Obwohl Mathias Amos Drbal heute nahezu vergessen ist, gehörte er in seiner Zeit zu den bekannten Gestalten der österreichischen Philosophie und Pädagogik.
Mathias Amos (getauft: Mathias Dominik) Drbal wurde am 20. Februar 1829 in der katholischen Familie des wohlhabenden Müllermeisters Joseph Drbal und seiner Frau Barbara, geborene Koženy, in Prödlitz bei Proßnitz geboren. Nachdem er 1847 das Gymnasium zu Kremsier und danach die beiden philosophischen Jahrgänge 1847-1849 des Brünner Lyceums absolviert hatte, begann er im Jahre 1849 das Studium der Rechtswissenschaften an der Olmützer Universität. Obwohl er in den ersten zwei Jahren seines Studiums für Jura eingeschrieben war, galt sein Interesse der Philosophie. Er wurde von dem Philosophen und Lehrer Robert Zimmermann beeinflusst, der damals an der Olmützer Universität als Professor für Philosophie tätig war. Im Jahre 1851 wechselte Drbal an die philosophische Fakultät und setzte sein Studium 1852-1853 in Wien fort, wo er auch bei dem bekannten Herbartianer Hermann Bonitz studieren konnte. 1854 legte er die Gymnasial-Lehramtsprüfung in Philosophie ab und später auch in Geschichte. Von 1854 bis 1856 hatte Drbal eine Stelle als Erzieher am Theresianum in Wien inne. Inzwischen hatte er an der Prager Universität die zur Erlangung des Philosophischen Doktorgrades erforderlichen Rigorosen abgelegt und dort 1857 zum Doktor der Philosophie promoviert. Danach wurde er zum Hilfslehrer am Staatsgymnasium in Linz berufen, wo im Jahre 1858 auch seine Ernennung zum Professor erfolgte. Neben Deutsch, Geographie und Geschichte unterrichtete Drbal auch beide Fächer der Philosophischen Propädeutik - Logik und Psychologie. 1867 wurde Drbal zum Direktor des Staatsgymnasiums in Iglau ernannt, wo er Philosophische Propädeutik nach seinen eigenen Lehrbüchern unterrichtete. Seit 1869 leitete er auch als Bezirksschulinspektor das Volksschulwesen des Landesbezirkes Iglau. Im Jahre 1878 wurde er zum Landesschulinspektor für die deutschen Mittelschulen in Mähren befördert und behielt die Position des Landesschulinspektors bis zu seinem Tode. Er starb plötzlich an Herzlähmung in Brünn am 18. April 1885.
Eine wichtige Rolle in Drbals philosophischem Werdegang spielte der österreichische Philosoph Robert Zimmermann. Zimmermann regte während seiner Olmützer Lehrzeit Drbal zum Wechsel vom Rechtsstudium zum Philosophiestudium an. Durch seinen Einfluss wurde Drbal ein entschiedener Anhänger des Herbartianismus. Drbals erste philosophische Texte verfolgen und entwickeln die gedanklichen Anregungen, die er von seinem Lehrer erhielt. Als Ausdruck seiner Ehrfurcht widmete Drbal seinem Lehrer Zimmermann sein Logik-Lehrbuch. Seine Worte über den „unvergeßlichen Lehrer und Freund“ der Drittausgabe bezeugen die andauernd treue Beziehung des Schülers zu seinem Herbartschen Lehrer.
Drbals erster philosophischer Versuch überhaupt war eine Polemik. Die absolute Kritik (1854), eine kleine Broschüre von 45 Seiten, war eine Streitschrift zum kurz vorher erschienenen Pamphlet von Siegmund Barrachs Über spekulative Ästhetik und Kritik. Siegmund Barrach polemisierte wiederum gegen Zimmermanns Artikel Die spekulative Ästhetik und Kritik, den Zimmermann im Februar 1854 in den Österreichischen Blättern für Literatur und Kunst veröffentlichte. Drbal knüpft in Die absolute Kritik an Zimmermanns Kritik der spekulativen Ästhetik des Hegelschen Systems an, die Barrach im Gegensatz dazu gegen Zimmermann in Schutz nimmt. Drbals Vorwürfe richteten sich gegen die Basis der spekulativen Philosophie, gegen die dialektische Methode. Neben der Anwendung der dialektischen Methode in der Ästhetik unterzog Drbal vor allem auch ihre Anwendung in der Hegelschen Logik der Kritik.
Zwei Jahre später gab Drbal in den Oesterreichischen Blättern für Literatur und Kunst die von Zimmermanns Schrift Leibniz und Lessing (1855) inspirierte Abhandlung Über den gegenwärtigen Stand der Frage nach Lessing´s Spinozismus (1856) heraus. Das Dilemma, ob Lessing Spinozist oder Leibnizianer war, löst er mit Zimmermann: „Wir schließen uns daher der Stimmenmehrheit an, die Lessing für einen Schüler Leibnizen´s erklärt [...]“ (S. 76).
Ein Jahr später gab Drbal in Prag eine Schrift heraus, in der nicht nur deutlich zum Ausdruck kommt, dass er ein guter Kenner der zeitgenössischen Philosophie war, sondern er formuliert gleichzeitig seine Vorstellung darüber, was Philosophie ist und wie man Philosophie betreiben sollte. Die Schrift Einige Worte über die Ursachen des Verfalls der Philosophie in Deutschland (1857) ist der persönlichste Text Drbals und - bis zu einem gewissen Grade - auch sein philosophisches Bekenntnis.
Diese Abhandlung bedeutete einen originellen Eingriff in die zeitgenössische Diskussion deutscher Hegelianer und Herbartianer über die Aufgabe und den Zustand der deutschen Philosophie. Nach Drbal existieren drei Ursachen für den Verfall der zeitgenössischen deutschen Philosophie. Die erste Ursache beruhe dabei im philosophischen Verfahren selbst, also in der Methode, wie die Philosophen denken und arbeiten. Es herrscht nach Drbal Uneinigkeit in der Bestimmung dessen, was Philosophie ist und die Definitionen der philosophischen Grundbegriffe seien nicht nur vage, sondern oft auch widersprüchlich. Die zweite Ursache liegt in der untergeordneten Stellung der Philosophie gegenüber der staatlichen oder kirchlichen Ideologie. Diese Dienerschaft führt zur Ideologisierung und Machtinstitutionalisierung der Philosophie. Die dritte Ursache ist dann die breite Popularisierung der Philosophie. Nach Drbal führt dies zur Deformation des Inhalts des philosophischen Denkens, zur Verflachung dessen Tiefe und dessen Anspruchs und zum philosophischen Eklektizismus und Dilettantismus.
Das Jahrzehnt 1857–1867, in dem Drbal in Linz als Gymnasialprofessor wirkte, können wir als seine produktivste Schaffensperiode betrachten. In den Jahresberichten des Gymnasiums veröffentlichte er zunächst drei umfassende philosophische Abhandlungen, die einerseits an seine kritischen Analysen der zeitgenössischen deutschen Philosophie anknüpften und andererseits sein Interesse für Ästhetik fortführten. Als Erstes publizierte er die Abhandlung Gibt es einen „speculativen“ Syllogismus? (1857), ein Jahr später die Abhandlung Über das Erhabene (1858) und schließlich die Schrift Über die neuesten Versuche, Psychologie als Naturwissenschaft zu behandeln (1862). Als eine selbstständige Publikation veröffentlichte er zwei kurze psychologisch-ästhetische Vorträge unter dem gemeinsamen Titel Über die Natur der Sinne (1860). Die Herausgabe von zwei Lehrbüchern der philosophischen Propädeutik - Lehrbuch der propädeutischen Logik (1865) und Empirische Psychologie (1868) - stellte den schöpferischen Höhepunkt Drbals Linzer Zeit dar.
Drbals Abhandlung Gibt es einen „speculativen“ Syllogismus? knüpfte an seine frühere Kritik von Hegels Philosophie an. Statt Hegels Ästhetik kritisierte er hier aber Hegels Logik, besonders ihre „spekulative“ dialektische Methode. Die Grundbegriffe von Hegels Logik beurteilte Drbal aus dem Gesichtspunkt traditioneller formaler aristotelischer Logik und sprach über folgendes Dilemma: „entweder ist die Aristotelische Schlusslehre wahr und Hegel´sche falsch, oder die Aristotelische falsch und die Hegel´sche wahr.“ (S. 9) Er bewies mittels einer ausführlichen Analyse, dass es keinen „spekulativen“ Syllogismus gibt und das erwähnte Dilemma löste er zu Gunsten von Aristoteles.
In der Schrift Über das Erhabene kehrte Drbal zu seinem ursprünglichen Interesse an der ästhetischen Problematik zurück. Das Erhabene erscheint Drbal als Grundform des Schönen. Das Schöne erfasste er als das Erhabene und zur Analyse des Erhabenen kam er im Sinne Herbartscher Formästhetik hinzu. „Durch die Prädikate `schön´ und `erhaben´ werden gewisse Verhältnisse und Formen bezeichnet, die sich an den Dingen befinden, Verhältnisse und Formen, die das wahrhaft Objective der Aesthetik ausmachen. Schön und erhaben sind Verhältnissbegriffe [...]“ (S. 5).
Die letzte Abhandlung, die Drbal im Jahresbericht des Gymnasiums in Linz publizierte, war die Schrift Über die neuesten Versuche, Psychologie als Naturwissenschaft zu behandeln. In dieser Schrift setzte sich Drbal mit den philosophischen Ansichten von Eduard Beneke auseinander, besonders mit dessen Gleichsetzung von Philosophie mit der Psychologie und mit dessen Definition von Psychologie als einer Naturwissenschaft.
Zu Drbals selbstständig veröffentlichten Schriften dieser Zeit gehören neben der Kleinschrift Über die Natur der Sinne, die zwei Aufklärungsvorträge Drbals für ein breiteres Publikum erhält, auch die zwei oben erwähnten Lehrbücher zur Logik und Psychologie.
Lehrbuch der propädeutischen Logik und Empirische Psychologie waren von Drbal sowohl zum Selbststudium als auch für den Gymnasialunterricht bestimmt. Beide Lehrbücher wurden von führenden österreichischen und deutschen Herbartianern positiv aufgenommen. Theodor Allihn meinte zum Beispiel, dass sich Drbals Lehrbuch der Logik „auch an die bessern Leistungen auf dem Gebiete der Logik anschliesst“ (Allihn S. 97). Nach Wilhelm Volkmann ist Drbal „bemüht gewesen, in schlichter, fasslicher und systematischer Darstellung mit möglichstem Eingehen in das einzelne die Regeln der Logik dem Verständnisse [...] so nahe als möglich zu bringen“ (Volkmann S. 116). Joseph Wilhelm Nahlowsky begrüßte den Beitrag von Drbals Lehrbuch der Logik und schätzte besonders „die Klarheit, die Gründlichkeit, die Liebe zur Sache“. (Nahlowsky S. 414). Die Lehrbücher wurden vom österreichischen Ministerium für Cultus und Unterricht als Lehrmittel zum Gymnasialunterricht empfohlen und gehörten jahrelang zu den grundlegenden Handbüchern der österreichischen philosophischen Schulliteratur. Es wurde auch in Deutschland nach ihnen unterrichtet. Später wurden sie mehrfach neu aufgelegt und dienten den Schülern und Lehrern an österreichischen Gymnasien bis zum Ende des Jahrhunderts.
Nach seinem Abgang aus Linz war Drbal ab dem Schuljahr 1867/1868 zehn Jahre als Direktor des Staatsgymnasiums in Iglau tätig. Während seiner Tätigkeit in Iglau bereitete er einerseits eine neue Ausgabe seiner Lehrbücher der philosophischen Propädeutik vor, die für den Gymnasialunterricht bestimmt waren, andererseits arbeitete er an neuen Lehrbüchern für Menschenkunde, Psychologie und Logik, die im Unterricht an verschiedenen Lehrbildungsanstalten verwendet werden sollten. Darstellung der wichtigsten Lehren der Menschenkunde und Seelenlehre (1872) wurde als ein Lehrbuch der philosophischen Anthropologie konzipiert. Nach einer kurzen Einleitung, in der Begriff, Einteilung und Methode der Menschenkunde vorgestellt werden, werden die Hauptlehren der Anatomie und der Physiologie des Menschen und die Hauptlehren der Psychologie behandelt. In Praktische Logik oder Denklehre (1872) wurden die Denkgesetze nach der analytischen und synthetischen Methode behandelt.
In demselben Jahre, in dem Drbals Lehrbücher für Lehrerbildungsanstalten bei W. Braumüller in Wien in der Reihe Schul- und Lehrbücher erschienen, gab Drbal in Iglau noch als Separatabdruck seines Artikels aus dem Mährischen Grenzboten die Broschüre Die Volksschule in Österreich (1872) heraus. In dieser letzten Schrift widmete er sich den gerade angenommenen Staatsgrundgesetzen, die das österreichische konfessionslose Schulwesen begründen sollten. Diese Gesetze vom Ende der 60er Jahre trennten die Schule von der Kirche und befreiten den Schulunterricht in den weltlichen Dingen von kirchlicher Beeinflussung.
Am Ende seiner schriftstellerischen Karriere kam Drbal auf das Thema zurück, mit dem er sich ganz am Anfang beschäftigte, d. h. auf das Verhältnis zwischen der Wissenschaft (Philosophie), dem Staat und der Kirche. Die Erkenntnisfreiheit wurde in diesem Fall als die Freiheit zu lernen und zu lehren thematisiert. Drbal erscheint in dieser Broschüre nicht nur als liberaler Pädagoge, der den Leser an die Zeit der „Polizei- und Konkordatstaate“ erinnert, in denen keine Lehr- und Lernfreiheit möglich war. Er erscheint auch als ein entschiedener Vorkämpfer einer freien wissenschaftlichen Forschung, die von einer direkten Kontrolle des Staates und der Kirche unabhängig wäre. „Ein Rembold, ein Bolzano, Exner und m.A. erfuhren, was es heiße, über die der Wissenschaft vorgezeichneten Schranken hinauszugehen!“ (S. 4)
Die Wissenschaft, der Unterricht und die Lehre müssen frei sein. Diese Überzeugung hegte Drbal sowohl am Anfang als auch am Ende seiner schöpferischen Karriere. Eine solche liberale Einstellung entspricht nicht nur Drbals Geist, sondern auch dem freisinnigen Geist der Herbartschen Philosophie. (David Jašek)