Bekannt ist Eichendorffs schlesische Heimat, das Schloss Lubowitz bei Ratibor, wo der Dichter 1788 geboren wurde. Kaum bekannt ist, dass Eichendorff in dem mährischen Dorf Sedlnitz bei Neutitschein Zeit seines Lebens ein Gut besessen hat. Im Dorf erinnert heute nur noch ein verwahrloster zweistöckiger Seitenflügel an das ehemalige Schlösschen, in dem Eichendorff als Gutsherr nach seiner Pensionierung vor allem in den Sommermonaten residierte. Es liegt mitten im Kuhländchen, jener Region, die sich an der mährischen Pforte zu beiden Seiten des Oberlaufs der Oder erstreckt. „Kuhländchen“ haben die deutschen Bewohner diese Region genannt, die bekannt war für ihre hervorragende Tierzucht.
Das Sedlnitzer Landgut war der einzige Familienbesitz, der Josef von Eichendorff geblieben war, nachdem sein Vater durch Finanzspekulation und Misswirtschaft in Schlesien fünf Güter verloren hatte, einschließlich des Schlosses Lubowitz. Nur das Lehen Sedlnitz blieb der Familie Eichendorff erhalten, weil es als Lehen des Olmützer Bistums nicht in das Konkursverfahren mit einbezogen werden konnte und außer Eichendorffs Vater noch drei seiner Verwandten zur Erbengemeinschaft gehörten.
Wären die schlesischen Güter der Familie Eichendorff erhalten geblieben, hätte das mährische Sedlnitz nicht solche Bedeutung für den Dichter erlangt. Joseph von Eichendorff hat selber die letzte Möglichkeit, die schlesischen Güter für die Familie zu retten, ausgeschlagen: Wäre er nämlich dem Wunsch der Mutter gefolgt und hätte die Nichte seiner Tante, die Comtesse und spätere Erbin von Schillersdorf in Nordmähren, Gräfin Julie von Hoverden, geheiratet, hätten mit deren Vermögen die Schulden des Vaters saniert werden können und die schlesischen Güter wären Eigentum der Eichendorffs geblieben. Eichendorff hat den Konflikt mit den Eltern in Kauf genommen, die aus Verärgerung über seine Heirat mit der relativ armen Luise von Larisch nicht an der Hochzeit in Breslau teilnahmen. Dazu kam, dass Eichendorff seine Frau heiratete, als sie bereits im fünften Monat schwanger war. Ein Skandal, den noch sein Sohn Hermann in seiner Biographie des Vaters zu vertuschen suchte, in dem er das Datum der Geburt des Erstgeborenen auf einen späteren Zeitpunkt verlegte.
1818, nach dem Tod des Vaters, werden seine Söhne, Josef und Wilhelm neben den Verwandten des Vaters Mitbesitzer von Sedlnitz. Die Wirtschaftsführung über das Sedlnitzer Gut übernimmt Josef von Eichendorff. Vor Ort setzt er einen Verwalter ein. Zunächst empfand Eichendorff die Verantwortung für das Gut mehr als eine Last. Es ist nicht so, wie einige Heimatforscher meinen, dass Eichendorff an Sedlnitz als dem letzten der väterlichen Güter besonders gehangen habe. Sedlnitz konnte nicht den Verlust der Heimat von Lubowitz, der Herrschaft Tost und den übrigen drei Gütern in Schlesien ausgleichen. Kindheits- und Jugenderinnerungen verbanden sich nicht mit Sedlnitz. Mit den Eltern und Geschwistern war Eichendorff nur sehr selten zu Besuch in Sedlnitz gewesen.
Der Gewinn, den das Landgut abwarf, war so gering, dass sie der Erbengemeinschaft kaum etwas einbrachte. Eichendorff klagt des Öfteren, dass er an Sedlnitz noch keinen Heller verdient habe. Sein Bruder Wilhelm will schon 1831 das Gut verpachten. Eichendorff selber berät sich 1848 mit Juristen in Wien, wie er das Lehen Sedlnitz verkaufen könnte. 1853 schreibt Eichendorff an seinen ehemaligen Vorgesetzten Theodor Schön:
[…] so bin ich eben jetzt gesonnen, mein Gut in Mähren zu verkaufen, und stehe deshalb bereits in Unterhandlung mit mehreren sehr annehmbaren Kaufliebhabern. Denn das Gut bringt mir, wie ich mich überzeugt habe, bei weitem weniger als es werth ist, und sodann erleichtert dieser Verkauf auch die gleichmäßige Vertheilung meines kleinen Vermögens unter meine Kinder. (Brief vom 14. November 1853)
Aber die Versuche, Sedlnitz zu verkaufen, misslingen. Solange Eichendorff als preußischer Beamter im weit entfernten Königsberg, Danzig und auch Berlin tätig war, konnte er sich kaum um das Gut kümmern. Erst mit seiner Pensionierung kann er vor Ort öfters die Verwaltung des Gutes kontrollieren. Nun wird das Sedlnitzer Gut für Eichendorff auch zum bevorzugten Sommersitz.
Da Eichendorff gerne die Familie um sich schart, wird Sedlnitz nach dem Verlust von Lubowitz zum Treffpunkt der Familie. Bereits 1837 findet in der Sedlnitzer Kirche die Trauung seiner Tochter Therese mit dem Leutnant Louis Besserer von Dahlfingen statt. 1845 kommt es in Sedlnitz nach langen Jahren der Trennung zur letzten Begegnung mit dem Bruder Wilhelm. Seine Schwester Luise, die später wegen Angstpsychosen ihre letzten Jahre in einer Nervenklinik verbringen muss, ist oft Gast in Sedlnitz und hat nach dem Tod des Dichters dort für längere Zeit eine Bleibe gefunden. Eichendorffs Frau bittet 1849 in einem Brief den Gutsverwalter, eine alte Tante aufzunehmen und sie wie ein Familienmitglied zu betreuen. Schon sein Schwiegersohn Besserer von Dahlfingen trägt sich mit dem Gedanken, die Verwaltung des Landgutes zu übernehmen. Schließlich zieht der Sohn Rudolf 1855 mit der Familie nach Sedlnitz, um das Gut 35 Jahre zu bewirtschaften, ein Entschluss, den Eichendorff zunächst eher skeptisch begleitet. 1857 stirbt die anderthalb jährige Enkelin Helene, um die Eichendorff sehr trauert. Ihr Grab ist noch heute an der Südseite der Kirche zu sehen. Ihr Vater Rudolf bleibt dann bis ein Jahr vor seinem Tod auf dem Gut Sedlnitz, bis er es dann wegen ständig anwachsender Schulden an den Gutsnachbarn, den Grafen Vetter von der Lilie in Neuhübel verkaufen muss. Er zieht ins benachbarte Fulnek, wo er 1891 stirbt und beerdigt wird.
In seinen späten Jahren ist es die "mährische Landeinsamkeit", die Eichendorff in Sedlnitz findet. Das abgelegene Landgut mitten in der Natur war für ihn ein Ort, der seinem Ideal einer schöpferischen Einsamkeit sehr nahe kam. Hier konnte er in Ruhe schreiben. Dafür musste der Gutsverwalter die notwendigen Vorbereitungen treffen. Davon zeugen die Anweisungen, die Eichendorff vor seiner Ankunft in Sedlnitz dem Verwalter zukommen ließ, so z.B. im Jahr 1853:
Nämlich: 1. Dass Sie, bester Herr Bayer, auf der Post zu Freiberg wieder die Berliner Vossische Zeitung vom 1. April bis zum 1. Oktober d.J. bestellen, was aber gefäll. sogleich geschehen muss, da es sonst zu lange dauert, ehe wir die Zeitung erhalten. – 2. Einen Tisch zum Schreiben für mich mit einer geräumigen Schublade zum Verschließen. – 3. Sobald erst unsere Ankunft dort näher bestimmt ist, wieder ½ Pfd. Galizier u. ½ Pfd. ordinären Schnupftabak und 100 Stück Cigarren von der Sorte, die ich dort vor zwei Jahren hatte, so dass ich beides, wenn ich hinkomme, schon vorfinde, und endlich auch wieder den Barbier aus Freiberg. (Brief vom 6. April 1853)
Zu dem Verwalter des Gutes, Johann Beyer und seiner Familie knüpfen die Eichendorffs fast familiäre Kontakte: Eichendorff lädt Beyer und seine Tochter im Jahre 1851 zu einem Besuch in Berlin ein. Eichendorff berichtet über diese Fahrt, bei der er den Beyers auf dem Weg von Sedlnitz nach Berlin Breslau zeigt. Freilich wird bei aller Freundlichkeit von Eichendorffs Seite dennoch der standesgemäße Abstand gewahrt: Die Eichendorffs fahren mit dem Zug 2. Klasse, während Beyer in der 3. Klasse die Fahrt nach Berlin macht. Beyers Tochter bleibt dann in Berlin und wird Hausangestellte bei den Eichendorffs. Vor allem kümmert sie sich um die immer mehr kränkelnde Luise Eichendorff. Schließlich bleibt sie bis zum Tod von Luise Eichendorff in Neiße in der Familie. 1855 kommt es zum Zerwürfnis mit dem Verwalter. Eichendorff und sein Sohn Rudolf kündigen Beyer mit der Begründung, dass er verantwortlich sei für eine hohe Verschuldung des Landgutes und auch Gelder für seinen privaten Gebrauch verwendet habe.
Eichendorffs Kontakte zu seiner näheren Umgebung beschränken sich auf Höflichkeitsbesuche beim Olmützer Bischof, der gleichzeitig sein Lehnsherr ist. Eichendorff besucht ihn in der bischöflichen Sommerresidenz, die am Fuße der nahe gelegenen mächtigen Burgruine Hochwald liegt. Verbürgt ist auch Eichendorffs Freundschaft mit dem Sohn des Liedersammlers Georg Joseph Meinert, Hugo Meinert im benachbarten Partschendorf. Briefe zwischen Eichendorff und Vater und Sohn Meinert sind verloren gegangen. Erhalten geblieben ist ein Widmungsblatt Eichendorffs für Hugo Meinert. Am 6. August 1857, also drei Monate vor seinem Tod, hat Eichendorff für ihn noch einmal seinen berühmten Vers niedergeschrieben: "Schläft ein Lied in allen Dingen…"
Über Eichendorffs Verhältnis zu den Menschen vor Ort, zu den Gutarbeitern und den Bauern im Dorf, die ihm als Gutsherren bis 1848 zu Robotleistungen verpflichtet waren, liegen keine Äußerungen vor. Ebenso fehlen Hinweise darauf, dass Eichendorff sich mit den harten Lebensbedingungen seiner Untergebenen auseinander gesetzt hat. Eine Ortschronik aus dem Jahr 1817 berichtet, dass fast alle Deutschen in Sedlnitz auch die tschechische Sprache beherrscht haben. Aber im Unterschied zu dem befreundeten Gelehrten Hugo Meinert im Nachbardorf, der sich als sog. Bohemist für ein friedliches Zusammenleben von Tschechen und Deutschen engagierte, hat Eichendorff offensichtlich von dieser Problematik keine Notiz genommen.
Sedlnitz ist Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts durch den sog. Sedlnitzer Fund für die Eichendorff-Forschung noch einmal interessant geworden. Auf dem Dachboden des Schlosses entdeckte die Lehrerin Anna Bönisch eine Truhe mit Handschriften Eichendorffs. Die Truhe enthielt unter anderem Entwürfe zu 80 Gedichten, Fragmente von Novellen des Dichters und längere Konzepte zur Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands, veröffentlicht 1857.
Das Spätwerk Eichendorffs: Arbeiten zur Literaturgeschichte
Eichendorff hat in Sedlnitz zumindest Teile seines Spätwerkes geschrieben. Namentlich erwähnt er in seinen Briefen aus Sedlnitz seine Übersetzungen von Calderons Geistlichen Schauspielen aus dem Spanischen und das Versepos Julian. Von seiner Pensionierung bis zu seinem Tod hat Eichendorff Teile seiner Memoiren geschrieben, die unter dem Titel Erlebtes erscheinen. Außer Julian schrieb er die weiteren Versepen Robert und Guiscard (1855) und Lucius (1857). Nach seiner Pensionierung hat Eichendorff nur noch wenige Gedichte geschrieben. Die Prosa, wie z.B. die genannten Versepen und die Satire auf die Revolution von 1848 Libertas und die Freier erreichen nicht die Qualität seiner früheren Dichtung.
Den größten Umfang im Spätwerk Eichendorffs nehmen seine literaturgeschichtlichen Arbeiten ein. Dazu gehören: Zur Geschichte der neueren romantischen Poesie in Deutschland (1845/46), Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland (1847), Die geistliche Poesie in Deutschland (1847), Der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts in seinem Verhältnis zum Christentum (1850/1851), Zur Geschichte des Dramas (1854), Geschichte der poetischen Literatur in Deutschland (1856/1857).
Diese Abhandlungen Eichendorffs sind wenig bekannt geworden. Dabei bilden sie eine interessante Parallele zu Heines Betrachtungen zur Literaturgeschichte. Beide Autoren sparen nicht mit polemischer, ja boshafter Kritik, wobei sie sich in ihren Positionen diametral gegenüber stehen. Eichendorff vertritt den Standpunkt, dass die zentrale Aufgabe der Poesie ganz konform gehe mit der Religion. Die Poesie ist „in ihrem Kern selbst religiös.“ Wo immer die Poesie sich von der Religion emanzipiert, wird sie ihrer eigentlichen Bestimmung untreu. Von diesem Standpunkt leitet Eichendorff sein Verdikt über die Literatur der Vergangenheit und Gegenwart ab. Geradezu stereotyp lautet sein Urteil gegenüber der Literatur der Aufklärung, der Klassik und auch Teilen der romantischen Epoche immer wieder: Es habe sich hier ein verderblicher Individualismus, eine Subjektivität des Egoismus und ein Abfall von der Religion breit gemacht. Eingeleitet habe diesen Niedergang die Reformation. „Sie hat die revolutionäre Emanzipation der Subjektivität zu ihrem Prinzip erhoben, indem sie die Forschung über die kirchliche Autorität, das Individuum über das Dogma gesetzt [...].“ (Werke Bd. 3, S. 607). Diese Entwicklung vergleicht Eichendorff mit dem Sündenfall. Die Reformation habe Kräfte freigesetzt, die den Menschen dazu ermutigt hätten, sich frevelhaft an die Stelle Gottes zu setzen. Auf diesem Weg sei die Aufklärung aber auch die Klassik weiter gegangen. So habe Goethe an die Stelle des positiven Christentums ein „künstlerisch dekoriertes Evangelium der fünf Sinne“ (Werke Bd. 3, S. 320) gesetzt. Er habe einem Pantheismus gehuldigt, der letztlich in eine Selbstvergottung des Menschen eingemündet sei. Auch gegenüber Schiller fällt sein Urteil negativ aus: Es finde sich „auch bei dem tugendhaften Schiller abermals, nur unter der neuen Maske der Kunst, die alte Erbsünde der Reformation: die Heiligsprechung der subjektiven Eigenmacht […]“. (Werke Bd.3, S. 743)
Eichendorffs Literaturgeschichten sind Kampfschriften. Das ist nichts Ungewöhnliches für seine Zeit. Auch Heinrich Heine spart in seinen literaturgeschichtlichen Werken nicht mit beißender Kritik. Beide polemisieren aus diametral entgegengesetzten Standpunkten. Beide messen der Reformation und der Aufklärung eine Weichenstellung in der Geschichte bei, in deren Konsequenz dann für beide die Französische Revolution erfolgte. Aber während Heine in diesem Geschichtsverlauf ein Voranschreiten der Menschheit auf dem Weg zur Emanzipation sieht, wertet Eichendorff diese „Emanzipation des Subjekts und des Fleisches“ als Abfall und Bedrohung.
Nur eine Rechristianisierung kann für Eichendorff die notwendige Wende bewirken. Dabei ist es durchweg das katholische Christentum, von dem sich Eichendorff diese Wende erhofft. Im Papsttum sieht er den Garanten der Einheit des Christentums. Nur unter der Führung des Papstes kann es eine Erneuerung der Christenheit geben, eine Überzeugung mit der sich Eichendorff auch gegen die Los-von-Rom-Bewegung wendet, den sog. Deutsch-Katholizismus, der in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland großen Zulauf hatte.
Dass sich Eichendorff in seinen literaturgeschichtlichen Werken so klar zum Katholizismus bekennt, dürfte u.a. damit zusammenhängen, dass katholische Verleger an ihn mit dem Vorschlag herantraten, eine Literaturgeschichte vom katholischen Standpunkt aus zu schreiben. Man erwartete von Eichendorff einen Gegenentwurf zu der Geschichte der deutschen Nationalliteratur, die der protestantische Theologe August Friedrich Christian Vilmar 1845 verfasst hatte, die sehr populär war und 26 Neuauflagen erlebte. So hat Eichendorff in seinen Streitschriften auch den sog. preußischen Kulturprotestantismus im Visier gehabt. In der protestantischen Theologie und darüber hinaus in den übrigen Geisteswissenschaften bildet sich in der Zeit der Restauration die Überzeugung heraus, dass der preußische Staat vor allem auf den folgenden zwei Säulen ruhe, der Reformation und der Aufklärung. Was also für Eichendorff in den Schrecken und den Terror der Französischen Revolution einmündet, begründet für die sog. Kulturprotestanten die Größe des preußischen Staates.
Aspekte der jüngeren Eichendorf-Forschung
Die Eichendorff-Forschung der letzten 50 Jahre hat sich das Ziel gesetzt, das Theodor Adorno in seiner Rede zum 200. Geburtstag vorgegeben hat: Wir müssen „Eichendorff erkennend retten vor seinen Freunden und Feinden“. Kaum ein deutscher Dichter ist ideologisch so vereinnahmt worden wie Joseph von Eichendorff. Im Zusammenhang mit seinem Spätwerk soll auf zwei häufig vertretene Interpretationen eingegangen werden: 1. Eichendorffs literaturhistorische Arbeiten haben mit dazu beigetragen, in ihm einen Dichter zu sehen, der sein Werk ganz in den Dienst der katholischen Kirche gestellt habe. 2. Eichendorffs schlesische Herkunft und seine Beziehung zum deutschsprachigen Kuhländchen in Mähren haben dazu geführt, dass Eichendorff als ein Ideologe des Deutschtums und des Rechtes auf Heimat angesehen wird.
l. Eichendorff war Zeit seines Lebens ein treuer Sohn der katholischen Kirche. Der katholische Kaplan Bernhard Heinke war ab 1793 sein Erzieher. Das Gymnasium in Breslau, das er von 1801 bis 1804 zusammen mit seinem Bruder besuchte, wurde von den Jesuiten geleitet. Als Beamter im protestantischen Preußen hat er einige Versuche unternommen, eine Anstellung im katholischen Bayern oder Österreich zu bekommen. In Sedlnitz besuchte er täglich die Messe. In seinen literaturhistorischen Schriften ist die Nähe zum Katholizismus für Eichendorff ein wichtiger Maßstab, an dem er die Qualität eines Schriftstellers misst.
Umso mehr fällt auf, dass Eichendorffs Dichtung frei ist von einer Propagierung des Katholizismus. In Lyrik und Prosa fehlen direkte Hinweise auf die Institutionen und die Glaubenslehre der katholischen Kirche. Gottesdienste, Messfeiern, andere religiöse Zeremonien wie auch die Abnahme der Beichte spielen in seiner Dichtung keine Rolle. Geistliche tauchen in seiner Dichtung höchstens am Rande auf. Wenn, wie in Ahnung und Gegenwart und in Der Dichter und seine Gesellen die beiden Hauptprotagonisten am Ende einer Läuterung ins Kloster gehen, dann steht das Kloster weniger für ein Leben nach den drei mönchischen Gelübden, sondern in erster Linie für ein Leben in der Stille einer Einsiedelei, in der nach Eichendorffs Auffassung der Mensch erst zu sich kommen kann. Wird, wie in seinen Gedichten, Maria angerufen, dann nicht so sehr als die Mutter Gottes, sondern als der Gegentypus zur dämonischen und verführerischen Venus-Frau, als Inbild holder, aber auch unerotischer Weiblichkeit, die ihren schützenden Sternenmantel über die gefährdeten Männer ausbreitet. Ein Grundzug der Dichtung Eichendorffs bildet die Sehnsucht nach der himmlischen Heimat. Ganz undogmatisch aber stellt sich Eichendorff den Einlass in die Ewigkeit vor: Es gibt keine Vorhölle und kein Fegefeuer, es gibt noch nicht einmal einen Weltenrichter, der die Menschen erst nach einer strengen Prüfung ihrer Taten und aufgrund der Erlösung durch den Kreuzestod Christi den Einlass in den Himmel gewährt. So sehr Eichendorff von dem irrenden und sündigen Menschen redet, die Himmelstüren stehen letztlich allen offen. „...wir stürmen das himmlische Tor…“ lautet die letzte Zeile seines Gedichts Der Soldat.
Eichendorffs Gottesbild entspricht nicht der katholischen Dogmatik, ja oft nicht einmal den biblisch-christlichen Vorstellungen. Vielmehr vertritt Eichendorff eine Gottesvorstellung, wie sie die Philosophen Leibnitz und Spinoza vertreten haben. In der besten aller Welten waltet ein Gott, der mit den Menschen nur Gutes im Sinn hat, auch wenn sie es nicht sofort erkennen. Von dieser gütigen Theodizee ist die Novelle Der Taugenichts geprägt. Nicht weil der Vater ihn loswerden will, sondern weil Gott selber ihn in die weite Welt schickt, geht der Taugenichts auf seine Wanderschaft. Dazu bekennt er sich mit seinem ersten Lied: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt…“ Die 4. Strophe dieses Liedes („Den lieben Gott lass ich nur walten…“), die dem protestantischen Choral „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ von Georg Neumark nachgebildet ist, wird sogar noch einmal später in der Novelle wiederholt. So unterstreicht Eichendorff, dass das Gottvertrauen für den Taugenichts die grundlegende Orientierung für sein Leben darstellt. Es ist dieses Gottvertrauen, das ihn letztlich alle Gefahren, Abenteuer und Verwechslungskomödien heil überstehen lässt. Es ist dieses Vertrauen zu dem unendlich gütigen Gott, das ihn zum Sonntagskind werden lässt, der „den ewigen Sonntag im Gemüthe“ trägt, der nicht zu arbeiten braucht und der leben kann wie am 7. Schöpfungstag, dem arbeitsfreien Sabbath. Dazu passt der Schlusssatz der Novelle: „Und alles, alles war gut.“ Er ist den Worten der biblischen Schöpfungsgeschichte nachgebildet, wo es von Gottes Schöpfung heißt: „Und siehe, es war alles sehr gut!“
Wenn man überhaupt eine konfessionelle Richtung im Taugenichts ausmachen will, dann hat Eichendorff in seiner bekanntesten Novelle eher eine protestantische Glaubenssicht vertreten: Der Taugenichts bekommt die Erfüllung seiner Liebe zur „schönen Frau“ geschenkt. Weder Arbeit, noch gute Werke, noch irgendeine Leistung können des Menschen Beziehung zu Gott und zu den Menschen positiv beeinflussen. Es ist allein das Vertrauen auf die grenzenlose Güte Gottes, der Glaube allein, wie die Reformation gegen die katholische Lehre von den guten Werken formulierte, der den Menschen erlöst, und seinem Leben einen neuen Sinn geben kann. Nur fehlt bei Eichendorff der Hinweis auf die für die Reformatoren entscheidende Befreiung der Sünde durch den Tod Jesu.
Nicht für den Katholizismus, wohl aber für eine Wiedergeburt des Religiösen wirbt Eichendorff in seiner Dichtung. Er schreibt in einer Epoche, in der das traditionelle Christentum durch Aufklärung, Französische Revolution und die ihr nachfolgenden Revolutionen, so wie durch die Industrialisierung und die damit aufkommende soziale Not der Massen an Boden verliert. Eichendorff selber beschreibt im Gedicht An die Dichter die Situation nüchtern und illusionslos mit den Worten: „Das Reich des Glaubens ist zerbrochen.“ Nun wird der Dichter zum Sprachrohr Gottes:
Der Dichter kann nicht mit verarmen;
Wenn alles um ihn her zerfällt,
Hebt ihn ein göttliches Erbarmen-
Der Dichter ist das Herz der Welt. …
Drum hat ihm Gott das Wort gegeben,
Das kühn das Dunkelste benennt,
Den frommen Ernst im reichen Leben,
Die Freudigkeit, die keiner kennt.
(Werke Bd.1, S. 140)
Bekanntlich hat Eichendorff das Programm der Romantik in dem folgenden Vers zusammengefasst:
Wünschelrute
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
(Werke Bd.1, S. 132)
Es ist der Dichter, der mit der Poesie, dem Zauberwort, den verborgenen religiösen Ursprung der Dinge wieder aufdeckt. Er kann die Entfremdung von Mensch und Natur wieder heilen durch das poetische Wort. Das Wort des Dichters erhält die Funktion einer Offenbarung. Ein fast häretischer Standpunkt aus der Sicht der Kirche. Die Poesie tritt an die Stelle der Kirchenreligion. Sie tut dies mit einer neuen Sprache, die weder der Bibel noch der Theologie entlehnt ist. Eichendorff, der schon als Kind die Bibel lieb gewann, vermeidet dennoch in seiner Dichtung fast durchweg Anklänge an biblische Geschichten und Inhalte. Theologische und biblische Themen sind nicht Gegenstand seiner Dichtung. Es geht Eichendorff darum, das Irdische und das Diesseitige so darzustellen, dass dabei das Religiöse transparent wird. Er will das Ewige im Gegenwärtigen aufspüren, in der Natur ebenso wie im menschlichen Leben.
2. Die Deutsch-Nationalen des 19. Jahrhunderts und die Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert haben Eichendorff gefeiert als den „deutschesten der deutschen Dichter“. In Neutitschein, wenige Kilometer von Sedlnitz entfernt, hält der 1.Vorsitzende der deutschen Eichendorff-Stiftung, Karl Schodrok am 13. Februar 1939 eine Rede zur Eröffnung der Eichendorff-Woche. Er verneigt sich vor Eichendorf als einem frühen Vorläufer nationalsozialistischen Denkens. Die Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei nach 1919 und die deutschen Vertriebenenverbände nach dem 2. Weltkrieg verehren Eichendorff als den Dichter, der ihr Recht auf Heimat in Schlesien und Mähren bezeugt. Doch Eichendorffs Behandlung des Themas „Heimat“ ist differenzierter, als dass es sich für eine Politik der Rechtsansprüche bezüglich der verlorenen Heimat instrumentalisieren ließe.
Eichendorff ist kein Heimatdichter in dem Sinn gewesen, dass die Landschaften in seiner Dichtung sich lokalisieren lassen. Versuche, wie z.B. den Anfang des Taugenichts nach Sedlnitz zu verlegen, gehen in die Irre. Mit der Kutsche der „schönen Frauen“ erreicht der Taugenichts an einem Tag das Schloss in der Nähe von Wien. In Wirklichkeit dauerte eine Fahrt mit der Kutsche von Sedlnitz nach Wien mehrere Tage. Auch eine Beschreibung der Stadt Rom im Taugenichts hat nichts mit der wirklichen Stadt Rom zu tun. Rom steht hier für das himmlische Jerusalem. Orte, Natur und Landschaften sind bei Eichendorff symbolisch zu lesen. Sie dienen nicht einem romantischen Stimmungszauber, sondern sie verweisen auf die jeweilige existentielle Grundsituation der Personen, die sich in dieser Landschaft bewegen: Ihre Heimkehr oder ihr Verlorensein in der Fremde, ihre Rettung oder Bedrohung, ihre Nähe oder Ferne zu Gott.
Zwar spielen Nation, Vaterland und Heimat bei Eichendorff eine Rolle. Doch schon Eichendorffs Einstellung zum Deutschtum unterscheidet sich erheblich von der Position der meisten zeitgenössischen Dichter. Ein enthusiastischer und auch militaristischer Patriotismus, wie ihm Kleist, Körner und Arndt in den Jahren der napoleonischen Herrschaft und den Freiheitskriegen gehuldigt haben, ist Eichendorff fremd. Obwohl er selber wie selbstverständlich im berühmten Lützower Freikorps an den Freiheitskriegen teilgenommen hat und den Einmarsch in Paris als Ordonnanzoffizier an der Seite des preußischen Generals Gneisenau erlebt hat, hat sich in seiner Dichtung keinerlei Kriegsbegeisterung oder gar Hass auf Frankreich und Napoleon niedergeschlagen.
Eichendorff war stolz auf seine Zugehörigkeit zur deutschen Nation und einer seiner größten Wünsche war, dass diese Nation zur Einheit finden möge. Aber ein Nationalismus, der einhergeht mit einer Abwertung anderer Nationen, war ihm fremd. Es ist vor allem der religiöse Glaube, der Eichendorff davon abgehalten hat, in der Nation und in der Heimat ein letztes höchstes Gut zu sehen. Hinter der irdischen Heimat tut sich für Eichendorff die ewige Heimat auf: „Und meine Seele spannte, weit ihre Flügel auf / flog durch die stillen Lande als flöge sie nach Haus“, heißt es in einem der bekanntesten Gedichte Eichendorffs Mondnacht.
Die Seele fliegt eben nicht nach Lubowitz oder Sedlnitz, sie fliegt nicht nach Schlesien und Mähren, sondern sie findet ihr letztes Zuhause im Himmel, ganz im Sinne der biblischen Tradition, die davon spricht, dass „wir hier keine bleibende Statt haben, sondern die zukünftige suchen“ (Hebräer 13, 14), oder wie es Paulus ausdrückt: „Unsere Heimat ist im Himmel.“ (Philipper 4,20)
„Heimat“ lässt sich für Eichendorff nicht an einem bestimmten Ort festmachen. Der Heimat kann Eichendorff nur eine relative Bedeutung zumessen angesichts des Glaubens an die himmlische Heimat. Dabei ist dieser Glaube für Eichendorff nicht einfach eine billige Vertröstung, sondern eine angesichts schmerzhafter Verluste gewonnene Erfahrung, die es dem Menschen ermöglicht, ihm wichtige und liebgewordene Dinge loszulassen:
Du bist`s, der, was wir bauen,
Mild über uns zerbricht,
Dass wir den Himmel schauen -
Darum so klag ich nicht.
(Werke Bd. 1, S. 275)
Die „Heimat“ ist bei Eichendorff letztlich aufbewahrt und aufgehoben in der Poesie. Die Poesie weckt im Menschen die Sehnsucht immer wieder neu, über das Vorhandene und Vorgegebene hinaus zu gehen. So gesehen ist Eichendorff, wie es Adorno formuliert hat, „kein Dichter der Heimat, wohl aber des Heimwehs“.
(Friedrich Goedeking, Baška)