwischen dem jungen, aus protestantischen Landen kommenden Maler (Larson) und zwei alten Brünner Klosterpfarrern über Gott und die Kunst, die schnell ihre gemeinsame Weltanschauung deutlich werden lassen: „Sein Herz rein erhalten, in der Natur das große Werk Gottes sehen, in den Menschen Brüder und Schwestern – das ist alles und dann siehst du Gott in dir, dann hast du Gott gefunden.“ (S. 47) Auch der Zyklus von vier Erzählungen zu den einzelnen Jahreszeiten, die Fritsch 1923/24, d.h. etwa parallel mit der Mondfabrik im Volkswillen veröffentlichte, vermittelt eine ähnlich unorthodoxe religiös-moralische Botschaft. In diesen kontemplativen, lehrhaften Erzählungen wird immer ein Gespräch zwischen einem „Mann mit seinem Hunde“, der entlang des Flusses Awa (Schwarzawa, heute Svratka, der durch Jundorf fließt) spazieren geht, und einem die jeweilige Jahreszeit symbolisierenden, nur als „Stimme“ präsenten Greis. Durch die Gespräche offenbart sich dem Passanten die einheitliche „Sprache aller“, d.h. aller Menschen, Tiere und der Natur, durch die er schließlich versteht, dass die „letzten“ Jahreszeiten, also Herbst und Winter, eben „der reiche Herbst“ und der „Erlöser Winter“ sind, und der Herbst und der Winter des Menschen mit ihnen identisch sind. Er versteht, dass die Stimme des unsichtbaren Greises, „die zu ihm gesprochen, aus seinem Herzen kam und immer gekommen war.“ Die Natur ist hier Fritschs „göttlicher“ Gesprächspartner und die innere Stimme zugleich. Aus dieser Art von Monismus leitet er auch seine humanistische Grundhaltung her, die er wohl – man betrachte seine Erzählungen und die Radiovorträge aus den 30er Jahren – bis zuletzt nicht aufgibt. (Ähnlich naturphilosophisch gehen weitere Erzählungen Fritschs vom Anfang der 20er Jahre vor, „Das Fest im Süden“, „Der Zorn der Awa“ und „Der Berg der Welt“).
Eine breiter angelegte Presse- und Archivrecherche zu Fritsch (seinen Nachlass habe ich nicht ermitteln können) könnte prototypisch für die Nachzeichnung des Wirkungsradius´ eines randständigen, aber aktiven Intellektuellen (im Mähren der Vor-, Kriegs- und Zwischenkriegszeit) sein. Fritsch hatte zum einen wesentlichen Anteil am kulturellen Leben der Provinz und gestaltete gleichzeitig progressive Strömungen des Zentrums (Kosmopolitismus in der Kriegszeit) aktiv mit. Ungefähr zur selben Zeit ist er andererseits auch über die landesüblichen national vorgegebenen Denkschranken hinausgekommen. Seine – nicht von ungefähr verstreut – gedruckten Werke sind klare Zeugnisse für Fritschs „Daneben-Sprechen“ und sein „Daneben-Ankommen“. Ich will abschließend Fragen bzw. Paradoxien skizzieren, die meine (vorläufige) Recherche ergeben hat und die aufgrund von fehlendem Material hier nicht aufgelöst werden können. Das sind erstens die (mir unbekannten) tschechischen zeitgenössischen Kritiken von Fritschs „Heimatroman“ Um Michelburg, die Fritsch als die einzigen bezeichnet, die den Roman richtig, also nicht antitschechisch gelesen hätten. Zum zweiten habe ich die in Fritschs Nachruf (Tagesbote, 29. März 1938) erwähnten tschechischen Übersetzungen „einiger seiner Romane ins Tschechische“ nicht ermitteln können, deren Erscheinungsumstände bestimmt anregende Impulse zu Untersuchungen des deutsch-tschechischen Kulturtransfers bieten könnten. Zum dritten wäre es ein Archivtreffer, könnte der Text von Fritschs wohl letztem Drama Hochverrat von 1931, das, schon einstudiert, wenige Tage vor der Brünner Uraufführung „zugunsten der Arbeitslosen“ (Tagesbote vom 15. November 1931) von der Zensurbehörde verboten wurde. Und könnten die dazugehörigen Zensurakten entdeckt werden, wäre dies …. Nicht zuletzt sind einige Texte Fritschs, die in Literaturlexika oder Zeitungsartikeln erwähnt werden, meines Wissens nicht erreichbar: Koschs Deutsches Literatur-Lexikon führt die m. W. nicht auffindbare Novelle „Bettler am Urlaubskreuz“ (1930) und den Roman Ella (1936) an, Karl Kreisler spricht 1925 von Fritschs Gedichtband (?) Stille Stunden, in dem der Autor „das poetische Licht erblickt“ (Tagesbote vom 29. November 1925). (Jan Budňák)
Bibliographie
Selbständige Publikationen
Im Gesenke. Wanderungsskizzen. Freudenthal W. Krommer 1910.
Um Michelburg. Roman. Berlin-Schöneberg Buchverlag der „Hilfe“ 1911.
Der närrische Schuster. Novelle. Brünn Tagesbote aus Mähren und Schlesien, Jg. 67, 3. September –
26. September 1917.
Aus schlesisch-Nordwest. Wanderungsskizzen und Mundartgeschichten. Olbersdorf Ludwig Richter
1919.
Vaterland. Roman. Brünn Volksfreund, Jg. 40, 12. Mai – 25. Juni 1920.
Die Mondfabrik. Roman. Brünn Volkswille, Jg. 5, 18. Januar – 6. Dezember 1924.
Der Narr im hohlen Zahn. Erzählung. Brünn Tagesbote, Jg. 76, 3. März – 15. März 1926.
Der Mörder. Erzählung. Brünn Volksfreund, Jg. 51 (Jubiläums-Nummer), 31. Mai 1931.
Dolorosa. Novelle. Brünn Fr. Irrgang (Roman des „Tagesboten“) 1932.
Der arme Millionär. Novelle. Brünn Fr. Irrgang (Roman des „Tagesboten“) 1933.
Hadwik. Novelle. Brünn Tagesbote, Jg. 84, 28. November – 1. Dezember 1934.
Ella. Roman 1936.
Kleinere Veröffentlichungen in Sammelbänden und Zeitschriften
Literarisches
Zwei Gedichte. In: Deutsches Literarisches Jahrbuch des Vereines „Deutsches Haus“ in Brünn.
Mährische Dichter. Weihnachtsgabe des Vereines „Deutsches Haus“ in Brünn an seine Mitglieder.
Brünn Verlag des Vereines „Deutsches Haus“ 1902, S. 29-30.
???. In: Hämetgsang. Hg. von Leopold Wolfgang Rochowanski. Freudenthal W. Krommer 1912, S. ???
Das Fest im Süden. Erzählung. In: Brünn Tagesbote, Jg. 71, 27. März 1921.
Der Zorn der Awa. Erzählung. In: Brünn Tagesbote, Jg. 71, 15. Mai 1921.
??? Frühling. Erzählung. In: Brünn Volkswille, Frühjahr 1921 (konnte nicht eingesehen werden).
Die Lehren des Sommers. Erzählung. In: Brünn Volkswille. Sozialdemokratisches Kreisorgan für
Bezirke: Brünn, Mährisch-Trübau, Zwittau, Iglau, Znaim, Lundenburg, Jg. 4, Nr. 36, 7. September
1923.
Der reiche Herbst. Erzählung. In: Brünn Volkswille, Jg. 4, Nr. 43, 26. Oktober 1923.
Erlöser Winter. Erzählung. In: Brünn Volkswille, Jg. 5, Nr. 2, 11. Jänner 1924.
Das einsame Feldkreuz. Gedicht. In: Brünn Volkswille, Jg. 5, Nr. 18, 1. Mai 1924.
Der Berg der Welt. Erzählung. In: Brünn Tagesbote, Jg. 74, 13. Juli 1924.
Essayistisches
Zur Stellung des Judentums. Essayistische Buchbesprechung. In: Wien Die Wage, Jg. 18, Nr. 31/33,
1915.
Zur Polenfrage. Historiographischer Aufsatz. In: Wien Die Wage, Jg. 18, Nr. 40/41f, 1915.
„Völkerrecht...“. Essay. In: Wien Die Wage, Jg. 18, Nr. 46/47, 1915.
Die ideale Gesellschaft. Essay. In: Wien Die Wage, Jg. 19, Nr. 8/9, 1916.
Die Blutschuld der Phrase. Essay. In: Wie Die Wage, Jg. 19, Nr. 18/19, 10/11, 1916.
Geistiger Militarismus. Essay. In: Wien Die Wage, Jg. 20, Nr. 3/4, 1917.
Der Niedergang unserer Literatur. Essay. In: Wien Die Wage, Jg. 20, Nr. 5/6, 9/10, 11/13, 1917.
Luft für freie Menschen im freien Staate! Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 2, Nr. 2, 1920.
Ein Nachwort zu den jüngsten nationalen Wutausbrüchen. Essay. In Brünn Die Wahrheit, Jg. 2., Nr. 4,
1920.
Gehöre dir wieder selbst! Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 2, Nr. 5, 1920.
Chauvinismus und Menschlichkeit. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 2, Nr. 6, 1920.
Volkszählung! Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 2, Nr. 7, 1920.
In memoriam Volkszählung. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 2, Nr. 10, 1920.
Dürre. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 3, Nr. 1, 1921.
An die Jugend. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 3, Nr. 7, 1921.
Ahnenstolz. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 3, Nr. 11, 1921.
Mobilisiert den Geist! Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 3, Nr. 15, 1921.
Zur Frage nach der Herkunft der Sudetendeutschen. Glosse. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 3, Nr. 17,
1921.
Pfingsten. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 3, Nr. 18, 1921.
Machtwahn und Chauvinismus. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 3, Nr. 20 und 21, 1921.
Nie wieder Krieg! Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 3. Nr. 22, 1921.
Von Heile der Zukunft. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 3, Nr. 22, 1921.
Kosmopolitismus, der Weg zum Pazifismus. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 4, Nr. 3, 1922.
Mensch oder Nation? Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 4, Nr. 5, 1922.
Deutsche Kunst. Essay. In: Brünn Die Wahrheit, Jg. 4, Nr. 7, 1922.
Stierkämpfe. Essay. In: Brünn Volkswille, Jg. 4. Nr. 34, 24. August 1923.
Summa summarum. Essay. In: Brünn Volkswille, Jg. 4, Nr. 48 – Jg. 5., Nr. 1, 1923-1924.
Deutsche und Juden in ihrer kosmopolitischen Sendung. In: Judenhass. Eine Anthologie. Hg. von der
Arbeitsgemeinschaft für kulturelle Propaganda „Prometheus“. Wien Selbstverlag 1926, S. 42-44.
Nicht gedruckte Texte
Heimkehr. Einakter. 1904. Uraufgeführt in Brünn.
Hochverrat. Drama. 1931 (von der Zensur verboten).
Sekundärliteratur
Schick, Eugen: Die Mährische Moderne. Sonderabdruck aus der Zeitschrift des Deutschen Vereines
für die Geschichte Mährens und Schlesiens. Jg. X, Heft 1-2. Brünn 1906.
Alfred Maderno: Die deutschösterreichische Dichtung der Gegenwart. Leipzig T. Gerotenberg 1920.
Joachim Blösl: Südmährens Dichter und Sänger. Eine Erntelese. Nikolsburg Alois Bartosch 1926.
Hans Willibald Nagl u. a. (Hg.): Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. Band 3. Wien Carl
Fromme 1926.
Josef Gajdeczka: Literarischer Führer durch das Schaffen Deutsch-Mährischer Dichter und
Schriftsteller. Brünn Selbstverlag 1928.
Karl Wilhelm Fritsch †. Brünn Tagesbote, Jg. 88, 29. März 1938.
Karl Wilhelm Fritsch gestorben. Brünn Der Volksfreund, Jg. 58, 31. März 1938.
Karl Hans Strobl: Glückhafte Wanderschaft. Heitere Lebensmitte. Der Erinnerungen zweiter Band.
Budweis – Leipzig Moldavia 1942.
Wilhelm Kosch: Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch. Hg.
von Bruno Berger und Heinz Rupp. Bern/München Francke 1968ff.
Zdeněk Mareček: Ein gerechter Kampf für nationale Interessen? Zu zwei Romanen der Brünner
Autoren Karl Wilhelm Fritsch und Guido Glück. In: Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik
1998, S. 57-72.
Zdeněk Mareček: Vom Mitarbeiter Strobls zum Mitglied der Kosmopolitischen Gesellschaft. Zum
Werk des Brünner Prosaisten Karl Wilhelm Fritsch (1874-1938). In: Ingeborg Fiala-Fürst (Hg.):
Deutschböhmische Literatur. Olomouc Universitätsverlag 2001, S. 269-296.
Jörg Krappmann: Allerhand Übergänge. Interkulturelle Analysen der regionalen Literatur in Böhmen
und Mähren sowie der deutschen Literatur in Prag (1890-1918). Bielefeld transcript 2013.
Fritsch verbrachte seine Schuljahre in Bistritz am Hostein sowie in Nikolsburg. Nach dem Jurastudium in Wien arbeitete er als Finanzbeamter in Iglau und später in Brünn, wo er mit Karl Hans Strobl literarisch zusammenarbeitete. Seit 1898 zählte er zum Vorstand des Deutschmährischen Volksbildungsvereins Urania. Fritsch schrieb für zahlreiche Periodika (die Tageszeitung Tagesbote; die sozialdemokratische Tageszeitung Volksfreund und Wochenzeitung Volkswille; Wahrheit: Kosmopolitische Zeitschrift). Er starb im Alter von knapp 64 Jahren.
Im Werk von Fritsch spielt Mähren eine essenzielle Rolle. Nicht nur in seinen Erzählungen und Skizzen kommen seine Naturverbundenheit und Beobachtungsgabe zum Ausdruck (Im Gesenke, 1910; die Mundarterzählung Aus Schlesisch Nordwest, 1919). Viel Anklang fand auch sein südmährischer Roman Um Michelburg (1911). Die Romane aus den 1920er und 1930er Jahren (Vaterland, 1920; Die Mondfabrik, 1924) wurden jedoch nur in Zeitungen abgedruckt. Im Prosawerk von Fritsch spiegelt sich in hohem Maße seine kosmopolitische Gesinnung, antinationalistische Einstellung und ein feiner Sinn für Humor wider.
Werke |
Jahr der Publikation |
---|---|
Geschichten der Bettina von Arnim | 1908 |
Im Gesenke | 1910 |
Um Michelburg | 1911 |
Aus schlesisch Nordwest | 1919 |
Vaterland | 1920 |
Die Mondfabrik | 1924 |
Dolorosa | 1932 |
Der arme Millionär | 1933 |
Forschungsliteratur
Motyčka, Lukáš/Veselá, Barbora (Hgg.): Anthologie der deutschmährischen Literatur. Universita Palackého v Olomouci, Olomouc 2014. |
Krappmann, Jörg: Allerhand Übergänge, 2013. |