Väterlicherseits stammte die Dichterin aus einem katholischen, ursprünglich tschechischen Adelsgeschlecht, mütterlicherseits aus der im Jahre 1749 geadelten protestantischen sächsischen Familie, die sich im Jahre 1800 in Mähren ansiedelte. Die Mutter der künftigen Dichterin Marie von Vockel starb sehr bald nach der Geburt ihrer Tochter. Die Kinder wurden der Pflege zweier tschechischer Dienstmädchen anvertraut, sodass sie früher mit der tschechischen als mit der deutschen Sprache in Berührung kamen. „Als Kinder hatten wir fast nur Böhmisch und später fast nut Französisch gesprochen,“ erinnert sich die Dichterin in ihrem Werk Meine Kinderjahre.
Sei gesegnet noch in deinem Grabe, in dem du seit so langen Jahren ruhst, du Brave Josefa Navratil, genannt Pepinka. Du hast ein unschätzbares Verdienst um uns erworben. ... Hatte eine erziehliche Maßregel unserer Schicksalsgöttin (d.h. Pepinka) sehr hart getroffen, dann ging man zu Anischa, meiner ehemaligen Amme, und weinte sich bei ihr aus. Sie war der lichte Stern unserer Kinderstube und immer freundlich und gut.
Selbstverständlich mussten solche Kindheitserlebnisse ihr Echo im Werk der Ebner finden, zum Beispiel im Roman Božena, oder in der Erzählung Die Reisegefährten, in der das Dienstmädchen Bohuslava zwar „von monumentaler Häßlichkeit“, aber treu ist, und sich für seine Frau „in Stücke hacken ließe“.
Nachdem die Mutter von Marie und die erste Stiefmutter Eugenie von Bartenstein, die die französische Erziehung eingeführt hatte, gestorben waren, führte die zweite Stiefmutter Xaverine von Kolowrat ausschließlich die deutsche Erziehung ein. Marie wurde in Gottesfurcht erzogen, jeden Sonn- und Feiertag besuchte sie die Pfarrkirche im nahen Hostitz. Sie interessierte sich schon als Kind für Literatur und versuchte auch zu schreiben: zuerst französisch, ihr Vetter (und späterer Mann) Moritz hat sie deshalb getadelt: „O sing auch Du, Du deutsche Magd,/Nicht fremden Ruhm in fremdem Kleid !/Du bis ein Sproß aus gut germanischem Blut,/Was deutsch Du denkst, hab deutsch zu sagen auch den Mut!“
Ihre Familie war grundsätzlich nicht zufrieden mit ihren Bemühungen, wendete sich auch deshalb an den berühmten Dichter Franz Grillparzer, dem sie Versuche der kleinen Marie vorlegte. Grillparzer hat mit sehr lobenden Worten die kleine Marie ermutigt, was das Kind zum weiteren Schaffen anregte und ihm seine weitere literarische Laufbahn eröffnete. Marie lebte mit ihrem Vater, seiner Frau und zwei Kindermädchen während des Sommers auf dem mährischen Gut, im Winter in Wien. Nach Zdislawitz pflegte die Ebner auch später jedes Jahr im Frühling zu übersiedeln, ganz regelmäßig, bis zu ihrem hohen Alter. Sie liebte Zdislawitz:
Ja, die unendliche Liebe zum Geburtsorte! Zu dem Fleckchen Erde, auf dem wir unseren ersten Schrei in diese Welt herausgestoßen haben und in dem wir einst ruhen werden. Woher diese unendliche Liebe, die unsre Augen dem kleinsten, jedem andern unsichtbaren Vorzug erschließt und gegen Mangel unempfindlich macht. Schöne Bäume findet man überall, aber nur daheim solche unter deren Laubdach wir als Kinder gespielt haben und ganz unvergeßlich! an deren Stamm wir strafweise stehen müssen, während die anderen spielten, ausgeschlossen wegen irgendeines begangenen Frevels. Diese Bäume liebt man, liebt jeden Zweig, jedes Blatt. Der Zauber der Heimat überwiegt anderen Zauber.
(Marie von Ebner-Eschenbach in einem in der Stadtbibliothek Wien aufbewahrten Heftchen).
Diesem Gefühl gab sie auch in ihrem literarischen Werk nicht selten Ausdruck:
Ich lebe hier in meinem heimatlichen Nest nicht etwa auf einem stattlichen Besitz mit Forsten und Wildgärten, mit uraltem Schloß und herrlichem Park. Zdisslawitz ist ein freundliches Gut, in fruchtbarer, rationell bewirtschafteter Gegend, das Haus, in dem wir wohnen, verdient wohl kaum den Namen eines Schlosses, der ihm allerdings gegeben wird. Es ist ein längliches, einen Stock hohes Gebäude, das leider nicht in der Mitte, sondern am Rande eines netten Gartens steht. Ich bewohne ein Erkzimmer mit vier Fenstern, und das Schönste, was ich aus den gegen Westen gelegenen erblicke, ist eine große Linde, der älteste Baum des Gartens, ein ehrwürdiger Greis, der Himmel blickt bereits gar zu ungehindert durch die Zweige. Ich sehe ihn niemals an, ohne die schönen Rückerts Worte zu gedenken: Mein Baum, war schattendicht,/ O Herbstwind komm und zeige, / Indem du ihn entlaubst,/ den Himmel durch die Zweige.
notierte die Dichterin am 5. August 1880.
Im Jahre 1848 heiratete sie ihren Vetter, den Physiker und späteren Feldmarschall-Leutnant Moritz Freiherr von Ebner-Eschenbach (27.11.1815 - 28.1.1898). Die Ehe blieb kinderlos, jedoch harmonisch. In den Jahren 1851-63 lebten beide im Sitz der Militärakademie in Klosterbruck bei Znaim (heute ist es ein Stadtteil von Znaim, tschechisch genannt Louky), seit 1863 in Wien und in Zdislawitz. Zuerst verfasste Marie von Ebner-Eschenbach meistens epigonenhafte Bühnenstücke im Bauernfeld-Stil - Dramen, historische Tragödien und Lustspiele, nach dem Misserfolg von Das Waldfräulein (1872) und nach mehreren Auseinandersetzungen mit ihrem Mann und anderen Mitgliedern der Familie, die ihre literarische Tätigkeit missbilligten, wandte sie sich lieber der Prosa zu, wo sie ihren Meister vor allem in Turgenew sah. Sie fand dabei die ihr gemäße Form der anschaulich-realistischen, sozial-psychologischen Gesellschaftserzählung aus dem Leben des österreichischen Adels in Wien, auf den mährischen Landsitzen, des Kleinbürgertums und der bäuerlichen Dorfwelt. Ihre Sprache war schlicht und pathosfern. Josef Nadler glaubt, die Prosawerke der Ebner seien erzählte Tragödien und Lustspiele, manchmal ist der Text mit Dialogen überfüllt. Ihre Dorf- und Schloßgeschichten, fast immer getragen von tiefem sozialem Verantwortungsgefühl, vom Mitleid mit den Armen, vom Verständnis für soziale Probleme, basierten auf liebeswürdiger Nachsicht, auf Humanität und auch auf Humor. Ihre großen Erzählungen, Novellen und Romane weisen sie als eine Dichterin aus, die hoch über dem seichten Geplätscher des Zeitgeschmacks und den Produkten anderer Autorinnen stand, deren Kunst sich in einer verwickelten Handlung und einem Lokal- und Zeitkolorit erschöpfte. Sie war realistisch bis ins letzte Detail. Die aus den gegensätzlichsten Typen zusammengesetzte Dorfgemeinschaft im Roman Das Gemeindekind, einheitlich in ihren Vorurteilen, stellt ein breites Gemälde ländlichen Lebens dar. In der Erzählung Glaubenslos? scheitert ein junger idealistischer Geistlicher an der Stumpfheit und rüden Haltung der Bergbauern seiner kleinen Gemeinde. Božena ist eine Geschichte einer tschechischen Magd, deren Treue und Charakterstärke sie über ihr eigenes Leben hinauswachsen lässt, einer Heldin des Alltags, die - was den Charakter betrifft - hoch über ihrem adeligen Milieu steht. Die Tiergeschichten - Krambambuli, Der Fink und Die Spitzin - sind hervorragende Studien der Tiere und der Menschen, für die diese Tiere schicksalhaft geworden sind. Viele Geschichten spielen im mährischen Dorf. In einem ihrer Briefe an Hieronymus Lorm (24.10.1868) schrieb sie:
Es hat mich gefreut, zu hören, daß Sie in Mähren geboren sind und daß Sie ein Herz haben für unsere Landgenossen. Ich liebe diese Menschen, ich habe unter ihnen gar manchen getreuen Freund. Nun sind leider die mich als Kind kannten uralte Leute und von Jahr zu Jahr vermindert sich ihre Zahl. Bald bin ich der Heimat fremd, sie aber kann es mir nie werden!
Die Erzählerin Marie von Ebner-Eschenbach enthält sich konsequent jeder Schwarz-Weiß-Malerei. Die Menschen ihrer Bücher sind psychologisch getreu gezeichnete Charaktere. Ihr ganzes Werk kann durch ihre schlichten, bescheidenen Worte charakterisiert werden: „Ein kleines Lied! Wie geht's nur an,/Daß man so lieb es haben kann,/Was liegt darin ? erzähle !/Es liegt darin ein wenig Klang,/ein wenig Wohllaut und Gesang/und eine ganze Seele.“
Sie verkehrte mit Franz Grillparzer, Eduard Devrient, Heinrich Laube, Friedrich Halm, Christian Friedrich Hebbel, Hieronymus Lorm, Ferdinand von Saar, Enrica von Handel-Mazzetti, Betty Paoli, Louise von François, Julius Rodenberg und vielen anderen. Sie erhielt im Jahre 1898 den höchsten österreichischen zivilen Orden, das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft, im Jahre 1900 anlässlich ihres 70. Geburtstages noch den Doktortitel honoris causa der Wiener Universität. Sie verehrte Kaiser Franz Josef I., die Audienz, zu der sie eingeladen wurde, wusste sie hoch zu schätzen. Sie hat des Öfteren betont, dass sie und der Kaiser in demselben Jahr geboren sind, und dass der Kaiser in demselben Jahr den Thron bestieg, in dem sie ihre Hochzeit feierte. Sie hat selbstverständlich nicht wissen können, dass alle beide auch in demselben Jahr sterben werden.
Es wäre vielleicht ein geringes Lob, Marie von Ebner-Eschenbach eine unserer ersten Dichterinnen zu nennen. Das ist sie auch gar nicht. Sie ist einer unserer besten Dichter. Wenn Frankreich oder England eine Schriftstellerin von dieser Bedeutung unter den Lebenden zählen würde, so wäre ihr Ruhm und ihr Erfolg weit über die Grenzen der Heimat hinaus verbreitet,
schrieb man im Jahre 1889 in einer Zeitung. Und am 13. September 1900 im Prolog zur Feier des 70. Geburtstages sagte man im K.K. Hofburgtheater:
Auch sie erfuhr die Leiden des Genies / und kämpfte mit dem Stumpfsinn dieser Welt. / Wer kennt, wer ahnt die bangen Zweifelstunden / All die Enttäuschungen / die nach Vollendung ringend sie durchlebt, / Bis daß sie galt - und jetzt, neidlos bewundert, / °könnend und gönnend° thront, nicht bloß / als / Österreichs- / Als Deutschlands größte Dichterin.
Den achtzigsten Geburtstag feierte Ebner in Zdislawitz im engsten Familienkreise, um vielen Offizialitäten aus dem Wege zu gehen. Eine Unmenge von Gratulationen hat sie beantwortet, wie folgt:
Sehr alt bin ich, Ihr Freunde und Verwandten/und nicht imstand, geliebte Gratulanten,/zu danken so für eure Huld und Güte,/ wie mich verlangt gar innig im Gemüte./ Doch habt Geduld; vielelicht erscheint der Tag,/an dem zu Kraft ich wieder kommen mag,/und was ich jetzt muß still im Herzen tragen,/aufjubelnd darf mit heller Stimme sagen./Laßt nur die Zeit, die liebe Zeit verfließen,/ein neu Beginnen dankbar mich genießen;/geraten erst in Zug die zehn mal acht,/dann fühl ich wieder mich ganz jung gemacht./Dann führt vielleicht zum Siegen noch mein Ringen/und spendet, was ich heut entbehren muß, die Fähigkeit euch würdig dazubringen/aus voller Seele meinen Dankesgruß.
Marie von Ebner-Eschenbach starb in Wien, doch begraben ist sie laut ihrem Wunsch in Zdislawitz in der Familiengruft, ein paar Meter von ihrem geliebten Schlösschen.
(Jiří Veselý, Prag)